Terrorismus und Widerstand: Erklärungen, Scheinerklärungen und praktische Probleme 23.6.12: Unterschied zwischen den Versionen

keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 7: Zeile 7:
Auffällig ist, dass es gar keinen Streit zwischen traditioneller und kritischer, zwischen ätiologischer und etikettierungstheoretischer und zwischen herrschaftsstabilisierender und herrschaftskritischer Kriminologie mehr zu geben scheint. Man könnte daraus die Hoffnung schöpfen, dass der Streit um des Streitens willen angesichts solcher Grundfragen als unwichtig angesehen wird. Es könnte sich aber auch darum handeln, dass die kritische Kriminologie mausetot ist: ausgerechnet jetzt, in einer Situation, wo man sie besonders braucht. Und das ist meine Befürchtung. Ich meine - und dieser Fährte will ich im Folgenden nachgehen - dass die kritische Kriminologie inzwischen nicht mehr existiert, und dass der Terrorismus ein Nagel zu ihrem Sarg war. Die Ruhe zwischen den Lagern ist eine Friedhofsruhe. Um diese These diskutieren zu können, beginne ich mit folgenden Thesen:  
Auffällig ist, dass es gar keinen Streit zwischen traditioneller und kritischer, zwischen ätiologischer und etikettierungstheoretischer und zwischen herrschaftsstabilisierender und herrschaftskritischer Kriminologie mehr zu geben scheint. Man könnte daraus die Hoffnung schöpfen, dass der Streit um des Streitens willen angesichts solcher Grundfragen als unwichtig angesehen wird. Es könnte sich aber auch darum handeln, dass die kritische Kriminologie mausetot ist: ausgerechnet jetzt, in einer Situation, wo man sie besonders braucht. Und das ist meine Befürchtung. Ich meine - und dieser Fährte will ich im Folgenden nachgehen - dass die kritische Kriminologie inzwischen nicht mehr existiert, und dass der Terrorismus ein Nagel zu ihrem Sarg war. Die Ruhe zwischen den Lagern ist eine Friedhofsruhe. Um diese These diskutieren zu können, beginne ich mit folgenden Thesen:  


*''Aktive Kriminologie.'' Wissenschaft macht für die Mächtigen vielleicht auch dann Sinn, wenn sie nur als Deckmantel für den Diskurs und die Dispositive der Macht fungiert. Man hat eine Entscheidung getorffen und will sie durchsetzen. Das geht am besten, wenn man sie mit "wissenschaftlichen Erkenntnissen" begründet und damit unangreifbar macht. Das ist die passive Funktion von Wissenschaft. Die eigentliche und aktive Funktion der Wissenschaft besteht jedoch darin, richtige Erkenntnis zu produzieren, also Phänomene korrekt zu beschreiben und bislang noch nicht bekannte Zusammenhänge aufzudecken - und zwar auch dann, wenn es sich um unbequeme Dinge handelt. Unbequem für die Geldgeber, unbequem für die Gesellschaft, unbequem für die Wissenschaftler selbst. Voraussetzung dafür ist die Freiheit der Wissenschaft: die Freiheit der Sammlung von Informationen, der Verarbeitung und der Veröffentlichung von Informationen. Diese Freiheit gibt es - in reinster Form - nirgendwo auf der Welt. Sie ist durch Verfassungsartikel, durch einfache Gesetze, durch die Verweigerung von Aufmerksamkeit und Forschungsförderung, durch Angst vor informellen Sanktionen, Exklusionen und Stigmatisierungen, durch verinnerlichte Ideologeme und Haltungen eingeschränkt. Manches davon lässt sich umgehen, manches abgewöhnen, aber so wie es in jeder Religion nur wenige Heilige gibt, so gibt es auch in der Wissenschaft nur wenige, deren Haltung sie als Vorbild für alle empfehlen könnte. Der langen Rede kurzer Sinn: um eine aktive Funktion erfüllen zu können, müssten Kriminologinnen zunächst einmal alle möglichen Fragen stellen können, natürlich auch ungewöhnliche, ohne die sich ja nie etwas Neues erkennen ließe. Das erscheint trivial, ist es aber nicht. Denn zum Fragen gehören Begriffe, die Fragen erlauben, und die nicht Fragen verbieten.
== Aktive Kriminologie ==
 
Wissenschaft macht für die Mächtigen vielleicht auch dann Sinn, wenn sie nur als Deckmantel für den Diskurs und die Dispositive der Macht fungiert. Man hat eine Entscheidung getorffen und will sie durchsetzen. Das geht am besten, wenn man sie mit "wissenschaftlichen Erkenntnissen" begründet und damit unangreifbar macht. Das ist die passive Funktion von Wissenschaft. Die eigentliche und aktive Funktion der Wissenschaft besteht jedoch darin, richtige Erkenntnis zu produzieren, also Phänomene korrekt zu beschreiben und bislang noch nicht bekannte Zusammenhänge aufzudecken - und zwar auch dann, wenn es sich um unbequeme Dinge handelt. Unbequem für die Geldgeber, unbequem für die Gesellschaft, unbequem für die Wissenschaftler selbst. Voraussetzung dafür ist die Freiheit der Wissenschaft: die Freiheit der Sammlung von Informationen, der Verarbeitung und der Veröffentlichung von Informationen. Diese Freiheit gibt es - in reinster Form - nirgendwo auf der Welt. Sie ist durch Verfassungsartikel, durch einfache Gesetze, durch die Verweigerung von Aufmerksamkeit und Forschungsförderung, durch Angst vor informellen Sanktionen, Exklusionen und Stigmatisierungen, durch verinnerlichte Ideologeme und Haltungen eingeschränkt. Manches davon lässt sich umgehen, manches abgewöhnen, aber so wie es in jeder Religion nur wenige Heilige gibt, so gibt es auch in der Wissenschaft nur wenige, deren Haltung sie als Vorbild für alle empfehlen könnte. Der langen Rede kurzer Sinn: um eine aktive Funktion erfüllen zu können, müssten Kriminologinnen zunächst einmal alle möglichen Fragen stellen können, natürlich auch ungewöhnliche, ohne die sich ja nie etwas Neues erkennen ließe. Das erscheint trivial, ist es aber nicht. Denn zum Fragen gehören Begriffe, die Fragen erlauben, und die nicht Fragen verbieten.
* ''Definitional stop.'' Die Kriminologie ist, gemessen an dem Niveau, das sie bräuchte, um eine aktive Rolle zu spielen, schon so tief in den Sumpf des politisch motivierten Legitimationsdiskurses gesunken, dass ihr nicht einmal kluge Fragen mehr möglich sind. Ich möchte das am Beispiel potentieller Fragen und der Schwierigkeiten darstellen, mit denen die Möglichkeit, diese Fragen überhaupt zu stellen, zu kämpfen haben. Eine potentielle Frage betrifft ein Gedankenexperiment. Was wäre eigentlich mit einem Forschungsprojekt, das der Frage nachginge, inwiefern eine Steigerung der Effizienz der Terrorismus-Bekämpfung durch den Einsatz staatlicher Terroristen-Gruppen erzielt werden könnte? Wäre es nützlich, würde es in the long run sogar viele Menschenleben retten können, wenn man dazu überginge, den Gegner sozusagen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen? Dieser Frage weicht die herrschende Meinung aus, und sie kann es auch. Denn für die Staatskriminologie ist die Frage unsinnig und deshalb nicht zulässig. Sie enthält die Voraussetzung, dass auch der Staat Terrorismus begehen kann. Das ist aber definitorisch unmöglich, denn Terrorismus ist nach herrschender Meinung nur das, was nichtstaatliche Gruppen tun. Also kann es schon rein begrifflich keine Situation geben, wie die, nach der gefragt wurde. Die herrschende Meinung geht ja sogar noch weiter: in Gestalt von Walter Laqueur erklärt sie, man habe keine Definition und man brauche auch keine Definition. Offenbar könne man ja Terrorismus auch ohne Definition erforschen und sogar bekämpfen. Das ist nichts anderes als ein Trick, um einem Argument auszuweichen. Herbert L.A. Hart nennt das eine Definitionssperre oder einen ''definitional stop''.
 
Kritische Kriminologie verdient aber dieses Beiwort nicht, wenn sie nicht in der Lage ist, klare Definitionen zu konstruieren: "Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'" (Rosa Luxemburg). Man kann aber nur sagen was ist, wenn man dafür Begriffe hat. Und für die Wissenschaft, die andere Zwecke verfolgt als die Politik, wäre zu ergänzen: wenn man Begriffe hat, mit denen man richtige Aussagen über bestimmte Phänomene und ihre Zusammenhänge machen kann. 
 
 


== Definitionssperren ==


Die Kriminologie ist, gemessen an dem Niveau, das sie bräuchte, um eine aktive Rolle zu spielen, schon so tief in den Sumpf des politisch motivierten Legitimationsdiskurses gesunken, dass ihr nicht einmal kluge Fragen mehr möglich sind. Ich möchte das am Beispiel potentieller Fragen und der Schwierigkeiten darstellen, mit denen die Möglichkeit, diese Fragen überhaupt zu stellen, zu kämpfen haben. Eine potentielle Frage betrifft ein Gedankenexperiment. Was wäre eigentlich mit einem Forschungsprojekt, das der Frage nachginge, inwiefern eine Steigerung der Effizienz der Terrorismus-Bekämpfung durch den Einsatz staatlicher Terroristen-Gruppen erzielt werden könnte? Wäre es nützlich, würde es in the long run sogar viele Menschenleben retten können, wenn man dazu überginge, den Gegner sozusagen mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen? Dieser Frage weicht die herrschende Meinung aus, und sie kann es auch. Denn für die Staatskriminologie ist die Frage unsinnig und deshalb nicht zulässig. Sie enthält die Voraussetzung, dass auch der Staat Terrorismus begehen kann. Das ist aber definitorisch unmöglich, denn Terrorismus ist nach herrschender Meinung nur das, was nichtstaatliche Gruppen tun. Also kann es schon rein begrifflich keine Situation geben, wie die, nach der gefragt wurde. Die herrschende Meinung geht ja sogar noch weiter: in Gestalt von Walter Laqueur erklärt sie, man habe keine Definition und man brauche auch keine Definition. Offenbar könne man ja Terrorismus auch ohne Definition erforschen und sogar bekämpfen. Das ist nichts anderes als ein Trick, um einem Argument auszuweichen. Herbert L.A. Hart nennt das eine Definitionssperre oder einen ''definitional stop''. - Was hat das mit kritischer Kriminologie zu tun? Eine Menge. Denn was bedeutet überhaupt kritische Kriminologie? Kritische Kriminologie bedeutet: wissenschaftskritisch, gesellschaftskritisch, selbstkritisch. Bedeutet auch: in der Lage sein, unbequeme Wahrheiten auszuhalten und produktiv zu verarbeiten. Bedeutet schließlich: ideologiekritisch gegenüber der hegemonialen Ideologie und der hegemonialen Wissenschaft.


"Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'" (Rosa Luxemburg). Man kann aber nur sagen was ist, wenn man dafür Begriffe hat. Und für die Wissenschaft, die andere Zwecke verfolgt als die Politik, wäre zu ergänzen: wenn man Begriffe hat, mit denen man richtige Aussagen über bestimmte Phänomene und ihre Zusammenhänge machen kann. 


Über die Frage, ob Staaten in der Vergangenheit jemals terroristische Methoden angewandt haben, ob es nützlich oder erforderlich sein könnte, gegen nichtstaatlichen Terror vom Typus Al Qaida staatlichen Terror zu setzen, über all diese Fragen kann man aber nur sprechen, wenn man Terrorismus als Methode definiert und die Methode über die Handlungssequenzen und nicht vorab über die Eigenschaften von bestimmten Personen. Brian Jenkins. Das Beispiel der Vergewaltigung im brasilianischen Recht.


Wissenschaft ist auf klare Begriffe angewiesen, die Beschreibungen ohne Bewertungen ermöglichen. Nicht, weil es unwichtig ist, Bewertungen vorzunehmen, sondern weil Bewertungen angemessener vorgenommen werden können, wenn sie nicht mit Beschreibungen vermengt werden - und weil Beschreibungen besser sind, wenn sie von Bewertungen getrennt sind. Sonst verbaue ich mir mit der Definition eines Begriffs bereits den Weg zur unvoreingenommenen Erforschung. Gibt es edle Terroristen? Die Frage ist schon beantwortet, wenn ich per definition sage, dass Terroristen böse Menschen sind, die verwerfliche Taten begehen. Gibt es Staatsterrorismus? Die Frage ist schon negativ beantwortet, wenn ich Terrorismus als eine Methode von substaatlichen Akteuren gegen den Staat definiere. Ist Widerstand moralisch gerechtfertigt? Natürlich ist er das, wenn ich unter Widerstand eine moralisch gerechtfertigte Abwehr bedrohlicher Unterwerfungsforderungen verstehe. Eine Kriminologie, die sich nicht dem Newspeak und Newthink der Postmoderne unterwerfen will, tut gut daran, sich dem herrschenden Sprachgebrauch zu entziehen. Das kann man entweder tun, indem man die Begriffe des Terrorismus und des Widerstands boykottiert und sie gar nicht mehr benutzt. Oder dadurch, dass man diese Begriffe analytisch reinigt. Man entfernt alle bewertenden Aspekte. Und benutzt sie - ohne Präjudiz moralischer, ethischer oder rechtlicher Art - als Beschreibungen. Dann könnte man feststellen, dass der Staat V oder W terroristische Methoden anwendet, und dass die Gruppen X oder Y Widerstand leisten, und man hätte dann gar nichts darüber ausgesagt, ob V, W, X oder Y zu den Guten oder zu den Bösen zu rechnen wären, ob ihre Taten richtig oder falsch, unterstützenswert oder bekämpfenswert sind. Dann wäre es sagbar, dass Widerstandskämpfer lügen und morden, betrügen und foltern und den Medien Leichenberge zeigen, von Menschen, die sie selbst in eine Kirche gesperrt und verbrannt haben, vondenen sie aber vorgeben, dass es das Regime gewesen sei. Dann wäre Widerstand nicht automatisch gut und Repression durch ein Regime nicht automatisch schlecht. Man würde beschreiben. Ohne Bewertung oder Ableitung von Handlungsempfehlungen. Handlungsempfehlungen wären explizit konditioniert: wenn man A will, dann müßte man B tun. Aber mit den Nebenfolgen C rechnen. Wenn man C nicht will, könnte man D tun - aber mit den Nebenfolgen E rechnen. Das wäre Wissenschaft - und wissenschaftliche Politikberatung. Und Public Criminology. Davon ist aber nichts zu hören und zu sehen. Stattdessen produziert die Wissenschaft: Erklärungen, die sich als Scheinerklärungen erweisen und zur Konstruktion politischer Probleme mehr beitragen als zu deren Lösung. 
    
    


Diese Vorzüge des Pluralismus, der Gleichberechtigung, der persönlichen Entfaltungs- und Meinungsfreiheit, des säkularen Staates und , die gerade wegen des Terrorismus Vor allem funktioniert sie nicht nach moralischen Gesetzen, sondern teilweise aleatorisch und teilweise auf himmelschreiende Art ungerecht. Daher ja die religiöse Fiktion eines Himmels, in dem alles gerade gerückt wird und in dem Letzten die Ersten sein werden. Wäre schon hienieden alles gerecht, dann spräche nichts gegen eine unveränderte Aufstellung im Himmel wie auf Erden.
==
Vor allem funktioniert sie nicht nach moralischen Gesetzen, sondern teilweise aleatorisch und teilweise auf himmelschreiende Art ungerecht. Daher ja die religiöse Fiktion eines Himmels, in dem alles gerade gerückt wird und in dem Letzten die Ersten sein werden. Wäre schon hienieden alles gerecht, dann spräche nichts gegen eine unveränderte Aufstellung im Himmel wie auf Erden.


Neben der Religion gibt es die schönen Künste. Auch dort dominiert das Verlangen nach erfolgreicher Flucht aus dem Jammertal der realen Verhältnisse. Je größer das Elend, je größer die Ungerechtigkeit, desto bedingungsloser die Sehnsucht nach und der Glaube an das Happy End. Auf dieses Bedürfnis antwortet die Kulturindustrie von Holly- bis Bollywood, nicht ausgenommen die Fernsehkrimis mit ihren sympathischen Kommissarinnen und Kommissaren und der Auflösung auch noch der dunkelsten Fälle. Immerhin: das Böse ist erkannt und verhaftet. (Die Problemfilme und Tragödien haben eine andere Funktion. Sie sind gerade wegen ihrer Nichterfüllung elementarer Errettungsbedürfnisse vor allem als Status-Konsumgüter zwecks Distinktionsgewinn gegenüber konkurrierenden Elitenanwärtern zu nutzen.)
Neben der Religion gibt es die schönen Künste. Auch dort dominiert das Verlangen nach erfolgreicher Flucht aus dem Jammertal der realen Verhältnisse. Je größer das Elend, je größer die Ungerechtigkeit, desto bedingungsloser die Sehnsucht nach und der Glaube an das Happy End. Auf dieses Bedürfnis antwortet die Kulturindustrie von Holly- bis Bollywood, nicht ausgenommen die Fernsehkrimis mit ihren sympathischen Kommissarinnen und Kommissaren und der Auflösung auch noch der dunkelsten Fälle. Immerhin: das Böse ist erkannt und verhaftet. (Die Problemfilme und Tragödien haben eine andere Funktion. Sie sind gerade wegen ihrer Nichterfüllung elementarer Errettungsbedürfnisse vor allem als Status-Konsumgüter zwecks Distinktionsgewinn gegenüber konkurrierenden Elitenanwärtern zu nutzen.)
Zeile 45: Zeile 46:
Niemand kann das Terrorismusproblem thematisieren, geschweige denn lösen, ohne darüber zu sprechen. Um darüber sprechen zu können, braucht man einen Begriff, der nicht schon alle Antworten vorweg bestimmt. Wir brauchen also eine nicht-präjudizierende Sprache. Wenn wir den Begriff des Terrorismus überhaupt weiter verwenden sollten, dann sollten wir ihn als Methode definieren und die Frage, wer terroristisch handelt und darum cum grano salis als Terrorist bezeichnet werden könnte, nicht von seiner Stellung in Staat und Gesellschaft, sondern davon abhängig machen, ob seine Handlungsweisen die Definitionskriterien erfüllen. Wie kann so eine Definition aussehen, die nicht alle Antworten vorwegnimmt? Nach der aristotelischen Methode genügen die Bestimmung von genus proximum et differentia specifica. Danach könnte man sagen: Terrorismus ist (1) eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden. (Die Vorteile dieser Definition für die Wissenschaft liegen ebenso auf der Hand wie ihre Nachteile für manipulative Interessen in Politik und Gesellschaft. Diese Definition ist frei von Definitionssperren: sie schließt keine Personengruppe per definitionem aus dem Bereich terroristischen Handelns aus und sie verhindert auch nicht Fragen nach der Existenz von Terrorismus avant la lettre oder nach der Existenz von Terrorismus seitens staatlicher Akteure. Vor allem aber erlaubt sie eine komparative Perspektive in historischer und systematischer Hinsicht und ermöglicht damit das, was Wissenschaft vor allem tun sollte und worin vor allem ihr Wert besteht: zu analysieren, zu vergleichen, verborgene Zusammenhänge aufzuzeigen und begründete Aussagen über hypothetische künftige Ziele und die für die Zielerreichung erforderlichen Mittel und die zu erwartenden Kosten und Nachteile zu erarbeiten).
Niemand kann das Terrorismusproblem thematisieren, geschweige denn lösen, ohne darüber zu sprechen. Um darüber sprechen zu können, braucht man einen Begriff, der nicht schon alle Antworten vorweg bestimmt. Wir brauchen also eine nicht-präjudizierende Sprache. Wenn wir den Begriff des Terrorismus überhaupt weiter verwenden sollten, dann sollten wir ihn als Methode definieren und die Frage, wer terroristisch handelt und darum cum grano salis als Terrorist bezeichnet werden könnte, nicht von seiner Stellung in Staat und Gesellschaft, sondern davon abhängig machen, ob seine Handlungsweisen die Definitionskriterien erfüllen. Wie kann so eine Definition aussehen, die nicht alle Antworten vorwegnimmt? Nach der aristotelischen Methode genügen die Bestimmung von genus proximum et differentia specifica. Danach könnte man sagen: Terrorismus ist (1) eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden. (Die Vorteile dieser Definition für die Wissenschaft liegen ebenso auf der Hand wie ihre Nachteile für manipulative Interessen in Politik und Gesellschaft. Diese Definition ist frei von Definitionssperren: sie schließt keine Personengruppe per definitionem aus dem Bereich terroristischen Handelns aus und sie verhindert auch nicht Fragen nach der Existenz von Terrorismus avant la lettre oder nach der Existenz von Terrorismus seitens staatlicher Akteure. Vor allem aber erlaubt sie eine komparative Perspektive in historischer und systematischer Hinsicht und ermöglicht damit das, was Wissenschaft vor allem tun sollte und worin vor allem ihr Wert besteht: zu analysieren, zu vergleichen, verborgene Zusammenhänge aufzuzeigen und begründete Aussagen über hypothetische künftige Ziele und die für die Zielerreichung erforderlichen Mittel und die zu erwartenden Kosten und Nachteile zu erarbeiten).


Wissenschaft ist auf klare Begriffe angewiesen, die Beschreibungen ohne Bewertungen ermöglichen. Nicht, weil es unwichtig ist, Bewertungen vorzunehmen, sondern weil Bewertungen angemessener vorgenommen werden können, wenn sie nicht mit Beschreibungen vermengt werden - und weil Beschreibungen besser sind, wenn sie von Bewertungen getrennt sind. Sonst verbaue ich mir mit der Definition eines Begriffs bereits den Weg zur unvoreingenommenen Erforschung. Gibt es edle Terroristen? Die Frage ist schon beantwortet, wenn ich per definition sage, dass Terroristen böse Menschen sind, die verwerfliche Taten begehen. Gibt es Staatsterrorismus? Die Frage ist schon negativ beantwortet, wenn ich Terrorismus als eine Methode von substaatlichen Akteuren gegen den Staat definiere. Ist Widerstand moralisch gerechtfertigt? Natürlich ist er das, wenn ich unter Widerstand eine moralisch gerechtfertigte Abwehr bedrohlicher Unterwerfungsforderungen verstehe. Eine Kriminologie, die sich nicht dem Newspeak und Newthink der Postmoderne unterwerfen will, tut gut daran, sich dem herrschenden Sprachgebrauch zu entziehen. Das kann man entweder tun, indem man die Begriffe des Terrorismus und des Widerstands boykottiert und sie gar nicht mehr benutzt. Oder dadurch, dass man diese Begriffe analytisch reinigt. Man entfernt alle bewertenden Aspekte. Und benutzt sie - ohne Präjudiz moralischer, ethischer oder rechtlicher Art - als Beschreibungen. Dann könnte man feststellen, dass der Staat V oder W terroristische Methoden anwendet, und dass die Gruppen X oder Y Widerstand leisten, und man hätte dann gar nichts darüber ausgesagt, ob V, W, X oder Y zu den Guten oder zu den Bösen zu rechnen wären, ob ihre Taten richtig oder falsch, unterstützenswert oder bekämpfenswert sind. Dann wäre es sagbar, dass Widerstandskämpfer lügen und morden, betrügen und foltern und den Medien Leichenberge zeigen, von Menschen, die sie selbst in eine Kirche gesperrt und verbrannt haben, vondenen sie aber vorgeben, dass es das Regime gewesen sei. Dann wäre Widerstand nicht automatisch gut und Repression durch ein Regime nicht automatisch schlecht. Man würde beschreiben. Ohne Bewertung oder Ableitung von Handlungsempfehlungen. Handlungsempfehlungen wären explizit konditioniert: wenn man A will, dann müßte man B tun. Aber mit den Nebenfolgen C rechnen. Wenn man C nicht will, könnte man D tun - aber mit den Nebenfolgen E rechnen. Das wäre Wissenschaft - und wissenschaftliche Politikberatung. Und Public Criminology. Davon ist aber nichts zu hören und zu sehen. Stattdessen produziert die Wissenschaft: Erklärungen, die sich als Scheinerklärungen erweisen und zur Konstruktion politischer Probleme mehr beitragen als zu deren Lösung. 




31.738

Bearbeitungen