Welt ohne Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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*Negative vs. konstruktive Kritik. Andere Unterschiede betreffen die Frage nach der Formulierung und nach der Funktion von Alternativen zum Gefängnis. Die radikalen Abolitionisten verweigern oft die Antwort auf die Frage danach, was denn an die Stelle der Gefängnisse treten solle, wenn diese erst einmal abgeschafft wären. Sie können sich auf Gustav Radbruchs Forderung nach einer "negativen Kriminalpolitik" berufen, die sich zunächst einmal auf die Abschaffung überflüssiger Repression konzentriert, ohne sich in der Gestaltung neuer und angeblich besserer Kriminalpolitik zu verlieren. Sie können sich aber auch auf die Tradition der Kritischen Theorie und auf die Devise ihres berühmten Philosophen Theodor W. Adorno berufen, dass der Gegenstand der Wissenschaft niemals das Gute sein sollte, sondern nur das Schlechte. Was schlecht sei, das ließe sich benennen und bekämpfen, so Adorno, aber wenn Intellektuelle damit begännen, sich Blaupausen für die positive Gestaltung einer besseren Gesellschaft auszudenken, dann überschritten sie ihre Fähigkeiten und ihre Kompetenzen. Dahinter steht natürlich der jüdisch-christliche Gedanke des deus absconditus, der Verborgenheit Gottes: von Gott kann und soll man sich kein Bild machen, das absolut Gute entzieht sich jeder menschlichen Vorstellung und Gestaltung. Was der Mensch kann, ist allenfalls, sich dem Schlechten zu verweigern: was eine Sünde ist, kann man wissen, dagegen kann und soll man sich wehren. - Andere erinnern daran, dass viele Abolitionisten den Kampf für die Abschaffung der Sklaverei auch mit konstruktiven Argumenten geführt hatten. Sie hatten für alle, die um die ökonomischen Auswirkungen einer Sklavenbefreiung besorgt waren, Vorschläge für eine positive alternative (sklavenlose) Wirtschaftspolitik bereit. In diesem Sinne glauben heute viele Kritiker des Gefängnisses, dass es eine Schwäche der Kritik darstelle, nicht genügend über konstruktive Alternativen zu wissen: "The point is that too few have comeforward with real alternatives to serious crimes" (Bianchi, in: Feest & Paul 2008b: 11).
*Negative vs. konstruktive Kritik. Andere Unterschiede betreffen die Frage nach der Formulierung und nach der Funktion von Alternativen zum Gefängnis. Die radikalen Abolitionisten verweigern oft die Antwort auf die Frage danach, was denn an die Stelle der Gefängnisse treten solle, wenn diese erst einmal abgeschafft wären. Sie können sich auf Gustav Radbruchs Forderung nach einer "negativen Kriminalpolitik" berufen, die sich zunächst einmal auf die Abschaffung überflüssiger Repression konzentriert, ohne sich in der Gestaltung neuer und angeblich besserer Kriminalpolitik zu verlieren. Sie können sich aber auch auf die Tradition der Kritischen Theorie und auf die Devise ihres berühmten Philosophen Theodor W. Adorno berufen, dass der Gegenstand der Wissenschaft niemals das Gute sein sollte, sondern nur das Schlechte. Was schlecht sei, das ließe sich benennen und bekämpfen, so Adorno, aber wenn Intellektuelle damit begännen, sich Blaupausen für die positive Gestaltung einer besseren Gesellschaft auszudenken, dann überschritten sie ihre Fähigkeiten und ihre Kompetenzen. Dahinter steht natürlich der jüdisch-christliche Gedanke des deus absconditus, der Verborgenheit Gottes: von Gott kann und soll man sich kein Bild machen, das absolut Gute entzieht sich jeder menschlichen Vorstellung und Gestaltung. Was der Mensch kann, ist allenfalls, sich dem Schlechten zu verweigern: was eine Sünde ist, kann man wissen, dagegen kann und soll man sich wehren. - Andere erinnern daran, dass viele Abolitionisten den Kampf für die Abschaffung der Sklaverei auch mit konstruktiven Argumenten geführt hatten. Sie hatten für alle, die um die ökonomischen Auswirkungen einer Sklavenbefreiung besorgt waren, Vorschläge für eine positive alternative (sklavenlose) Wirtschaftspolitik bereit. In diesem Sinne glauben heute viele Kritiker des Gefängnisses, dass es eine Schwäche der Kritik darstelle, nicht genügend über konstruktive Alternativen zu wissen: "The point is that too few have comeforward with real alternatives to serious crimes" (Bianchi, in: Feest & Paul 2008b: 11).


== Kritik und praktische Ansätze ==
== Kritik und praktische Ansätze ==
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