Welt ohne Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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== Gesellschaften ohne Gefängnisse in der Geschichte ==
== Gesellschaften ohne Gefängnisse in der Geschichte ==


Die Gefängnisstrafe erscheint den meisten Menschen eine Art historischer Konstante zu sein. Sie übergehen dabei die Tatsache, dass die Menschen während der bei weitem überwiegenden Zeit ihrer Existenz in nicht-staatlichen Verbänden organisiert lebten und keinerlei Gefängnisse oder gefängnisartige Institutionen kannten. Selbst mit dem Beginn der Sesshaftigkeit waren Abweichungen und Sanktionen ganz und gar anders organisiert und die Freiheitsstrafe, wie wir sie heute kennen, war noch jenseits aller Vorstellungskraft. Während Gotthold Bohne die Entstehung der Freiheitsstrafe in den norditalienischen Städten des ausgehenden Mittelalters sah, verortete Michel Foucault die "Geburt des Gefängnisses" erst in der Epoche der Französischen Revolution, als die Freiheit des Individuums zu einem allgemeinen Wert (und einem allgemein verbreiteten Gut) wurde, das für einegenerelle Sanktion in Frage kam. Foucault datiert damit den Beginn der "Welt mit Gefängnissen" erst auf die Zeit zwischen 1760 und 1840. Mit anderen Worten: was vorher war, war eine "Welt ohne Gefängnisse".  
Selbst glühende Befürworter des Gefängnisses müssen zugeben, dass es eine Welt ohne Gefängnisse schon einmal gegeben hat - und dass die Nichtexistenz von Gefängnissen diese Gesellschaften jedenfalls nicht daran hindern konnte, über Jahrhunderte und sogar Jahrtausende zu existieren. Denn das Gefängnis ist unzweifelhaft nicht genau so alt wie die Menschheit. Auch wenn man über Einzelheiten streiten mag: absolute Einigkeit besteht unter allen Wissenschaftlern, dass die Menschheit während der längsten Zeit ihrer Existenz ohne Gefängnisse auszukommen wusste. Das Gefängnis ist eine ausgesprochen junge Erscheinung in der Gesellschaftsgeschichte.
 
Die ersten Menschen - also die ersten Wesen, die wie der heutige "homo sapiens" von der Biologie unter der Bezeichnung "homo" geführt werden - lebten vor zwei bis drei Millionen Jahren. Diese Menschen lebten in kleinen Gemeinschaften und kannten mit Sicherheit abweichendes Verhalten und Sanktionen, aber eines ist sicher: sie verfügten weder über feste Häuser noch über Gefängnisse.
 
Die ersten Menschen unserer Art tauchten erst vor rund 250 000 Jahren auf. Im Gegensatz zu dem noch jüngeren homo floreniensis, der erst vor 100 000 Jahren auftauchte und vor rund 12 000 Jahren ausstarb, hat homo sapiens es mit viel Glück und Verstand vermocht, bis heute zu überleben. Wie lange er noch existieren wird, ist angesichts seines Verhaltens gegenüber den Grundlagen seiner Existenz fraglich. Eines aber ist sicher: mehr als 90 Prozent seiner Geschichte lebte der homo sapiens in einer Welt ohne Gefängnisse. Niemand, der sich jemals mit der Frühgeschichte der Menschen befasst hat, hat je behauptet, dass es in der Frühzeit der Menschen irgendwann auch nur einmal ein Gefängnis gegeben hätte. Bis 10.000 vor Christus war die Welt eine Welt ohne Gefängnisse. Und nach vielen Kriterien, die auch heute noch gelten, waren es keine schlechten Gesellschaften: in vielen Gegenden hatten die Menschen genug zu essen, lebten in stabilen sozialen Netzwerken und wären nicht einmal im Traum darauf gekommen zu glauben, nun könnten sie ohne Gefängnisse nicht weiterleben. Dann, um 10 000 vor Christus, erfand der Mensch den Ackerbau, die Seßhaftigkeit, feste Häuser und eine ganz andere Lebensweise - das war die neolithische Revolution (vielleicht die radikalste Revolution in der gesamten bisherigen Geschichte).
 
 
 
 
 
kam der Mensch ohne Gefängnisse aus.  und haben es immerhin geschafft (anders als Dass eine Welt ohne Gefängnisse im Prinzip möglich ist, weil es sie in der Geschichte schon tatsächlich gegeben hat, Die Gefängnisstrafe erscheint den meisten Menschen eine Art historischer Konstante zu sein. Sie übergehen dabei die Tatsache, dass die Menschen während der bei weitem überwiegenden Zeit ihrer Existenz in nicht-staatlichen Verbänden organisiert lebten und keinerlei Gefängnisse oder gefängnisartige Institutionen kannten. Selbst mit dem Beginn der Sesshaftigkeit waren Abweichungen und Sanktionen ganz und gar anders organisiert und die Freiheitsstrafe, wie wir sie heute kennen, war noch jenseits aller Vorstellungskraft. Während Gotthold Bohne die Entstehung der Freiheitsstrafe in den norditalienischen Städten des ausgehenden Mittelalters sah, verortete Michel Foucault die "Geburt des Gefängnisses" erst in der Epoche der Französischen Revolution, als die Freiheit des Individuums zu einem allgemeinen Wert (und einem allgemein verbreiteten Gut) wurde, das für einegenerelle Sanktion in Frage kam. Foucault datiert damit den Beginn der "Welt mit Gefängnissen" erst auf die Zeit zwischen 1760 und 1840. Mit anderen Worten: was vorher war, war eine "Welt ohne Gefängnisse".  


Während der langen Zeit "ohne Gefängnisse" herrschten keineswegse brutalere Körperstrafen vor. Die Zeit der besonders brutalen Strafen war begrenzt auf das Hochmittelalter und die frühe Neuzeit. Davor gab es über Jahrhunderte nach heutigen Vorstellungen unglaublich "milde" Sanktionen - etwa das Bußensystem des fränkischen Rechts, nach dem selbst Tötungsdelikte nur Kompensationszahlungen nach sich zogen. Mit anderen Worten: das Gefängnis ist eine historisch entstandene Institution, die es nicht schon immer gab - und die es folglich auch nicht immer geben wird. Die Frage ist nur, ob wir heute (schon) in einer Gesellschaftsform leben, die es ermöglichen würde, ohne Gefängnisse auszukommen.  
Während der langen Zeit "ohne Gefängnisse" herrschten keineswegse brutalere Körperstrafen vor. Die Zeit der besonders brutalen Strafen war begrenzt auf das Hochmittelalter und die frühe Neuzeit. Davor gab es über Jahrhunderte nach heutigen Vorstellungen unglaublich "milde" Sanktionen - etwa das Bußensystem des fränkischen Rechts, nach dem selbst Tötungsdelikte nur Kompensationszahlungen nach sich zogen. Mit anderen Worten: das Gefängnis ist eine historisch entstandene Institution, die es nicht schon immer gab - und die es folglich auch nicht immer geben wird. Die Frage ist nur, ob wir heute (schon) in einer Gesellschaftsform leben, die es ermöglichen würde, ohne Gefängnisse auszukommen.  
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