Sterbehilfe: Unterschied zwischen den Versionen

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'''wird bearbeitet von Tina N.'''
Im internationalen Diskurs wird neben dem deutschen Begriff „Sterbehilfe“, der Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, der Ausdruck „Euthanasie“ („eu“ = gut; „thanatos“ = Tod; der „gute Tod“) gebraucht, der in der griechischen und römischen Antike einen würdevollen, schmerzfreien und ehrenhaften Tod nach einem vollendeten Leben bezeichnete. Aufgrund der Pervertierung des Begriffs im Zusammenhang mit dem „Euthanasieprogramm“ zur Zeit des Nationalsozialismus, wird in Deutschland mehrheitlich der Begriff „Sterbehilfe“  verwendet.
Im internationalen Diskurs wird neben dem deutschen Begriff „Sterbehilfe“, der Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, der Ausdruck „Euthanasie“ („eu“ = gut; „thanatos“ = Tod; der „gute Tod“) gebraucht, der in der griechischen und römischen Antike einen würdevollen, schmerzfreien und ehrenhaften Tod nach einem vollendeten Leben bezeichnete. Aufgrund der Pervertierung des Begriffs im Zusammenhang mit dem „Euthanasieprogramm“ zur Zeit des Nationalsozialismus, wird in Deutschland mehrheitlich der Begriff „Sterbehilfe“  verwendet.


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'''Definitorische Abgrenzung'''
'''Definitorische Abgrenzung'''
{| border = “1“ cellpadding=“20“ cellspacing=“()“
{| border = “1“ cellpadding=“20“ cellspacing=“20“
! '''Reine Sterbehilfe'''
! '''Passive Sterbehilfe'''
! '''Passive Sterbehilfe'''
! '''Indirekte Sterbehilfe'''
! '''Indirekte Sterbehilfe'''
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! '''Terminale Sedierung'''
! '''Terminale Sedierung'''
|-
|-
| Palliative Sterbebegleitung
| Sterbenlassen durch Einstellen oder Nichtergreifen lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen
| Sterbenlassen durch Einstellen oder Nichtergreifen lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen
| Leidensminderung bei Inkaufnahme eines beschleunigten Todeseintritts
| Leidensminderung bei Inkaufnahme eines beschleunigten Todeseintritts
| Vorzeitiges Herbeiführen des Todes
| Vorzeitiges Herbeiführen des Todes
| Bereitstellung von Möglichkeiten zum Suizid
| Bereitstellung von Möglichkeiten zum Suizid
| Leidensminderung durch (teilweises)Ausschalten des Bewusstseins
| Leidensminderung durch (teilweises) Ausschalten des Bewusstseins
|}
|}




=='''Rechtslage'''==
 
==Rechtslage in Kanada==
Im Februar 2015 [http://www.nytimes.com/2015/02/07/world/americas/supreme-court-of-canada-overturns-bans-on-doctor-assisted-suicide.html?action=click&contentCollection=Americas&region=Footer&module=MoreInSection&pgtype=article änderte der Supreme Court] seine 22 Jahre alte Position und sprach sich gegen das generelle Verbot aktiver Sterbehilfe aus.
 
==Rechtslage in Deutschland==
Derzeit ist die Sterbehilfe in keinem einheitlichen Gesetzestext geregelt, vielmehr werden je nach Sachverhalt unterschiedliche Paragraphen des Strafgesetzbuches wirksam. Gegenüber dieser Rechtsunsicherheit gelten als Orientierungsrahmen sowohl Rechtsprechungen von Oberlandesgerichten oder dem Bundesgerichtshofs bei Einzelfallentscheidungen der letzten Jahre als auch die Grundsätze der Bundesärztekammer.
Derzeit ist die Sterbehilfe in keinem einheitlichen Gesetzestext geregelt, vielmehr werden je nach Sachverhalt unterschiedliche Paragraphen des Strafgesetzbuches wirksam. Gegenüber dieser Rechtsunsicherheit gelten als Orientierungsrahmen sowohl Rechtsprechungen von Oberlandesgerichten oder dem Bundesgerichtshofs bei Einzelfallentscheidungen der letzten Jahre als auch die Grundsätze der Bundesärztekammer.
==='''Gesetze'''===
==='''Gesetze'''===
Die Rechtmäßigkeit der '''passiven Sterbehilfe''' bemisst sich in erster Linie am Selbstbestimmungsrecht des Patienten; die Willenserklärung des Patienten ist somit maßgeblich. Bei der freiwilligen passiven Sterbehilfe stimmt der Patient der Maßnahme bewusst und ohne Zwang zu. Bei der nicht-freiwilligen passiven Sterbehilfe ist der Patient dagegen nicht mehr einwilligungsfähig, der mutmaßliche Wille muss ermittelt werden. Seit dem 1. September 2009 ist gemäß § 1901a BGB (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts) verbindlich der in einer Patientenverfügung festgeschriebene Wille des Patienten zu berücksichtigen. <ref> [http://www.bmj.bund.de/files/-/3741/Gesetzesbeschluss_Patientenverfuegung_Betreuungsrecht.pdf Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsgesetzes]</ref>  Unfreiwillige passive Sterbehilfe liegt dann vor, wenn keinerlei Berücksichtigung des Patientenwillens besteht bzw. gegen den Willen des Patienten eine Behandlung unterlassen oder abgebrochen wird. In diesem Fall macht sich der Arzt wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB, gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB oder - bei fehlendem Vorsatz - wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB strafbar.   
Die Rechtmäßigkeit der '''passiven Sterbehilfe''' bemisst sich in erster Linie am Selbstbestimmungsrecht des Patienten; die Willenserklärung des Patienten ist somit maßgeblich. Bei der freiwilligen passiven Sterbehilfe stimmt der Patient der Maßnahme bewusst und ohne Zwang zu. Bei der nicht-freiwilligen passiven Sterbehilfe ist der Patient dagegen nicht mehr einwilligungsfähig, der mutmaßliche Wille muss ermittelt werden. Seit dem 1. September 2009 ist gemäß § 1901a BGB (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts) verbindlich der in einer Patientenverfügung festgeschriebene Wille des Patienten zu berücksichtigen. <ref> [http://www.bmj.bund.de/files/-/3741/Gesetzesbeschluss_Patientenverfuegung_Betreuungsrecht.pdf Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsgesetzes]</ref>  Unfreiwillige passive Sterbehilfe liegt dann vor, wenn keinerlei Berücksichtigung des Patientenwillens besteht bzw. gegen den Willen des Patienten eine Behandlung unterlassen oder abgebrochen wird. In diesem Fall macht sich der Arzt wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB, gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB oder - bei fehlendem Vorsatz - wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB strafbar.   


Bei der '''indirekten Sterbehilfe''' ist neben der Voraussetzung des erklärten oder mutmaßlichen Willens des einwilligungsfähigen Patienten (freiwillige oder nicht-freiwillige Sterbehilfe), die innere Willensrichtung des Arztes maßgeblich. Straflosigkeit liegt dann vor, wenn Maßnahmen angewandt werden, die als primäres Ziel die Schmerzlinderung herbeiführen sollen, wobei die Nebenfolge der Lebensverkürzung lediglich hingenommen, aber nicht beabsichtigt wird. Handelt der Arzt dagegen vorsätzlich im Sinne der beabsichtigten Tötung eines im Sterben befindlichen Patienten, wird sein Handeln als aktive direkte Sterbehilfe und somit als Tötungsdelikt gemäß § 212 (Tötung) oder § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) begriffen.
Bei der '''indirekten Sterbehilfe''' ist neben der Voraussetzung des erklärten oder mutmaßlichen Willens des einwilligungsfähigen Patienten (freiwillige oder nicht-freiwillige Sterbehilfe), die innere Willensrichtung des Arztes maßgeblich. Straflosigkeit liegt dann vor, wenn Maßnahmen angewandt werden, die als primäres Ziel die Schmerzlinderung herbeiführen sollen, wobei die Nebenfolge der Lebensverkürzung lediglich hingenommen, aber nicht beabsichtigt wird. Handelt der Arzt dagegen vorsätzlich im Sinne der beabsichtigten Tötung eines im Sterben befindlichen Patienten, wird sein Handeln als aktive direkte Sterbehilfe und somit als Tötungsdelikt gemäß § 212 (Totschlag) oder § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) begriffen.


Bei der '''aktiven Sterbehilfe''' macht sich der Arzt grundsätzlich eines Tötungsdeliktes strafbar. Handelt er dabei gegen oder ohne den Willen des Patienten wird § 212 StGB (Totschlag) wirksam, liegt dagegen eine barmherzige Gesinnung, also Mitleid vor, ist von einem minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB auszugehen. Handelt der Arzt wiederum mit der Zustimmung des Patienten liegt Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB vor.
Bei der '''aktiven Sterbehilfe''' macht sich der Arzt grundsätzlich eines Tötungsdeliktes strafbar. Handelt er dabei gegen oder ohne den Willen des Patienten wird § 212 StGB (Totschlag) wirksam, liegt dagegen eine barmherzige Gesinnung, also Mitleid vor, ist von einem minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB auszugehen. Handelt der Arzt wiederum mit der Zustimmung des Patienten liegt Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB vor.
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==='''Grundsätze der Bundesärztekammer'''===
==='''Grundsätze der Bundesärztekammer'''===
Richtlinien der Bundesärztekammer stellen für Mediziner eine weitere Größe dar, um in unklaren Situationen der Sterbehilfe zu entscheiden. Als zulässig werden hier explizit die passive und indirekte sowie freiwillige und nicht-freiwillige Sterbehilfe beschrieben; auch gelten diese im engeren Sinne bei Sterbenden sowie im weiteren Sinne bei schwerkranken Patienten. Aktive Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen werden als in keinem Fall zulässig betrachtet und die ärztliche Beihilfe zum Suizid als dem ärztlichen Ethos gegenläufig verstanden. Demgegenüber wurde die Patientenverfügung bereits vor der gesetzlichen Regelung im Jahre 2009 als bindend angesehen, bspw. wird die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zwar zur Basisversorgung gezählt, der Patient muss aber nicht zwangsläufig, insbesondere nicht gegen seinen Willen, ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden. <ref>[http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Sterbebegl2004.pdf Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2004]</ref>
Richtlinien der Bundesärztekammer stellen für Mediziner eine weitere Größe dar, um in unklaren Situationen der Sterbehilfe zu entscheiden. Als zulässig werden hier explizit die passive und indirekte sowie freiwillige und nicht-freiwillige Sterbehilfe beschrieben; auch gelten diese im engeren Sinne bei Sterbenden sowie im weiteren Sinne bei schwerkranken Patienten. Aktive Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen werden als in keinem Fall zulässig betrachtet und die ärztliche Beihilfe zum Suizid als dem ärztlichen Ethos gegenläufig verstanden. Demgegenüber wurde die Patientenverfügung bereits vor der gesetzlichen Regelung im Jahre 2009 als bindend angesehen, bspw. wird die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zwar zur Basisversorgung gezählt, der Patient muss aber nicht zwangsläufig, insbesondere nicht gegen seinen Willen, ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden. <ref>[http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Sterbebegl2004.pdf Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2004]</ref>
==='''aktuelle Diskussion zur strafgesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe'''===
==='''Aktuelle Diskussion zur strafgesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe'''===
Die strittige Frage einer gesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland wird insbesondere von zwei Positionen getragen. Befürworter betonen die Besonderheit der modernen Medizin, die neben der künstlichen Verlängerung von Leben auch den Sterbeprozess inklusive zunehmender Leid- und Schmerzzustände hinauszögert. Da die Würde des Menschen eng mit seinem selbstbestimmten Handeln verbunden sei, entstehe eine Forderung nach Selbstbestimmung auch im Sterbeprozess, welcher sich die Medizin, das Recht und die Gesellschaft zu stellen habe.  
Die strittige Frage einer gesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland wird insbesondere von zwei Positionen getragen. Befürworter betonen die Besonderheit der modernen Medizin, die neben der künstlichen Verlängerung von Leben auch den Sterbeprozess inklusive zunehmender Leid- und Schmerzzustände hinauszögert. Da die Würde des Menschen eng mit seinem selbstbestimmten Handeln verbunden sei, entstehe eine Forderung nach Selbstbestimmung auch im Sterbeprozess, welcher sich die Medizin, das Recht und die Gesellschaft zu stellen habe.  


Gegner einer gesetzlichen Fassung der aktiven Sterbehilfe verweisen dagegen auf die möglichen Gefahren wie Verrohung des Arztes, Dammbrüche, Missbrauch, Heteronomie und gesellschaftliche Enthemmung. Die Verschleierung illegitimer Tötungsdelikte sowie eine zunehmende Desolidarisierung mit den Älteren einer Gesellschaft werden befürchtet, in welcher sich die aktive Sterbehilfe als eine Option der Entledigung darstellen könne.  
Gegner einer gesetzlichen Fassung der aktiven Sterbehilfe verweisen dagegen auf die möglichen Gefahren wie Verrohung des Arztes, Dammbrüche, Missbrauch, Heteronomie und gesellschaftliche Enthemmung. Die Verschleierung illegitimer Tötungsdelikte sowie eine zunehmende Desolidarisierung mit den Älteren einer Gesellschaft werden befürchtet, in welcher sich die aktive Sterbehilfe als eine Option der Entledigung darstellen könne.  


Der Gegensatz von Selbstbestimmung einerseits und der Gefahr der Fremdbestimmung durch Dammbrucheffekte andererseits, kann in einer säkularisierten und pluralistischen Wertegesellschaft wie Deutschland nicht durch einen moralischen Verweis gelöst werden, vielmehr ist eine Übereinkunft nur durch eine kulturelle Debatte unter Berücksichtigung der vielfältigen medizinischen, philosophischen, juristischen, ethischen und theologischen Werte möglich.
Der Gegensatz von Selbstbestimmung einerseits und der Gefahr der Fremdbestimmung durch Dammbrucheffekte andererseits, kann in einer säkularisierten und pluralistischen Wertegesellschaft wie Deutschland nicht durch einen moralischen Verweis gelöst werden, vielmehr ist eine Übereinkunft nur vermittels einer kulturellen Debatte unter Berücksichtigung der vielfältigen medizinischen, philosophischen, juristischen, ethischen und theologischen Werte möglich.


=='''Ländervergleich'''==
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=='''Literatur'''==
=='''Literatur'''==
Bardola, N. (2007) ''Der begleitete Freitod: Ein Plädoyer für die Selbstbestimmung über das eigene Leben'', München: Südwest.
Bardola, N. (2007) ''Der begleitete Freitod: Ein Plädoyer für die Selbstbestimmung über das eigene Leben'', München: Südwest.
[https://core.ac.uk/download/pdf/85220653.pdf Fischer, Johannes (1996) Aktive und passive Sterbehilfe]


Grimm, C., Hillebrand, I. (2009) ''Sterbehilfe: Rechtliche und ethische Aspekte'', München: Verlag Karl Alber.  
Grimm, C., Hillebrand, I. (2009) ''Sterbehilfe: Rechtliche und ethische Aspekte'', München: Verlag Karl Alber.  
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