Suchtkranke im Maßregelvollzug: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Freiheitsentziehende Maßregeln in der Entziehungsanstalt ===
=== Freiheitsentziehende Maßregeln in der Entziehungsanstalt ===
Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet. Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus ist unbefristet. Der Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt ist auf zwei Jahre befristet, wobei sich die Aufenthaltsdauer durch entsprechende Höchstfristberechnungen verlängern kann (§ 67d Abs. 1 StGB). Mit der Aussetzung tritt Führungskraft ein (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB). Anders als im Psychiatrischen Krankenhaus werden in der Entziehungsanstalt auch schuldfähige Menschen behandelt. Die Entziehungsanstalt unterliegt nicht vorrangig dem Sicherungs-, sondern dem Resozialisierungsgedanken analog dem Strafvollzug (Volkart 2003, 203), gilt aber auch für den § 63 StGB. Eine Maßregel der Besserung der Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berührt den freien Willen des Betroffenen (Artikel 2 GG - Handlungsfreiheit) auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Schutzinteresse der Gesellschaft. Die Verhältnismäßigkeit wird innerhalb bestimmter Fristen gerichtlich geprüft: Nach 6 Monaten in der Entziehungsanstalt und nach 1 Jahr im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 67e Absatz 1 und 2 StGB). Der § 64 StGB führt in der geltenden Fassung vom 20.07.2007 aus: "Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen."
Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet. Die Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus ist unbefristet. Der Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt ist auf zwei Jahre befristet, wobei sich die Aufenthaltsdauer durch entsprechende Höchstfristberechnungen verlängern kann (§ 67d Abs. 1 StGB). Mit der Aussetzung tritt Führungskraft ein (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB). Anders als im Psychiatrischen Krankenhaus werden in der Entziehungsanstalt auch schuldfähige Menschen behandelt. Die Entziehungsanstalt unterliegt nicht vorrangig dem Sicherungs-, sondern dem Resozialisierungsgedanken analog dem Strafvollzug (Volkart 2003:203), gilt aber auch für den § 63 StGB. Eine Maßregel der Besserung der Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht (§ 62 StGB). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berührt den freien Willen des Betroffenen (Artikel 2 GG - Handlungsfreiheit) auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Schutzinteresse der Gesellschaft. Die Verhältnismäßigkeit wird innerhalb bestimmter Fristen gerichtlich geprüft: Nach 6 Monaten in der Entziehungsanstalt und nach 1 Jahr im Psychiatrischen Krankenhaus (§ 67e Absatz 1 und 2 StGB). Der § 64 StGB führt in der geltenden Fassung vom 20.07.2007 aus: "Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen."




=== Schuldfähigkeit ===
=== Schuldfähigkeit ===
Die Schuldfähigkeit kann aufgrund einer psychischen Störung aufgehoben (§ 20 StGB) oder vermindert (§ 21 StGB) sein. Schuld stellt grundsätzlich die Zuschreibung von Verantwortung dar. Das Gericht lässt die Schuldfähigkeit von einem Sachverständigen prüfen, wenn im Hintergrund die Frage steht, ob der Mensch für seine Taten verantwortlich gemacht werden kann bzw. ob er aufgrund einer Krankheit rechtswidrige Taten begangen hat. Wird letzteres bejaht, ordnet der Richter im Rahmen des zweispurigen Strafsystems eine Unterbringung in den Maßregelvollzug zur Besserung (durch Behandlung) und Sicherung (zum Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten) an (Volkart 2009). "In Hinsicht auf die Gewährleistung dieses staatlichen (Selbst-)Schutzauftrags ist die Existenz einer schuldunabhängigen, sozialethisch neutralen Sanktionsart unverzichtbar. Dessen Einbettung in das strafrechtliche Rechtsfolgeinstrumentarium begründet sich indes nur aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs mit einer Straftat" (Best 2007, 251).
Die Schuldfähigkeit kann aufgrund einer psychischen Störung aufgehoben (§ 20 StGB) oder vermindert (§ 21 StGB) sein. Schuld stellt grundsätzlich die Zuschreibung von Verantwortung dar. Das Gericht lässt die Schuldfähigkeit von einem Sachverständigen prüfen, wenn im Hintergrund die Frage steht, ob der Mensch für seine Taten verantwortlich gemacht werden kann bzw. ob er aufgrund einer Krankheit rechtswidrige Taten begangen hat. Wird letzteres bejaht, ordnet der Richter im Rahmen des zweispurigen Strafsystems eine Unterbringung in den Maßregelvollzug zur Besserung (durch Behandlung) und Sicherung (zum Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten) an (Volkart 2009). "In Hinsicht auf die Gewährleistung dieses staatlichen (Selbst-)Schutzauftrags ist die Existenz einer schuldunabhängigen, sozialethisch neutralen Sanktionsart unverzichtbar. Dessen Einbettung in das strafrechtliche Rechtsfolgeinstrumentarium begründet sich indes nur aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs mit einer Straftat" (Best 2007:251).




=== Unterbringungsdelikte ===  
=== Unterbringungsdelikte ===  
Bei den Unterbringungsdelikten fallen Suchtkranke mit einer Alkoholabhängigkeit häufig mit Gewaltdelikten auf, Suchtkranke mit einer [[Drogenabhängigkeit]] vermehrt mit Raub und Eigentumsdelikten (Kemper 2008, 20). Zu den wichtigsten harten Drogen zählen in der Polizeilichen Kriminalstatistik Heroin, Kokain, Amphetamin/ Methampetamin und LSD. "Seit 1981 werden die Fälle nach wichtigen Drogenarten gesondert ausgewiesen... Den größten Anteil, allerdings bei rückläufigen Fallzahlen, weisen die registrierten Cannabisfälle (148.667) auf. Eine geringe Zunahme ist bei den Fällen von Amphetamin/Methamphetamin und deren Derivate (einschl. Ecxtasy) (31.503) zu verzeichnen. Eine Abnahme ist bei den Heroin- (30.349) und Kokain-Fällen (20.127) festzustellen" (PKS Berichtsjahr 2006). Die Anzahl der Unterbringungen nach § 64 StGB ist seit 1970 kontinuierlich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2009).   
Bei den Unterbringungsdelikten fallen Suchtkranke mit einer Alkoholabhängigkeit häufig mit Gewaltdelikten auf, Suchtkranke mit einer [[Drogenabhängigkeit]] vermehrt mit Raub und Eigentumsdelikten (Kemper 2008:20). Zu den wichtigsten harten Drogen zählen in der Polizeilichen Kriminalstatistik Heroin, Kokain, Amphetamin/ Methampetamin und LSD. "Seit 1981 werden die Fälle nach wichtigen Drogenarten gesondert ausgewiesen... Den größten Anteil, allerdings bei rückläufigen Fallzahlen, weisen die registrierten Cannabisfälle (148.667) auf. Eine geringe Zunahme ist bei den Fällen von Amphetamin/Methamphetamin und deren Derivate (einschl. Ecxtasy) (31.503) zu verzeichnen. Eine Abnahme ist bei den Heroin- (30.349) und Kokain-Fällen (20.127) festzustellen" (PKS Berichtsjahr 2006). Die Anzahl der Unterbringungen nach § 64 StGB ist seit 1970 kontinuierlich gestiegen (Statistisches Bundesamt 2009).   




== Zur Kriminalprognose ==
== Zur Kriminalprognose ==
Es gibt keine Methode, mit der das menschliche Verhalten sicher vorhergesagt werden kann. Daher sollte es weniger um Risikoeinschätzung gehen als um Risikoreduktion und Risikomanagement im Rahmen der Unterbringung nach § 64 StGB. Zur Gefährlichkeit eines Menschen wird im Rahmen kriminalprognostischer Wahrscheinlichkeitsaussagen keine (statischen) Eigenschaften eines Menschen beschrieben, sondern Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr rechtswidriger Taten getroffen (Volkart 2009). Die Gefahr rechtswidriger Taten von "erheblicher" Art betreffen die Wahrscheinlichkeit künftiger Delinquenz und das Ausmaß oder Schwere des erwarteten Schadens. Für die Verständigung zwischen Forensischer Psychiatrie und [[Justiz]] fehlt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt an allgemeinverbindlichen Standards (vgl. Mokros 2010, 82).   
Es gibt keine Methode, mit der das menschliche Verhalten sicher vorhergesagt werden kann. Daher sollte es weniger um Risikoeinschätzung gehen als um Risikoreduktion und Risikomanagement im Rahmen der Unterbringung nach § 64 StGB. Zur Gefährlichkeit eines Menschen wird im Rahmen kriminalprognostischer Wahrscheinlichkeitsaussagen keine (statischen) Eigenschaften eines Menschen beschrieben, sondern Aussagen zur Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungsgefahr rechtswidriger Taten getroffen (Volkart 2009). Die Gefahr rechtswidriger Taten von "erheblicher" Art betreffen die Wahrscheinlichkeit künftiger Delinquenz und das Ausmaß oder Schwere des erwarteten Schadens. Für die Verständigung zwischen Forensischer Psychiatrie und [[Justiz]] fehlt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt an allgemeinverbindlichen Standards (vgl. Mokros 2010:82).   




=== Der Zusammenhang zwischen Sucht und Straftaten ===
=== Der Zusammenhang zwischen Sucht und Straftaten ===
Die Anlasstat kann ein Beschaffungsdelikt sein, indem der Täter eine rechtswidrige Tat begeht, um seine Suchtmittelabhängigkeit zu finanzieren. Nach kriminologischen Daten zeigen viele Drogenkonsumenten strafbares Verhalten, bevor sie eine Abhängigkeitsproblematik entwickeln. Hingegen waren Gewalttäter mit einer Alkoholerkrankung in ihrer Vorgeschichte selbst [[Opfer]] von [[Gewalt]]. Hier ist ein Zusammenhang mit der eigenen Gewaltbereitschaft häufig feststellbar. Drogenabhängigkeit führt nicht monokausal zur Straffälligkeit, verfestigt jedoch kriminelle Karrieren, intensiviert delinquentes Verhalten und verzögert das Hinauswachsen aus der [[Kriminalität]]. Letzteres gilt in gleicher Weise für schweren Alkoholmissbrauch (Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen 2006, 8).
Die Anlasstat kann ein Beschaffungsdelikt sein, indem der Täter eine rechtswidrige Tat begeht, um seine Suchtmittelabhängigkeit zu finanzieren. Nach kriminologischen Daten zeigen viele Drogenkonsumenten strafbares Verhalten, bevor sie eine Abhängigkeitsproblematik entwickeln. Hingegen waren Gewalttäter mit einer Alkoholerkrankung in ihrer Vorgeschichte selbst [[Opfer]] von [[Gewalt]]. Hier ist ein Zusammenhang mit der eigenen Gewaltbereitschaft häufig feststellbar. Drogenabhängigkeit führt nicht monokausal zur Straffälligkeit, verfestigt jedoch kriminelle Karrieren, intensiviert delinquentes Verhalten und verzögert das Hinauswachsen aus der [[Kriminalität]]. Letzteres gilt in gleicher Weise für schweren Alkoholmissbrauch (Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen 2006:8).




=== Erledigung der Maßregel ===
=== Erledigung der Maßregel ===
Patienten, die auf der Grundlage des § 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht sind, können sich jederzeit aus der Therapie abmelden. Die Einrichtung kann ihrerseits auch eine Empfehlung zur Erledigung der Maßregel abgeben, wenn aus ihrer Sicht die Therapie keine Aussicht auf Erfolg hat, aus Gründen, die in der Person des untergebrachten Patienten liegen (§ 67d Abs. 5 StGB). Über die Erledigung oder Fortdauer der Therapie entscheidet der Richter. Eine Entlassung in die Freiheit ist möglich, wenn ein Suchtkranker aufgrund § 20 StGB schuldunfähig ist und keine Begleitfreiheitsstrafen aus Vorstrafen bestehen. Bei einer Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel kann ein Patient aus einer Entziehungsanstalt in ein Psychiatrisches Krankenhaus verlegt werden, wenn (seine) [[Resozialisierung]] dadurch besser gefördert werden kann (§ 67a StGB). Der Patient behält seine Strafzeitberechnung und kommt nach Erreichen der Höchstfrist frei (§ 67a Abs. 4 StGB). Einen "typischen Erlediger" gibt es nicht - die Erledigungspraxis scheint sich eher an der Belegungsdichte als an objektiven Kriterien zu orientieren (vgl. Kemper 2009, 210).  
Patienten, die auf der Grundlage des § 64 StGB im Maßregelvollzug untergebracht sind, können sich jederzeit aus der Therapie abmelden. Die Einrichtung kann ihrerseits auch eine Empfehlung zur Erledigung der Maßregel abgeben, wenn aus ihrer Sicht die Therapie keine Aussicht auf Erfolg hat, aus Gründen, die in der Person des untergebrachten Patienten liegen (§ 67d Abs. 5 StGB). Über die Erledigung oder Fortdauer der Therapie entscheidet der Richter. Eine Entlassung in die Freiheit ist möglich, wenn ein Suchtkranker aufgrund § 20 StGB schuldunfähig ist und keine Begleitfreiheitsstrafen aus Vorstrafen bestehen. Bei einer Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel kann ein Patient aus einer Entziehungsanstalt in ein Psychiatrisches Krankenhaus verlegt werden, wenn (seine) [[Resozialisierung]] dadurch besser gefördert werden kann (§ 67a StGB). Der Patient behält seine Strafzeitberechnung und kommt nach Erreichen der Höchstfrist frei (§ 67a Abs. 4 StGB). Einen "typischen Erlediger" gibt es nicht - die Erledigungspraxis scheint sich eher an der Belegungsdichte als an objektiven Kriterien zu orientieren (vgl. Kemper 2009:210).  




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