White Collar Crime

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Der Begriff White Collar Crime, der von dem Soziologen Edwin H. Sutherland in den 50ern etabliert wurde, bedeutet wörtlich übersetzt Weiße Kragen Kriminalität und wird als Synonym für Wirtschaftskriminalität genutzt. Unter White Collar Crime werden Verbrechen verstanden, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden. In den letzten 50 Jahren ist White Collar Crime immer mehr Gegenstand der kriminologischen Forschung geworden. In Zusammenhang mit der Begriffskritik wurden Begriffe wie Berufs- und Organisationskriminalität vorgeschlagen, deren Definition nicht die Definition des Begriffes Wirtschaftskriminalität ganz abdeckt. Bei der Wirtschaftskriminalität ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass fast jedes zweite Unternehmen in Deutschland betroffen ist. Die Untergrenze des Schadens wird auf 6 Mrd. EUR jährlich mit steigender Tendenz geschätzt.

Etymologie

Der Begriff White stammt vom dem Alt-Germanischen Begriff „khwitaz“ und bedeutet wörtlich übersetzt weiß. White wurde zunächst in England als Nachname genutzt und ist einer der ältesten englischen Wörter. Mit der Bedeutung „moralisch rein“ wurde das Wort in Adelshäusern im späten 18. Jh. verwendet. In Amerika wurde die Nutzung des Wortes zuerst 1604 als Adjektiv in Verbindung mit aus Europa stammenden Personen registriert.

Der Begriff Collar geht auf das Französische „coler“ zurück, welches vom Lateinischen „collare“ abstammt und bedeutet wörtlich übersetzt soviel wie Hals oder Kragen. Die Nutzung des Begriffes im Zusammenhang mit „White Collar“ wurde zuerst 1919 registriert.

Crime stammt vom Französischen „crimne“, welches auf das Lateinische “crimen” zurückgeführt werden kann. Wörtlich übersetzt bedeutet er soviel wie Angriff bzw. Kriminalität. Wörtlich wird White Collar Crime mit Weiße Kragen Kriminalität übersetzt und im deutschen Sprachraum als Synonym für Wirtschaftskriminalität verwendet.

Definition

Der amerikanische Kriminologe und Soziologe Edwin H. Sutherland beschreibt White Collar Crime in einem Beitrag 1939 als „a crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“, also als ein Verbrechen, das von einer geachteten Persönlichkeit von hohem sozialen Status im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird (Sutherland/1949). Dabei sollte der Status der Täter nicht Teil der Definition des White Collar-Konzepts sein, sondern die Analyse des Konzepts erleichtern (Croall/1992). Die Definition sollte allerdings Verhalten berücksichtigen, die nicht unmittelbar eine Gesetzesüberschreitung bzw. -verletzung darstellen. Der Missbrauch von Macht stellt für Sutherland ein Verhalten dar, dem oberste Priorität zugeordnet und das einer besonderen Prüfung unterzogen werden sollte (Sutherland/1983). Weiter definiert Edwin H. Sutherland White Collar Crime als wirkliche Kriminalität, die das Strafrecht verletzt und sich von der Kriminalität der Unterklasse durch die Handhabung des Strafgesetzes unterscheidet. Diese Unterscheidung würde den White Collar Kriminellen verwaltungsmäßig von anderen Kriminellen trennen (Sutherland/1979).

F. E. Hartung definiert White Collar Crime als eine Verletzung eines wirtschaftsregulierenden Gesetzes, die durch die Angestellten eines Unternehmens bei der Durchführung ihrer Geschäfte verübt wird (Hartung/1950). M. B. Clinard spricht ebenfalls von einer Gesetzesverletzung, die von Personen in Verbindung mit ihrer Berufsausübung begangen wird (Clinard/1952).

In der Literatur lassen sich weitere Definitionen von Wirtschaftskriminalität finden, u. a. von A. Berg, der Wirtschaftskriminalität als eine Zusammenfassung aller Gesetzesverstöße, bei denen eine wirtschaftliche Betätigung auf Täter und Opferseite vorliegt, erläutert (Berg/2001).

Unter Wirtschaftskriminalität werden über 60 Deliktarten zusammengefasst. Die Juristen Walter Zirpins und Otto Terstegen (1963) haben als Arbeitshypothese zu den Wirtschaftsdelikten diejenigen strafbaren Handlungen gezählt, „wie sie geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung dadurch zu beeinträchtigen, dass sie das für die jeweilige Wirtschaftsordnung grundlegende Vertrauen antasten“.

Der Soziologe Jürgen Friedrichs (1990) geht einen Schritt weiter und erfasst unter White Collar Crime alle illegalen Praktiken, die durch Institutionen und Personen mit einer hohen Reputation unter Vertrauensausnutzung begangen werden und den finanziellen Vorteil und/oder die Ausweitung von Macht und Privilegien als Motivation haben.

Anders ist die Definition durch die Polizei, die unter „Wirtschaftskriminalität“ die Gesamtheit der in § 74c Abs. 1 Nr. 1-6 GVG aufgeführten Straftaten, jedoch ohne Computerbetrug versteht. Weiter sind nach der polizeilichen Definition unter Wirtschaftsdelikte diejenigen Delikte zu verstehen, die „im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über eine Schädigung von Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und/oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Aufklärung erfordert.“ (BKA/2007)

Historie

In der 34. Tagung der Vereinigung „American Sociological Society“, die in Philadelphia, USA im Jahre 1939 stattfand, trug der damalige Präsident der Vereinigung, Edwin H. Sutherland (1883-1950), einen Beitrag über „The White Collar Criminal“ vor. Der Beitrag wurde 1940 in der American Sociological Review veröffentlicht und veränderte das Verständnis der Studien und Theorien de Kriminologie grundlegend.

Den Begriff „White Collar“ nutze Sutherland in Zusammenhang mit dem Begriff „Criminaloid“ bereits in seinem Textbuch „Criminology“ von 1934 mit dem Verweis auf die Veröffentlichung von Alfred A. Sloan Jr. mit dem Titel „Adventures of a White Collar Man“.

Seine Veröffentlichung wurde ab 1955 in verschiedenen Sprachen übersetzt und erhielt sprachlich bedingte Synonyme wie „crime en clo blanc“ in Frankreich, „criminalitá in colletti bianchi“ in Italien oder die „Weiße Kragen Kriminalität“ in Deutschland (Sutherland/1983), wobei sich der Begriff der Wirtschaftskriminalität in der deutschen Sprache durchgesetzt hat.

Kritik und Zusammenhang mit anderen Begriffen

Die Definition des Konzepts von Edwin H. Sutherland und die Verwendung des Begriffes White Collar Crime wurde in der Kriminologie kritisch beurteilt, da die Wirtschaftskriminalität aufgrund der vielfältigen Deliktarten nicht nur dem Mann mit dem weißen Kragen und damit der oberen und der oberen Mittelschicht der Gesellschaft zugeordnet werden kann.

Da die Wirtschaftskriminalität Delikte umfasst, die im Zusammenhang mit der Ausübung des Berufes auch durch untergeordnete Mitarbeiter wie Buchhalter begangen werden, wurde der Begriff Berufskriminalität vorgeschlagen. In der amerikanischen Kriminologie werden unter Berufskriminalität (occupational crime) Delikte, die von Personen im Staatsdienst, im Geschäftsleben und in freien Berufen ausgeübt werden, verstanden. Diese Begriffsdefinition ist weiter gefasst als die Definition des White Collar Crime.

Weiter wird der Begriff Körperschafts- oder Organisationskriminalität (corporate crime) verwendet, der Straftaten umfasst, die von juristischen Personen des Zivilrechts begangen werden (Clinard/Quinney/1973).

Die Begriffsdefinitionen von der Berufs- und Organisationskriminalität sowie von White Collar Crime sind nicht deckungsgleich. Eine genaue Abgrenzung der Definitionen ist umstritten und schwierig.

Die genannten Begriffe weisen zwar in der Definition Überschneidungen mit dem Begriff Wirtschaftskriminalität auf, decken diesen Begriff jedoch nicht ab. Der Oberbegriff Wirtschaftskriminalität ist daher als Arbeitstitel zu betrachten und soll einschlägige Erscheinungsformen beinhalten und in einem Gesamtzusammenhang die kriminologische Wertung ermöglichen (Zirpins/1963).

Ursachen und Täter

Theorien zur Erklärung und Ursachen

Die Ursachen der Kriminalität sind vielschichtig und komplex. So gibt es eine Reihe von Theorien, die kriminelles Verhalten erklären. Die Erklärungskonzepte sind ökonomischer, psychologischer, biogenetischer und sozio-kultureller Natur.

Da bis 1940 die kriminologischen Theorien meist Verbrechen erklärten, die auf Armut oder psychopatische und soziopathische Bedingungen, die statistisch mit Armut korrelieren, zurückgeführt wurden, entwickelte Edwin H. Sutherland zwei neue Theorien (Sutherland/1979). Die Theorie der differentiellen Assoziationen bzw. differentiellen Kontakte und die Theorie der sozialen Desorganisation sollten normabweichendes Verhalten, insbesondere das der White Collar Kriminellen erklären. Die Theorie differentiellen Assoziationen setzt voraus, dass eine Situation vorliegt, sie vom Handelnden als günstig eingeschätzt wird und erklärt das kriminelle Verhalten als gelerntes Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess, hauptsächlich in intimen persönlich Gruppen. Es schließt das Erlernen einer spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierung und Attitüden sowie von Techniken, die zur Ausführung eines Verbrechens notwendig sind, ein. Weiter geht die Theorie davon aus, dass die differentiellen Assoziationen oder Kontakte nach Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität variieren. Damit wird das kriminelle Verhalten auf die persönlichen Lebensumstände des Kriminellen zurückgeführt (Sutherland/1974).

Sutherland ergänzte die Theorie der differentiellen Assoziationen durch die Theorie der sozialen Desorganisation, wonach die differentiellen Kontakte in Verbrechen kulminieren, wenn die Gesellschaft nicht gegen diese Verbrechen organisiert ist (Sutherland/1979).

Das White Collar Crime gelerntes Verhalten ist, zeigt sich am Beispiel der Korruption und die großen Korruptionsskandale der letzten Jahre. So werden weltweit agierende Unternehmen gezwungen, sich wie Mitbewerber ebenfalls kriminell zu verhalten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Vor Sutherland erklärte Robert K. Merton 1938 mit seiner Anomietheorie kriminelles Verhalten als Reaktion auf den Druck der Gesellschaft auf das Individuum. In der 1957 erweiterten Auflage seiner Veröffentlichung mit dem Titel „Social Structure and Anomie“ wird White Collar Crime als Beispiel für die Innovation bzw. der Neuerung aufgeführt. Innovation ist nach Merton einer der fünf Reaktionstypen der Individuen auf den Zustand der Anomie. Das kriminelle Verhalten in der oberen Schicht wird als Reaktion auf die zunehmende Betonung prestige-geladener Ziele erklärt. Diese Reaktion impliziert die Anwendung institutionell nicht erlaubter aber wirksamer Mittel, die zumindest das Erlangen der Erfolgsziele wie Wohlstand und Macht garantieren. Voraussetzung für die Anwendung dieser Mittel ist die Akzeptanz der kulturellen Betonung des Zieles durch das Individuum.

So werden in den oberen Rängen der Wirtschaft die Grenzen zwischen dem Verhalten des „ehrbaren Kaufmanns“ und den durchtriebenen und kriminellen Praktiken des Geschäftsmannes durch den strukturbedingten Zwang zur Neuerung verwischt. Auch die Bewunderung dieser gewieften und erfolgreichen Geschäftsmänner ist ein Produkt einer kulturellen Struktur, in der das Ziel die Mittel heiligt (Merton/1957).

Die aufgeführten Erklärungen von wirtschaftskriminellem Verhalten, insbesondere in der Oberschicht implizieren eine ökonomische Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten nach dem Handlungsmodell des „homo oeconomicus“. Die Rational-Choice-Theory befasst sich u.a. mit dem rationalen Wahlhandeln des Individuums und die damit zusammenhänge Erklärung vom abweichenden Verhalten. Damit wird die Kriminalität eine reine Kosten-Nutzen-Abwägung und das Individuum, ganz gleich aus welcher sozialen Schicht, entscheidet sich für die kriminelle Handlung, wenn die Opportunitätskosten in Form entgangener legaler Löhne geringer sind als die Opportunitätskosten im Sinne entgangener krimineller Profite im Falle einer legalen Tätigkeit (Bongard/2001).

Der White Collar Verbrecher findet nach Sutherland Unterstützung für sein Verhalten in Gruppennormen, was die Theorie widerlegt, dass Gesetzesübertretung in der Natur des Menschen begründet ist. Die Gruppe des White Collar Verbrechers ist von hoher sozialer Bedeutung mit beachtlicher ökonomischer und politischer Macht außerhalb des Bereichs krimineller Aktivität und hat eine komplizierte weithin anerkannte ideologische Rationalisierung für die Normübertretungen seines Mitglieds (Aubert/1979). So machen die White Collar Kriminellen häufig von Neutralisationstechniken Gebrauch, um das normabweichende Verhalten zu rechtfertigen. Gresham M. Sykes und David Matza liefern fünf Rechtfertigungsstrategien, durch die grundsätzlich anerkannte und herrschende Wertvorstellungen zeitweise außer Kraft gesetzt werden (Sykes/Matza/1968).

Die von den White Collar Kriminellen wohl am häufigsten genutzten Rechtfertigungsstrategien sind die Ablehnung der Verantwortung im Sinne eines Billard-Ball-Effektes, in dem der Kriminelle sich hilflos in neue Situationen getrieben sieht sowie die Verneinung des Unrechts durch Bagatellisierung.

Täter und Tätergruppen

Die meisten registrierten Wirtschaftsstraftäter sich männlich, um die 40 Jahre alt und meist verheiratet. Häufig sind die Täter bereits eine längere Zeit im Unternehmen tätig und kennen die Schwächen des Systems und der Organisation und können leichter Gelegenheiten erkennen.

Der Wirtschaftskriminelle verhält sich häufig normkonform bis auf wenige Situationen, die meist im Zusammenhang mit einer persönlichen Krise stehen. Er unterscheidet sich von anderen Straftätern in seinen Wertvorstellungen. Aufgrund des großen Dunkelfeldes und der Begrenzten Möglichkeiten zur empirischen Untersuchung von Wirtschaftskriminalität hat sich wohl die Auffassung durchgesetzt, dass es den typischen Wirtschaftskriminellen nicht gibt (Kohl/1991).

Gruppen und Individuen als Teil der Gruppe sind mehr an die Gruppen- und Einzelinteressen als an das Allgemeinwohl interessiert. Der Geschäftsmann besticht, weil er nach den Spielregeln der Wirtschaft spielen muss, was aber in Konflikt mit dem Gesetz steht. Der Gesellschaft ist es demnach nicht möglich, stark genug gegen diese Verbrechen vorzugehen (Sutherland/1979).

Zirpins und Terstegen beschreiben in ihrem Werk zwei verschiedene Tätergruppen, die sie aufgrund ihrer Situation unterscheiden, wobei sie den Begriff „Ursache“ als einen naturwissenschaftlichen und im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelikten deplatzierten Begriff sehen (Zirpin, Terstgen/1963):


  • Die Täter der ersten Gruppe befinden sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder möchten nicht dort hineingeraten. Sie befinden sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage, die selbst- oder fremdgesetzt sein kann.
  • Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Täter, die wohlsituiert sind und sich in ihrer wirtschaftlichen Lage verbessern möchten. Das Handeln dieser Täter wird somit durch Gier und Habsucht bestimmt.

Umfang und Schadensausmaß: aktuelle Studien und Zahlen

„Is White Collar Crime Crime?“ fragte sich Sutherland vor über 50 Jahren aufgrund seiner empirischen Studie, die belegte, dass die 70 größten amerikanischen Unternehmen aus Industrie und Handel von Verstößen gegen wirtschaftsrechtliche Normen betroffen waren und nur 9% strafrechtlich geahndet wurden. Er nannte u.a. die Klassenjustiz und die Diskrepanz der zwischen der Normen der Wirtschaft und Normen des Strafrechts als Gründe für die mangelnde Strafverfolgung solcher Delikte (Sutherland /1945).

Heute bietet sich ein ähnliches Bild der unterschiedlichen strafrechtlichen Verfolgung von „Crime in streets“ und der „Crime in the suites“. Die große Diskrepanz der zur Anzeige gebrachten Straftaten im Hellfeld und das tatsächliche Aufkommen von wirtschaftskriminellen Handlungen ist beachtlich. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik wurde 2007 ein Rückgang der Wirtschaftskriminalität im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Nur 4,9% aller Betrugsfälle waren in 2007 der Wirtschaftskriminalität zuzuordnen. In 2006 waren es 5,3%. Die Wirtschaftskriminalität im Anlage- und Finanzierungsbereich ist um ca. 56% gesunken. Es heißt weiter: "Bei der Wirtschaftskriminalität ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen. In diesen Zahlen fehlen zudem die Wirtschaftsstraftaten, die von Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder von den Finanzbehörden unmittelbar ohne Beteiligung der Polizei verfolgt wurden. Außerdem ist die Erfassung in der PKS über eine Sonderkennung fehleranfällig." (PKS 2007)

Die Umfrageergebnisse der häufig im Dunkelfeld agierenden Privatermittler (u. a. Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften, Rechtsanwaltkanzleien und Wirtschaftsdedekteien) ergaben ein gegenteiliges Ergebnis. Nach der "Studie zur Wirtschaftskriminalität 2007" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers ist jedes zweite Unternehmen in Deutschland von Wirtschaftskriminalität betroffen. Die Zahl der aufgedeckten Delikte ist im Vergleich zu 2003 und 2004 gestiegen. Es heißt: "Insgesamt berichten größere Unternehmen deutlich häufiger über kriminelle Handlungen." (PWC/2007)

Die geringe Anzeigequote und die daraus resultierende mangelnde Strafverfolgung stehen im Zusammenhang mit dem Wunsch der Unternehmensführung das Unternehmen vor Reputationsschäden und anderen negativen Folgen zu schützen. Weiter verschwimmt u.a. aufgrund der Komplexität der Fälle die Grenze zwischen kriminellem Verhalten und Verhalten, die im Rahmen des täglichen Geschäftes noch akzeptabel sind bzw. sich strafrechtlich im Graubereich bewegen. Die geringe Transparenz und mangelnde Kontrollen, die Gelegenheiten schaffen, sowie der Schutz des Täters vor Strafverfolgungsmaßnahmen führen dazu, dass die Unternehmen eine Anzeige vermeiden.

Umso wichtiger ist die Aktivität der Unternehmen, Institutionen und Vereinigungen, die sich international für die Bekämpfung und Prävention von Wirtschaftskriminalität engagieren. Inzwischen ist „Transparency International“ eine weltweit anerkannte Organisation, die u. a. den international anerkannten „Corruption Perception Index“ (CPI) zur Beurteilung des Korruptionsaufkommens in 180 Entwicklungs- und Industrieländern auf Basis von Expertenmeinungen und Umfragen pflegt. Deutschland befindet sich nach der Tabelle aus 2008 auf Platz 14, in 2007 war Deutschland noch auf Platz 16. Demnach ist das Korruptionsaufkommen in Deutschland gesunken. Auf Platz 1 befinden sich Schweden, Neuseeland und Dänemark und das Land mit dem größten Korruptionsrisiko ist Somalia.

Der Schaden wird in der Literatur aufgrund der großen Dunkelfeldes sowie die mangelnde Möglichkeit zur zahlenmäßigen Erfassung sämtlicher durch Wirtschaftskriminalität verursachten langfristigen Schäden (beispielsweise Reputationsschäden) ganz unterschiedlich eingeschätzt. Die Schätzungen des Schadensumfanges in Deutschland gehen von 2 % bis 10 % des BSP. PriceWaterhouseCoopers schätzt in ihrer Studie den hochgerechneten Gesamtschaden der deutschen Unternehmen allein durch die aufgedeckten Delikte auf gut sechs Milliarden Euro pro Jahr, wobei Managementkosten zur Bewältigung der Kriminalitätsfolgen von rund 1,75 Milliarden Euro berücksichtigt wurden. Die durchschnittliche Schadensumme betrug bei großen Unternehmen (ab 5000 Mitarbeiter) mehr 6,7 Millionen Euro.

Was die Absicherung gegen Kriminalitätsschäden angeht, sind deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich schlechter aufgestellt als beispielsweise die Unternehmen in Nordamerika. In Deutschland haben ca. 35% und in Nordamerika ca. 70% der von PWC befragten Unternehmen eine Vertrauensschaden- oder ähnliche Versicherung abgeschlossen. Allerdings hat PWC auch festgestellt, dass 49 % der versicherten Unternehmen bei der Regulierung finanzieller Schäden leer ausgingen.

Kriminologische Relevanz

Bis ca. 1950 wurde die Kriminalität der Oberschicht bzw. des Mittelstands weitgehend von den Soziologen und Kriminologen unberücksichtigt gelassen. Das Konzept von Sutherland revolutionierte die kriminologische Sichtweise weltweit (Sutherland/1979).

Heute werden insbesondere in den USA Konzepte zur Erfassung des White Collar Crime entwickelt und periodisch Opferbefragungen zur Entwicklung einer systematischen Opferforschung durchgeführt. Die Forschungen dienen u.a. zur Aufdeckung der Strategien von White Collar Kriminellen, die dem strafrechtlichen Kontrollnetz entkommen wollen.

Literatur

  • Aubert, V.: „White-collar Kriminalität und Sozialstruktur“ (1952), in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 206
  • Berg, A.: „Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Ursachen und Bekämpfung von Korruption und Untreue.“ Der Andere Verlag, Osnabrück, 2001, S. 22
  • Bongard, Kai: „Wirtschaftsfaktor Geldwäsche: Analyse und Bekämpfung“, 1. Aufl., Deutscher Universiätsverlag, Wiesbaden, 2001, S. 18-19
  • Clinard, Marshall B.: "Black Market-A Study of White Collar Crime", Reprint of the 1952 Edition, USA, 1969
  • Clinard, Marshall B.; Quinney, R.: “Criminal Behavior Systems. A Typology”, New York, 1973, S. 130 ff.
  • Croall, Hazel: „White Collar Crime“, Open University Press, Buckingham, 1992
  • Friedrichs, Jürgen: “Methoden empirischer Sozialforschung”, 14. Aufl., Opladen, Westdeutscher Verlag, 1990
  • Hartung, Frank E.: "White-Collar Offenses in the Wholesale Meat Industry in Detroit", in: American Journal of Sociology, Volume 56 Number 1 (July 1950), S. 25
  • Kohl, M.: „Wirtschaftskriminalität: Wirtschaftsdelikte im Rechnungswesen der Unternehmung und ihre Bekämpfung“, Diss., Universität Mannheim, 1991, S. 25
  • Kunz, Karl-Ludwig: „Kriminologie“, 3. Aufl., Verlag Paul Haupt, Bern, 2001, S. 147-148
  • Merton, Robert K.: „Sozialstruktur und Anomie“, in: , in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 283-302
  • Sutherland, Edwin H.: “White-collar Criminality”, American Sociological Review, 5, 1940, S. 1-12
  • Sutherland, Edwin H.: “White-collar Criminality“ (1940) übersetzt von Dr. Karl-D. Opp, in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 199-200
  • Sutherland, Edwin H.: “Is “White Collar Crime” Crime?”, in: American Sociological Review, 10, 1945, S. x
  • Sutherland, Edwin H.: “White collar crime”, Forwarded by Donald R. Cressey, Holt, Reinhard, Winston, New York, 1961, S. 234
  • Sutherland, Edwin H.: “Theorie der differentiellen Kontakte”, in (Hg.) Sack, F.; König, R.: Kriminalsoziologie, Frankfurt a. M., 1974, S. 395-399
  • Sutherland, Edwin H.: “White Collar Crime”, The uncut version with an introduction by Gilbert Geis and Colin Goff. 1983 by Yale University, USA, S. ix, xix, xii, xviii
  • Sykes, Gresham M.; Matza, David: “Techniken der Neutralisierung: eine Theorie der Delinquenz.”, in (Hg.) Sack, F.; König, R.: Kriminalsoziologie, Frankfurt a. M., 1974, S. 360-371
  • Zirpins, W.; Terstegen, O.: „Wirtschaftskriminalität. Erscheinungsformen und ihre Bekämpfung“, Verlag Max Schmidt-Römhild, Lübeck, 1963, S. 18 f., 20, 45

Interessante Links

Transparency International: http://www.transparency.de/ oder http://www.transparency.org/ http://www.transparency.org/policy_research/surveys_indices/cpi


News: http://www.whitecollarcrime.co.za/news.php Polizeiliche Kriminalstatistik: http://www.bka.de/pks/ White Collar Crime Fighters: http://www.wccfighter.com/ Geldwäsche-Bekämpfung: http://www.anti-geldwaesche.de