Unschuldsprojekt: Unterschied zwischen den Versionen

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Das 1992 von Barry Scheck und Peter Neufeld ins Leben gerufene Unschuldsprojekt ("The Innocence Project") ist eine us-amerikanische Einrichtung, die unschuldig Verurteilte juristisch unterstützt, aber auch Forschungsprojekte und andere Aktivitäten zu diesem Thema durchführt und seit seiner Gründung durch Barry Scheck und Peter Neufeld im Jahre 1992 schon 208 Verurteilten zur Freilassung (manchmal aus dem Todestrakt) sowie in vielen Fällen zu Entschädigungszahlungen verholfen hat. Dabei spielt die Möglichkeit eines nachträglichen DNA-Abgleichs (DNA-Probe des Verurteilten/DNA-Probe vom Opfer, bzw. vom Tatort = "Kommissar DNA") immer wieder eine wichtige Rolle.[1] Inzwischen gibt es ein ganzes Unschulds-Netzwerks ("Inocence Network") in den USA.[2]
Das 1992 von Barry Scheck und Peter Neufeld an der Cardozo Law School gegründete Unschuldsprojekt ("The Innocence Project") leistet juristische Unterstützung für die unschuldig Verurteilte, fördert Forschungsprojekte und fordert eine umfassende Reform der Strafgerichtsbarkeit. Bei geschätzten 5% aller Verurteilten, die zu unrecht verurteilt wurden, umfasst die Klientel des Projekts allein in den USA rund 100 000 Menschen.  
 
Bei der Wiederaufnahme der Verfahren spielt immer wieder die DNA-Analyse eine wichtige Rolle ("Kommissar DNA").[1] Inzwischen gibt es ein ganzes Unschulds-Netzwerks ("Inocence Network") in den USA.[2] Im Januar 2011 kam nach 30 Jahren der Afroamerikaner [[Cornelius Dupree Jr.]] frei.


Bis zum 1.10.2007 waren durch die Aktivitäten des Unschuldsprojekts 208 Verurteilte aufgrund nachträglicher DNA-Tests entlastet worden - in fast allen Fällen handelte es sich um schwere Sexualdelinquenz und jeder Vierte war wegen Mordes verurteilt worden.[3]
Bis zum 1.10.2007 waren durch die Aktivitäten des Unschuldsprojekts 208 Verurteilte aufgrund nachträglicher DNA-Tests entlastet worden - in fast allen Fällen handelte es sich um schwere Sexualdelinquenz und jeder Vierte war wegen Mordes verurteilt worden.[3]
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Wenn man eine Fehlverurteilungsrate von 5% zugrunde legt - wie es eine vom amerikanischen Senat und Justizministerium gemeinsam mit der Columbia Law School durchgeführte Untersuchung nahelegt [4] - dann könnten sich in den Gefängnissen der USA 100,000 zu unrecht verurteilte Gefangene befinden. Andere Schätzungen sprechen von 10% Fehlverurteilungen.[5] In 75% der Fälle haben die Fehlurteile damit zu tun, dass Augenzeugen falsche Angaben machen.
Wenn man eine Fehlverurteilungsrate von 5% zugrunde legt - wie es eine vom amerikanischen Senat und Justizministerium gemeinsam mit der Columbia Law School durchgeführte Untersuchung nahelegt [4] - dann könnten sich in den Gefängnissen der USA 100,000 zu unrecht verurteilte Gefangene befinden. Andere Schätzungen sprechen von 10% Fehlverurteilungen.[5] In 75% der Fälle haben die Fehlurteile damit zu tun, dass Augenzeugen falsche Angaben machen.


Beispiele:
== Beispiele ==
 
*James Calvin Tillman, verurteilt zu 45 Jahren Haft wegen einer Vergewaltigung (die er nicht begangen hatte), kam nach 18 Jahren Haft im Jahre 2007 aufgrund der Bemühungen des Unschuldsprojekts frei.
*James Calvin Tillman, verurteilt zu 45 Jahren Haft wegen einer Vergewaltigung (die er nicht begangen hatte), kam nach 18 Jahren Haft im Jahre 2007 aufgrund der Bemühungen des Unschuldsprojekts frei.


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*Willie Williams (44) hatte 21 Jahre für eine brutale Vergewaltigung in Haft verbracht, die er nicht begangen hatte (Georgia, USA). Im Januar 2007 kam er frei. Seine ersten Worte in Freiheit: "Ich möchte jetzt erst einmal ein Bad nehmen."
*Willie Williams (44) hatte 21 Jahre für eine brutale Vergewaltigung in Haft verbracht, die er nicht begangen hatte (Georgia, USA). Im Januar 2007 kam er frei. Seine ersten Worte in Freiheit: "Ich möchte jetzt erst einmal ein Bad nehmen."


*Das Todesurteil verhängte im Jahr 1983 ein Gericht in Virginia über den farbigen, geistig zurückgebliebenen Burschen Earl J. Washington. Als damals 23-Jähriger soll er ein 17-jähriges Mädchen missbraucht und ermordet haben. Erst nach 18 Jahren Haft - davon neun Jahre in der Todeszelle - kam im Jahr 2001 auf, dass ein mittlerweile verstorbener Ermittler den heute 46-Jährigen für ein Geständnis manipuliert hatte. Ein DNA-Test wies seine Unschuld nach. 2006 wurden dem schuldlos Verurteilten 2,25 Millionen US-Dollar Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft zugesprochen. Ob Geld die gestohlenen Jahre des Lebens aufwiegt, sei dahin gestellt.
*Der 1983 in Virginia wegen Sexualstraftat und Mord zum Tode verurteilte (farbige, geistig zurückgebliebene) Earl J. Washington verbrachte 18 Jahre in Haft, davon 9 im Todestrakt, bevor im Jahre 2001 bekannt wurde, dass ein Ermittler das Geständnis mit manipulativen Mitteln erzeugt hatte. Nachdem ein DNA-Test Washingtons Unschuld nachwies, wurden ihm 2006 2,25 Millionen US-Dollar Entschädigung zugesprochen.
 
*Über den Fall des 1983 zu lebenslang verurteilten und 2001 mit Hilfe seiner Schwester Betty Anne, die Jura studiert hatte, um seine Unschuld zu beweisen, freigekommenen Kenny Waters wurde ein dokumentarischer Spielfilm gedreht (Conviction, 2010), der allerdings das wahre Ende der Geschichte verschweigt, weil es für das Testpublikum zuviel gewesen war: sechs Monate nach seiner Entlassung starb Kenny, als er auf einer drei Meter hohen Mauer ins Straucheln geriet und kopfüber auf einen Zementboden fiel (Hartwig/Trothier 2011).


Die Benefiziare des Unschuldsprojekts haben im Durchschnitt 12 Jahre Haft hinter sich. Allerdings sitzen Opfer von Fehlurteilen (in den USA und anderswo) gelegentlich auch sehr viel länger. Im US-Bundesstaat Massachusetts sassen der wegen eines Mordes in Boston verurteilte Peter Limone und seine drei Mitverurteilten mehr als zwei Jahrzehnte: zwei starben in der Haft, bevor sie rehabilitiert wurden; einer sass 29 Jahre unschuldig hinter Gittern; Peter Limone 33 Jahre. So kamen die über 100 Mio. US-Dollar Entschädigung zum Teil erst den Nachkommen zugute. Grund für das Fehlurteil: die Falschaussage eines selbst in den Mord verwickelten FBI-Informanten.  
Die Benefiziare des Unschuldsprojekts haben im Durchschnitt 12 Jahre Haft hinter sich. Allerdings sitzen Opfer von Fehlurteilen (in den USA und anderswo) gelegentlich auch sehr viel länger. Im US-Bundesstaat Massachusetts sassen der wegen eines Mordes in Boston verurteilte Peter Limone und seine drei Mitverurteilten mehr als zwei Jahrzehnte: zwei starben in der Haft, bevor sie rehabilitiert wurden; einer sass 29 Jahre unschuldig hinter Gittern; Peter Limone 33 Jahre. So kamen die über 100 Mio. US-Dollar Entschädigung zum Teil erst den Nachkommen zugute. Grund für das Fehlurteil: die Falschaussage eines selbst in den Mord verwickelten FBI-Informanten.  
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Rund 70% von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten - und noch mehr gehören zu den unterprivilegierten sozialen Schichten.  
Rund 70% von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten - und noch mehr gehören zu den unterprivilegierten sozialen Schichten.  


Die Erfolge des Unschuldsprojekt - zu denen auch die Verhinderung der Hinrichtung von unschuldig Verurteilten gehört - haben die Kritik an der Todesstrafe in den USA gestärkt und in manchen Bundesstaaten wohl auch zu einer gewissen Zurückhaltung in dieser Frage beigetragen. Das Unschuldsprojekt wurde von seinen Gründern auch in einem Buch dargestellt. Im BBC-Fernsehen gab es eine Serie gleichen Namens.
== Deutschland ==
Eine Kollegin des Lehrers Horst Arnold warf diesem eine Vergewaltigung vor, die 2001 stattgefunden haben sollte. 2002 wurde Arnold zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er auch verbüßte, bevor er 2011 vom Landgericht Kassel (bestätigt durch den Bundesgerichtshof im Februar 2012) wegen erwiesener Unschuld von dem Vorwurf freigesprochen wurde. Als Arnold am 29.06.2012 mit 53 Jahren an Herzversagen starb, hatte er von Hartz IV gelebt, weil sein Haftentschädigungsantrag noch nicht bearbeitet worden war (FAZ 2.7.2012: 7).
== Anmerkungen ==
1.http://www.innocenceproject.org/about/Abgerufen am 1.12.2007.


Die Erfolge des Unschuldsprojekt - zu denen auch die Verhinderung der Hinrichtung von unschuldig Verurteilten gehört - haben die Kritik an der Todesstrafe in den USA gestärkt und in manchen Bundesstaaten wohl auch zu einer gewissen Zurückhaltung in dieser Frage beigetragen.
2.http://www.innocencenetwork.org/Mission Statement. Innocence Network. Abgerufen: 1.12.2007.


Anmerkungen
3.http://www.innocenceproject.org/know/Case Profiles. Innocence Project. Abgerufen: 1.12.2007.


  1. ^ About Us. Innocence Project. http://www.innocenceproject.org/about/Abgerufen am 1.12.2007.
4.http://www2.law.columbia.edu/instructionalservices/liebman/index.html JS Liebman, J Fagan and V West (2000). A Broken System: Error Rates in Capital Cases, 1973-1995. Columbia Law School. Abgerufen: 1.12.2007.
  2. ^ http://www.innocencenetwork.org/Mission Statement. Innocence Network. Abgerufen am 1.12.2007.
  3. ^ http://www.innocenceproject.org/know/Case Profiles. Innocence Project. Abgerufen am 1.12.2007.
  4. ^ http://www2.law.columbia.edu/instructionalservices/liebman/index.html JS Liebman, J Fagan and V West (2000). A Broken System: Error Rates in Capital Cases, 1973-1995. Columbia Law School. Abgerufen am 1.12.2007.
  5. ^ http://www.exonerate.org/facts/Facts about Wrongful Convictions. Mid-atlantic Innocence Project. Abgerufen am 1.12.2007.


5.http://www.exonerate.org/facts/Facts about Wrongful Convictions. Mid-atlantic Innocence Project. Abgerufen: 1.12.2007.


Literatur
==Literatur==


*Scheck, Barry/Peter Neufeld/Jim Dwyer: "Actual Innocence: When Justice Goes Wrong and How to Make It Right"  ISBN: 0451209826  New American Library 2003, 407 Seiten
*Hartwig, Sonja & Kilian Trotier (2011) Pakt der Hoffnung. FAZ 19.02.2011: Z 3.


Barry Scheck, Peter Neufeld, Jim Dwyer: "Actual Innocence: When Justice Goes Wrong and How to Make It Right" ISBN: 0451209826 New American Library 2003, 407 Seiten
==Links==
*[http://en.wikipedia.org/wiki/Innocence_Project Innocence Project in: en.wikipedia]
*https://innocenceproject.org/
* http://www.justicedenied.org/  -  die einzige Zeitschrift über Fehlurteile
* http://forejustice.org/search_idb.htm - Datenbank über Fehlurteile (weltweit)
* http://www.thejusticeproject.org/about/  - Von US-Veteranen gegründetes Gerechtigkeitsprojekt
*Das Innocence Project auf YouTube [[http://www.youtube.com/watch?v=iDcs7s04jUs]]


*Bieber, K. (2005/2006) Photographs and labels: Against a criminology of innocence, Law Text Culture, 10(1), 2005. Available at: [http://ro.uow.edu.au/ltc/vol10/iss1/4]
== Film ==
*Conviction. Spielfilm USA (2010). Die Geschichte von Betty Anne Waters, die Jura studiert, um ihren unschuldig verurteilten Bruder aus dem Gefängnis zu holen. Trailer: [[http://www.youtube.com/watch?v=NrPtr0aQx3s]]


Links


    * http://www.justicedenied.org/  -  die einzige Zeitschrift über Fehlurteile
    * http://forejustice.org/search_idb.htm  - Datenbank über Fehlurteile (weltweit)
    * http://www.thejusticeproject.org/about/  - Von US-Veteranen gegründetes Gerechtigkeitsprojekt


Erstellt auf der Basis von "http://en.wikipedia.org/wiki/Innocence_Project", dem Artikel "Jahre des Lebens gestohlen" aus den "Salzburger Nachrichten" vom 4.4.2007 sowie weiteren Internet-Recherchen.
*Dieser Beitrag wurde erstellt auf der Basis von "http://en.wikipedia.org/wiki/Innocence_Project", dem Artikel "Jahre des Lebens gestohlen" aus den "Salzburger Nachrichten" vom 4.4.2007 sowie weiteren Internet-Recherchen. Er wartet auf Vertiefung.
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[[Kategorie:DNA]]
[[Kategorie:Justizirrtum]]