Wahrheitskommission: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine Wahrheitskommission ist eine Gruppe von Personen, die von gesellschaftlichen, staatlichen oder internationalen Organisationen den Auftrag erhalten hat, einen in der Vergangenheit liegenden umfangreichen Sachverhalt aufzuklären, bei dem es um massive Menschenrechtsverletzungen mit einer Vielzahl von Tätern und Opfern geht. Wahrheitskommissionen agierten bislang immer zeitlich und thematisch begrenzt. Es gibt allerdings auch Bestrebungen zur Etablierung einer permanenten Wahrheitskommission im Rahmen der Vereinten Nationen. Wahrheitskommissionen dienen immer dem Zweck, geschichtliche Ereignisse - meistens solche, die eng mit politischen Großverbrechen (Makrokriminalität) zusammenhängen - zu dokumentieren. Insofern dienen sie geschichtsdokumentarischen und "erinnerungspolitischen" Zwecken. Ansonsten unterscheiden sich Wahrheitskommissionen oft erheblich im Hinblick auf Entstehung, Legitimation, Zusammensetzung, Aufgabenbereich, Befugnisse und Ausführungsfristen. Darüber hinaus können sie auch weitere Ziele verfolgen, indem sie etwa Empfehlungen für den weiteren strafrechtlichen Umgang mit einer Problemlage erarbeiten (El Salvador) - oder Wege zur Versöhnung verfeindeter gesellschaftlicher Gruppen anbieten (Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika).
Eine Wahrheitskommission ist eine Gruppe von Personen, die von gesellschaftlichen, staatlichen oder internationalen Organisationen den Auftrag erhalten hat, einen in der Vergangenheit liegenden umfangreichen Sachverhalt aufzuklären, bei dem es um massive Menschenrechtsverletzungen mit einer Vielzahl von Tätern und Opfern geht. Wahrheitskommissionen können (darüber hinaus) aber auch weitere Ziele verfolgen. So können sie z.B. Empfehlungen für den weiteren strafrechtlichen Umgang mit einer Problemlage erarbeiten (El Salvador) - oder Wege zur Versöhnung verfeindeter gesellschaftlicher Gruppen anbieten (Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika).
Meistens werden Wahrheitskommissionen nach gesellschaftlichen Umbrüchen eingesetzt. Dazu gehören die Beendigung von kolonialistischen, nachkolonialen, diktatorischen und/oder rassistischen Regimen. In solchen Fällen handelt es sich um Versuche, durch Aufarbeitung der Vergangenheit einen Übergang in ein neues System zu ermöglichen (transitional justice). Die Wahrheitskommissionen sind dann mit der Hoffnung verbunden, einen Ausgangspunkt für ein künftiges friedliches Miteinander einstmals verfeindeter gesellschaftlicher Gruppen zu schaffen (restorative justice).
und dann eine Art von "Restorative Justice" darstellen. Das war der Fall in Südafrika. Auf solche restorativ ausgerichteten Wahrheitskommissionen wird meist dann zurückgegriffen, wenn die herkömmlichen Methoden der staatlichen Strafverfolgung durch das schiere Ausmaß der Verbrechen überfordert wären und/oder wenn man der Überzeugung ist, dass die Strafverfolgung nicht geeignet wäre, um (alleine für sich genommen) dem Ziel einer Versöhnung zwischen Bevölkerungsgruppen näher zu kommen. Da Wahrheitskommissionen häufig in politischen Übergangsphasen eingerichtet werden, lassen sie sich auch als eine Form von transitional justice charakterisieren. Als zuverlässigste Informationsquelle zum Thema Wahrheitskommissionen gilt heutzutage das im Jahre 2001 etablierte International Center for Transitional Justice (ICTJ; www.ictj.org) in New York, das über Regionalbüros in Afrika, Europa und Lateinamerika verfügt.
Wahrheitskommissionen werden häufig auf Initiative von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) gebildet. Sie kommen vor allem dann zum Zuge, wenn die herkömmlichen Methoden der staatlichen Strafverfolgung durch das schiere Ausmaß der Verbrechen überfordert wären und/oder wenn man der Überzeugung ist, dass die Strafverfolgung nicht geeignet wäre, um (alleine für sich genommen) das Ziel einer Versöhnung zwischen Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Als zuverlässigste Informationsquelle zum Thema Wahrheitskommissionen gilt heutzutage das im Jahre 2001 etablierte International Center for Transitional Justice (ICTJ; www.ictj.org) in New York, das über Regionalbüros in Afrika, Europa und Lateinamerika verfügt.


== Geschichte ==
== Geschichte ==


Die Geschichte der Wahrheitskommissionen kennt viele Versionen. Dies beginnt mit der scheinbar einfachen Frage, wann die erste Wahrheitskommission eingerichtet wurde. Nach Michael P. Scharf war die erste Wahrheitskommission die im Jahre 1913 vom Carnegie Endowment for International Peace eingerichtete "International Commission to Inquire Into the Causes and Conduct of the Balkan Wars of 1912 and 1913". Nach anderen Quellen war es (ausgerechnet) der ugandische Diktator Idi Amin, der im Juni 1974 die erste Wahrheitskommission einrichtete, nämlich die “Commission of Inquiry into the Disappearances of People in Uganda since 25 January 1971”. Wenig bekannt ist die Wahrheitskommission zur Aufklärung des Schicksal der Verschwundenen in Bolivien vom Oktober 1983, weil sie ihre Arbeit ohne Schlußbericht einstellte. Bekannt hingegen ist die entsprechende Wahrheitskommission in Argentinien vom Dezember 1983, die ihrerseits die Einrichtung entsprechender Kommissionen in Uruguay, Chile, El Salvador, Guatemala, Zimbabwe, im Tschad und in Südafrika inspirierte. Die südafrikanische Wahrheitskommission gilt heute weitgehend als Modellfall für Wahrheitskommissionen überhaupt.  
Die bekannteste Wahrheitskommission ist die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission, die  sich 1996/97 unter dem Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu mit den Verbrechen während der Zeit der Apartheid befasste. Das "Geburtsjahr" der Wahrheitskommissionen war jedoch womöglich schon das Jahr 1913 (Einrichtung der "International Commission to Inquire Into the Causes and Conduct of the Balkan Wars of 1912 and 1913" durch "The Carnegie Endowment for International Peace"; vgl. Michael P. Scharf, The Case for A Permanent International Truth Commission, 7 DUKE JOURNAL OF
 
COMPARATIVE & INTERNATIONAL LAW 375-410. 1997. Symposium Issue).
   
Eine andere Ansicht datiert die erste Wahrheitskommission auf Juni 1974. Danach war es ausgerechnet der ugandische Diktator Idi Amin, der diese Institution mit seiner “Commission of Inquiry into the Disappearances of People in Uganda since 25 January 1971” begründete. Der Bericht dokumentierte 308 Fälle von "Verschwindenlassen" während der ersten Jahre von Idi Amins Herrschaft, wurde aber von der Regierung nie veröffentlicht (vgl. Priscilla B. Hayner, "Fifteen Truth Commissions–1974 to 1994: A Comparative Study," Human Rights Quarterly, v. 16, no. 4, November 1994, pp. 597-655).
Das Schicksal von Verschwundenen war auch Gegenstand der bolivianischen Wahrheitskommission vom Oktober 1983 (kein Schlussbericht) und der argentinischen Wahrheitskommission vom Dezember 1983, deren Berichte große Publizität erhielten und die Einrichtung von weiteren Wahrheitskommissionen in Uruguay, Chile, El Salvador, Guatemala, Zimbabwe, im Tschad und später auch in Südafrika inspirierte. Die südafrikanische "Truth and Reconciliation Commission / TRC" gilt heute weitgehend als Modellfall für Wahrheitskommissionen überhaupt.  
1993 wurde erstmals eine Wahrheitskommission von den Vereinten Nationen eingesetzt(El Salvador; es folgten Guatemala und Ost-Timor).


Im Vordergrund der Tätigkeit von „restorativen“ Wahrheitskommissionen steht, ähnlich wie bei Instrumenten „individueller“ restorativer Justiz, nicht eine negative Sanktion (Strafe/Haft), sondern die Kommunikation zwischen den betroffenen Gruppen oder EinzelakteurInnen, sowie die Ermittlung der Wahrheit, meist ohne direkte Sanktionsmöglichkeiten.  
Im Vordergrund der Tätigkeit von „restorativen“ Wahrheitskommissionen steht, ähnlich wie bei Instrumenten „individueller“ restorativer Justiz, nicht eine negative Sanktion (Strafe/Haft), sondern die Kommunikation zwischen den betroffenen Gruppen oder EinzelakteurInnen, sowie die Ermittlung der Wahrheit, meist ohne direkte Sanktionsmöglichkeiten.  


Von den Opfern wird in diesem Rahmen ein Verzeihen oder Amnestieren von jahrzehntelangen, jahrelangen oder punktuellen gravierenden Menschenrechtsverletzungen erwartet. Sie können oft keine zusätzlichen herkömmlichen Strafsanktionen einfordern. Auf diese Weise soll ein verzeihender/ heilender Prozeß mit den TäterInnen auf individueller oder gesellschaftlicher eingeleitet werden. TäterInnen sollen diesbezüglich ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit öffentlich eingestehen, etwaig andere TäterInnen belasten und somit politisches und ideelles Fehlverhalten eingestehen.  
Von den Opfern wird in diesem Rahmen ein Verzeihen oder Amnestieren von jahrzehntelangen, jahrelangen oder punktuellen gravierenden Menschenrechtsverletzungen erwartet. Sie können oft keine zusätzlichen herkömmlichen Strafsanktionen einfordern. Auf diese Weise soll ein verzeihender/ heilender Prozeß mit den TäterInnen auf individueller oder gesellschaftlicher eingeleitet werden. TäterInnen sollen diesbezüglich ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit öffentlich eingestehen, etwaig andere TäterInnen belasten und somit politisches und ideelles Fehlverhalten eingestehen.  
Nicht restorativ ausgerichtete Wahrheitskommissionen beschränken sich auf die historische Aufarbeitung und Dokumentation der genannten Verbrechen und geben lediglich Empfehlungen für den weiteren strafrechtlichen Umgang (z. B. El Salvador)
Wahrheitskommissionen werden in der Regel nach gesellschaftlichen Umbrüchen eingesetzt. Dazu gehören die Beendigung von kolonialistischen, nachkolonialen, diktatorischen und/oder rassistischen Gesellschaftsordnungen und die daraus folgenden gesellschaftlichen Konflikte. In diesem Zusammenhang arbeiten die Kommissionen als Parallel- oder Ersetzungsinstitutionen herkömmlicher, staatlich - gerichtlicher Rechtsprechung. Dementsprechend werden sie parlamentarisch und/oder durch Sondergesetzgebungsverfahren (staatsintern) - oder durch die UN (völkerrechtlich) – legitimiert. Sie dienen in einigen Fällen als Moment der Arbeit von Institutionen und Regelungen „Internationalen Rechts“. Seit den siebziger Jahren sind es hauptsächlich NGO´s und Menschenrechtsorganisationen die die Arbeit von Wahrheitskommissionen einfordern, entwickeln und unterstützen.
Wahrheitskommissionen agieren zeitlich begrenzt, tagen bei restorativer Ausrichtung öffentlich (werden oft vom Fernsehen übertragen) und ziehen häufig restorative oder herkömmliche juristische Folgeverfahren nach sich. Sie dienen darüber hinaus, u.a. in Form ihrer Berichte, geschichtsdokumentarischen Zwecken.
Jede Wahrheitskommission unterscheidet sich von der anderen in der Art und Weise der Entstehung, der Legitimation, der Zusammensetzung, dem Aufgabenbereich, den Befugnissen und den Ausführungsfristen.




2 Verbreitung


Das Mittel der Wahrheitskommissionen wurde bisher mit unterschiedlichem Erfolg, hauptsächlich seit Anfang der 1990er Jahre, u.a. in Südafrika, Osttimor, Peru, El Salvador, Guatemala, Argentinien, Uruguay, Uganda, Chile und vielen weiteren Regionen der sogenannten dritten Welt angewandt.
== Verbreitung ==


Diskutiert werden sie momentan für den Irak und Afghanistan, angestoßen durch mehrere Regierungen und NGO´s, sowie im türkisch- kurdischen Konflikt seitens der Türkei-Beitrittskommission der EU (EUTCC), diversen NGO´s und emanzipatorischen kurdischen sowie türkischen Parteien.  
Das Mittel der Wahrheitskommissionen wurde bisher mit unterschiedlichem Erfolg in über zwanzig Fällen eingesetzt, und zwar in Argentinien, Bolivien, Burundi,  Chile, Osttimor, Ecuador, El Salvador, Deutschland, Haiti, Jugoslawien, Malawi, Nepal, Nigeria, Panama, Peru, Philippinen, Sierra Leone, Südafrika, Süd-Korea, Sri Lanka, Tschad, Uganda, und Zimbabwe (davon in manchen Staaten mehrfach). Diskutiert werden Wahrheitskommissionen auch für Afghanistan, den Irak und die Türkei.  


Nicht genutzt wurden Wahrheitskommissionen bisher, in den „westlich“ geprägten Staaten und von Großmächten zur kollektiven Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, gravierenden Verbrechen gegen ethnische und religiöse Minderheiten, sowie großangelegten Vernichtungsaktionen gegen Indigene oder „nicht weiße“ Bevölkerungsgruppen.  
Nicht genutzt wurden Wahrheitskommissionen bisher in den „westlich“ geprägten Staaten und von Großmächten zur kollektiven Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, gravierenden Verbrechen gegen ethnische und religiöse Minderheiten, sowie großangelegten Vernichtungsaktionen gegen Indigene oder „nicht weiße“ Bevölkerungsgruppen.  




2.1 Ziele
Ziele


Das weitgehendste gemeinsame Ziel von Wahrheitskommissionen ist die „Aufklärung der Wahrheit“ über die oben genannten Straftaten - und demzufolge eine Versöhnung bzw. der Beginn eines gesellschaftlichen Versöhnungsprozesses. Auf diese Weise sollen eine mögliche friedliche – demokratische Entwicklungsperspektive der betroffenen Gesellschaften oder erfolgreiche „nation building“ sowie „peace keeping“ Prozesse angestoßen werden. Wahrheitskommissionen arbeiten in unterschiedlicher Analysetiefe, und mit differierender Urteilskompetenz.  
Das weitgehendste gemeinsame Ziel von Wahrheitskommissionen ist die „Aufklärung der Wahrheit“ über die oben genannten Straftaten - und demzufolge eine Versöhnung bzw. der Beginn eines gesellschaftlichen Versöhnungsprozesses. Auf diese Weise sollen eine mögliche friedliche – demokratische Entwicklungsperspektive der betroffenen Gesellschaften oder erfolgreiche „nation building“ sowie „peace keeping“ Prozesse angestoßen werden. Wahrheitskommissionen arbeiten in unterschiedlicher Analysetiefe, und mit differierender Urteilskompetenz.  


Restorative Kommissionen gewähren den Tätern eine, unterschiedlich weitgehende, Amnestie, wenn sie ihre Taten zugeben und sie dadurch aufklärbar, erfahrbar und diskutierbar machen. Den Opfern wird, bei entsprechender Kompetenz der Wahrheitskommissionen, ein finanzieller und/oder ideeller Ausgleich für das erfahrene Unrecht in diverser Form zugesprochen.  
Restorative Kommissionen gewähren den Tätern eine unterschiedlich weit gehende Amnestie, wenn sie ihre Taten zugeben und sie dadurch aufklärbar, erfahrbar und diskutierbar machen. Den Opfern wird, bei entsprechender Kompetenz der Wahrheitskommissionen, ein finanzieller und/oder ideeller Ausgleich für das erfahrene Unrecht zugesprochen.  


Oft werden über die Arbeit der Wahrheitskommissionen hinaus kollektive Prozesse restorativer Justiz institutionalisiert. Dadurch soll eine möglichst beständige Grundlage für die Aufarbeitung der oben genannten Straftaten geschaffen werden.  
Oft werden über die Arbeit der Wahrheitskommissionen hinaus kollektive Prozesse restorativer Justiz institutionalisiert. Dadurch soll eine möglichst beständige Grundlage für die Aufarbeitung der oben genannten Straftaten geschaffen werden.  




2.2 Zielkonflikte
Zielkonflikte


Der Hauptzielkonflikt von Wahrheitskommissionen sind das jeweils unterschiedliche politische und historische Interesse, der Gruppen- und EinzelakteurInnen an einer detaillierten und „wahrheitsgemäßen“ Aufarbeitung der Begangenen Straftaten. Aufgrund der verschiedenen Überzeugungen, Bedürfnisse und Strategien werden die Wahrheitskommissionen von den divergierenden Gesellschaftsgruppen unterschiedlich angenommen, unterstützt, kritisiert oder torpediert.  
Der Hauptzielkonflikt von Wahrheitskommissionen sind das jeweils unterschiedliche politische und historische Interesse, der Gruppen- und EinzelakteurInnen an einer detaillierten und „wahrheitsgemäßen“ Aufarbeitung der Begangenen Straftaten. Aufgrund der verschiedenen Überzeugungen, Bedürfnisse und Strategien werden die Wahrheitskommissionen von den divergierenden Gesellschaftsgruppen unterschiedlich angenommen, unterstützt, kritisiert oder torpediert.  
Einige Opfer sehen, aufgrund von, zu Zeiten der Einsetzung von Wahrheitskommissionen oft noch brüchigen Demokratieprozesse, sowie aus Angst vor  Vergeltungstaten der ehemals herrschenden, von Anzeigen ab. TäterInnen haben zum Teil keine Einsicht in ihr Fehlverhalten, fürchten sich vor dem öffentlichen Eingestehen ihrer Taten oder versuchen an menschenverachtendem Verhalten und dem entsprechenden Einstellungensowie Praktiken festzuhalten.
Einige Opfer sehen, aufgrund von, zu Zeiten der Einsetzung von Wahrheitskommissionen oft noch brüchigen Demokratieprozesse, sowie aus Angst vor  Vergeltungstaten der ehemals herrschenden, von Anzeigen ab. TäterInnen haben zum Teil keine Einsicht in ihr Fehlverhalten, fürchten sich vor dem öffentlichen Eingestehen ihrer Taten oder versuchen an menschenverachtendem Verhalten und dem entsprechenden Einstellungensowie Praktiken festzuhalten.
3 Kritik
 
Kritik
 
Als vorbildlich für den Impuls zum Beginn von Demokratisierungs- und Friedensprozessen gilt die Arbeit der Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission in Südafrika. Hier wurde nach dem Ende der Apartheid ein erster erfolgreicher Schritt in Richtung „Normalisierung“ und „democratic nation building“ getan. Trotz der nicht vollständig aufgeklärten Verbrechen und ausgeräumten Konflikte wird der Erfolg dieser Kommission international anerkannt und in weiten Kreisen, unterschiedlicher politischer Ausrichtung, als vorbildlich angesehen. Der Vorsitzende der Kommission Erzbischof Desmond Tutu stellt entsprechend den versöhnenden und aufklärenden Charakter der Arbeit in den Vordergrund des Vorworts zum Abschlussbericht der Kommission und skizziert die Arbeit als notwendige Voraussetzung für weitere Schritte eines gemeinsamen Weges in der Überwindung der Apartheid und deren gesellschaftlichen Folgen. Auch bezüglich der Wahrheitskommissionen in Osttimor und einigen Staaten Südamerikas wird ähnlich resümiert.
Als vorbildlich für den Impuls zum Beginn von Demokratisierungs- und Friedensprozessen gilt die Arbeit der Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission in Südafrika. Hier wurde nach dem Ende der Apartheid ein erster erfolgreicher Schritt in Richtung „Normalisierung“ und „democratic nation building“ getan. Trotz der nicht vollständig aufgeklärten Verbrechen und ausgeräumten Konflikte wird der Erfolg dieser Kommission international anerkannt und in weiten Kreisen, unterschiedlicher politischer Ausrichtung, als vorbildlich angesehen. Der Vorsitzende der Kommission Erzbischof Desmond Tutu stellt entsprechend den versöhnenden und aufklärenden Charakter der Arbeit in den Vordergrund des Vorworts zum Abschlussbericht der Kommission und skizziert die Arbeit als notwendige Voraussetzung für weitere Schritte eines gemeinsamen Weges in der Überwindung der Apartheid und deren gesellschaftlichen Folgen. Auch bezüglich der Wahrheitskommissionen in Osttimor und einigen Staaten Südamerikas wird ähnlich resümiert.
Die negative Kritik an der Arbeit von Wahrheitskommissionen basiert hauptsächlich auf der Unmöglichkeit der Vollständigen Beilegung der, bereits im Punkt Zielkonflikte skizzierten, Interessenskonflikte und der oft nicht vorhandenen Bereitschaft der TäterInnen sich ihren Verbrechen und der historischen Vergangenheit zu stellen. Auch wird kritisiert das Wahrheit stets subjektiv Wahrgenommen wird und wenig objektivierbar ist.
Die negative Kritik an der Arbeit von Wahrheitskommissionen basiert hauptsächlich auf der Unmöglichkeit der Vollständigen Beilegung der, bereits im Punkt Zielkonflikte skizzierten, Interessenskonflikte und der oft nicht vorhandenen Bereitschaft der TäterInnen sich ihren Verbrechen und der historischen Vergangenheit zu stellen. Auch wird kritisiert das Wahrheit stets subjektiv Wahrgenommen wird und wenig objektivierbar ist.
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Ein weitergehender Kritikpunkt betrifft u.a. die erste Wahrheitskommission, die von Idi Amin in Uganda eingesetzt wurde und die von den Interessen des Militärs dominierte Wahrheitskommission in Chile. Problematisiert wird, daß der Begriff "Wahrheit" meist von den jeweils hegemonialen Kräften gedeutet wird. Das grundlegende Problem ist demzufolge, daß die historische "Wahrheit" sehr einfach zu einem Gegenstand der politischen Auseinandersetzung werden kann und somit der Legitimation von sich wandelnden Herrschaftsverhältnissen dient. Wahrheitskommissionen können dadurch leicht Instrumente der Mächtigen oder im schlimmsten Fall Instrumente ihrer Kriminlität werden.  
Ein weitergehender Kritikpunkt betrifft u.a. die erste Wahrheitskommission, die von Idi Amin in Uganda eingesetzt wurde und die von den Interessen des Militärs dominierte Wahrheitskommission in Chile. Problematisiert wird, daß der Begriff "Wahrheit" meist von den jeweils hegemonialen Kräften gedeutet wird. Das grundlegende Problem ist demzufolge, daß die historische "Wahrheit" sehr einfach zu einem Gegenstand der politischen Auseinandersetzung werden kann und somit der Legitimation von sich wandelnden Herrschaftsverhältnissen dient. Wahrheitskommissionen können dadurch leicht Instrumente der Mächtigen oder im schlimmsten Fall Instrumente ihrer Kriminlität werden.  


Kritisiert wird ebenfalls, daß klare Bildungs- und Informationshierarchien bezüglich des Zugangs zur Nutzung der Wahrheitskommissionen bestehen. Für Menschen aus weniger gebildeten Schichten und Menschen aus entlegenen Regionen gibt es bezüglich einer möglichen Wahrnehmung der Arbeit der Wahrheitskommissionen in vielen Fällen wesentlich größere Hürden.
Kritisiert wird ebenfalls, daß klare Bildungs- und Informationshierarchien bezüglich des Zugangs zur Nutzung der Wahrheitskommissionen bestehen. Für Menschen aus weniger gebildeten Schichten und Menschen aus entlegenen Regionen gibt es bezüglich einer möglichen Wahrnehmung der Arbeit der Wahrheitskommissionen in vielen Fällen wesentlich größere Hürden
 




 
Wahrheitskommissionen in der Literatur  
 
3.1 Wahrheitskommissionen in der Literatur  
Ein Beispiel dafür ist „Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman. Hier trifft eine ehemalige Widerstandskämpferin, nach der „Demokratisierung“ Chiles, auf ihren ehemaligen Folterknecht und Vergewaltiger und beschließt erst nach dessen Eingeständnis seiner Verbrechen, ihn nicht umzubringen. Ihr Mann ist Anwalt und wurde in eine Wahrheitskommission berufen, die sich mit den Opfern des Regimes von Augusto Pinochet beschäftigt. In diesem Roman, der unter der Regie von Roman Polanski verfilmt wurde, wird das Spannungsfeld der restorativen Justiz – zwischen Vergeltungs- und Gerechtigkeitsbedürfnis, sowie „perspektivischem“ Verzeihen/Heilen und Aufarbeiten der Vergangenheit sehr deutlich herausgearbeitet.
Ein Beispiel dafür ist „Tod und das Mädchen“ von Ariel Dorfman. Hier trifft eine ehemalige Widerstandskämpferin, nach der „Demokratisierung“ Chiles, auf ihren ehemaligen Folterknecht und Vergewaltiger und beschließt erst nach dessen Eingeständnis seiner Verbrechen, ihn nicht umzubringen. Ihr Mann ist Anwalt und wurde in eine Wahrheitskommission berufen, die sich mit den Opfern des Regimes von Augusto Pinochet beschäftigt. In diesem Roman, der unter der Regie von Roman Polanski verfilmt wurde, wird das Spannungsfeld der restorativen Justiz – zwischen Vergeltungs- und Gerechtigkeitsbedürfnis, sowie „perspektivischem“ Verzeihen/Heilen und Aufarbeiten der Vergangenheit sehr deutlich herausgearbeitet.


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Ø http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/0/3be4ec1acd4a1f29c125702d00405514?OpenDocument
Ø http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/0/3be4ec1acd4a1f29c125702d00405514?OpenDocument
Ø http://www.duei.de/content/organisation/pdf/oettler_04_69.pdf
Ø http://www.duei.de/content/organisation/pdf/oettler_04_69.pdf




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4.1 Südafrika – die restorative, perspektivische Kommission (Demokratisierung – Nation Building)
Südafrika – die restorative, perspektivische Kommission (Demokratisierung – Nation Building)
Die Wahrheits- und Versöhnungskommission/Truth and Reconciliation Commission (TRC) wurde zur Untersuchung von politisch motivierten Verbrechen, die während der Zeit der Apartheid begangen wurden, eingerichtet. Sie geht in ihrer Entstehung auf eine Initiative des ANC und des damaligen Justizministers Dullah Omar, im Jahr 1994 zurück, und wurde im Januar 1996 durch Präsident Nelson Mandela eingesetzt. Vorsitzender der TRC war Erzbischof Desmond Tutu.  
Die Wahrheits- und Versöhnungskommission/Truth and Reconciliation Commission (TRC) wurde zur Untersuchung von politisch motivierten Verbrechen, die während der Zeit der Apartheid begangen wurden, eingerichtet. Sie geht in ihrer Entstehung auf eine Initiative des ANC und des damaligen Justizministers Dullah Omar, im Jahr 1994 zurück, und wurde im Januar 1996 durch Präsident Nelson Mandela eingesetzt. Vorsitzender der TRC war Erzbischof Desmond Tutu.  
Die TRC wurde für 18 Monate einberufen. Der relativ kurze Zeitraum ihres Wirkens war bereits zur Einberufung umstritten, da die Fülle der zu behandelnden Fälle in dieser Zeit kaum zu bearbeiten schien. Allerdings galt es auch, die Folgen des Apartheidsystems schnell öffentlich erfahr- und diskutierbar zu machen. Sowohl um gegebenenfalls Entschädigungen nicht erst nach vielen Jahren zu zahlen, als auch, um den schmerzhaften Prozess der Aufklärung schnell zu realisieren.
Die TRC wurde für 18 Monate einberufen. Der relativ kurze Zeitraum ihres Wirkens war bereits zur Einberufung umstritten, da die Fülle der zu behandelnden Fälle in dieser Zeit kaum zu bearbeiten schien. Allerdings galt es auch, die Folgen des Apartheidsystems schnell öffentlich erfahr- und diskutierbar zu machen. Sowohl um gegebenenfalls Entschädigungen nicht erst nach vielen Jahren zu zahlen, als auch, um den schmerzhaften Prozess der Aufklärung schnell zu realisieren.
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Osttimor - Die rituelle Aufarbeitungs- und Wiedereingliederungskommission
 
 
 
 
 
 
 
4.2 Osttimor - Die rituelle Aufarbeitungs- und Wiedereingliederungskommission


In Osttimor, war das hauptsächliche  Ziel der Wahrheitskommission, die Demokratisierung und Normalisierung („nation building“) der Verhältnisse nach Jahrhunderte langer portugiesischer Kolonialherrschaft und jahrzehntelanger indonesischer Okkupation. Diesen Zuständen war fast ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen. Das Land erhielt am 20. Mai 2002 nach zweieinhalbjähriger Verwaltung durch die Vereinten Nationen (UN) seine Unabhängigkeit.  
In Osttimor, war das hauptsächliche  Ziel der Wahrheitskommission, die Demokratisierung und Normalisierung („nation building“) der Verhältnisse nach Jahrhunderte langer portugiesischer Kolonialherrschaft und jahrzehntelanger indonesischer Okkupation. Diesen Zuständen war fast ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen. Das Land erhielt am 20. Mai 2002 nach zweieinhalbjähriger Verwaltung durch die Vereinten Nationen (UN) seine Unabhängigkeit.  
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El Salvador – Die (perspektivische) durch internationale Abkommen entstandene (nicht restorative) Wahrheitskommission  
 
 
 
 
 
 
 
 
 
4.3 El Salvador – Die (perspektivische) durch internationale Abkommen entstandene (nicht restorative) Wahrheitskommission  
El Salvador erlebte zwischen 1980 und 1991 einen Krieg zwischen der herrschenden Militärregierung, Teilen der Bevölkerung sowie der Freiheitsbewegung FMLN. Während dieses Krieges kamen mehr als 75000 Menschen durch politische Morde der "escuadrones de la muerte" (Todesschwadronen), extralegale Hinrichtungen, Verschwindenlassen, Folter und Entführung ums Leben. Ca. 1,2 Millionen Menschen – von einer Bevölkerung von 6 Millionen – waren gezwungen, ihr Dorf oder ihr Land zu verlassen.
El Salvador erlebte zwischen 1980 und 1991 einen Krieg zwischen der herrschenden Militärregierung, Teilen der Bevölkerung sowie der Freiheitsbewegung FMLN. Während dieses Krieges kamen mehr als 75000 Menschen durch politische Morde der "escuadrones de la muerte" (Todesschwadronen), extralegale Hinrichtungen, Verschwindenlassen, Folter und Entführung ums Leben. Ca. 1,2 Millionen Menschen – von einer Bevölkerung von 6 Millionen – waren gezwungen, ihr Dorf oder ihr Land zu verlassen.
Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Kolumbien, Mexiko, Spanien und Venezuela kam es 1989 Friedensverhandlungen zwischen der "Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional" (FMLN) und der salvadorianischen Regierung. Die Verhandlungen mündeten in die  Unterzeichnung eines Friedensabkommens "Acuerdos de Chapultepec" (Abkommen von Chapultepec) am 16. Januar 1992 in Mexiko-City.
Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Kolumbien, Mexiko, Spanien und Venezuela kam es 1989 Friedensverhandlungen zwischen der "Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional" (FMLN) und der salvadorianischen Regierung. Die Verhandlungen mündeten in die  Unterzeichnung eines Friedensabkommens "Acuerdos de Chapultepec" (Abkommen von Chapultepec) am 16. Januar 1992 in Mexiko-City.
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Kritik
Kritik
Es wurde wenig später ein Amnestiegesetz erlassen, dass – bis zum heutigen Tag – die Strafverfolgung der Täter der von der Kommission untersuchten Taten verhinderte. Demzufolge gibt es in El Salvador eine Kontinuität der Straflosigkeit. Nach der Veröffentlichung des Berichts  sind alle Versuche gescheitert, die Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft zu ziehen. Der Friedensprozess war erfolgreich, was das Ende der militärischen Konfrontation angeht. Die angestrebte Demokratisierung des Landes wurde von den Herrschenden jedoch verhindert. Ein daraus folgender Kritikpunkt ist das durch inflationären - und nicht gesellschaftliche Spannungsverhältnisse beachtenden - Einsatz vergangenheitspolitischer Instrumente wie Wahrheitskommissionen, perspektivische Zielsetzungen verfehlt oder instrumentell gewendet werden können. Bei Opfern kann das zu retraumatisierenden Wirkungen führen
Es wurde wenig später ein Amnestiegesetz erlassen, dass – bis zum heutigen Tag – die Strafverfolgung der Täter der von der Kommission untersuchten Taten verhinderte. Demzufolge gibt es in El Salvador eine Kontinuität der Straflosigkeit. Nach der Veröffentlichung des Berichts  sind alle Versuche gescheitert, die Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft zu ziehen. Der Friedensprozess war erfolgreich, was das Ende der militärischen Konfrontation angeht. Die angestrebte Demokratisierung des Landes wurde von den Herrschenden jedoch verhindert. Ein daraus folgender Kritikpunkt ist das durch inflationären - und nicht gesellschaftliche Spannungsverhältnisse beachtenden - Einsatz vergangenheitspolitischer Instrumente wie Wahrheitskommissionen, perspektivische Zielsetzungen verfehlt oder instrumentell gewendet werden können. Bei Opfern kann das zu retraumatisierenden Wirkungen führen


Anonymer Benutzer