Strafvollzug in Brasilien: Unterschied zwischen den Versionen

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Während Brasilien mit fast 200 Mio. Einwohnern nach China, Indien, den USA und Indonesien heute das fünftbevölkerungsreichste Land der Erde ist, hat es - nach einem Anstieg seiner Gefangenenzahlen um 160% seit dem Jahr 2000 - heute mit seinen 660 000 Gefangenen nach den USA, China und Russland Platz 4 der Staaten mit den meisten Gefangenen erklommen. Insbesondere die Drogengesetze und ihre willkürliche Anwendung führten zu einer Gefangenenrate von 307 Gefangenen auf 100 000 Einwohner (Deutschland: 78). Diese 660 000 Menschen verteilen sich auf 1400 Gefängnisse, die insgesamt nur Platz für 380 000 Personen haben. Fast die Hälfte der Gefangenen sind Untersuchungshäftlinge. Die Überfüllung der maroden Gebäude mit katastrophalen hygienischen Verhältnissen nimmt auch wegen der quälend langsam arbeitenden Justiz stetig zu.  
== Zahlen ==
*Brasilien hat rund 200 Mio. Einwohner und liegt damit nach China, Indien, den USA und Indonesien auf Platz 5.  
*Gefangenenrate: 307 pro 100.000 Einwohner (Deutschland: 78).  
*Haftplätze: 380.000 in insgesamt 1400 Gefängnissen
*Inhaftierte: 660.000 Gefangene, davon 41% U-Haft, im Bundesstaat Amazonas 58%.  
*Anstieg der Gefangenenzahlen um 160% seit 2000.  
*Justiz: quälend langsam.
*Haftbedingungen: marode Gebäude, katastrophale Hygiene
*Ansteckungs-Risiken: Aids 10 mal höher als in der Gesamtbevölkerung, Tbc: 30x


Und damit sind wir bei dem Anlass des heutigen Vortrags und der sich daran anschließenden Diskussion. Richter Luis Carlos Valois ist DER für den Strafvollzug im Bundesstaat Amazonas zuständige Richter. Was er genau tut, wird er Ihnen erklären. Es sei nur soviel gesagt: die Verhältnisse dort sind etwas anders als hierzulande. Das fängt mit den Größenverhältnissen an. Amazonas ist mit anderhalb Millionen Quadratkilometern mehr als viermal so große wie Deutschland, hat aber mit seinen 4 Millionen Einwohnern nur ein Zwanzigstel der Bevölkerung. Qualitativ ist es nicht weniger verschieden. Brasiliens Kriminalität ist weitgehend prohibitionsinduziert. Das Land liegt auf der größten und zerstörerischsten Drogenroute der Welt, die von Südamerika über Mittelamerika und Mexiko in die USA führt. Da sich die Nachfrage nicht stoppen und der Schwarzmarkt aufgrund sozio-ökonomischer Gesetzmäßigkeiten nicht erfolgreich bekämpfen lässt, bildeten sich im Laufe der Dekaden substaatliche Machtzentren, die als alternative Ordnungsformen der Gewalt zum Teil mit dem Staat konkurrieren, zum Teil auch mit Staatsbediensteten durch Korruption und Kollusion etwa in der Form von informellen Friedensabkommen oder parastaatlichen klientelären Gewaltorganisationen wie den sogenannten Milizen in Rio de Janeiro kooperieren.
== Massaker im Bundesstaat Amazonas 2017 ==
 
Unser Gast - Richter Valois - ist zuständige für alle Strafvollzugssachen im Bundesstaat Amazonas. Fläche 1,5 Mio. km2 (mehr als 4x so große wie D). Bevölkerung gerade mal 5% der deutschen (4 vs. 82 Mio.). Faktisch ist es nicht der Staat, der im Innern der Gefängnisse für Ruhe und Sicherheit sorgt. Wenn aber - wie im Jahre 2016 - der Friede zwischen Banden zerbricht, dann kann es blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Gefängnisse und zwischen den Gefangenen kommen. Wie am Neujahrstag des Jahres 2017.  
Faktisch ist es nicht der Staat, der im Innern der Gefängnisse für Ruhe und Sicherheit sorgt. Wenn aber - wie im Jahre 2016 - der Friede zwischen Banden zerbricht, dann kann es blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Gefängnisse und zwischen den Gefangenen kommen. Wie am Neujahrstag des Jahres 2017.  


Gefangene ermordeten andere Gefangene auf bestialische Weise. 56 Gefangene wurden im Gefängnis Anísio Jobim in der Nähe von Manaus getötet und verstümmelt, d.h. Köpfe und Gliedmaßen wurden abgetrennt, Herzen herausgeschnitten. In den nächsten Tagen kam es in anderen Anstalten zu ähnlichen Vorfällen. In zwei weiteren Haftanstalten in Amazonas kam es Neujahr und am 2. Januar zu weiteren Zusammenstößen zwischen Gefangenen und vier Toten. Zu den 60 Toten im Bundesstaat Amazonas kamen kurz darauf 31 weitere Tote im benachbarten Bundesstaat Roraima (Monte Cristo nahe Boa Vista). Tags darauf dann wieder Manaus mit vier Toten. Dann noch zwei Tote in Gefängnissen in Paraíba. Bis zum 10. Januar waren damit 100 Gefangene getötet worden  soviel wie in normalen Zeiten in Brasilien innerhalb von 100 Tagen.
Gefangene ermordeten andere Gefangene auf bestialische Weise. 56 Gefangene wurden im Gefängnis Anísio Jobim in der Nähe von Manaus getötet und verstümmelt, d.h. Köpfe und Gliedmaßen wurden abgetrennt, Herzen herausgeschnitten. In den nächsten Tagen kam es in anderen Anstalten zu ähnlichen Vorfällen. In zwei weiteren Haftanstalten in Amazonas kam es Neujahr und am 2. Januar zu weiteren Zusammenstößen zwischen Gefangenen und vier Toten. Zu den 60 Toten im Bundesstaat Amazonas kamen kurz darauf 31 weitere Tote im benachbarten Bundesstaat Roraima (Monte Cristo nahe Boa Vista). Tags darauf dann wieder Manaus mit vier Toten. Dann noch zwei Tote in Gefängnissen in Paraíba. Bis zum 10. Januar waren damit 100 Gefangene getötet worden  soviel wie in normalen Zeiten in Brasilien innerhalb von 100 Tagen.
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