Wayne Morrison, Direktor des "External Programme for Laws" der University of London sowie Mitglied der Law School des Queen Mary College, kritisiert in zahlreichen Publikationen - darunter "Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism" (1995) und Criminology, Genocide, and Modernity: Remarks on the Companion that Criminology Ignored (2004) - die Vernachlässigung von Großverbrechen in der kriminologischen Theorie und Empirie. In diesem Aufsatz konstatiert Morrison die Abwesenheit des Genozids von der Kriminologie und gibt ihr folgende Bedeutung: Othering (nur die Abwesenheit des Genozids aus der Kriminologie ermöglicht das für die Kriminologie typische Othering: Kriminalität ist eine Sache individueller psychischer Unterschiede; Don Gibbons 1994, Hirschi and Gottfredson 1990) Trivialisierung (die große Mehrheit der Straftaten ist trivial und belanglos ...; das geht nur, wenn man Phänomene wie die Taten der pakistanischen Armee während der Abspaltung des späteren Bangladesch, den Genozid an den Armeniern usw. eskamotiert) Das Rätsel, wie sich der logos der Kriminologie im Jahrhundert der Genozide auf diese bornierte Weise konstituieren und perpetuieren konnte, führt (ersten) zum Verhältnis der Kriminologie zum Staat. Es ist der Staat der Moderne und die Lehre des Funktionalismus - und so operiert die Kriminologie im symbolischen Universum des Nationalstaats - um ihm zu helfen dafür zu sorgen, dass die soziale Ordnung aufrecht erhalten bleibt und funktioniert.

Leute wie Nils Christie oder Stan Cohen klingen da seltsam deplaziert: "Do not trust the state and narratives of control ...". Was macht den wissenschaftlichen Umgang mit dem Genozid in der Kriminologie so schwer? Die Frage nach dem Warum und nach den Implikationen für unser Verständnis der Menschheit, bzw. des Menschseins, aber auch für unser Verständnis der Moderne und des (deutschen?) Menschen. Das Risiko besteht unter anderem darin, dass die Moderne und die politische Ordnung und das Menschsein nicht mehr als eigentlich in Ordnung begriffen werden könnten - und auch die Ur-Positionierung der Kriminologie als Verteidigerin der Ordnung gegen das Chaos und das Böse nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Browning, Milgram, Goldhagen ...

David Garlands Sicht der Erfahrung der Kriminalität in der Moderne ist merkwürdig provinziell: immer wieder verwechselt er USA & GB mit der ganzen Welt - und nichts weist auf die innere Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Rest der Welt und denjenigen in "seiner Welt" hin. Nils Christie hat einmal gesagt, Kriminologie solle ein Spiegel sein. Sie ist ein Zerrspiegel, der die wesentlichen Dinge nicht widerspiegelt.



Weblinks

  • Academic Reporter Summer 2002; page 4; Legal Education & Globalization [1] (04.11.09).