Terrorismus und Widerstand: Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme 23.6.12: Unterschied zwischen den Versionen

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Über die Frage, ob Staaten in der Vergangenheit jemals terroristische Methoden angewandt haben, ob es nützlich oder erforderlich sein könnte, gegen nichtstaatlichen Terror vom Typus Al Qaida staatlichen Terror zu setzen, über all diese Fragen kann man aber nur sprechen, wenn man Terrorismus als Methode definiert und die Methode über die Handlungssequenzen und nicht vorab über die Eigenschaften von bestimmten Personen. Brian Jenkins. Das Beispiel der Vergewaltigung im brasilianischen Recht.  
Über die Frage, ob Staaten in der Vergangenheit jemals terroristische Methoden angewandt haben, ob es nützlich oder erforderlich sein könnte, gegen nichtstaatlichen Terror vom Typus Al Qaida staatlichen Terror zu setzen, über all diese Fragen kann man aber nur sprechen, wenn man Terrorismus als Methode definiert und die Methode über die Handlungssequenzen und nicht vorab über die Eigenschaften von bestimmten Personen. Brian Jenkins. Das Beispiel der Vergewaltigung im brasilianischen Recht.  


Wissenschaft ist auf klare Begriffe angewiesen, die Beschreibungen ohne Bewertungen ermöglichen. Nicht, weil es unwichtig ist, Bewertungen vorzunehmen, sondern weil Bewertungen angemessener vorgenommen werden können, wenn sie nicht mit Beschreibungen vermengt werden - und weil Beschreibungen besser sind, wenn sie von Bewertungen getrennt sind. Sonst verbaue ich mir mit der Definition eines Begriffs bereits den Weg zur unvoreingenommenen Erforschung. Gibt es edle Terroristen? Die Frage ist schon beantwortet, wenn ich per definition sage, dass Terroristen böse Menschen sind, die verwerfliche Taten begehen. Gibt es Staatsterrorismus? Die Frage ist schon negativ beantwortet, wenn ich Terrorismus als eine Methode von substaatlichen Akteuren gegen den Staat definiere. Ist Widerstand moralisch gerechtfertigt? Natürlich ist er das, wenn ich unter Widerstand eine moralisch gerechtfertigte Abwehr bedrohlicher Unterwerfungsforderungen verstehe. Eine Kriminologie, die sich nicht dem Newspeak und Newthink der Postmoderne unterwerfen will, tut gut daran, sich dem herrschenden Sprachgebrauch zu entziehen. Das kann man entweder tun, indem man die Begriffe des Terrorismus und des Widerstands boykottiert und sie gar nicht mehr benutzt. Oder dadurch, dass man diese Begriffe analytisch reinigt. Man entfernt alle bewertenden Aspekte. Und benutzt sie - ohne Präjudiz moralischer, ethischer oder rechtlicher Art - als Beschreibungen. Dann könnte man feststellen, dass der Staat V oder W terroristische Methoden anwendet, und dass die Gruppen X oder Y Widerstand leisten, und man hätte dann gar nichts darüber ausgesagt, ob V, W, X oder Y zu den Guten oder zu den Bösen zu rechnen wären, ob ihre Taten richtig oder falsch, unterstützenswert oder bekämpfenswert sind. Dann wäre es sagbar, dass Widerstandskämpfer lügen und morden, betrügen und foltern und den Medien Leichenberge zeigen, von Menschen, die sie selbst in eine Kirche gesperrt und verbrannt haben, vondenen sie aber vorgeben, dass es das Regime gewesen sei. Dann wäre Widerstand nicht automatisch gut und Repression durch ein Regime nicht automatisch schlecht. Man würde beschreiben. Ohne Bewertung oder Ableitung von Handlungsempfehlungen. Handlungsempfehlungen wären explizit konditioniert: wenn man A will, dann müßte man B tun. Aber mit den Nebenfolgen C rechnen. Wenn man C nicht will, könnte man D tun - aber mit den Nebenfolgen E rechnen. Das wäre Wissenschaft - und wissenschaftliche Politikberatung. Und Public Criminology. Davon ist aber nichts zu hören und zu sehen. Stattdessen produziert die Wissenschaft: Erklärungen, die sich als Scheinerklärungen erweisen und zur Konstruktion politischer Probleme mehr beitragen als zu deren Lösung.   
Wissenschaft ist auf klare Begriffe angewiesen, die Beschreibungen ohne Bewertungen ermöglichen. Nicht, weil es unwichtig ist, Bewertungen vorzunehmen, sondern weil Bewertungen angemessener vorgenommen werden können, wenn sie nicht mit Beschreibungen vermengt werden - und weil Beschreibungen besser sind, wenn sie von Bewertungen getrennt sind. Sonst verbaue ich mir mit der Definition eines Begriffs bereits den Weg zur unvoreingenommenen Erforschung. Gibt es edle Terroristen? Die Frage ist schon beantwortet, wenn ich per definition sage, dass Terroristen böse Menschen sind. Gibt es Staatsterrorismus? Die Frage ist schon negativ beantwortet, wenn ich Terrorismus als eine Methode von substaatlichen Akteuren gegen den Staat definiere. Ist Widerstand moralisch gerechtfertigt? Natürlich ist er das, wenn ich unter Widerstand eine moralisch gerechtfertigte Abwehr bedrohlicher Unterwerfungsforderungen verstehe. Eine Kriminologie, die sich nicht dem Newspeak und Newthink der Postmoderne unterwerfen will, tut gut daran, sich dem herrschenden Sprachgebrauch zu entziehen. Das kann man entweder tun, indem man die Begriffe des Terrorismus und des Widerstands boykottiert und sie gar nicht mehr benutzt. Oder dadurch, dass man diese Begriffe analytisch reinigt. Man entfernt alle bewertenden Aspekte. Und benutzt sie - ohne Präjudiz moralischer, ethischer oder rechtlicher Art - als Beschreibungen. Dann könnte man feststellen, dass der Staat V oder W terroristische Methoden anwendet, und dass die Gruppen X oder Y Widerstand leisten, und man hätte dann gar nichts darüber ausgesagt, ob V, W, X oder Y zu den Guten oder zu den Bösen zu rechnen wären, ob ihre Taten richtig oder falsch, unterstützenswert oder bekämpfenswert sind. Dann wäre es sagbar, dass Widerstandskämpfer lügen und morden, betrügen und foltern und den Medien Leichenberge zeigen, von Menschen, die sie selbst in eine Kirche gesperrt und verbrannt haben, vondenen sie aber vorgeben, dass es das Regime gewesen sei. Dann wäre Widerstand nicht automatisch gut und Repression durch ein Regime nicht automatisch schlecht. Man würde beschreiben. Ohne Bewertung oder Ableitung von Handlungsempfehlungen. Handlungsempfehlungen wären explizit konditioniert: wenn man A will, dann müßte man B tun. Aber mit den Nebenfolgen C rechnen. Wenn man C nicht will, könnte man D tun - aber mit den Nebenfolgen E rechnen. Das wäre Wissenschaft - und wissenschaftliche Politikberatung. Und Public Criminology. Davon ist aber nichts zu hören und zu sehen. Stattdessen produziert die Wissenschaft: Erklärungen, die sich als Scheinerklärungen erweisen und zur Konstruktion politischer Probleme mehr beitragen als zu deren Lösung.   
    
    
Niemand kann das Terrorismusproblem thematisieren, geschweige denn lösen, ohne darüber zu sprechen. Um darüber sprechen zu können, braucht man einen Begriff, der nicht schon alle Antworten vorweg bestimmt. Wir brauchen also eine nicht-präjudizierende Sprache. Wenn wir den Begriff des Terrorismus überhaupt weiter verwenden sollten, dann sollten wir ihn als Methode definieren und die Frage, wer terroristisch handelt und darum cum grano salis als Terrorist bezeichnet werden könnte, nicht von seiner Stellung in Staat und Gesellschaft, sondern davon abhängig machen, ob seine Handlungsweisen die Definitionskriterien erfüllen. Wie kann so eine Definition aussehen, die nicht alle Antworten vorwegnimmt? Nach der aristotelischen Methode genügen die Bestimmung von genus proximum et differentia specifica. Danach könnte man sagen: Terrorismus ist (1) eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden. (Die Vorteile dieser Definition für die Wissenschaft liegen ebenso auf der Hand wie ihre Nachteile für manipulative Interessen in Politik und Gesellschaft. Diese Definition ist frei von Definitionssperren: sie schließt keine Personengruppe per definitionem aus dem Bereich terroristischen Handelns aus und sie verhindert auch nicht Fragen nach der Existenz von Terrorismus avant la lettre oder nach der Existenz von Terrorismus seitens staatlicher Akteure. Vor allem aber erlaubt sie eine komparative Perspektive in historischer und systematischer Hinsicht und ermöglicht damit das, was Wissenschaft vor allem tun sollte und worin vor allem ihr Wert besteht: zu analysieren, zu vergleichen, verborgene Zusammenhänge aufzuzeigen und begründete Aussagen über hypothetische künftige Ziele und die für die Zielerreichung erforderlichen Mittel und die zu erwartenden Kosten und Nachteile zu erarbeiten).


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== Terrorismus als soziale Erscheinung ==
 
Zu den beliebtesten und reaktionärsten Scheinerklärungen gehört die Lokalisierung der  Ursachen des Terrorismus in "dem Bösen". Damit wird eine soziale Tatsache zum Ausdruck nicht etwas sozialer Verhältnisse, sondern einer metaphysischen Einheit, die zu dem Zweck erfunden wurde, die sozialen Entstehungsbedingungen zu leugnen.
 
Der Bekämpfungsdiskurs liebt die abstrakte Figur des Bösen. Nicht der einzelne Akteur begeht in böser Absicht (ek pronoia) eine lang geplante (bouleusis) schlechte Tat. Sondern im Terrorismus zeigt das Böse sein Gesicht. Es ist das Böse wie in der Achse des Bösen. Mit dem Bösen, das ist die Botschaft, kann man nicht verhandeln, darf man nicht verhandeln. Das Böse muss man bekämpfen, wenn man nicht selber untergehen will. Glucksman.
Vor allem funktioniert sie nicht nach moralischen Gesetzen, sondern teilweise aleatorisch und teilweise auf himmelschreiende Art ungerecht. Daher ja die religiöse Fiktion eines Himmels, in dem alles gerade gerückt wird und in dem Letzten die Ersten sein werden. Wäre schon hienieden alles gerecht, dann spräche nichts gegen eine unveränderte Aufstellung im Himmel wie auf Erden.
Vor allem funktioniert sie nicht nach moralischen Gesetzen, sondern teilweise aleatorisch und teilweise auf himmelschreiende Art ungerecht. Daher ja die religiöse Fiktion eines Himmels, in dem alles gerade gerückt wird und in dem Letzten die Ersten sein werden. Wäre schon hienieden alles gerecht, dann spräche nichts gegen eine unveränderte Aufstellung im Himmel wie auf Erden.


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Zur Bewältigung des Gesellschaftswiderspruchs gehört die Sozialisation. Wo sie Lücken hat und wo es zu erheblichen Abweichungen von den sozialen Normen kommt, gibt es informelle Sanktionen, unter Umständen auch formelle. Zur Bewältigung des Herrschaftswiderspruchs gibt es die politische Sozialisation (Gemeinschaftskundeunterricht usw.) ebenso wie den Legitimationsdiskurs der Eliten und Institutionen. In primitiven Diktaturen ist der Legitimationsdiskurs als solcher leicht zu erkennen und zu verwerfen. Unter den Bedingungen hegemonialer Ideologien und ihrer Akzeptanz in den subalternen Klassen (Gramsci) gehören die Medien und die Sozial- und Geisteswissenschaften zwar eher mehr als weniger zu dem, was man zu Zeiten von Nikos Poulantzas und Louis Althusser umstandslos als die ideologischen Staatsapparate bezeichnete, doch finden sich angesichts des weitgehend perfektionierten Verblendungszusammenhangs kaum noch Dissidenten mit hinreichendem ideologiekritischen Werkzeug. So hat sich also an der Realität der ideologischen Staatsapparate wenig verändert und noch weniger verbessert, doch der Anschein der heilen Welt ist heute ungestörter denn je. Die politische und die gesellschaftliche Welt: ein Familienroman mit Zickenkriegen und Dallas-Intrigen. Wer abweicht - und sei es mit einem ''etiam omnes si, ego non'', der hört aus der Welt der Politik, wie wenig hilfreich das sei - und schon stimmen alle ein in den Chor der Verdammnis. Peter Sloterdijk, dem wir den Hinweis auf die Mutation des Politischen in die Hypno-Politik verdanken, meinte ganz zu Recht - und wie recht er hatte, das wusste er vielleicht damals noch gar nicht - Terrorismus sei "die maximale Explikation des Anderen unter dem Gesichtspunkt seiner Exterminierbarkeit" (2002: 26; 2004: 107). Denn für den Medien-Politik-Verbund gibt es ihn gar nicht, den Fall des Terroristen, der gute Werke tut, der sich ethisch untadelig verhält und der einen Nobelpreis verdient hätte. Für den Medien-Politik-Verbund gilt in der Postdemokratie: das Publikum braucht Helden und Schurken, und die Heldenrolle gehört uns, die der Schurken den Terroristen. Einen Freiheitskämpfer, der bombt und tötet, den nennen wir niemals einen Terroristen - genau so wenig wie wir uns selbst als Terroristen bezeichnen würden, und wenn wir noch so viele Leute aus dem Hinterhalt umbringen. Denn was wir tun, tun wir als Vertreter des prinzipiell Guten. Was die Terroristen tun, tun sie als Händler des Todes.  
Zur Bewältigung des Gesellschaftswiderspruchs gehört die Sozialisation. Wo sie Lücken hat und wo es zu erheblichen Abweichungen von den sozialen Normen kommt, gibt es informelle Sanktionen, unter Umständen auch formelle. Zur Bewältigung des Herrschaftswiderspruchs gibt es die politische Sozialisation (Gemeinschaftskundeunterricht usw.) ebenso wie den Legitimationsdiskurs der Eliten und Institutionen. In primitiven Diktaturen ist der Legitimationsdiskurs als solcher leicht zu erkennen und zu verwerfen. Unter den Bedingungen hegemonialer Ideologien und ihrer Akzeptanz in den subalternen Klassen (Gramsci) gehören die Medien und die Sozial- und Geisteswissenschaften zwar eher mehr als weniger zu dem, was man zu Zeiten von Nikos Poulantzas und Louis Althusser umstandslos als die ideologischen Staatsapparate bezeichnete, doch finden sich angesichts des weitgehend perfektionierten Verblendungszusammenhangs kaum noch Dissidenten mit hinreichendem ideologiekritischen Werkzeug. So hat sich also an der Realität der ideologischen Staatsapparate wenig verändert und noch weniger verbessert, doch der Anschein der heilen Welt ist heute ungestörter denn je. Die politische und die gesellschaftliche Welt: ein Familienroman mit Zickenkriegen und Dallas-Intrigen. Wer abweicht - und sei es mit einem ''etiam omnes si, ego non'', der hört aus der Welt der Politik, wie wenig hilfreich das sei - und schon stimmen alle ein in den Chor der Verdammnis. Peter Sloterdijk, dem wir den Hinweis auf die Mutation des Politischen in die Hypno-Politik verdanken, meinte ganz zu Recht - und wie recht er hatte, das wusste er vielleicht damals noch gar nicht - Terrorismus sei "die maximale Explikation des Anderen unter dem Gesichtspunkt seiner Exterminierbarkeit" (2002: 26; 2004: 107). Denn für den Medien-Politik-Verbund gibt es ihn gar nicht, den Fall des Terroristen, der gute Werke tut, der sich ethisch untadelig verhält und der einen Nobelpreis verdient hätte. Für den Medien-Politik-Verbund gilt in der Postdemokratie: das Publikum braucht Helden und Schurken, und die Heldenrolle gehört uns, die der Schurken den Terroristen. Einen Freiheitskämpfer, der bombt und tötet, den nennen wir niemals einen Terroristen - genau so wenig wie wir uns selbst als Terroristen bezeichnen würden, und wenn wir noch so viele Leute aus dem Hinterhalt umbringen. Denn was wir tun, tun wir als Vertreter des prinzipiell Guten. Was die Terroristen tun, tun sie als Händler des Todes.  


Wie kann die Kriminologie in dieser Situation arbeiten, produzieren, nachdenken, Erkenntnisse gewinnen - und zu einem klaren Bild der Lage, befreit von den Scheuklappen des Legitimationsdiskurses, beitragen?
Wie kann die Kriminologie in dieser Situation arbeiten, produzieren, nachdenken, Erkenntnisse gewinnen - und zu einem klaren Bild der Lage, befreit von den Scheuklappen des Legitimationsdiskurses, beitragen? Durch die Kritik falscher Abstraktionen.


1. Weg mit den falschen Abstraktionen
1.1  Zu den beliebtesten und reaktionärsten Scheinerklärungen gehört die Lokalisierung der  Ursachen des Terrorismus in "dem Bösen". Der Bekämpfungsdiskurs liebt die abstrakte Figur des Bösen. Nicht der einzelne Akteur begeht in böser Absicht (ek pronoia) eine lang geplante (bouleusis) schlechte Tat. Sondern im Terrorismus zeigt das Böse sein Gesicht. Es ist das Böse wie in der Achse des Bösen. Mit dem Bösen, das ist die Botschaft, kann man nicht verhandeln, darf man nicht verhandeln. Das Böse muss man bekämpfen, wenn man nicht selber untergehen will. Glucksman.


1.2  Eine ähnliche Kritik müsste eigentlich auch die Figur des "Terroristen" treffen. Wer einen Menschen einen Terroristen nennt, macht aus der Tatsache, dass dieser Mensch terroristische Handlungen begeht, nicht nur ein Merkmal der Person, sondern gleich ein solches Hauptmerkmal, das alles andere, was diese Person auch noch ausmacht, in den Hintergrund tritt oder gar nicht erst denkbar wird. Ist er vielleicht auch ein guter Sportler, ein geliebter Sohn, ein wißbegieriger Mensch? Wer das Stigma Terrorist trägt, von dem erwartet das Vorurteil bestimmte Nebenmerkmale wie zum Beispiel eine bestimmte Hautfarbe, Herkunft, Haartracht, Verhaltensweise, Einstellungscluster und so weiter. Es ist wie mit dem Hegelschen (1807) Mörder, der zum Richtplatz geführt wird: "Damen machen vielleicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, schöner, interessanter Mann ist. Jenes Volk findet die Bemerkung entsetzlich: was ein Mörder schön? wie kann man so schlecht denkend sein und einen Mörder schön nennen; ihr seid wohl etwas nicht viel Besseres! (...)
1.2  Eine ähnliche Kritik müsste eigentlich auch die Figur des "Terroristen" treffen. Wer einen Menschen einen Terroristen nennt, macht aus der Tatsache, dass dieser Mensch terroristische Handlungen begeht, nicht nur ein Merkmal der Person, sondern gleich ein solches Hauptmerkmal, das alles andere, was diese Person auch noch ausmacht, in den Hintergrund tritt oder gar nicht erst denkbar wird. Ist er vielleicht auch ein guter Sportler, ein geliebter Sohn, ein wißbegieriger Mensch? Wer das Stigma Terrorist trägt, von dem erwartet das Vorurteil bestimmte Nebenmerkmale wie zum Beispiel eine bestimmte Hautfarbe, Herkunft, Haartracht, Verhaltensweise, Einstellungscluster und so weiter. Es ist wie mit dem Hegelschen (1807) Mörder, der zum Richtplatz geführt wird: "Damen machen vielleicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, schöner, interessanter Mann ist. Jenes Volk findet die Bemerkung entsetzlich: was ein Mörder schön? wie kann man so schlecht denkend sein und einen Mörder schön nennen; ihr seid wohl etwas nicht viel Besseres! (...)
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1.3  Besser als von "Terroristen" zu sprechen, wäre es, die Abstraktion des Terroristen zu töten und dadurch die terroristisch handelnde Person wieder lebendig werden zu lassen. Man könnte von Terrorismus oder von terroristischer Methode sprechen. Das würde der Forschung erlauben, bestimmte Fragen zu stellen, die heute durch den ''definitional stop'' (Herbert Hart), der in der definitorischen Beschränkung des Terrorismus auf nicht-staatliche Akteure gar nicht mehr erwünscht und naheliegend erscheinen: inwiefern beruhte das Dritte Reich auf der Anwendung terroristischer Methoden, waren oder sind westliche Staaten selbst Anstifter, mittelbare oder unmittelbare Täter von terroristischen Aktionen, hat sich das Verhältnis von repressivem zu revoltierendem Terrorismus im Laufe der letzten Jahrhunderte/Jahrzehnte/Jahre verschoben - und falls ja: wie und warum und mit welchen Folgen?
1.3  Besser als von "Terroristen" zu sprechen, wäre es, die Abstraktion des Terroristen zu töten und dadurch die terroristisch handelnde Person wieder lebendig werden zu lassen. Man könnte von Terrorismus oder von terroristischer Methode sprechen. Das würde der Forschung erlauben, bestimmte Fragen zu stellen, die heute durch den ''definitional stop'' (Herbert Hart), der in der definitorischen Beschränkung des Terrorismus auf nicht-staatliche Akteure gar nicht mehr erwünscht und naheliegend erscheinen: inwiefern beruhte das Dritte Reich auf der Anwendung terroristischer Methoden, waren oder sind westliche Staaten selbst Anstifter, mittelbare oder unmittelbare Täter von terroristischen Aktionen, hat sich das Verhältnis von repressivem zu revoltierendem Terrorismus im Laufe der letzten Jahrhunderte/Jahrzehnte/Jahre verschoben - und falls ja: wie und warum und mit welchen Folgen?


 
Misstrauen gegenüber Leitmedien, Leitkultur und Leitbildern
2. Klare analytische Kategorien, d.h.: Definitionen
 
Niemand kann das Terrorismusproblem thematisieren, geschweige denn lösen, ohne darüber zu sprechen. Um darüber sprechen zu können, braucht man einen Begriff, der nicht schon alle Antworten vorweg bestimmt. Wir brauchen also eine nicht-präjudizierende Sprache. Wenn wir den Begriff des Terrorismus überhaupt weiter verwenden sollten, dann sollten wir ihn als Methode definieren und die Frage, wer terroristisch handelt und darum cum grano salis als Terrorist bezeichnet werden könnte, nicht von seiner Stellung in Staat und Gesellschaft, sondern davon abhängig machen, ob seine Handlungsweisen die Definitionskriterien erfüllen. Wie kann so eine Definition aussehen, die nicht alle Antworten vorwegnimmt? Nach der aristotelischen Methode genügen die Bestimmung von genus proximum et differentia specifica. Danach könnte man sagen: Terrorismus ist (1) eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden. (Die Vorteile dieser Definition für die Wissenschaft liegen ebenso auf der Hand wie ihre Nachteile für manipulative Interessen in Politik und Gesellschaft. Diese Definition ist frei von Definitionssperren: sie schließt keine Personengruppe per definitionem aus dem Bereich terroristischen Handelns aus und sie verhindert auch nicht Fragen nach der Existenz von Terrorismus avant la lettre oder nach der Existenz von Terrorismus seitens staatlicher Akteure. Vor allem aber erlaubt sie eine komparative Perspektive in historischer und systematischer Hinsicht und ermöglicht damit das, was Wissenschaft vor allem tun sollte und worin vor allem ihr Wert besteht: zu analysieren, zu vergleichen, verborgene Zusammenhänge aufzuzeigen und begründete Aussagen über hypothetische künftige Ziele und die für die Zielerreichung erforderlichen Mittel und die zu erwartenden Kosten und Nachteile zu erarbeiten).
 
 
 
3. Misstrauen gegenüber Leitmedien, Leitkultur und Leitbildern


Die Leitmedien kennen nur Schablonen amalgamierter Beschreibunsbewertungen. Ein Satz wie ''dieser Mann ist ein Terrorist'' ist schon deshalb unwahr, weil er in die Beschreibung schon die Bewertung hineinpackt, Deskription und Askription nicht nur vermischt, sondern unlösbar amalgamiert. Man mache die Probe aufs Exempel: könnte man in der Bildzeitung oder dem Spiegel jemals lesen: "Der terroristische Freiheitskämpfer XY hat dies oder jenes getan"? Oder hat man jemals von terroristischen Widerstandskämpfern gegen ein Regime gehört? Weil es sie nicht gibt, weil Widerstandskämpfer nur ist, wer imemr gut ist?
Die Leitmedien kennen nur Schablonen amalgamierter Beschreibunsbewertungen. Ein Satz wie ''dieser Mann ist ein Terrorist'' ist schon deshalb unwahr, weil er in die Beschreibung schon die Bewertung hineinpackt, Deskription und Askription nicht nur vermischt, sondern unlösbar amalgamiert. Man mache die Probe aufs Exempel: könnte man in der Bildzeitung oder dem Spiegel jemals lesen: "Der terroristische Freiheitskämpfer XY hat dies oder jenes getan"? Oder hat man jemals von terroristischen Widerstandskämpfern gegen ein Regime gehört? Weil es sie nicht gibt, weil Widerstandskämpfer nur ist, wer imemr gut ist?
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