Straßenkinder in Deutschland: Unterschied zwischen den Versionen

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Aufgrund von empirischer Untersuchungen ist die Fachöffentlichkeit einig darüber, „dass es sich bei Straßenkindern weniger um Kinder unter 14 Jahren handelt, sondern mehrheitlich um Jugendliche“ (Permien/Zink, 1998, S. 12).
Aufgrund von empirischer Untersuchungen ist die Fachöffentlichkeit einig darüber, „dass es sich bei Straßenkindern weniger um Kinder unter 14 Jahren handelt, sondern mehrheitlich um Jugendliche“ (Permien/Zink, 1998, S. 12).
Folgt man der Studie des Deutschen Jugendinstituts, so zeichnet sich diese Personengruppe aus durch:
Folgt man der Studie des Deutschen Jugendinstituts, so zeichnet sich diese Personengruppe aus durch:
•„Eine weitgehende Abkehr von gesellschaftlich vorgesehenen Sozialisationsinstanzen wie Familie oder- ersatzweise Jugendhilfe-Einrichtungen sowie von Schule und Ausbildung,
*„Eine weitgehende Abkehr von gesellschaftlich vorgesehenen Sozialisationsinstanzen wie Familie oder- ersatzweise Jugendhilfe-Einrichtungen sowie von Schule und Ausbildung,
•Hinwendung zur Straße, die zur wesentlichen oder auch einzigen Sozialisationsinstanz und zum Lebensmittelpunkt wird,
*Hinwendung zur Straße, die zur wesentlichen oder auch einzigen Sozialisationsinstanz und zum Lebensmittelpunkt wird,
•Hinwendung zum Gelderwerb auf der Straße durch Vorwegnahme abweichenden, teilweise delinquenten Erwachsenenverhaltens, wie Betteln, Raub, Prostitution, Drogenhandel und
*Hinwendung zum Gelderwerb auf der Straße durch Vorwegnahme abweichenden, teilweise delinquenten Erwachsenenverhaltens, wie Betteln, Raub, Prostitution, Drogenhandel und
•faktische Obdachlosigkeit“ (Hansbauer, 1996, S. 26)
*faktische Obdachlosigkeit“ (Hansbauer, 1996, S. 26)
Die oben aufgeführten Punkte können mehr oder weniger auf den einzelnen Fall zutreffen. Schließlich gibt es viele Jugendliche, die als Straßenkinder etikettiert werden, obwohl sie noch zu Hause wohnen, bzw. in Heimen leben oder eine eigene Wohnung haben“. Weiterhin kann man nicht davon ausgehen, dass sich jeder Jugendliche prostituieren oder auf kriminelle Weise Geld beschaffen muss, da teilweise die Eltern für den notwendigen Lebensunterhalt aufkommen oder sie Leistungen von Ämtern (Sozialamt, Arbeitsamt, Jugendamt) erhalten.
Die oben aufgeführten Punkte können mehr oder weniger auf den einzelnen Fall zutreffen. Schließlich gibt es viele Jugendliche, die als Straßenkinder etikettiert werden, obwohl sie noch zu Hause wohnen, bzw. in Heimen leben oder eine eigene Wohnung haben“. Weiterhin kann man nicht davon ausgehen, dass sich jeder Jugendliche prostituieren oder auf kriminelle Weise Geld beschaffen muss, da teilweise die Eltern für den notwendigen Lebensunterhalt aufkommen oder sie Leistungen von Ämtern (Sozialamt, Arbeitsamt, Jugendamt) erhalten.


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Das Internationale Flüchtlingswerk UNICEF schätzt die Zahl der Straßenkinder weltweit auf 100 Millionen. In Deutschland liegt die zahlenmäßige Ausbreitung von Straßenkindern in Presseberichten und in der Fachliteratur  zwischen 2.000 bis 50.000 (Rohman, 2000 S.22). Warum eine quantitative Einschätzung des Phänomens nicht möglich ist, erläutert Rohman wie folgt:
Das Internationale Flüchtlingswerk UNICEF schätzt die Zahl der Straßenkinder weltweit auf 100 Millionen. In Deutschland liegt die zahlenmäßige Ausbreitung von Straßenkindern in Presseberichten und in der Fachliteratur  zwischen 2.000 bis 50.000 (Rohman, 2000 S.22). Warum eine quantitative Einschätzung des Phänomens nicht möglich ist, erläutert Rohman wie folgt:


•Weil der Begriff sehr unterschiedlich definiert wird. „Ein Kind, das für die Sozialpädagogen als Straßenkind gilt, ist für die Justiz    nur vermisst“ (Rohman, 2000, S.23).
*Weil der Begriff sehr unterschiedlich definiert wird. „Ein Kind, das für die Sozialpädagogen als Straßenkind gilt, ist für die Justiz    nur vermisst“ (Rohman, 2000, S.23).
•Weil viele Kinder oder Jugendliche, die auf der Straße leben, einen angemeldeten Wohnsitz bei ihren Eltern oder in Jugendhilfeeinrichtungen haben und dadurch als Straßenkinder nicht erfasst werden (Rohman, 2000, S. 23).
*Weil viele Kinder oder Jugendliche, die auf der Straße leben, einen angemeldeten Wohnsitz bei ihren Eltern oder in Jugendhilfeeinrichtungen haben und dadurch als Straßenkinder nicht erfasst werden (Rohman, 2000, S. 23).
•Weil viele Eltern ihre Kinder oft nicht vermisst melden. Grund dafür sind Angst, falsche Scharm oder weil sie froh sind, ihre Kinder losgeworden zu sein (Britten, 1995, S. 7/8).
*Weil viele Eltern ihre Kinder oft nicht vermisst melden. Grund dafür sind Angst, falsche Scharm oder weil sie froh sind, ihre Kinder losgeworden zu sein (Britten, 1995, S. 7/8).
•Weil viele auf „Trebe“ sind, ständige Ortwechsel vornehmen, daher in unterschiedlichen Statistiken mehrfach erfasst werden.  
*Weil viele auf „Trebe“ sind, ständige Ortwechsel vornehmen, daher in unterschiedlichen Statistiken mehrfach erfasst werden.  
•Weil es sogenannte „Wegläufer“ gibt, die nur kurzfristig ihr Elternhaus verlassen und auf die Straße flüchten. Dies erschwert natürlich eine zuverlässige Statistik.
*Weil es sogenannte „Wegläufer“ gibt, die nur kurzfristig ihr Elternhaus verlassen und auf die Straße flüchten. Dies erschwert natürlich eine zuverlässige Statistik.


==3.Ursachen für Straßenkarrieren==
==3.Ursachen für Straßenkarrieren==
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In der Vorgeschichte der 40 Befragten konnte festgestellt werden, dass sie unter gravierenden Dauerbelastungen aufwuchsen. Sie waren bedroht von einem „Rausschmiss“ aus dem Elternhaus oder aus Jugendhilfeeinrichtungen. Diese Gruppe sah als einzigen Ausweg die Flucht auf die Straße (Permien/Zink, 1998, S. 103).
In der Vorgeschichte der 40 Befragten konnte festgestellt werden, dass sie unter gravierenden Dauerbelastungen aufwuchsen. Sie waren bedroht von einem „Rausschmiss“ aus dem Elternhaus oder aus Jugendhilfeeinrichtungen. Diese Gruppe sah als einzigen Ausweg die Flucht auf die Straße (Permien/Zink, 1998, S. 103).
Nach Angaben der Autoren konnten die Betroffenen dieser Gruppe kein Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Familie entwickeln, so dass die selbstgewählte Obdachlosigkeit der Jugendlichen „nur ein äußerer Spiegel der inneren Heimatlosigkeit“ darstellt (ebd. S. 103). Die Jugendlichen haben also lange vor der ersten Flucht unter gestörten oder distanzierten Eltern-Kind-Beziehungen gelitten, so dass sie ihr Zuhause nicht mehr als Heim akzeptieren konnten.
Nach Angaben der Autoren konnten die Betroffenen dieser Gruppe kein Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Familie entwickeln, so dass die selbstgewählte Obdachlosigkeit der Jugendlichen „nur ein äußerer Spiegel der inneren Heimatlosigkeit“ darstellt (ebd. S. 103). Die Jugendlichen haben also lange vor der ersten Flucht unter gestörten oder distanzierten Eltern-Kind-Beziehungen gelitten, so dass sie ihr Zuhause nicht mehr als Heim akzeptieren konnten.
•Die Jugendlichen standen von Kindheit an bis zu Beginn ihrer Straßenkarriere konstant unter einer Dauerbelastung, die durch die Bezugspersonen wegen beispielsweise Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Ausübung von psychischer physischer Gewalt gegenüber den Kindern oder Partnern verursacht wurde (ebd., S. 104). Da die geschilderten Verhaltensweisen konstant blieben und sich nicht verbesserten, zogen die Jugendlichen das Leben auf der Straße dem des Elternhauses vor (Permien/Zink, S.- 104).
*Die Jugendlichen standen von Kindheit an bis zu Beginn ihrer Straßenkarriere konstant unter einer Dauerbelastung, die durch die Bezugspersonen wegen beispielsweise Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Ausübung von psychischer physischer Gewalt gegenüber den Kindern oder Partnern verursacht wurde (ebd., S. 104). Da die geschilderten Verhaltensweisen konstant blieben und sich nicht verbesserten, zogen die Jugendlichen das Leben auf der Straße dem des Elternhauses vor (Permien/Zink, S.- 104).
•Als weiterer Belastungsfaktor kam hinzu, dass durch immer neue Krisen, die Bezugspersonen, Wohnorte und Lebensumstände häufig wechselten. Diese Diskontinuität führte zur Dauerbelastung (ebd., S. 106).
*Als weiterer Belastungsfaktor kam hinzu, dass durch immer neue Krisen, die Bezugspersonen, Wohnorte und Lebensumstände häufig wechselten. Diese Diskontinuität führte zur Dauerbelastung (ebd., S. 106).


Permien und Zink stellen die eben erwähnten Krisen oder Familienkonstellationen unter denen die Jugendlichen aufwuchsen, folgendermaßen dar:
Permien und Zink stellen die eben erwähnten Krisen oder Familienkonstellationen unter denen die Jugendlichen aufwuchsen, folgendermaßen dar:
1.Fast alle Befragten wuchsen nur bei einem leiblichen Elternteil auf. Sie wurden oftmals mit wechselnden Partnern des Elternteils konfrontiert. Hinzu kommt auch, dass die Jugendlichen zeitweise Heim, Pflege- und Adaptivfamilien oder Großeltern hin- und hergeschoben worden sind (ebd., S. 103).
#Fast alle Befragten wuchsen nur bei einem leiblichen Elternteil auf. Sie wurden oftmals mit wechselnden Partnern des Elternteils konfrontiert. Hinzu kommt auch, dass die Jugendlichen zeitweise Heim, Pflege- und Adaptivfamilien oder Großeltern hin- und hergeschoben worden sind (ebd., S. 103).
2.Vernachlässigung und Gewalt wird als weitere Ursache für die Flucht auf die Straße genannt. Viele der Jugendlichen litten in ihrer Vorgeschichte phasenweise „unter Gleichgültigkeit, Ablehnung und Gewalt seitens ihrer Eltern oder Stiefeltern“. Einige der befragten Jugendlichen berichten, dass ihre Mütter tatenlos zusahen, als die Kinder teilweise mit Gegenständen von (Stief-) Vätern verprügelt oder sexuell missbraucht wurden. Als die Schläge oder das Einsperren als Strafe nicht ausgereichte, wurden sie aus dem Haus getrieben. Alle befragten Jugendlichen, die in den o.g. Familienkonstellationen aufwuchsen, sahen sich diesen oder anderen Formen körperlicher und seelischer Gewaltanwendung ausgesetzt. (ebd. S. 107).Diese Erfahrung stellt auf Dauer einen starken Triebfaktor für die Straßenflucht dar. Die Kinder ertrugen jahrelang die gegen sie gerichtete Gewalt, bis irgendwann in der Pubertät das „Maß voll“ ist.  
#Vernachlässigung und Gewalt wird als weitere Ursache für die Flucht auf die Straße genannt. Viele der Jugendlichen litten in ihrer Vorgeschichte phasenweise „unter Gleichgültigkeit, Ablehnung und Gewalt seitens ihrer Eltern oder Stiefeltern“. Einige der befragten Jugendlichen berichten, dass ihre Mütter tatenlos zusahen, als die Kinder teilweise mit Gegenständen von (Stief-) Vätern verprügelt oder sexuell missbraucht wurden. Als die Schläge oder das Einsperren als Strafe nicht ausgereichte, wurden sie aus dem Haus getrieben. Alle befragten Jugendlichen, die in den o.g. Familienkonstellationen aufwuchsen, sahen sich diesen oder anderen Formen körperlicher und seelischer Gewaltanwendung ausgesetzt. (ebd. S. 107).Diese Erfahrung stellt auf Dauer einen starken Triebfaktor für die Straßenflucht dar. Die Kinder ertrugen jahrelang die gegen sie gerichtete Gewalt, bis irgendwann in der Pubertät das „Maß voll“ ist.  
3.Ein Großteil der Jugendlichen erwähnten ein wichtiges und weiteres Problem, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit der Eltern. Sie beschrieben das Verhalten der Eltern als unberechenbar und gewalttätig. Sie fühlten sich nirgendwo zu Hause sicher und wussten nicht, wie sie sich gegenüber ihren Eltern verhalten sollten. Manche diesen Jugendlichen wohnten in Heimen oder Wohngruppen der Jugendhilfe, bevor sie Straßenkarrieren begangen (ebd., S. 110). Der Einstieg in die Straßenkarrieren konnten aber dadurch nicht verhindert werden. Als Grund nennen die Jugendlichen die Auseinandersetzungen mit anderen Bewohnern dort, die strengen Anweisungen oder die Gleichgültigkeit des Erziehungspersonals (ebd., S. 132).
#Ein Großteil der Jugendlichen erwähnten ein wichtiges und weiteres Problem, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit der Eltern. Sie beschrieben das Verhalten der Eltern als unberechenbar und gewalttätig. Sie fühlten sich nirgendwo zu Hause sicher und wussten nicht, wie sie sich gegenüber ihren Eltern verhalten sollten. Manche diesen Jugendlichen wohnten in Heimen oder Wohngruppen der Jugendhilfe, bevor sie Straßenkarrieren begangen (ebd., S. 110). Der Einstieg in die Straßenkarrieren konnten aber dadurch nicht verhindert werden. Als Grund nennen die Jugendlichen die Auseinandersetzungen mit anderen Bewohnern dort, die strengen Anweisungen oder die Gleichgültigkeit des Erziehungspersonals (ebd., S. 132).
4.Als nächster Faktor werden wie schon kurz erwähnt sexuelle Übergriffe durch Vertrauenspersonen genannt. Oft ist es hier so, dass die Täter durch ihre Partner gedeckt wurden, weil sie den Kindern nicht glaubten, zu schwach waren oder Angst hatten, ihre Partner dann zu verlieren. Auf diese Weise enttäuschte, doppelt des Vertrauens beraubte Kinder sahen dann spätestens in der Pubertät den einzigen Ausweg darin, dass sie und nicht die Täter, ihr Zuhause verließen (ebd. S. 113).
#Als nächster Faktor werden wie schon kurz erwähnt sexuelle Übergriffe durch Vertrauenspersonen genannt. Oft ist es hier so, dass die Täter durch ihre Partner gedeckt wurden, weil sie den Kindern nicht glaubten, zu schwach waren oder Angst hatten, ihre Partner dann zu verlieren. Auf diese Weise enttäuschte, doppelt des Vertrauens beraubte Kinder sahen dann spätestens in der Pubertät den einzigen Ausweg darin, dass sie und nicht die Täter, ihr Zuhause verließen (ebd. S. 113).
5.Als letzter Faktor wird das Zusammenleben mit Stiefeltern von den Jugendlichen erwähnt. Nur wenige Jugendliche gaben an, dass sie positive Beziehungen zu ihren Stiefeltern hatten. Sehr viel öfter berichten sie von negativen Erfahrungen meistens mit Stiefvätern. Häufig lebten die Jugendlichen in Familienkonstellationen mit leiblicher Mutter und Stiefvätern bzw. wechselnden Partnern der Mütter oder sie wurden aus Heimen oder von Großeltern „nach Hause“ geholt, da die Mutter inzwischen einen neuen Partner gefunden hatte. In solchen Familienkonstellationen hatte die Mutter eine schwache Rolle. Oft übernahmen die neuen Partner die Machtstellung, die die Jugendlichen dann gegen sich gerichtet fühlten. Die Kinder verloren also auch den zweiten leiblichen Elternteil, in dem Fall an die neuen Partner (ebd., 114).
#Als letzter Faktor wird das Zusammenleben mit Stiefeltern von den Jugendlichen erwähnt. Nur wenige Jugendliche gaben an, dass sie positive Beziehungen zu ihren Stiefeltern hatten. Sehr viel öfter berichten sie von negativen Erfahrungen meistens mit Stiefvätern. Häufig lebten die Jugendlichen in Familienkonstellationen mit leiblicher Mutter und Stiefvätern bzw. wechselnden Partnern der Mütter oder sie wurden aus Heimen oder von Großeltern „nach Hause“ geholt, da die Mutter inzwischen einen neuen Partner gefunden hatte. In solchen Familienkonstellationen hatte die Mutter eine schwache Rolle. Oft übernahmen die neuen Partner die Machtstellung, die die Jugendlichen dann gegen sich gerichtet fühlten. Die Kinder verloren also auch den zweiten leiblichen Elternteil, in dem Fall an die neuen Partner (ebd., 114).


3.3. Andere Faktoren für Straßenkarrieren  
3.3. Andere Faktoren für Straßenkarrieren  
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