Welt ohne Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Für eine Epoche, die sich gerne selbst als "wissenschaftlich-technische Zivilisation" bezeichnet, ist die Festigkeit dieser öffentlichen Meinung (die nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika, in Asien, in Australien und in den Amerikas die "absolut herrschende Meinung" darstellen dürfte) eine bemerkenswerte soziale Tatsache. Denn während in fast allen anderen Bereichen, also im Gesundheits- und im Bildungswesen, in der Ökonomie und vor allem im Bereich der Ökologie und des Umweltschutzes eine Konvergenz von Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen zu konstatieren ist, stehen wir im Bereich der Strafjustiz vor dem rätselhaften Phänomen, dass die Wissenschaft sich immer weiter vom hergebrachten Alltagswissen entfernt - und die alten Vorurteile in der Bevölkerung trotz allen Fortschritts unseres wissenschaftlichen Wissens über Kriminalität und Kontrolle noch genau dieselben  sind wie vor drei oder vier Generationen. In mancher Hinsicht scheint es sogar, als bewege sich die Wissenschaft vorwärts, die öffentliche Meinung aber völlig unbeeindruckt von empirischer Forschung und ethischen Diskussionen seit einiger Zeit sogar wieder rückwärts.  
Für eine Epoche, die sich gerne selbst als "wissenschaftlich-technische Zivilisation" bezeichnet, ist die Festigkeit dieser öffentlichen Meinung (die nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika, in Asien, in Australien und in den Amerikas die "absolut herrschende Meinung" darstellen dürfte) eine bemerkenswerte soziale Tatsache. Denn während in fast allen anderen Bereichen, also im Gesundheits- und im Bildungswesen, in der Ökonomie und vor allem im Bereich der Ökologie und des Umweltschutzes eine Konvergenz von Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen zu konstatieren ist, stehen wir im Bereich der Strafjustiz vor dem rätselhaften Phänomen, dass die Wissenschaft sich immer weiter vom hergebrachten Alltagswissen entfernt - und die alten Vorurteile in der Bevölkerung trotz allen Fortschritts unseres wissenschaftlichen Wissens über Kriminalität und Kontrolle noch genau dieselben  sind wie vor drei oder vier Generationen. In mancher Hinsicht scheint es sogar, als bewege sich die Wissenschaft vorwärts, die öffentliche Meinung aber völlig unbeeindruckt von empirischer Forschung und ethischen Diskussionen seit einiger Zeit sogar wieder rückwärts.  


 
== Gesellschaften ohne Gefängnisse in der Geschichte ==
 
 
 
 
 
Andere sagen: das ist vielleicht eine schöne Utopie, aber leider ist sie nicht zu verwirklichen. Gegen die Möglichkeit der Realisierung sprechen nach dieser Ansicht sowohl die historische Erfahrung als auch die gegenwärtige Erfolgsgeschichte der Institution.
 
(1) Die historische Erfahrung


Die Gefängnisstrafe erscheint den meisten Menschen eine Art historischer Konstante zu sein. Sie übergehen dabei die Tatsache, dass die Menschen während der bei weitem überwiegenden Zeit ihrer Existenz in nicht-staatlichen Verbänden organisiert lebten und keinerlei Gefängnisse oder gefängnisartige Institutionen kannten. Selbst mit dem Beginn der Sesshaftigkeit waren Abweichungen und Sanktionen ganz und gar anders organisiert und die Freiheitsstrafe, wie wir sie heute kennen, war noch jenseits aller Vorstellungskraft. Während Gotthold Bohne die Entstehung der Freiheitsstrafe in den norditalienischen Städten des ausgehenden Mittelalters sah, verortete Michel Foucault die "Geburt des Gefängnisses" erst in der Epoche der Französischen Revolution, als die Freiheit des Individuums zu einem allgemeinen Wert (und einem allgemein verbreiteten Gut) wurde, das für einegenerelle Sanktion in Frage kam. Foucault datiert damit den Beginn der "Welt mit Gefängnissen" erst auf die Zeit zwischen 1760 und 1840. Mit anderen Worten: was vorher war, war eine "Welt ohne Gefängnisse".  
Die Gefängnisstrafe erscheint den meisten Menschen eine Art historischer Konstante zu sein. Sie übergehen dabei die Tatsache, dass die Menschen während der bei weitem überwiegenden Zeit ihrer Existenz in nicht-staatlichen Verbänden organisiert lebten und keinerlei Gefängnisse oder gefängnisartige Institutionen kannten. Selbst mit dem Beginn der Sesshaftigkeit waren Abweichungen und Sanktionen ganz und gar anders organisiert und die Freiheitsstrafe, wie wir sie heute kennen, war noch jenseits aller Vorstellungskraft. Während Gotthold Bohne die Entstehung der Freiheitsstrafe in den norditalienischen Städten des ausgehenden Mittelalters sah, verortete Michel Foucault die "Geburt des Gefängnisses" erst in der Epoche der Französischen Revolution, als die Freiheit des Individuums zu einem allgemeinen Wert (und einem allgemein verbreiteten Gut) wurde, das für einegenerelle Sanktion in Frage kam. Foucault datiert damit den Beginn der "Welt mit Gefängnissen" erst auf die Zeit zwischen 1760 und 1840. Mit anderen Worten: was vorher war, war eine "Welt ohne Gefängnisse".  
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