Unschuldsprojekt

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Das 1992 von Barry Scheck und Peter Neufeld an der Cardozo Law School gegründete Unschuldsprojekt ("The Innocence Project") leistet juristische Unterstützung für die unschuldig Verurteilte, fördert Forschungsprojekte und fordert eine umfassende Reform der Strafgerichtsbarkeit. Bei geschätzten 5% aller Verurteilten, die zu unrecht verurteilt wurden, umfasst die Klientel des Projekts allein in den USA rund 100 000 Menschen.

Bei der Wiederaufnahme der Verfahren spielt immer wieder die DNA-Analyse eine wichtige Rolle ("Kommissar DNA").[1] Inzwischen gibt es ein ganzes Unschulds-Netzwerks ("Inocence Network") in den USA.[2] Im Januar 2011 kam nach 30 Jahren der Afroamerikaner Cornelius Dupree Jr. frei.

Bis zum 1.10.2007 waren durch die Aktivitäten des Unschuldsprojekts 208 Verurteilte aufgrund nachträglicher DNA-Tests entlastet worden - in fast allen Fällen handelte es sich um schwere Sexualdelinquenz und jeder Vierte war wegen Mordes verurteilt worden.[3]

Wenn man eine Fehlverurteilungsrate von 5% zugrunde legt - wie es eine vom amerikanischen Senat und Justizministerium gemeinsam mit der Columbia Law School durchgeführte Untersuchung nahelegt [4] - dann könnten sich in den Gefängnissen der USA 100,000 zu unrecht verurteilte Gefangene befinden. Andere Schätzungen sprechen von 10% Fehlverurteilungen.[5] In 75% der Fälle haben die Fehlurteile damit zu tun, dass Augenzeugen falsche Angaben machen.

Beispiele

  • James Calvin Tillman, verurteilt zu 45 Jahren Haft wegen einer Vergewaltigung (die er nicht begangen hatte), kam nach 18 Jahren Haft im Jahre 2007 aufgrund der Bemühungen des Unschuldsprojekts frei.
  • Ken Wyniemko sass über neun Jahre in Michigan als (wegen schwerer Sexualdelinquenz unschuldig) Verurteilter in Haft. Eine Entschädigungsklage endete mit einem außergerichtlichen 3,7-Mio.-Dollar-Vergleich. Er ist heute ein begehrter Vortragsredner an amerikanischen Rechtsfakultäten.
  • Douglas Echols wurde 1986 wegen Vergewaltigung verurteilt; nach einem DNA-Test wurde er nach über fünf Jahren Haft rehabilitiert und erhielt 1,6 Mio. US-Dollar Entschädigung zugesprochen. Er wartet allerdings noch auf eine förmliche Entschuldigung der Justiz.
  • Im April 2007 wurde (50jährig) Anthony Capozzi nach 22 Jahren aus der Haft entlassen. 1985 war er wegen Vergewaltigung zu 35 Jahren verurteilt worden. Die DNA-Analyse bewies, dass das Verbrechen von einem anderen begangen worden war.
  • Nach 26 Haftjahren bestätigte eine DNA-Analyse, dass Luis Diaz (Miami, Fla.) mit seiner dauernden Leugnung der Tat recht gehabt hatte. Er war zu unrecht als Serienvergewaltiger verurteilt worden. Er verdankt seine Freiheit nicht zuletzt der Hartnäckigkeit seiner Kinder - sie bestanden auf dem DNA-Abgleich - und dem glücklichen Umstand, dass noch Proben des wahren Täters vorhanden waren.
  • Clarence Elkins, der permanent seine Unschuld beteuert hatte, hatte sieben Jahre in Haft verbracht (und war bis zum Jahr 2054 verurteilt), als er aufgrund einer nachträglichen DNA-Analyse von dem Vorwurf befreit wurde, seine Schwiegermutter ermordet und deren sechsjährige Enkelin vergewaltigt zu haben.
  • Willie Williams (44) hatte 21 Jahre für eine brutale Vergewaltigung in Haft verbracht, die er nicht begangen hatte (Georgia, USA). Im Januar 2007 kam er frei. Seine ersten Worte in Freiheit: "Ich möchte jetzt erst einmal ein Bad nehmen."
  • Der 1983 in Virginia wegen Sexualstraftat und Mord zum Tode verurteilte (farbige, geistig zurückgebliebene) Earl J. Washington verbrachte 18 Jahre in Haft, davon 9 im Todestrakt, bevor im Jahre 2001 bekannt wurde, dass ein Ermittler das Geständnis mit manipulativen Mitteln erzeugt hatte. Nachdem ein DNA-Test Washingtons Unschuld nachwies, wurden ihm 2006 2,25 Millionen US-Dollar Entschädigung zugesprochen.
  • Über den Fall des 1983 zu lebenslang verurteilten und 2001 mit Hilfe seiner Schwester Betty Anne, die Jura studiert hatte, um seine Unschuld zu beweisen, freigekommenen Kenny Waters wurde ein dokumentarischer Spielfilm gedreht (Conviction, 2010), der allerdings das wahre Ende der Geschichte verschweigt, weil es für das Testpublikum zuviel gewesen war: sechs Monate nach seiner Entlassung starb Kenny, als er auf einer drei Meter hohen Mauer ins Straucheln geriet und kopfüber auf einen Zementboden fiel (Hartwig/Trothier 2011).

Die Benefiziare des Unschuldsprojekts haben im Durchschnitt 12 Jahre Haft hinter sich. Allerdings sitzen Opfer von Fehlurteilen (in den USA und anderswo) gelegentlich auch sehr viel länger. Im US-Bundesstaat Massachusetts sassen der wegen eines Mordes in Boston verurteilte Peter Limone und seine drei Mitverurteilten mehr als zwei Jahrzehnte: zwei starben in der Haft, bevor sie rehabilitiert wurden; einer sass 29 Jahre unschuldig hinter Gittern; Peter Limone 33 Jahre. So kamen die über 100 Mio. US-Dollar Entschädigung zum Teil erst den Nachkommen zugute. Grund für das Fehlurteil: die Falschaussage eines selbst in den Mord verwickelten FBI-Informanten.

Rund 70% von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten - und noch mehr gehören zu den unterprivilegierten sozialen Schichten.

Die Erfolge des Unschuldsprojekt - zu denen auch die Verhinderung der Hinrichtung von unschuldig Verurteilten gehört - haben die Kritik an der Todesstrafe in den USA gestärkt und in manchen Bundesstaaten wohl auch zu einer gewissen Zurückhaltung in dieser Frage beigetragen. Das Unschuldsprojekt wurde von seinen Gründern auch in einem Buch dargestellt. Im BBC-Fernsehen gab es eine Serie gleichen Namens.

Deutschland

Eine Kollegin des Lehrers Horst Arnold warf diesem eine Vergewaltigung vor, die 2001 stattgefunden haben sollte. 2002 wurde Arnold zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er auch verbüßte, bevor er 2011 vom Landgericht Kassel (bestätigt durch den Bundesgerichtshof im Februar 2012) wegen erwiesener Unschuld von dem Vorwurf freigesprochen wurde. Als Arnold am 29.06.2012 mit 53 Jahren an Herzversagen starb, hatte er von Hartz IV gelebt, weil sein Haftentschädigungsantrag noch nicht bearbeitet worden war (FAZ 2.7.2012: 7).

Anmerkungen

1.http://www.innocenceproject.org/about/Abgerufen am 1.12.2007.

2.http://www.innocencenetwork.org/Mission Statement. Innocence Network. Abgerufen: 1.12.2007.

3.http://www.innocenceproject.org/know/Case Profiles. Innocence Project. Abgerufen: 1.12.2007.

4.http://www2.law.columbia.edu/instructionalservices/liebman/index.html JS Liebman, J Fagan and V West (2000). A Broken System: Error Rates in Capital Cases, 1973-1995. Columbia Law School. Abgerufen: 1.12.2007.

5.http://www.exonerate.org/facts/Facts about Wrongful Convictions. Mid-atlantic Innocence Project. Abgerufen: 1.12.2007.

Literatur

  • Scheck, Barry/Peter Neufeld/Jim Dwyer: "Actual Innocence: When Justice Goes Wrong and How to Make It Right" ISBN: 0451209826 New American Library 2003, 407 Seiten
  • Hartwig, Sonja & Kilian Trotier (2011) Pakt der Hoffnung. FAZ 19.02.2011: Z 3.

Links

  • Bieber, K. (2005/2006) Photographs and labels: Against a criminology of innocence, Law Text Culture, 10(1), 2005. Available at: [2]

Film

  • Conviction. Spielfilm USA (2010). Die Geschichte von Betty Anne Waters, die Jura studiert, um ihren unschuldig verurteilten Bruder aus dem Gefängnis zu holen. Trailer: [[3]]


  • Dieser Beitrag wurde erstellt auf der Basis von "http://en.wikipedia.org/wiki/Innocence_Project", dem Artikel "Jahre des Lebens gestohlen" aus den "Salzburger Nachrichten" vom 4.4.2007 sowie weiteren Internet-Recherchen. Er wartet auf Vertiefung.