Suchtkranke im Maßregelvollzug: Unterschied zwischen den Versionen

 
(6 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Neben psychisch kranken Straftätern (§ 63 StGB) befinden sich in den Kliniken, die der Durchführung des [[http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug Maßregelvollzugs]] dienen, auch suchtkranke Straftäter (§ 64 StGB). Die Maßregelvollzugsklinik dient dann als Entziehungsanstalt. Der Aufenthalt ist grundsätzlich auf zwei Jahre befristet, doch kann er sich durch entsprechende Höchstfristberechnungen auch verlängern.
Neben psychisch kranken Straftätern (§ 63 StGB) befinden sich auch '''Suchtkranke im Maßregelvollzug''' (§ 64 StGB). Für beide Gruppen erfolgt die Unterbringung nicht - wie bei den Sicherungsverwahrten - innerhalb der Gefängnisse, sondern in speziellen Kliniken des [http://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug Maßregelvollzugs]. Während die "Dreiundsechziger" grundsätzlich ohne zeitliche Befristung in Psychiatrischen Kliniken untergebracht werden, ist die Aufenthaltsdauer der "Vierundsechziger" in den Entziehungsanstalten grundsätzlich auf zwei Jahre befristet, obwohl dieser Zeitraum sich durch entsprechende Höchstfristberechnungen auch verlängern kann (§ 67d Abs. 1 StGB).


Voraussetzung ist eine richterliche Anordnung aufgrund eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang, Rauschmittel (Alkohol und Drogen) im Übermaß zu konsumieren und der abgeurteilten Straftat. Bevor eine Unterbringung in den Maßregelvollzug richterlich angeordnet wird, holt das Gericht nach § 246a StPO zur Frage der Wiederholungsgefahr und zur Frage der Therapieaussichten eine Stellungnahme, namentlich ein [[forensisch-psychiatrisches Gutachten]] von einem Sachverständigen ein. Besteht neben einer Suchterkrankung primär eine psychische Erkrankung, so sind die Voraussetzungen für § 63 StGB zu prüfen. Die Voraussetzungen für § 63 StGB sind: 1. rechtswidrige Tat, 2. Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit und 3. Anlasstat symptomatisch für die vom Täter infolge seines krankheitsbedingten Zustands ausgehende Gefährlichkeit.  
Voraussetzung ist eine richterliche Anordnung aufgrund eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang, Rauschmittel (Alkohol und Drogen) im Übermaß zu konsumieren und der abgeurteilten Straftat. Bevor eine Unterbringung in den Maßregelvollzug richterlich angeordnet wird, holt das Gericht nach § 246a StPO zur Frage der Wiederholungsgefahr und zur Frage der Therapieaussichten eine Stellungnahme, namentlich ein [[forensisch-psychiatrisches Gutachten]] von einem Sachverständigen ein. Besteht neben einer Suchterkrankung primär eine psychische Erkrankung, so sind die Voraussetzungen für § 63 StGB zu prüfen. Die Voraussetzungen für § 63 StGB sind: 1. rechtswidrige Tat, 2. Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit und 3. Anlasstat symptomatisch für die vom Täter infolge seines krankheitsbedingten Zustands ausgehende Gefährlichkeit.  
Zeile 5: Zeile 5:


== Maßregelvollzug ==
== Maßregelvollzug ==
Die Unterbringung in einer Maßregelvollzugseinrichtung dient zur Besserung und Sicherung von Menschen, die im Rahmen einer psychischen Erkrankung oder Suchtmittelabhängigkeit eine rechtswidrige Tat begangen haben. Der Maßregelvollzug wird in spezialisierten Kliniken durchgeführt und wird in den Ländergesetzen geregelt. Wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat, erfolgt eine einstweilige Unterbringung in einer Maßregelvollzugseinrichtung gemäß § 126a StPO - analog einer Untersuchungshaft im [[Strafvollzug]]. Aufgrund des Behandlungsauftrages des Maßregelvollzugs werden Menschen in Maßregelvollzugseinrichtungen nicht als Gefangene, sondern als Patienten mit entsprechenden Rechten eingestuft. Die Eingangsmerkmale für § 20 StGB sind: ''Krankhafte seelische Störung'' (Schizophrenie, Psychosen), ''tiefgreifende Bewusstseinsstörung'' (dissoziative Störungen), ''Schwachsinn'' (Oligophrenien) oder ''schwere seelische Abartigkeit'' (Sucht, sexuelle Deviation, Persönlichkeitsstörungen, Neurose, Psychogene Reaktionen). Bei den kursiv gesetzten Begriffen handelt es sich um juristische Begriffe. Die psychiatrischen Krankheitsbegriffe sind in Klammern gesetzt.  
Aufgrund des Behandlungsauftrages des Maßregelvollzugs werden Menschen in Maßregelvollzugseinrichtungen nicht als Gefangene, sondern als Patienten mit entsprechenden Rechten eingestuft.


Das Äquivalent zur Untersuchungshaft ist in diesem Bereich die einstweilige Unterbringungen in einer Maßregelvollzugseinrichtung gemäß § 126a StPO. Voraussetzung sind neben den normalen Haftgründen dringende Gründe für die Annahme, dass jemand seine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat.
Die Eingangsmerkmale für § 20 StGB sind: ''Krankhafte seelische Störung'' (Schizophrenie, Psychosen), ''tiefgreifende Bewusstseinsstörung'' (dissoziative Störungen), ''Schwachsinn'' (Oligophrenien) oder ''schwere seelische Abartigkeit'' (Sucht, sexuelle Deviation, Persönlichkeitsstörungen, Neurose, Psychogene Reaktionen). Bei den kursiv gesetzten Begriffen handelt es sich um juristische Begriffe. Die psychiatrischen Krankheitsbegriffe sind in Klammern gesetzt.


=== Freiheitsentziehende Maßregeln in der Entziehungsanstalt ===
=== Freiheitsentziehende Maßregeln in der Entziehungsanstalt ===
Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet. Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus ist unbefristet. Der Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt ist auf zwei Jahre befristet, wobei sich die Aufenthaltsdauer durch entsprechende Höchstfristberechnungen verlängern kann (§ 67d Abs. 1 StGB). Mit der Aussetzung tritt Führungskraft ein (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB). Anders als im Psychiatrischen Krankenhaus werden in der Entziehungsanstalt auch schuldfähige Menschen behandelt. Die Entziehungsanstalt unterliegt nicht vorrangig dem Sicherungs-, sondern dem Resozialisierungsgedanken analog dem Strafvollzug (Volkart 2003: 203), gilt aber auch für den § 63 StGB. Eine Maßregel der Besserung der Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berührt den freien Willen des Betroffenen (Artikel 2 GG - Handlungsfreiheit) auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Schutzinteresse der Gesellschaft. Die Verhältnismäßigkeit wird innerhalb bestimmter Fristen gerichtlich geprüft: Nach 6 Monaten in der Entziehungsanstalt und nach 1 Jahr im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 67e Absatz 1 und 2 StGB). Der § 64 StGB führt in der geltenden Fassung vom 20.07.2007 aus: "Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen."
Mit der Aussetzung tritt Führungskraft ein (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB). Anders als im Psychiatrischen Krankenhaus werden in der Entziehungsanstalt auch schuldfähige Menschen behandelt. Die Entziehungsanstalt unterliegt nicht vorrangig dem Sicherungs-, sondern dem Resozialisierungsgedanken analog dem Strafvollzug (Volkart 2003: 203), gilt aber auch für den § 63 StGB. Eine Maßregel der Besserung der Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berührt den freien Willen des Betroffenen (Artikel 2 GG - Handlungsfreiheit) auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Schutzinteresse der Gesellschaft. Die Verhältnismäßigkeit wird innerhalb bestimmter Fristen gerichtlich geprüft: Nach 6 Monaten in der Entziehungsanstalt und nach 1 Jahr im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 67e Absatz 1 und 2 StGB). Der § 64 StGB führt in der geltenden Fassung vom 20.07.2007 aus: "Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen."




Zeile 17: Zeile 20:


=== Unterbringungsdelikte ===  
=== Unterbringungsdelikte ===  
Bei den Unterbringungsdelikten fallen Suchtkranke mit einer Alkoholabhängigkeit häufig mit Gewaltdelikten auf, Suchtkranke mit einer [[Drogenabhängigkeit]] vermehrt mit Raub und Eigentumsdelikten (Kemper 2008: 20). Zu den wichtigsten harten Drogen zählen in der Polizeilichen Kriminalstatistik Heroin, Kokain, Amphetamin/ Methampetamin und LSD. "Seit 1981 werden die Fälle nach wichtigen Drogenarten gesondert ausgewiesen... Den größten Anteil, allerdings bei rückläufigen Fallzahlen, weisen die registrierten Cannabisfälle (148.667) auf. Eine geringe Zunahme ist bei den Fällen von Amphetamin/Methamphetamin und deren Derivate (einschl. Ecxtasy) (31.503) zu verzeichnen. Eine Abnahme ist bei den Heroin- (30.349) und Kokain-Fällen (20.127) festzustellen" (PKS Berichtsjahr 2006). Die Anzahl der Unterbringungen nach § 64 StGB ist seit 1970 kontinuierlich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2009).
Bei den Unterbringungsdelikten fallen Suchtkranke mit einer Alkoholabhängigkeit häufig mit Gewaltdelikten auf, Suchtkranke mit einer [[Drogenabhängigkeit]] vermehrt mit Raub und Eigentumsdelikten (Kemper 2008: 20). Zu den wichtigsten harten Drogen zählen in der Polizeilichen Kriminalstatistik Heroin, Kokain, Amphetamin/ Methampetamin und LSD. "Seit 1981 werden die Fälle nach wichtigen Drogenarten gesondert ausgewiesen... Den größten Anteil, allerdings bei rückläufigen Fallzahlen, weisen die registrierten Cannabisfälle (148.667) auf. Eine geringe Zunahme ist bei den Fällen von Amphetamin/Methamphetamin und deren Derivate (einschl. Ecxtasy) (31.503) zu verzeichnen. Eine Abnahme ist bei den Heroin- (30.349) und Kokain-Fällen (20.127) festzustellen" (PKS Berichtsjahr 2006). Die Anzahl der Unterbringungen nach § 64 StGB ist seit 1970 kontinuierlich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2009).
 


== Zur Kriminalprognose ==
== Zur Kriminalprognose ==
Zeile 36: Zeile 38:


== Literatur ==
== Literatur ==
Kemper Andrea (2008) Fehleinweisungen in die Entziehungsanstalt. Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum Maßregelvollzug gem. § 64 StGB in NRW. R&P 26: (15-26)
*Kemper Andrea (2008) Fehleinweisungen in die Entziehungsanstalt. Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum Maßregelvollzug gem. § 64 StGB in NRW. R&P 26: (15-26)
 
*Kemper Andrea (2009) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwischen Fehleinweisung und Fehlkonstruktion. Analyse des § 64 StGB in der nordrhein-westfälischen Praxis. Dissertation. Universität Bremen
 
*Best Dominik, Rössner Dieter (2007) Die Maßregeln der Besserung und Sicherung. In:  Kröber Hans-Ludwig, Dölling Dieter, Leygraf Norbert, Sass Henning (Hrsg.): Handbuch der Forensischen Psychiatrie (250-269)
 
*Mokros Andreas (2010) Rückfallrisiko oder Freiheitsentzug? Der Preis der Freiheit und die Kosten der Sicherheit. In: Saimeh Nahlah (Hrsg.): Kriminalität als biografisches Scheitern. Forensik als Lebenshilfe? Forensik 2010. 25. Eickelborner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie (73-83)


Kemper Andrea (2009) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwischen Fehleinweisung und Fehlkonstruktion. Analyse des § 64 StGB in der nordrhein-westfälischen Praxis. Dissertation. Universität Bremen
*Pllähne, Helmut (2007) Fehleinweisungen in die Entziehungsanstalt (§ 64 StGB): Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum nordrhein-westfälischen Maßregelvollzug - Entlassungsjahrgang 2005. Münster: Lit-Verlag


Best Dominik, Rössner Dieter (2007) Die Maßregeln der Besserung und Sicherung. In:  Kröber Hans-Ludwig, Dölling Dieter, Leygraf Norbert, Sass Henning (Hrsg.): Handbuch der Forensischen Psychiatrie (250-269)
*Reinke, Sebastian (2010) Privatisierung des Maßregelvollzugs nach §§ 63, 64 StGB, § 7 JGG und der Aufgaben nach §§ 81, 126a StPO : dargest. am Beispiel des Brandenburger Modells. Potsdam: Univ.-Verlag


Mokros Andreas (2010) Rückfallrisiko oder Freiheitsentzug? Der Preis der Freiheit und die Kosten der Sicherheit. In: Saimeh Nahlah (Hrsg.): Kriminalität als biografisches Scheitern. Forensik als Lebenshilfe? Forensik 2010. 25. Eickelborner Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie (73-83)
*Schalast Norbert (2000) Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB: Motivation der Patienten, Behandlungserläufe und gesetzliche Rahmenbedingungen. In: Egg Rudolf, Geisler Claudius (Hrsg): Alkohol, Strafrecht und Kriminalität. Wiesbaden: Eigenverlag der Kriminologischen Zentralstelle (205-216)


Schalast Norbert (2000) Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB: Motivation der Patienten, Behandlungserläufe und gesetzliche Rahmenbedingungen. In: Egg Rudolf, Geisler Claudius (Hrsg): Alkohol, Strafrecht und Kriminalität. Wiesbaden: Eigenverlag der Kriminologischen Zentralstelle (205-216)
*Töller, Annette Elisabeth (2010) Die Privatisierung des Maßregelvollzugs: die deutschen Bundesländer im Vergleich. Hagen: Inst. für Politikwiss.  


Volkart Bernd, Grünebaum Rolf (2003), (2009) Maßregelvollzug: Das Recht der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt.
*Volckart Bernd & Grünebaum Rolf (2009) Maßregelvollzug: Das Recht der Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt. Mit allen Landesgesetzen 7. Auflage Köln: Carl Heymanns Verlag


== Links ==
== Links ==
31.738

Bearbeitungen