Wayne Morrison

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der britische Kriminologe Wayne Morrison (* 27. November 1956) (University of London, Queen Mary College)[1] kritisiert in zahlreichen Publikationen - darunter "Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism" (1995) und "Criminology, Genocide, and Modernity: Remarks on the Companion that Criminology Ignored" (2004) - die Vernachlässigung von Großverbrechen in der kriminologischen Theorie und Empirie.


Criminology, Genocide, and Modernity

Der Diskurs der Kriminologie kommt im wesentlichen (also in den gängigen Lehrbüchern und Kriminalitätstheorien) ohne die Thematisierung von Genoziden und anderen Formen der Makrokriminalität aus. Morrison fragt in dieser Publikation nach der Bedeutung dieses Umstands und kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Othering. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, sie selbst zu sein - nämlich eine Wissenschaft des Othering, die Kriminalität als Angelegenheit individueller psychischer Unterschiede konzipiert (man denke an Don Gibbons 1994 ebenso wie an Hirschi and Gottfredson 1990).
  • Trivialisierung. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, ihre These von der Trivialität und Belanglosigkeit der grossen Masse der Straftaten aufrecht zu erhalten. Diese Trivialisierung des Gegenstands der Kriminologie wäre unmöglich, wenn man den Genozid einbezöge.
  • Nützlichkeit. Die Kriminologie ist vor allem ideologisch nützlich, indem sie das Bild aufrechterhält, dass der Staat die soziale Ordnung garantiert und die Kriminologie ihm dabei hilft, das Chaos zu bändigen. Die Kriminologie analysiert den modernen Nationalstaat nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sondern arbeitet innerhalb von dessen symbolischem Universum. Die Kriminologie analysiert auch nicht die funktionalistische Auffassung, die das Selbstbild des Staates prägt, sondern ist Teil derselben. Sie sieht sich selbst als Helferin bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Distanz finden sich zwar bei Nils Christie und Stan Cohen und ihren Warnungen im Stile von "Do not trust the state and narratives of control ...", doch deren Platz in der Kriminologie ist derjenige von Pflichtzitaten ohne weitere Wirkung auf fundamentaler Ebene.
  • Was macht den wissenschaftlichen Umgang mit dem Genozid in der Kriminologie so schwer? Die Frage nach dem Warum und nach den Implikationen für unser Verständnis der Menschheit, bzw. des Menschseins, aber auch für unser Verständnis der Moderne und des (deutschen?) Menschen. Die Schwierigkeit besteht vor allem wohl darin, dass die Moderne, die politische Ordnung und sogar das Menschsein nicht mehr als eigentlich in Ordnung begriffen werden könnten - und auch die Ur-Positionierung der Kriminologie als Verteidigerin der Ordnung gegen das Chaos und das Böse nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Insofern müßten die Erkenntnisse von Forschern wie Browning, Milgram u.a. die Grundfesten der Kriminologie erschüttern.
  • David Garlands Sicht der Erfahrung der Kriminalität in der Moderne ist merkwürdig provinziell: immer wieder verwechselt er USA & GB mit der ganzen Welt - und nichts weist auf die innere Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Rest der Welt und denjenigen in "seiner Welt" hin. Nils Christie hat einmal gesagt, Kriminologie solle ein Spiegel sein. Sie ist ein Zerrspiegel, der die wesentlichen Dinge nicht widerspiegelt.
  • Die Genozid-Erfahrung wird eingekapselt in Spezial-Diskurse. Der kriminologische Diskurs könnte von der Öffnung in Richtung auf die Integration des Genozids lernen (auch Young's Exclusive Society würde anders aussehen), aber auch die Genozid-Studien könnten von den kriminologischen Herangehensweisen lernen.


Literatur

  • Morrison, Wayne (2004) Reflections with memories.
  • Morrison, Wayne (1995) Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism

Weblinks

  • Academic Reporter Summer 2002; page 4; Legal Education & Globalization [1] (04.11.09).

Einzelnachweise