Verkehrsdelinquenz: Unterschied zwischen den Versionen

 
(3 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
--[[Benutzer:Achim R.|Achim R.]] 22:06, 9. Jan. 2011 (CET)'''Wird bearbeitet von Achim R.'''
== Begriff ==
== Begriff ==
 
Dass häufiger von '''Verkehrsdelinquenz''' und Verkehrs''sündern'' als von Verkehrs''kriminalität'' und Verkehrs''straftätern'' die Rede ist, verweist auf eine Differenz zwischen rechtlicher Klassifizierung und öffentlicher Meinung (vgl. Schöch 1993). Das hat wohl auch damit zu tun, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer - nach Göppinger (1980) - in einer „potentiellen Deliktsituation“ befindet. Betrachtet man die [[Kriminalität]] insgesamt als Gesamtheit von schwereren und leichteren Normverstößen sowie von seltenen zu häufigen Abweichungen, „so stehen die Verkehrsdelikte an der Stelle der Normen-Skala, wo entsprechend der Verteilung einer sog. J-Kurve die leichtesten oder die häufigsten Verletzungen vorkommen“ (Kaiser u.a. 1993).  
Die Verkehrsdelinquenz nimmt in der Kriminologie eine Sonderrolle ein, die sich schon in der Terminologie zeigt (Schöch 1993). Der Ausdruck Verkehrsdelinquenz ersetzt meist den vermiedenen Begriff der Verkehrskriminalität. Verkehrssünder treten an die Stelle von Verkehrskriminellen. Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die [[Kriminalisierung]] von Verkehrsverstößen als besonders problematisch empfunden wird. Die kriminologische Literatur (Göppinger 1980) weist auf die „potentielle Deliktsituation“ jedes Verkehrsteilnehmers hin. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass Verkehrsdelinquenz aus kriminologischer Sicht eine ganz andere Qualität als sonstige [[Kriminalität]] aufweist.
Betrachtet man die Strafrechtsordnung (einschließlich Nebenstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht) als eine Gesamtheit von schwereren und leichteren Normverstößen oder von seltenen zu häufigen Abweichungen, „so stehen die Verkehrsdelikte an der Stelle der Normen-Skala, wo entsprechend der Verteilung einer sog. J-Kurve die leichtesten oder die häufigsten Verletzungen vorkommen“ (Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss 1993).


== Erscheinungsformen ==
== Erscheinungsformen ==
 
Verkehrsdelikte im formellen Sinn können unterteilt werden in Straftaten und [[Ordnungswidrigkeit]]en. Die Verkehrsstraftaten weisen einen klaren Bezug zum öffentlichen Straßenverkehr auf und sind insbesondere im Strafgesetzbuch (StGB) aufgeführt - man denke an § 142 StGB Unerlaubtes Entfernen von der Unfallstelle, § 315 b StGB Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; § 315 c StGB Gefährdung des Straßenverkehrs; § 316 Trunkenheit im Straßenverkehr - aber manche finden sich auch im Straßenverkehrsgesetz (StVG) - wie zum Beispiel § 21StVG Fahren ohne Fahrerlaubnis bzw. Fahren trotz Fahrverbot und § 22 StVG Kennzeichenmissbrauch.
 
Verkehrsdelikte im formellen Sinn können unterteilt werden in Straftaten und [[Ordnungswidrigkeit]]en. Verkehrsstraftaten haben einen Bezug zum öffentlichen Straßenverkehr.
Diese sind insbesondere im Strafgesetzbuch (StGB) aufgeführt:
 
- § 142 StGB Unerlaubtes Entfernen von der Unfallstelle
-§ 315 b StGB Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
-§ 315 c StGB Gefährdung des Straßenverkehrs
-§ 316 Trunkenheit im Straßenverkehr
sowie im Straßenverkehrsgesetz (StVG):
 
-§ 21StVG Fahren ohne Fahrerlaubnis bzw. Fahren trotz Fahrverbot
-§ 22 StVG Kennzeichenmissbrauch
Einen Großteil der Verkehrsstraftaten machen Delikte im StGB aus, welche nicht speziell im Gesetzestext einen Verkehrsbezug aufweisen. So kommt § 229 StGB Fahrlässige Körperverletzung häufig bei Unfällen mit Personenschaden zur Anwendung, falls nicht alleine der Verursacher verletzt wurde, sowie § 222 StGB Fahrlässige Tötung. Von den 6613 Todesfällen im Straßenverkehr 2003 gab es 1120 verurteilte Tötungsdelikte im Straßenverkehr nach § 222 StGB.  
Einen Großteil der Verkehrsstraftaten machen Delikte im StGB aus, welche nicht speziell im Gesetzestext einen Verkehrsbezug aufweisen. So kommt § 229 StGB Fahrlässige Körperverletzung häufig bei Unfällen mit Personenschaden zur Anwendung, falls nicht alleine der Verursacher verletzt wurde, sowie § 222 StGB Fahrlässige Tötung. Von den 6613 Todesfällen im Straßenverkehr 2003 gab es 1120 verurteilte Tötungsdelikte im Straßenverkehr nach § 222 StGB.  
Zeile 38: Zeile 17:


== Statistik ==
== Statistik ==
Zum tatsächlichen Umfang der Verkehrsdelinquenz lassen sich nur sehr eingeschränkt Aussagen machen. Zum Einen werden Verkehrsstraftaten seit 1963 nicht mehr in der Polizeilichen Kriminalstatistik ([[PKS]]) erfasst, sondern nur noch in der [[Strafverfolgungsstatistik]] registriert. Ausnahme: § 315, 315 b StGB, § 22a StVG (Schwind 2006).
Zum tatsächlichen Umfang der Verkehrsdelinquenz lassen sich nur sehr eingeschränkt Aussagen machen. Zum Einen werden Verkehrsstraftaten seit 1963 nicht mehr in der Polizeilichen Kriminalstatistik ([[PKS]]) erfasst, sondern nur noch in der [[Strafverfolgungsstatistik]] registriert. Ausnahme: § 315, 315 b StGB, § 22a StVG (Schwind 2006).
Zum Anderen erscheint die registrierte Verkehrsdelinquenz im Bußgeld- und Verwarnungsbereich mehr Folge der jeweiligen Verfolgungsintensität der Behörden und weniger ein (tendenzielles) Spiegelbild des tatsächlich, rechtlich relevanten Fehlverhaltens im Straßenverkehr zu sein. Dies beruht, soweit es sich um Verkehrsdelikte ohne eingetretenen Unfallschaden handelt, insbesondere auf dem Fehlen privater Anzeigen.  
Zum Anderen erscheint die registrierte Verkehrsdelinquenz im Bußgeld- und Verwarnungsbereich mehr Folge der jeweiligen Verfolgungsintensität der Behörden und weniger ein (tendenzielles) Spiegelbild des tatsächlich, rechtlich relevanten Fehlverhaltens im Straßenverkehr zu sein. Dies beruht, soweit es sich um Verkehrsdelikte ohne eingetretenen Unfallschaden handelt, insbesondere auf dem Fehlen privater Anzeigen.  
Zeile 67: Zeile 44:


== Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität ==
== Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität ==
Die Kriminologie vertritt die Ansicht, dass [[Kriminalität]] und die Art des Verkehrsverhaltens auf eine gemeinsame, in der Persönlichkeit des Täters liegende Wurzel zurückzuführen ist (Schöch, Heinz, Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität, NJW 1972, S. 1861). Aus soziologischer und verhaltenspsychologischer Sicht wird angenommen, dass sich eine mangelnde Konditionierung zur Normtreue gleichermaßen im Verkehrs- als auch im allgemeinen kriminellen Umfeld auswirkt. Wird hinsichtlich der Verübung von Gewalt- und Eigentumsdelikten keine Hemmschwelle aufgebaut, wird der Verwerflichkeit von Verstößen gegen Straßenverkehrsnormen erst recht keine Bedeutung beigemessen.
Die Kriminologie vertritt die Ansicht, dass [[Kriminalität]] und die Art des Verkehrsverhaltens auf eine gemeinsame, in der Persönlichkeit des Täters liegende Wurzel zurückzuführen ist (Schöch, Heinz, Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität, NJW 1972, S. 1861). Aus soziologischer und verhaltenspsychologischer Sicht wird angenommen, dass sich eine mangelnde Konditionierung zur Normtreue gleichermaßen im Verkehrs- als auch im allgemeinen kriminellen Umfeld auswirkt. Wird hinsichtlich der Verübung von Gewalt- und Eigentumsdelikten keine Hemmschwelle aufgebaut, wird der Verwerflichkeit von Verstößen gegen Straßenverkehrsnormen erst recht keine Bedeutung beigemessen.
So wurde der Zusammenhang zwischen Verkehrsverstößen und kriminellen Delikten bereits in vielen empirischen Studien, über Gruppenvergleiche, Längsschnittbeobachtungen und Beziehungen zu gesellschaftlichen Phänomenen nachgewiesen (Kriminalistik 01/2007).
So wurde der Zusammenhang zwischen Verkehrsverstößen und kriminellen Delikten bereits in vielen empirischen Studien, über Gruppenvergleiche, Längsschnittbeobachtungen und Beziehungen zu gesellschaftlichen Phänomenen nachgewiesen (Kriminalistik 01/2007).
Zeile 75: Zeile 50:


''Polytrope Straftäter'':
''Polytrope Straftäter'':
Die polytropen Straftäter werden für den Straßenverkehr am gefährlichsten eingeschätzt. Kennzeichnend ist, dass sich die Straftaten relativ unspezialisiert, häufig wechselnd, gegen verschiedene Rechtsgüter richten. Diese Gruppe beinhaltet Gewalttäter und Sexualtäter sowie Alkoholfahrten i. S. § 316 StGB.
Die polytropen Straftäter werden für den Straßenverkehr am gefährlichsten eingeschätzt. Kennzeichnend ist, dass sich die Straftaten relativ unspezialisiert, häufig wechselnd, gegen verschiedene Rechtsgüter richten. Diese Gruppe beinhaltet Gewalttäter und Sexualtäter sowie Alkoholfahrten i. S. § 316 StGB.


''Unfallfluchttäter'':
''Unfallfluchttäter'':
Diese Gruppe ist kriminell stärker vorbelastet als die übrigen delinquenten Verkehrsteilnehmer. Insbesondere wenn die Unfallflucht in Zusammenhang mit Alkoholgenuss erfolgte.
Diese Gruppe ist kriminell stärker vorbelastet als die übrigen delinquenten Verkehrsteilnehmer. Insbesondere wenn die Unfallflucht in Zusammenhang mit Alkoholgenuss erfolgte.


''Fahren unter Alkohol'':
''Fahren unter Alkohol'':
Auch bei alkoholauffälligen Autofahrern wurde festgestellt, dass diese häufiger kriminell vorbelastet sind als Autofahrer, die bereits wegen anderer Straftaten aufgefallen sind. Des Weiteren ist die Rückfallgefahr bei Personen, die sowohl wegen Alkoholdelikten im Verkehr sowie anderer kriminellen Delikte aufgefallen sind, erhöht (Kunkel 1975)  
Auch bei alkoholauffälligen Autofahrern wurde festgestellt, dass diese häufiger kriminell vorbelastet sind als Autofahrer, die bereits wegen anderer Straftaten aufgefallen sind. Des Weiteren ist die Rückfallgefahr bei Personen, die sowohl wegen Alkoholdelikten im Verkehr sowie anderer kriminellen Delikte aufgefallen sind, erhöht (Kunkel 1975)  


Zeile 90: Zeile 62:


== Verkehrserziehung und Verkehrsprävention ==
== Verkehrserziehung und Verkehrsprävention ==
''Schulischer Bereich'':
''Schulischer Bereich'':


Zeile 102: Zeile 72:


== Literatur ==
== Literatur ==
*Bundesamt für Straßenwesen (2002), bast info 4/02
*Dohm, Peter (1999) Verkehrsdelinquenz. Holzkirchen: Felix.


Bundesamt für Straßenwesen (2002), bast info 4/02
*Kaiser / Kerner / Sack / Schellhoss (1993), Kleines Kriminologisches Wörterbuch


Kaiser / Kerner / Sack / Schellhoss (1993), Kleines Kriminologisches Wörterbuch
*Kriminalistik, Heft, (11/2005), Kriminologie, S. 642 ff


Kriminalistik, Heft, (11/2005), Kriminologie, S. 642 ff
*Kriminalistik, Heft, (01/2007) Kriminologie, Der Zusammenhang zwischen Verkehrsdelinquenz und Kriminalitätsbereitschaft, S. 41 ff


Kriminalistik, Heft, (01/2007) Kriminologie, Der Zusammenhang zwischen Verkehrsdelinquenz und Kriminalitätsbereitschaft, S. 41 ff
*Krüger (1995), Das Unfallrisiko unter Alkohol, Fischer Verlag Stuttgart


Krüger (1995), Das Unfallrisiko unter Alkohol, Fischer Verlag Stuttgart
*Kunkel, Eberhard (1975), Kriminalität und Fahreignung


Kunkel, Eberhard (1975), Kriminalität und Fahreignung
*Schöch, Heinz (2003), Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität


Schöch, Heinz (2003), Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität
*Schöch, Heinz & Mettke-Lenz, Melanie (2008) Rechtliche und kriminologische Aspekte der Verkehrsdelinquenz. In: Hans Peter Krüger, Hg., Verkehrspsychologie. Enzyklopädie der Psychologie. Praxisgebiet 6. Göttingen: Hogrefe.


Schwind, Hans-Dieter (2006) Kriminologie, Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen
*Schwind, Hans-Dieter (2006) Kriminologie, Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen


Statistisches Bundesamt, Statistische Jahrbuch 2002
*Statistisches Bundesamt, Statistische Jahrbuch 2002
31.738

Bearbeitungen