White Collar Crime

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Historie und Definition

In der 34. Tagung der Vereinigung „American Sociological Society“, die in Philadelphia, USA im Jahre 1939 stattfand, trug der damalige Präsident der Vereinigung, Edwin Hardin Sutherland (1883-1950), einen Beitrag über „The White Collar Criminal“ vor (Sutherland/1983). Der Beitrag wurde 1940 in der American Sociological Review veröffentlicht und veränderte das Verständnis der Studien und Theorien de Kriminologie grundlegend (Sutherland/1940). Sutherland trug Beispiele vor und vertrat die Meinung, dass das Verhalten der handelnden Personen, die zur Executive Boards der großen Gesellschaften in den USA gehörten, kriminell sei. White Collar Crime hat Sutherland als „a crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“ beschrieben, also als ein Verbrechen, das von einer geachteten Persönlichkeit von hohem sozialen Status im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird (Sutherland/1949). Dabei sollte der Status der Täter nicht Teil der Definition des White Collar-Konzepts sein, sondern die Analyse des Konzepts erleichtern (Croall/1992). Die Definition sollte allerdings Verhalten berücksichtigen, die nicht unmittelbar eine Gesetzesüberschreitung bzw. -verletzung darstellen. Der Missbrauch von Macht stellte für Sutherland ein Verhalten dar, das oberste Priorität zugeordnet werden und einer besonderen Prüfung unterzogen werden sollte (Sutherland/1983). Den Begriff „white collar“ nutze Sutherland in Zusammenhang mit dem Begriff „Criminaloid“ bereits in seinem Textbuch „Criminology“ von 1934 mit dem Verweis auf die Veröffentlichung von Alfred A. Sloan Jr. Mit dem Titel „Adventures of a White Collar Man“(Sutherland/1983).

Bis ca. 1950 wurde die Kriminalität der Oberschicht bzw. des Mittelstands weitgehend von den Soziologen und Kriminologen unberücksichtigt gelassen. Sutherland’s Konzept revolutionierte die kriminologische Sichtweise weltweit. Er definierte die White-collar-Kriminalität als wirkliche Kriminalität, die das Strafrecht verletzt und sich von der Kriminalität der Unterklasse durch die Handhabung des Strafgesetzes unterscheidet. Diese Unterscheidung würde den White-collar-Kriminellen verwaltungsmäßig von anderen Kriminellen trennen (Sutherland/1979).

Seine Veröffentlichung wurde ab 1955 in verschiedenen Sprachen übersetzt und erhielt sprachlich bedingte Synonyme wie „crime en clo blanc“ in Frankreich, „criminalitá in colletti bianchi“ oder die „Weiße-Kragen-Kriminalität“ in Deutschland (Sutherland/1983).  Wobei der Begriff der Wirtschaftskriminalität sich in der deutschen Sprache durchgesetzt hat. 

Die Definition des Konzepts von Sutherland wurde von mehreren Autoren kritisch beurteilt, da die Wirtschaftskriminalität aufgrund der vielfältigen Deliktarten nicht nur der oberen Schicht der Gesellschaft zugeordnet werden kann. Eher hat sich wohl die Auffassung durchgesetzt, dass es den typischen Wirtschaftskriminellen nicht gibt (Kohl/1991). Demnach kann eine einheitliche Definition von Wirtschaftskriminalität nicht wiedergegeben werden. Die Juristen Walter Zirpins und Otto Terstegen haben als Arbeitshypothese zu den Wirtschaftsdelikten diejenigen strafbaren Handlungen gezählt, „wie sie geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung dadurch zu beeinträchtigen, dass sie das für die jeweilige Wirtschaftsordnung grundlegende Vertrauen antasten“ (Zirpins/1963). Eine Definition von Berg erläutert Wirtschaftskriminalität als eine Zusammenfassung aller Gesetzesverstöße, bei denen eine wirtschaftliche Betätigung auf Täter und Opferseite vorliegt (Berg/2001). Nach der jährlich veröffentliche Kriminalstatistik (Stand 2004) des Bundeskriminalamts ist als „Wirtschaftskriminalität“ die Gesamtheit der in § 74c Abs. 1 Nr. 1-6 GVG aufgeführten Straftaten, jedoch ohne Computerbetrug, zu verstehen. Weiter sind unter Wirtschaftsdelikte diejenigen Delikte zu verstehen, die „im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über eine Schädigung von Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und/oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Aufklärung erfordert.“ (BKA/2006)

Der Oberbegriff Wirtschaftskriminalität ist eher als Arbeitstitel zu betrachten und soll einschlägige Erscheinungsformen beinhalten und in einem Gesamtzusammenhang die kriminologische Wertung ermöglichen (Zirpins/1963).

Theorien des WCC

In seinem Aufsatz von 1940 erklärt Sutherland, dass die bis dahin vertretenen kriminologischen Theorien nicht auf die Withe-Collar-Kriminellen zutreffen würden, da sie meist Verbrechen erklären, die auf Armut oder psychopatische und soziopathische Bedingungen, die statistisch mit Armut korrelieren, zurückgeführt werden (Sutherland/1979).

Sutherland bezieht das kriminelle Verhalten in seine Natur auf die Theorie der differentiellen Assoziation bzw. differentiellen Kontakte, die er wie folgt beschreibt:

„criminal behavior is learned in association with those who define such behavior favorably and in isolation from those who define it unfavorably, and that a person in an appropriate situation engages in such criminal behavior if, and only if, the weight of the favorable definitions exceeds the weight of the unfavorable definitions.“ (Sutherland/1961)

Frei übersetzt heißt es, dass kriminelles Verhalten in Assoziation mit Personen, die ein solches Verhalten als zweckmäßig oder vorteilhaft definieren und in Isolation von Personen, die ein solches Verhalten als unzweckmäßig oder unvorteilhaft definieren, erlernt wird, und dass eine Person in einer geeigneten Situation das Verhalten annimmt, wenn, und nur wenn, sie das Vorteilhafte bzw. Zweckmäßige stärker gewichtet als das Unvorteilhafte bzw. das Unzweckmäßige. Diese Theorie führt kriminelles Verhalten einerseits auf Faktoren zurück, die durch ein Zusammenspiel von Personen und Situationen bedingt sind. Andererseits geht wird das kriminelle Verhalten auf die persönlichen Lebensumstände des Kriminellen zurückgeführt. Die Theorie setzt voraus, dass eine Situation vorliegt, sie vom Handelnden als günstig eingeschätzt wird und erklärt das kriminelles Verhalten als gelerntes Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess, hauptsächlich in intimen persönlich Gruppen. Es schließt das Erlernen einer spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierung und Attitüden sowie von Techniken, die zur Ausführung eines Verbrechens notwendig sind, ein. Weiter geht die Theorie davon aus, dass die differentiellen Assoziationen oder Kontakte nach Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität variieren (Sutherland/1974).

Weiter beschreibt Sutherland neben dem Prozess der differentiellen Kontakte auch die soziale Desorganisation als Ursache für Verbrechen. Demnach kulminieren die differentiellen Kontakte in Verbrechen, wenn die Gesellschaft nicht gegen diese organisiert ist (Sutherland/1979).

Kunz kritisiert die Theorie der differentiellen Kontakte wegen der nicht hinreichenden Erklärungsformel, die sich nicht auf alle Kriminalitätsformen, wie z. B. auf Triebtaten anwenden lässt. Weiter bietet die Theorie wenig Transparenz bzgl. der Herkunft der Kontakte (Kunz/2001). Kunz kritisiert auch, dass die Theorie nicht die Personen mit kriminellen Kontakten berücksichtigt, die selbst nicht kriminell werden. Sieht man sich aber den letzten Abschnitt des o. g. Zitats aus der Veröffentlichung von Sutherland genauer an, dann meint Sutherland, dass der Handelnde frei über die Gewichtung der Zweckmäßigkeit seines Verhaltens entscheiden kann. Damit kann er sich auch gegen das kriminelle Verhalten entscheiden, das er in Assoziation mit anderen Personen erlernt hat. Er imitiert nicht, sondern entscheidet.


Ursachen, Täter und Tätergruppen

Der White-Collar-Verbrecher findet nach Sutherland Unterstützung für sein Verhalten in Gruppennormen, was die Theorie wiederlegt, dass Gesetzesübertretung in der Natur des Menschen begründet ist. Die Gruppe des White-Collar-Verbrechers ist nach Sutherland von hoher sozialer Bedeutung mit beachtlicher ökonomischer und politischer Macht außerhalb des Bereichs krimineller Aktivität und hat eine komplizierte weithin anerkannte ideologische Rationalisierung für die Normübertretungen seines Mitglieds (Aubert/1979). Gruppen und Individuen als Teil der Gruppe sind mehr an die Gruppen- und Einzelinteressen als an das Allgemeinwohl interessiert. Der Geschäftsmann besticht, weil er nach den Spielregeln der Wirtschaft spielen muss, was aber in Konflikt mit dem Gesetz steht. Der Gesellschaft ist es demnach nicht möglich, stark genug gegen diese Verbrechen vorzugehen (Sutherland/1979).

Der White-Collar-Verbrecher findet nach Sutherland Unterstützung für sein Verhalten in Gruppennormen, was die Theorie wiederlegt, dass Gesetzesübertretung in der Natur des Menschen begründet ist. Die Gruppe des White-Collar-Verbrechers ist nach Sutherland von hoher sozialer Bedeutung mit beachtlicher ökonomischer und politischer Macht außerhalb des Bereichs krimineller Aktivität und hat eine komplizierte weithin anerkannte ideologische Rationalisierung für die Normübertretungen seines Mitglieds (Aubert/1979).

Zirpins und Terstegen beschreiben in ihrem Werk zwei verschiedene Tätergruppen, die sie aufgrund ihrer Situation unterscheiden, wobei sie den Begriff „Ursache“ als einen naturwissenschaftlichen und im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelikten deplazierten Begriff sehen (Zirpin, Terstgen/1963):

  • Die Täter der erste Gruppe befinden sich in eine schlechten wirtschaftlichen Lage oder möchten nicht dort hineingeraten. Sie befinden sich in eine wirtschaftliche Zwangslage, die selbst- oder fremdgesetzt sein kann.
  • Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Täter, sie wohlsituiert sind und sich in ihrer wirtschaftlichen Lage verbessern möchten. Das Handeln dieser Täter wird somit durch Gier und Habsucht bestimmt.

Litersturliste

Aubert, V.: „White-collar Kriminalität und Sozialstruktur“ (1952), in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 206

Berg, A.: „Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Ursachen und Bekämpfung von Korruption und Untreue.“ Der Andere Verlag, Osnabrück, 2001, S. 22

Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik 2004, 20.03.2006, S. 16

Croall, Hazel: „White Collar Crime“, Open University Press, Buckingham, 1992

Kohl, M.: „Wirtschaftskriminalität: Wirtschaftsdelikte im Rechnungswesen der Unternehmung und ihre Bekämpfung“, Diss., Universität Mannheim, 1991, S. 25

Kunz, Karl-Ludwig: „Kriminologie“, 3. Aufl., Verlag Paul Haupt, Bern, 2001, S. 147-148

Sutherland, E. H.: “White Collar Crime”, The uncut version with an introduction by Gilbert Geis and Colin Goff. 1983 by Yale University, USA, S. ix, xix, xii, xviii

Sutherland, E. H.: “White-collar Criminality”, American Sociological Review, 5, 1940, S. 1-12

Sutherland, E. H.: “White Collar Crime”, New York, Holt, Reinhart & Wilston, 1949

Sutherland, E. H.: “White-collar Criminality“ (1940) übersetzt von Dr. Karl-D. Opp, in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 199-200

Sutherland, E. H.: “White collar crime”, Forewarded by Donald R. Cressey, Holt, Reinhard, Winston, New York, 1961, S. 234

Sutherland, E.: “Theorie der differentiellen Kontakte”, in (Hg.) Sack, F.; König, R.: Kriminalsoziologie, Frankfurt a. M., 1974, S. 395-399

Zirpins, W.; Terstegen, O.: „Wirtschaftskriminalität. Erscheinungsformen und ihre Bekämpfung“, Verlag Max Schmidt-Römhild, Lübeck, 1963, S. 18 f., 20, 45