Verkehrsdelinquenz

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Begriff

Dass häufiger von Verkehrsdelinquenz und Verkehrssündern als von Verkehrskriminalität und Verkehrsstraftätern die Rede ist, verweist auf eine Differenz zwischen rechtlicher Klassifizierung und öffentlicher Meinung (vgl. Schöch 1993). Das hat wohl auch damit zu tun, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer - nach Göppinger (1980) - in einer „potentiellen Deliktsituation“ befindet. Betrachtet man die Kriminalität insgesamt als Gesamtheit von schwereren und leichteren Normverstößen sowie von seltenen zu häufigen Abweichungen, „so stehen die Verkehrsdelikte an der Stelle der Normen-Skala, wo entsprechend der Verteilung einer sog. J-Kurve die leichtesten oder die häufigsten Verletzungen vorkommen“ (Kaiser u.a. 1993).

Erscheinungsformen

Verkehrsdelikte im formellen Sinn können unterteilt werden in Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Die Verkehrsstraftaten weisen einen klaren Bezug zum öffentlichen Straßenverkehr auf und sind insbesondere im Strafgesetzbuch (StGB) aufgeführt - man denke an § 142 StGB Unerlaubtes Entfernen von der Unfallstelle, § 315 b StGB Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; § 315 c StGB Gefährdung des Straßenverkehrs; § 316 Trunkenheit im Straßenverkehr - aber manche finden sich auch im Straßenverkehrsgesetz (StVG) - wie zum Beispiel § 21StVG Fahren ohne Fahrerlaubnis bzw. Fahren trotz Fahrverbot und § 22 StVG Kennzeichenmissbrauch.

Einen Großteil der Verkehrsstraftaten machen Delikte im StGB aus, welche nicht speziell im Gesetzestext einen Verkehrsbezug aufweisen. So kommt § 229 StGB Fahrlässige Körperverletzung häufig bei Unfällen mit Personenschaden zur Anwendung, falls nicht alleine der Verursacher verletzt wurde, sowie § 222 StGB Fahrlässige Tötung. Von den 6613 Todesfällen im Straßenverkehr 2003 gab es 1120 verurteilte Tötungsdelikte im Straßenverkehr nach § 222 StGB. Dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) wurden im Jahr 2008 durch Gerichte bundesweit 4.610 Nötigungsdelikte mit Straßenverkehrsbezug gem. § 240 StGB gemeldet. Des Weiteren sind Betrugsfälle in Form von fingierten, provozierten und manipulierten Verkehrsunfällen keine Seltenheit. In Deutschland werden jedes Jahr zahlreiche Suizide und Tötungsdelikte registriert. Einige davon werden im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen verübt. Doch es werden lediglich 15-25 % der Selbsttötungen als solche erkannt, der überwiegende Teil geht als Verkehrsunfall in die Statistik ein. Weitere Strafvorschriften finden sich im Pflichtversicherungsgesetz § 6 sowie in der Abgabeordnung § 370.

Die Verstöße gegen einen Straftatbestand in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr werden seit dem ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG, 01.09.1969) in der Regel mit Geldstrafe geahndet, Freiheitsstrafen werden nur noch in Ausnahmefällen verhängt. Daneben kommt die Entziehung der Fahrerlaubnis oder ein Fahrverbot in Betracht.

Die Verkehrsordnungswidrigkeiten werden neben dem StVG in zahlreichen Gesetzen/Verordnungen aufgeführt. Sie können grob unterteilt werden in „bedeutende“ und „unbedeutende“ Ordnungswidrigkeiten. Eine bedeutende Ordnungswidrigkeit setzt ein Verwarnungsgeld ab 40 Euro voraus und schlägt sich i. d. R. mit mindestens einem Punkt im Verkehrszentralregister (VZR) in Flensburg nieder. Ordnungswidrigkeiten werden seit dem 01.01.1969 durch Bußgeldbescheide geahndet. Im Gegensatz zur Strafe ist die Geldbuße frei vom sozialethischen Unwerturteil, dass der Strafe anhaftet (Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss 1993).

Ein wichtiger Aspekt beim Thema öffentlicher Straßenverkehr ist, dass im Verkehrsraum nicht nur Verkehrsverstöße vorkommen, sondern er auch Bewegungs- und Aufenthaltsraum für Straftäter der allgemeinen Kriminalität ist.

Statistik

Zum tatsächlichen Umfang der Verkehrsdelinquenz lassen sich nur sehr eingeschränkt Aussagen machen. Zum Einen werden Verkehrsstraftaten seit 1963 nicht mehr in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst, sondern nur noch in der Strafverfolgungsstatistik registriert. Ausnahme: § 315, 315 b StGB, § 22a StVG (Schwind 2006). Zum Anderen erscheint die registrierte Verkehrsdelinquenz im Bußgeld- und Verwarnungsbereich mehr Folge der jeweiligen Verfolgungsintensität der Behörden und weniger ein (tendenzielles) Spiegelbild des tatsächlich, rechtlich relevanten Fehlverhaltens im Straßenverkehr zu sein. Dies beruht, soweit es sich um Verkehrsdelikte ohne eingetretenen Unfallschaden handelt, insbesondere auf dem Fehlen privater Anzeigen. Des Weiteren wird vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg das Verkehrszentralregister (VZR) geführt, in welchem die Fahrerlaubnisbehörden, die Bußgeldbehörden ( bei Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße von mindestens 40 Euro) sowie die Gerichte relevante Daten speichern (KBA 2010).


Hellfeld:

Etwas weniger als ¼ aller Verurteilungen sind Straßenverkehrsdelikte. So wurden 2009 ausweislich der Strafverfolgungsstatistik 214.467 Personen wegen Verkehrsvergehen verurteilt (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2009). Im Vergleich wurden 1970 insgesamt 308.008, 1980 > 329.300, 1990 > 258.681 und 2000 > 209.894 Personen wegen Vergehen im Straßenverkehr verurteilt (Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2002).

Das Verkehrszentralregister (VZR) registrierte im Jahr 2002 mehr als 4,3 Millionen registrierpflichtige Entscheidungen über geahndete Verkehrsverstöße und fahrerlaubnisbezogene Maßnahmen. Die Vielzahl kleiner, mit Verwarnungsgeld belegter Normabweichungen, geht noch weit über die genannten Zahlen hinaus. Im Jahr 2004 wurden in Deutschland insgesamt 2.261.823 Verkehrsunfälle registriert, 1.922.183 davon mit Sachschaden und 339.640 mit Personenschaden. Es starben nicht weniger als 5.844 Menschen 2004 im Straßenverkehr (Kriminalistik 11/2005). Jedoch beruhen nicht alle Unfälle auf Verkehrsdelikte und umgekehrt führen nicht alle Verkehrsdelikte zu Unfällen.


Dunkelfeld:

Ein großes Dunkelfeld gibt es noch bei der Aufklärung von Drogendelikten im Straßenverkehr. Während die tatsächlichen Zahlen von festgestellten „Drogenfahrten“ in der Gesamtstatistik immer noch sehr gering sind, lassen Untersuchungen auf ein großes Dunkelfeld schließen. Eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) kam nach stichprobenhafter Untersuchung von Blutproben zu dem Ergebnis, dass Fahrten mit illegalen Drogen ebenso häufig wie „Alkoholfahrten“ über 0,5 Promille vorkommen. Im Jahr 2004 wurden bundesweit über 165.000 folgenlose „Alkoholfahrten“ festgestellt (Hellfeld). Als Vergleichswert stehen im selben Jahr 43.000 Drogenfahrten bundesweit gegenüber. Bei einem hohen Anteil der drogenbeeinflussten Fahrzeugführer lag zusätzlich auch noch eine Alkoholisierung vor (bast 2002). In den unterschiedlichen Dunkelfeldforschungen zu Drogen und Kraftfahrzeugbenutzung wurde dokumentiert, dass nur eine von 1000 Fahrten unter Drogeneinfluss polizeilich festgestellt wird. Bei Alkoholfahrten geht man von 1 : 600 aus (Krüger 1995).

Auch bei der Verkehrsunfallstatistik muss mit einem nicht unerheblichen Dunkelfeld gerechnet werden. Allerdings kann generell gesagt werden: Je schwerer der Verkehrsunfall desto wahrscheinlicher wird er der Polizei bekannt. So wird die Zahl der Verkehrstoten recht genau erfasst.

Das größte Dunkelfeld geht von den „unbedeutenden“ Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr aus, bei welchen kein personales Opfer vorhanden sowie die Anzeigenbereitschaft der Bevölkerung gering und die technische Verkehrsüberwachung nicht gegeben ist.

Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität

Die Kriminologie vertritt die Ansicht, dass Kriminalität und die Art des Verkehrsverhaltens auf eine gemeinsame, in der Persönlichkeit des Täters liegende Wurzel zurückzuführen ist (Schöch, Heinz, Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität, NJW 1972, S. 1861). Aus soziologischer und verhaltenspsychologischer Sicht wird angenommen, dass sich eine mangelnde Konditionierung zur Normtreue gleichermaßen im Verkehrs- als auch im allgemeinen kriminellen Umfeld auswirkt. Wird hinsichtlich der Verübung von Gewalt- und Eigentumsdelikten keine Hemmschwelle aufgebaut, wird der Verwerflichkeit von Verstößen gegen Straßenverkehrsnormen erst recht keine Bedeutung beigemessen. So wurde der Zusammenhang zwischen Verkehrsverstößen und kriminellen Delikten bereits in vielen empirischen Studien, über Gruppenvergleiche, Längsschnittbeobachtungen und Beziehungen zu gesellschaftlichen Phänomenen nachgewiesen (Kriminalistik 01/2007).

Es wurden drei spezifische Problemgruppen herausgestellt:

Polytrope Straftäter: Die polytropen Straftäter werden für den Straßenverkehr am gefährlichsten eingeschätzt. Kennzeichnend ist, dass sich die Straftaten relativ unspezialisiert, häufig wechselnd, gegen verschiedene Rechtsgüter richten. Diese Gruppe beinhaltet Gewalttäter und Sexualtäter sowie Alkoholfahrten i. S. § 316 StGB.

Unfallfluchttäter: Diese Gruppe ist kriminell stärker vorbelastet als die übrigen delinquenten Verkehrsteilnehmer. Insbesondere wenn die Unfallflucht in Zusammenhang mit Alkoholgenuss erfolgte.

Fahren unter Alkohol: Auch bei alkoholauffälligen Autofahrern wurde festgestellt, dass diese häufiger kriminell vorbelastet sind als Autofahrer, die bereits wegen anderer Straftaten aufgefallen sind. Des Weiteren ist die Rückfallgefahr bei Personen, die sowohl wegen Alkoholdelikten im Verkehr sowie anderer kriminellen Delikte aufgefallen sind, erhöht (Kunkel 1975)

Werden Persönlichkeitsfaktoren von Unfallfahrern in Bezug zu Unfallfreien gesetzt, zeigt dieser Vergleich Unterschiede in der Aggressivität und emotionalen Kontrolle. Es wurde festgestellt, dass vor allem die Impulsivität als eine Ursache von Kriminalität und Verkehrsdelinquenz angesehen werden kann (Kriminalistik 01/2007). Die Altersverteilung der Täter entspricht im Wesentlichen derjenigen der klassischen Kriminalität. Die 18 – 25jährigen sind weitaus am stärksten belastet.

Verkehrserziehung und Verkehrsprävention

Schulischer Bereich:

Durch den Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1972 (Neufassung 17.06.1994), ist die Verkehrserziehung in der Schule als Teil des Unterrichts- und Erziehungsauftrags ausgewiesen. Die Schule in Zusammenarbeit mit der Polizei macht es sich zur Aufgabe, verkehrsspezifische Kenntnisse zu vermitteln und die für die Verkehrswirklichkeit erforderlichen Fähigkeiten und Haltungen zu fördern. Verkehrserziehung beschränkt sich nicht nur auf das Verhalten von Schülerinnen und Schülern und auf ihre Anpassung an bestehende Verkehrsverhältnisse, sie schließt vielmehr auch die kritische Auseinandersetzung mit Erscheinungen, Bedingungen und Folgen des gegenwärtigen Verkehrs und seiner künftigen Gestaltung ein. Neben der Sicherheitserziehung leistet die Verkehrserziehung auch einen Beitrag bei der Sozialerziehung. Gemeint ist hier, dass die Schülerinnen und Schüler auch Kenntnis über psychische Faktoren bei der Teilname im Straßenverkehr erhalten, u. a. sollen sie sich mit Aggression, Stress, Raserei, Drängelei, Regelverletzungen und Rücksichtslosigkeit auseinandersetzen. Innerhalb der Schule findet der Unterricht im Primarbereich, Sekundarbereich I, Sekundarbereich II, den Berufsschulen und in der Lehrerausbildung/-fortbildung statt (KMK-Empfehlung zur VE in der Schule/1994).

Außerhalb der Schule:

Zielgruppen außerhalb der Schule stellen Junge Erwachsene (18 – 24 Jahre), Erwachsene (25 – 65 Jahre), Senioren (über 65 Jahre) sowie Menschen mit Behinderung dar. Der Schwerpunkt, der hauptsächlich von der Polizei durchgeführten Veranstaltungen, liegt hier bei der Verkehrssicherheitsarbeit, um schwere Verkehrsunfälle zu verhindern, Unfallfolgen zu minimieren, Gefahren und Risiken durch Drogen und Alkohol im Straßenverkehr aufzuzeigen und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürger im Straßenverkehr Rechung zu tragen.

Literatur

  • Bundesamt für Straßenwesen (2002), bast info 4/02
  • Dohm, Peter (1999) Verkehrsdelinquenz. Holzkirchen: Felix.
  • Kaiser / Kerner / Sack / Schellhoss (1993), Kleines Kriminologisches Wörterbuch
  • Kriminalistik, Heft, (11/2005), Kriminologie, S. 642 ff
  • Kriminalistik, Heft, (01/2007) Kriminologie, Der Zusammenhang zwischen Verkehrsdelinquenz und Kriminalitätsbereitschaft, S. 41 ff
  • Krüger (1995), Das Unfallrisiko unter Alkohol, Fischer Verlag Stuttgart
  • Kunkel, Eberhard (1975), Kriminalität und Fahreignung
  • Schöch, Heinz (2003), Verkehrsdelinquenz und allgemeine Kriminalität
  • Schöch, Heinz & Mettke-Lenz, Melanie (2008) Rechtliche und kriminologische Aspekte der Verkehrsdelinquenz. In: Hans Peter Krüger, Hg., Verkehrspsychologie. Enzyklopädie der Psychologie. Praxisgebiet 6. Göttingen: Hogrefe.
  • Schwind, Hans-Dieter (2006) Kriminologie, Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen
  • Statistisches Bundesamt, Statistische Jahrbuch 2002