Terrorismus und Widerstand: Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme 23.6.12: Unterschied zwischen den Versionen

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== Die Ausgangslage ==
*1. Tod der Kritischen Kriminologie (Ines de Castro)
Von der Kriminologie wird erwartet, dass sie einen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus leistet. Die Kriminologie versucht das auch, indem sie sich zum Beispiel mit Typologien, Karrieren, Präventions- und Bekämpfungsmöglichkeiten auseinandersetzt. Das erscheint aus drei Gründen selbstverständlich: erstens sind terroristische Akte Straftaten, zweitens gibt es Forschungsgelder und drittens dürfte und sollte auch das Leiden der Opfer ein Grund sein, sich der Terrorismus-Forschung nicht zu verschließen.
*2. Tui-Roman
*3. Scheinerklärungen
*4. Wunschliste
*4.1 Kritische Kriminologie: aktive Fuktion, fragend; definitional stop, John MacArthur 1993, Die Schlacht der Lügen (Brutkastenlüge); Tonking; Perspektivenumkehr: westlicher Terrorismus; Lügen, Böses; Bewertung: System vs. Individuum; praktische Probleme: suicide bombers; Robert Pape, Chicago.


Die  berühmte Frage von Howard S. Becker "Whose Side Are We On?" - auf der Seite der Abweichler oder der staatlichen Institutionen - scheint sich nicht zu stellen. Es gibt doch eigentlich nur die Parteinahme für die konkreten Opfer und für die Angehörigen und für die Opfer im weiteren Sinne: den westlichen Lebensstil, die Meinungsfreiheit, die Menschenwürde, die Gleichstellung der Geschlechter. In gewissem Sinne verhilft uns der Terrorismus sogar dazu, die oftmals als selbstverständlich vorausgesetzten Freiheiten wieder zu empfinden und würdigen zu können.


Der Streit zwischen kritischer und traditioneller Kriminologie scheint durch die Größe der Aufgabe überwunden. Man steht zusammen. Das Parteiengezänk hat ein Ende. Wir sind alle Opfer und wir sind alle auf der Seite der Staatengemeinschaft, die sich dieser Geißel der Menschheit zu erwehren hat.


== Die Herausforderung für die Kriminologie ==
== Vermutung 1: Tod der kritischen Kriminologie ==
An dieser weit verbreiteten Sicht der Dinge ist alles verkehrt: die Einschätzung der Situation, ihre Bewertung und sogar die Begriffe, mit denen wir die Welt wahrnehmen und zu erklären und zu beeinflussen versuchen.
Von der Kriminologie wird erwartet, dass sie einen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus leistet. Die Kriminologie versucht das auch, indem sie sich zum Beispiel mit Typologien, Karrieren, Präventions- und Bekämpfungsmöglichkeiten auseinandersetzt. Das erscheint aus drei Gründen selbstverständlich: erstens sind terroristische Akte Straftaten, zweitens gibt es Forschungsgelder und drittens ist auch das Leid der Opfer ein Grund, sich der Terrorismus-Forschung nicht zu verschließen.


1. Das gilt erstens für die Einschätzung der Lage der kritischen Kriminologie. Sie ist nicht zur Vernunft gekommen, sondern sie ist mausetot. Der Anti-Terrorismus-Konsens war der letzte Nagel zu ihrem Sarg. Die Ruhe zwischen den Lagern ist eine Friedhofsruhe.
Die  berühmte Frage von Howard S. Becker "Whose Side Are We On?" - auf der Seite der Abweichler oder der staatlichen Institutionen - scheint sich nicht zu stellen. Es gibt doch eigentlich nur die Parteinahme für die konkreten Opfer und für die Angehörigen und für die Opfer im weiteren Sinne: den westlichen Lebensstil, die Meinungsfreiheit, die Menschenwürde, die Gleichstellung der Geschlechter. In gewissem Sinne verhilft uns der Terrorismus sogar dazu, die oftmals als selbstverständlich vorausgesetzten Freiheiten wieder zu empfinden und würdigen zu können. Fast nebenbei fällt dabei auf: sogar der alte Streit zwischen kritischer und traditioneller Kriminologie hat heutzutage seine Brisanz verloren.


2. Denn kritische Kriminologie heißt in erster Linie: aktive Kriminologie. Aktiv in dem Sinne einer aktiven Funktion der Wissenschaft. Die traditionelle Kriminologie erfüllt im Wesentlichen passive Funktionen. Sie schafft keine Erkenntnis, sondern sie legitimiert Entscheidungen und verschleiert Machtinteressen, indem sie sie als wissenschaftlich geprüfte Sachzwänge oder objektive Sachverhalte darstellt. Aktive Wissenschaft ist unbequeme Wissenschaft, die zu unbequemen Ergebnissen kommt - unbequem für die Gesellschaft, für die Mächtigen und für die Wissenschaftler selbst - die aber neue Zusammenhänge entdeckt und damit neue Denk-Räume und letztlich Handlungsräume eröffnet. Eine solche aktive Wissenschaft gibt es im Bereich der Kriminologie des Terrorismus nicht.  
Es steht allerdings bei genauerem Hinsehen zu vermuten: Die Friedlichkeit des Verhältnisses zwischen kritischer und traditioneller Kriminologie ist nur der schöne Schein. In Wirklichkeit haben sich die beiden nicht vertragen, sondern die eine ist mausetot. Der Anti-Terrorismus-Konsens war der letzte Nagel zu ihrem Sarg. Die Ruhe zwischen den Lagern ist eine Friedhofsruhe. Ines de Castro (Dom Pedro.)


== Vermutung 2: Dominanz von Scheinerklärungen ==
Der Tod zeigt sich an der Dominanz von Scheinerklärungen.
Erklärungen = Rückbezug von Unbekanntem auf Bekanntes: Verstehen und Soziales.
*Ohne Verstehen entkernt. Karriereansatz: nicht bei der Option für den Terrorismus, sondern in der Kindheit fängt die Karriere an. Im Broken Home. Entpolitisierung = nicht-ernstnehmen. Und wenn nachvollzogen wird, dann bis zu einer Grenze: guckt mal, die Gruppe. Die technologische Borniertheit. Nicht: das ist wie überall. Sondern: sieh mal einer an.
*Ohne Rückbezug auf Soziales Mythos. "Das Böse".
*Teleologische Diagnose: nur dem Schein nach Analyse des Phänomens, gefolgt von Schlussfolgerungen über Handlungsoptionen, während in Wirklichkeit von hinten nach vorne gedacht wird. Die erwünschten Handlungen stehen fest, die Begründung wird in Form einer Deskription des Objekts geliefert. Beispiel: man will bekämpfen, nicht verhandeln. Also konstruiert man sich einen Terroristen, mit dem man nicht verhandeln kann, weil er in Wirklichkeit gar keine politischen Ziele hat, sondern nur zerstören will. Anthropologie des Terror-Kriegers.


== Praktische Probleme: Wiederbelebung der kritischen Kriminologie ==


Gäbe es die kritische Kriminologie noch, dann könnte sich die Erkenntnis Bahn brechen, dass wir die Terroristen sind und dass die Terroristen sich im Widerstand befinden, ohne dass sie deswegen das Terrorist-Sein aufgeben müßten. Denn man kann Terrorist und Widerständler und man kann Führernation der freien Welt und zugleich auch Terrorist sein.
Kritische Kriminologie: kritisch gegenüber den Herrschaftsverhältnissen in Staat und Gesellschaft, kritisch gegenüber der Wissenschaft (Subsumtion unter den Legitimationsdiskurs), kritisch gegenüber sich selbst (Fragen bearbeiten, die für diejenigen unbequem sind, die Kriminologie betreiben).


== Aktive Kriminologie ==
=== Wunschzettel ===  
Wissenschaft macht für die Mächtigen vielleicht auch dann Sinn, wenn sie nur als Deckmantel für den Diskurs und die Dispositive der Macht fungiert. Man hat eine Entscheidung getorffen und will sie durchsetzen. Das geht am besten, wenn man sie mit "wissenschaftlichen Erkenntnissen" begründet und damit unangreifbar macht. Das ist die passive Funktion von Wissenschaft. Die eigentliche und aktive Funktion der Wissenschaft besteht jedoch darin, richtige Erkenntnis zu produzieren, also Phänomene korrekt zu beschreiben und bislang noch nicht bekannte Zusammenhänge aufzudecken - und zwar auch dann, wenn es sich um unbequeme Dinge handelt. Unbequem für die Geldgeber, unbequem für die Gesellschaft, unbequem für die Wissenschaftler selbst. Voraussetzung dafür ist die Freiheit der Wissenschaft: die Freiheit der Sammlung von Informationen, der Verarbeitung und der Veröffentlichung von Informationen. Diese Freiheit gibt es - in reinster Form - nirgendwo auf der Welt. Sie ist durch Verfassungsartikel, durch einfache Gesetze, durch die Verweigerung von Aufmerksamkeit und Forschungsförderung, durch Angst vor informellen Sanktionen, Exklusionen und Stigmatisierungen, durch verinnerlichte Ideologeme und Haltungen eingeschränkt. Manches davon lässt sich umgehen, manches abgewöhnen, aber so wie es in jeder Religion nur wenige Heilige gibt, so gibt es auch in der Wissenschaft nur wenige, deren Haltung sie als Vorbild für alle empfehlen könnte. Der langen Rede kurzer Sinn: um eine aktive Funktion erfüllen zu können, müssten Kriminologinnen zunächst einmal alle möglichen Fragen stellen können, natürlich auch ungewöhnliche, ohne die sich ja nie etwas Neues erkennen ließe. Das erscheint trivial, ist es aber nicht. Denn zum Fragen gehören Begriffe, die Fragen erlauben, und die nicht Fragen verbieten.
#Aktive Kriminologie. Kritische Kriminologie heißt in erster Linie: aktive Kriminologie. Aktiv nicht in dem Sinne einer aktiven Funktion '''in''' der Wissenschaft, sondern '''der''' Wissenschaft. Wissenschaft, die zu unbequemen Ergebnissen kommt - unbequem für die Gesellschaft, für die Mächtigen und für die Wissenschaftler selbst - die aber neue Zusammenhänge entdeckt und damit neue Denk-Räume und letztlich Handlungsräume eröffnet. Eine solche aktive Wissenschaft gibt es im Bereich der Kriminologie des Terrorismus nicht. Die traditionelle Kriminologie erfüllt im Wesentlichen passive Funktionen. Sie schafft keine Erkenntnis, sondern sie legitimiert Entscheidungen und verschleiert Machtinteressen, indem sie sie als wissenschaftlich geprüfte Sachzwänge oder objektive Sachverhalte darstellt. Aktive Wissenschaft ist eine fragende Wissenschaft. Sie stelle alle Arten von Fragen, auch unbequeme Fragen und sie freut sich über unbequeme Ergebnisse, weil sie darin ein Anzeichen sieht, dass sie dem Gedankengefängnis der hegemonialen Ideologie entkommen sein könnte. Voraussetzung dafür ist die Freiheit der Wissenschaft: die Freiheit der Sammlung von Informationen, der Verarbeitung und der Veröffentlichung von Informationen. Diese Freiheit gibt es - in reinster Form - nirgendwo auf der Welt. Sie ist durch Verfassungsartikel, durch einfache Gesetze, durch die Verweigerung von Aufmerksamkeit und Forschungsförderung, durch Angst vor informellen Sanktionen, Exklusionen und Stigmatisierungen, durch verinnerlichte Ideologeme und Haltungen eingeschränkt. Manches davon lässt sich umgehen, manches abgewöhnen, aber so wie es in jeder Religion nur wenige Heilige gibt, so gibt es auch in der Wissenschaft nur wenige, deren Haltung sie als Vorbild für alle empfehlen könnte. Der langen Rede kurzer Sinn: um eine aktive Funktion erfüllen zu können, müssten Kriminologinnen zunächst einmal alle möglichen Fragen stellen können, natürlich auch ungewöhnliche, ohne die sich ja nie etwas Neues erkennen ließe. Das erscheint trivial, ist es aber nicht. Denn zum Fragen gehören Begriffe, die Fragen erlauben, und die nicht Fragen verbieten. Die Kriminologie ist, gemessen an dem Niveau, das sie bräuchte, um eine aktive Rolle zu spielen, schon so tief in den Sumpf des politisch motivierten Legitimationsdiskurses gesunken, dass ihr nicht einmal kluge Fragen mehr möglich sind. Ich möchte das am Beispiel potentieller Fragen und der Schwierigkeiten darstellen, mit denen die Möglichkeit, diese Fragen überhaupt zu stellen, zu kämpfen haben. Eine potentielle Frage betrifft ein Gedankenexperiment. Was wäre eigentlich mit einem Forschungsprojekt, das der Frage nachginge, inwiefern eine Steigerung der Effizienz der Terrorismus-Bekämpfung durch den Einsatz staatlicher Terroristen-Gruppen erzielt werden könnte? Wäre es nützlich, würde es in the long run sogar viele Menschenleben retten können, wenn man dazu überginge, den Gegner sozusagen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen? Dieser Frage weicht die herrschende Meinung aus, und sie kann es auch. Denn für die Staatskriminologie ist die Frage unsinnig und deshalb nicht zulässig. Sie enthält die Voraussetzung, dass auch der Staat Terrorismus begehen kann. Das ist aber definitorisch unmöglich, denn Terrorismus ist nach herrschender Meinung nur das, was nichtstaatliche Gruppen tun. Also kann es schon rein begrifflich keine Situation geben, wie die, nach der gefragt wurde. Die herrschende Meinung geht ja sogar noch weiter: in Gestalt von Walter Laqueur erklärt sie, man habe keine Definition und man brauche auch keine Definition. Offenbar könne man ja Terrorismus auch ohne Definition erforschen und sogar bekämpfen. Das ist nichts anderes als ein Trick, um einem Argument auszuweichen. Herbert L.A. Hart nennt das eine Definitionssperre oder einen ''definitional stop''. - Was hat das mit kritischer Kriminologie zu tun? Eine Menge. Denn was bedeutet überhaupt kritische Kriminologie? Kritische Kriminologie bedeutet: wissenschaftskritisch, gesellschaftskritisch, selbstkritisch. Bedeutet auch: in der Lage sein, unbequeme Wahrheiten auszuhalten und produktiv zu verarbeiten. Bedeutet schließlich: ideologiekritisch gegenüber der hegemonialen Ideologie und der hegemonialen Wissenschaft.  
 
#Kriminologie ohne Definitionssperren, ohne Zufriedenheit mit der Begriffslosigkeit und ohne die Gemütlichkeit präjudizierender Definitionen. Damit zentrale Fragen nicht definitorisch oder subkutan vorentschieden und damit der offenen Diskussion entzogen werden können. Widerstand kann negativ zu beurteilen sein, Terrorismus positiv. Diskussion über Bewertung kann rational sein, sollte offen sein, nicht schon im Begriff selbst vor-entschieden (prä-judiziert). Gäbe es die kritische Kriminologie noch, dann könnte sich die Erkenntnis Bahn brechen, dass wir die Terroristen sind und dass die Terroristen sich im Widerstand befinden, ohne dass sie deswegen das Terrorist-Sein aufgeben müßten. Denn man kann Terrorist und Widerständler und man kann Führernation der freien Welt und zugleich auch Terrorist sein.
 
#Kriminologie ohne Othering. Definition der Situation des Subjekts als Ausgangspunkt, nicht zu Determinanten aufgewertete objektive Umstände. Das hat auch Folgen für Karriereansätze: kritische Kriminologie konstruiert nicht das Negativ-Besondere aus der frühkindlichen Erziehung, sondern die Freiheit des biographisch belasteten und bindungsgelockerten Subjekts zum Ausbruch aus dem Gehäuse der Hörigkeit gegenüber Konventionellem Handeln und Denken. Dadurch würde man auch einen Sinn für Tragik gewinnen. Kontrolltheorien und Bindungstheorien. 
#Die Terroristen sind wir. Der Westen. Die ''Staatengemeinschaft'': Gemeinschaftsideologie vertuscht die hierarchischen Beziehungen: klare Machtverhältnisse mit Führernation und Gefolgschaftsnationen. Die "leader of the free world" sind die Terroristen. Die Terroristen sind die Widerständler. 
#Kriminologie der heuristischen Perspektivenumkehr. Das "wir" von außen denken, vom "Anderen": probeweise mal uns selbst "othern". Was käme dabei heraus? Die Terroristen sind wir. Der Westen. Die ''Staatengemeinschaft'': Gemeinschaftsideologie vertuscht die hierarchischen Beziehungen: klare Machtverhältnisse mit Führernation und Gefolgschaftsnationen. Die "leader of the free world" sind die Terroristen. Die Terroristen sind die Widerständler. Mut zur Subsumtion. "Die revolutionärste Tat ist immer noch zu sagen was ist". Bearbeitung unbequemer Fragen und keine Vermeidung unbequemer Antworten.
#Kritik der Begriffslosigkeit. Die nützt nur der Hegemonie. Klare Begriffe, damit man weiß, wovon man redet.
# Kritik des abstrakten Denkens. Hegel. Hauptmerkmal. Differenzierter Blick auf das, was ist. Kritik der Metaphysik. Soziale Entstehung sozialer Tatsachen (das Böse).  
# Kritik präjudizierender Begrifflichkeiten. Damit zentrale Fragen nicht definitorisch oder subkutan vorentschieden und damit der offenen Diskussion entzogen werden können. Widerstand kann negativ zu beurteilen sein, Terrorismus positiv. Diskussion über Bewertung kann rational sein, sollte offen sein, nicht schon im Begriff selbst vor-entschieden (prä-judiziert).
# Kritik der Bequemlichkeit. Sagen, was ist. Mut zur Subsumtion. Bearbeitung unbequemer Fragen und keine Vermeidung unbequemer Antworten.
# Kritik des abstrakten Denkens. Hegel. Hauptmerkmal. Differenzierter Blick auf das, was ist. Heuristischer Perspektivenwechsel.
# Kritik der Metaphysik. Soziale Entstehung sozialer Tatsachen (das Böse).  
# Kritik der teleologischen Ursachenkonstruktion. Von der erwünschten Folge aus wird die Ursachentheorie konstruiert. Man will nicht verhandeln, also sagt man: die Leute sind rationalen Argumenten nicht zugänglich, sie sind pathologische Gewalttäter, die man nur unschädlich machen kann.  
# Kritik der teleologischen Ursachenkonstruktion. Von der erwünschten Folge aus wird die Ursachentheorie konstruiert. Man will nicht verhandeln, also sagt man: die Leute sind rationalen Argumenten nicht zugänglich, sie sind pathologische Gewalttäter, die man nur unschädlich machen kann.  
# Kritik des Missbrauchs der Theorie als Waffe. Pathologisierung, Besonderung, Respektlosigkeit. Individuum, das Entscheidungen trifft. Und das mehr oder weniger frei ist, sich für die Devianz zu entscheiden. Kontrolltheorien.
# Kritik des Missbrauchs der Theorie als Waffe. Pathologisierung, Besonderung, Respektlosigkeit. Individuum, das Entscheidungen trifft. Und das mehr oder weniger frei ist, sich für die Devianz zu entscheiden. Kontrolltheorien.
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# Kritik der Immanenz. Man ersinnt nur technische Prävention, man könnte aber erstens die kriminogene Wirkung der Politik untersuchen - was Aktion (Angriffskrieg) angeht, was Reaktion (Widerstand der Terroristen) angeht, und zweitens auch auf der Ebene Untersuchungen anstellen über mögliche Präventionsstrategien. Die beste Prävention gegen Terroranschläge in Afghanistan ist vielleicht der Abzug der Truppen und die Einstellung von Drohnenangriffen.  
# Kritik der Immanenz. Man ersinnt nur technische Prävention, man könnte aber erstens die kriminogene Wirkung der Politik untersuchen - was Aktion (Angriffskrieg) angeht, was Reaktion (Widerstand der Terroristen) angeht, und zweitens auch auf der Ebene Untersuchungen anstellen über mögliche Präventionsstrategien. Die beste Prävention gegen Terroranschläge in Afghanistan ist vielleicht der Abzug der Truppen und die Einstellung von Drohnenangriffen.  
#Kritik der Dekontextualisierung. Terrorismus ist Widerstand und ist immer bezogen auf das, wogegen der Widerstand geleistet wird - und reagiert immer auf die Bekämpfung, so wie die Bekämpfung auf den Terrorismus reagiert. Mit anderen Worten: das eine ist das andere: "Context is all" (Margaret Atwood). Doppelinstitution. Wie Zwillingstürme.
#Kritik der Dekontextualisierung. Terrorismus ist Widerstand und ist immer bezogen auf das, wogegen der Widerstand geleistet wird - und reagiert immer auf die Bekämpfung, so wie die Bekämpfung auf den Terrorismus reagiert. Mit anderen Worten: das eine ist das andere: "Context is all" (Margaret Atwood). Doppelinstitution. Wie Zwillingstürme.




== Definitionssperren ==
== Definitionssperren ==


Die Kriminologie ist, gemessen an dem Niveau, das sie bräuchte, um eine aktive Rolle zu spielen, schon so tief in den Sumpf des politisch motivierten Legitimationsdiskurses gesunken, dass ihr nicht einmal kluge Fragen mehr möglich sind. Ich möchte das am Beispiel potentieller Fragen und der Schwierigkeiten darstellen, mit denen die Möglichkeit, diese Fragen überhaupt zu stellen, zu kämpfen haben. Eine potentielle Frage betrifft ein Gedankenexperiment. Was wäre eigentlich mit einem Forschungsprojekt, das der Frage nachginge, inwiefern eine Steigerung der Effizienz der Terrorismus-Bekämpfung durch den Einsatz staatlicher Terroristen-Gruppen erzielt werden könnte? Wäre es nützlich, würde es in the long run sogar viele Menschenleben retten können, wenn man dazu überginge, den Gegner sozusagen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen? Dieser Frage weicht die herrschende Meinung aus, und sie kann es auch. Denn für die Staatskriminologie ist die Frage unsinnig und deshalb nicht zulässig. Sie enthält die Voraussetzung, dass auch der Staat Terrorismus begehen kann. Das ist aber definitorisch unmöglich, denn Terrorismus ist nach herrschender Meinung nur das, was nichtstaatliche Gruppen tun. Also kann es schon rein begrifflich keine Situation geben, wie die, nach der gefragt wurde. Die herrschende Meinung geht ja sogar noch weiter: in Gestalt von Walter Laqueur erklärt sie, man habe keine Definition und man brauche auch keine Definition. Offenbar könne man ja Terrorismus auch ohne Definition erforschen und sogar bekämpfen. Das ist nichts anderes als ein Trick, um einem Argument auszuweichen. Herbert L.A. Hart nennt das eine Definitionssperre oder einen ''definitional stop''. - Was hat das mit kritischer Kriminologie zu tun? Eine Menge. Denn was bedeutet überhaupt kritische Kriminologie? Kritische Kriminologie bedeutet: wissenschaftskritisch, gesellschaftskritisch, selbstkritisch. Bedeutet auch: in der Lage sein, unbequeme Wahrheiten auszuhalten und produktiv zu verarbeiten. Bedeutet schließlich: ideologiekritisch gegenüber der hegemonialen Ideologie und der hegemonialen Wissenschaft.


"Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'" (Rosa Luxemburg). Man kann aber nur sagen was ist, wenn man dafür Begriffe hat. Und für die Wissenschaft, die andere Zwecke verfolgt als die Politik, wäre zu ergänzen: wenn man Begriffe hat, mit denen man richtige Aussagen über bestimmte Phänomene und ihre Zusammenhänge machen kann.   
"Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'" (Rosa Luxemburg). Man kann aber nur sagen was ist, wenn man dafür Begriffe hat. Und für die Wissenschaft, die andere Zwecke verfolgt als die Politik, wäre zu ergänzen: wenn man Begriffe hat, mit denen man richtige Aussagen über bestimmte Phänomene und ihre Zusammenhänge machen kann.   
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(h) Politikberatung. Keine straf- oder völkerrechtlich unerlaubten Handlungen mehr begehen, keine Bedingungen für Reaktanz mehr setzen. Wenn wir wirklich etwas Wirksames gegen Terrorismus unternehmen wollen, dann sollten wir unseren Verbündeten sagen, dass wir nicht mehr mitkommen - jedenfalls nicht mit Soldaten in fremde Länder, und dass wir raten, auch ihre Truppen abzuziehen. Wir sollten keine Kriege ohne Kriegserklärung mehr führen. Wir sollten keine Kriege mehr führen, wenn es sich um Angriffe auf andere Länder handelt. Wir sollten einen ehrlichen Blick auf alle kriegerischen Aktivitäten werfen und sollten überall dort, wo wir zu der Erkenntnis kommen, dass unsere Aktivitäten verzweifelte Leute zu verzweifelten Abwehrreaktionen gegen westliche oder vom Westen geförderte politische Gewalt motivieren, von diesen Aktiviäten die Finger lassen.
(h) Politikberatung. Keine straf- oder völkerrechtlich unerlaubten Handlungen mehr begehen, keine Bedingungen für Reaktanz mehr setzen. Wenn wir wirklich etwas Wirksames gegen Terrorismus unternehmen wollen, dann sollten wir unseren Verbündeten sagen, dass wir nicht mehr mitkommen - jedenfalls nicht mit Soldaten in fremde Länder, und dass wir raten, auch ihre Truppen abzuziehen. Wir sollten keine Kriege ohne Kriegserklärung mehr führen. Wir sollten keine Kriege mehr führen, wenn es sich um Angriffe auf andere Länder handelt. Wir sollten einen ehrlichen Blick auf alle kriegerischen Aktivitäten werfen und sollten überall dort, wo wir zu der Erkenntnis kommen, dass unsere Aktivitäten verzweifelte Leute zu verzweifelten Abwehrreaktionen gegen westliche oder vom Westen geförderte politische Gewalt motivieren, von diesen Aktiviäten die Finger lassen.




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