Staatsverbrechen und der heimliche Lehrplan der Kriminologie: Unterschied zwischen den Versionen

 
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Ein Blick auf den Umgang der Kriminologie mit dem Thema Staatsverbrechen offenbart vor allem die Schwierigkeiten unserer Disziplin mit sich selbst. Die Probleme bei dem Versuch einer Integration von Staatsverbrechen in die kriminologische Theorie und Forschungspraxis verweisen auf die Existenz und die Wirksamkeit eines heimlichen Lehrplans, der aus allerlei Vorbehalten und Bedingungen besteht, die den Erkenntnisprozess der Kriminologie seit jeher begleiten und begrenzen - und die es ihr schwer machen (werden), sich aus ihrem Status und ihrer Funktion als subalterne Wissenschaft zu befreien. Die impliziten Imperative des heimlichen Lehrplans stehen im Widerspruch zu den selbstgesteckten Zielen der Kriminologie als eines der Aufklärung verpflichteten Unternehmens.
Im Folgenden geht es um Lernziele und Lerngegenstände in der kriminologischen Ausbildung. Allerdings um jene, die gerade nicht dort zu finden sind, wo man sie vernünftigerweise zunächst einmal sucht, nämlich in den Studienplänen und Modulbeschreibungen, wie wir sie aus dem universitären Sitzungen, den Informationsmaterialien und den Internetauftritten der kriminologischen Institute und Studiengänge im In- und Ausland kennen.
 
Der Lehrplan, um den es geht, ist nirgendwo schriftlich festgelegt. Nie wurde er diskutiert, in keinem Gremium gab es jemals eine Vorlage, nirgendwo hat man je über ihn abgestimmt. Keine Aufsichtsbehörde hat ihn je genehmigt und kein Amtsblatt hat ihn je veröffentlicht. In der Welt des Geschriebenen gibt es ihn nicht. Doch unsichtbar heißt nicht unbedingt inexistent. Denn paradoxerweise ist seine Wirkung stärker als die aller geschriebenen Curricula zusammengenommen. Der heimliche Lehrplan der Kriminologie ist nicht, wie die anderen, räumlich in seiner Geltung begrenzt. Er gilt überall auf der Welt und er wird auf das Strengste befolgt. Der heimliche Lehrplan beherrscht die Kriminologie von Alaska bis Feuerland, von Irland bis Australien und von Sofia bis Singapur. Er war schon in Kraft, als die Kriminologie entstand und er bedurfte keiner Ergänzungen, keiner Novellierungen und schon gar keiner Revision bis auf den heutigen Tag. Nichts deutet darauf hin, dass seine Bestimmungen außer Kraft gesetzt werden könnten. Er ist nicht nur das eherne Gesetz, unter dem die Kriminologie antrat, sondern er stellt auch das größte Hindernis dar, das der Kriminologie wie ein Felsblock den Weg zur vollen Wissenschaftlichkeit versperrt.
 
 
Gibt es ihn überhaupt?
Suchmethode Indirekt Dark Matter Aids
 
Vorschlag Staatsverbrechen.
 
Besonderheiten des Umgangs mit Staatsverbrechen, die anders nicht erklärt werden können.
 
Ein Umgang, der sich vorhersehen lässt.
 
Dann hätte man den indirekten Nachweis seiner Existenz.
 
Und man könnte seine Konturen zu bestimmen versuchen.
 
 
 
 
 
 
 
Gegenstand der Wissenschaft, nämlich auf Delinquenz, Kriminalität und Kontrolle, bzw., auf "the process of making laws, of breaking laws, and of reacting toward the breaking of laws" (Sutherland 1974: 3).
 
Insofern dienen Forschung und Lehre in der Kriminologie der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst.
 
Die Kriminologie einschließlich der Kriminalsoziologie steht heutzutage - wieder einmal, muss man sagen - im Begriff, sich den großen Themen der Gegenwart zu öffnen. Stichworte wie Wirtschafts-, Finanz- und Umweltkriminalität sind uns inzwischen geläufig. Es gibt eine beachtliche wissenschaftliche Aktivität in diesem Bereich. Offenbar will man den Blick nicht mehr nur nach unten auf die "nuts, sluts, and preverts" (Liazos) richten, will nicht mehr nur von oben herab die Rand- und Unterschichten der Gesellschaft und deren "crimes in the streets" analysieren, sondern endlich auch die bislang weitgehend ignorierten "crimes in the suites", d.h. die zerstörerischen Machenschaften, die ihren Ausgang in den Vorstandsetagen großer Unternehmen oder den Verständigungen der politisch Mächtigen nehmen und in der Versehrung oder Vernichtung ungezählter Menschenleben enden.
 
Nachdem vieles, was einst ganz unbezweifelt als "abweichendes Verhalten" galt - noch vor wenigen Jahrzehnten zählte dazu die Homosexualität - normativ aufgewertet, sozial inkludiert und dem kriminologischen Zugriff folgerichtig entzogen wurde, ist die neuerliche Entdeckung der Makrokriminalität unter dem Gesichtspunkt der Sorge um die Aufrechterhaltung der Bedeutung des Faches auf jeden Fall eine hochwillkommene Kompensation für anderswo verlorenes Terrain.
 
Allerdings weist schon die Tatsache, dass es sich nicht um den ersten Anlauf in diese Richtung handelt, auf das Vorliegen eines Problems hin. Dinge, die sich nicht im ersten Anlauf realisieren lassen, haben es offenbar mit Widerstand zu tun. Irgend etwas hindert die Kriminologie, ihre Aspiration, sich von einer Randgruppen- und Unterschichts-Wissenschaft zu einer ganzen Wissenschaft zu entwickeln, d.h. zu einer Disziplin, die mit demselben Erfolg die Normbrüche der privilegierten Schichten untersucht, mit dem sie bisher ausschließlich die Straftaten der Unterprivilegierten erforschte.
 
 
Insofern kann ein Blick auf den Umgang der Kriminologie mit dem Thema Staatsverbrechen vor allem die Schwierigkeiten unserer Disziplin mit sich selbst offenbaren. Die mannigfaltigen Probleme bei dem Versuch, diesen doch eher ungewöhnlichen Gegenstand zu integrieren, lassen die Existenz einer Art von heimlichem Lehrplan vermuten, also von unausgesprochenen Funktionsimperativen oder Aufgaben der Kriminologie, die nicht unbedingt identisch sind mit den Zielen und Herausforderungen, denen sie sich nach ihrem dargestellten Selbstverständnis verpflichtet sieht. Der heimliche Lehrplan, so die Vermutung, steht in mancher Hinsicht im Widerspruch zu den selbstgesteckten Zielen der Kriminologie als eines der Aufklärung verpflichteten Unternehmens. Stimmt die These vom heimlichen Lehrplan der Kriminologie, dann besteht ihre Aufgabe nicht nur in der Produktion und Vermittlung von Wissen, sondern auch - und in erster Linie - in der Sozialisation in eine bestimmte Grundauffassung von Staat, Recht, Kriminalität, Chaos und Ordnung. Dieser unausgesprochene Imperativ drückt sich dann in allerlei Vorbehalten und Bedingungen aus, die den Erkenntnisprozess der Kriminologie seit jeher begleiten, belasten und begrenzen - und die es ihr einerseits immer schon schwer gemacht haben und andererseits wohl auch in der Zukunft schwer machen werden, sich aus ihrem Status und ihrer Funktion als einer subalternen Wissenschaft zu befreien.
Der Diskurs der Kriminologie kommt im wesentlichen (also in den gängigen Lehrbüchern und Kriminalitätstheorien) ohne die Thematisierung von Genoziden und anderen Formen der Makrokriminalität aus. Morrison fragt in dieser Publikation nach der Bedeutung dieses Umstands und kommt zu folgenden Ergebnissen:
 
*Othering. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, sie selbst zu sein - nämlich eine Wissenschaft des Othering, die Kriminalität als Angelegenheit individueller psychischer Unterschiede konzipiert (man denke an Don Gibbons 1994 ebenso wie an Hirschi and Gottfredson 1990).
*Trivialisierung. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, ihre These von der Trivialität und Belanglosigkeit der grossen Masse der Straftaten aufrecht zu erhalten. Diese Trivialisierung des Gegenstands der Kriminologie wäre unmöglich, wenn man den Genozid einbezöge.
*Nützlichkeit. Die Kriminologie ist vor allem ideologisch nützlich, indem sie das Bild aufrechterhält, dass der Staat die soziale Ordnung garantiert und die Kriminologie ihm dabei hilft, das Chaos zu bändigen. Die Kriminologie analysiert den modernen Nationalstaat nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sondern arbeitet innerhalb von dessen symbolischem Universum. Die Kriminologie analysiert auch nicht die funktionalistische Auffassung, die das Selbstbild des Staates prägt, sondern ist Teil derselben. Sie sieht sich selbst als Helferin bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Distanz finden sich zwar bei Nils Christie und Stan Cohen und ihren Warnungen im Stile von "Do not trust the state and narratives of control ...", doch deren Platz in der Kriminologie ist derjenige von Pflichtzitaten ohne weitere Wirkung auf fundamentaler Ebene.
*Was macht den wissenschaftlichen Umgang mit dem Genozid in der Kriminologie so schwer? Die Frage nach dem Warum und nach den Implikationen für unser Verständnis der Menschheit, bzw. des Menschseins, aber auch für unser Verständnis der Moderne und des (deutschen?) Menschen. Die Schwierigkeit besteht vor allem wohl darin, dass die Moderne, die politische Ordnung und sogar das Menschsein nicht mehr als eigentlich in Ordnung begriffen werden könnten - und auch die Ur-Positionierung der Kriminologie als Verteidigerin der Ordnung gegen das Chaos und das Böse nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Insofern müßten die Erkenntnisse von Forschern wie Browning, Milgram u.a. die Grundfesten der Kriminologie erschüttern.
*David Garlands Sicht der Erfahrung der Kriminalität in der Moderne ist merkwürdig provinziell: immer wieder verwechselt er USA & GB mit der ganzen Welt - und nichts weist auf die innere Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Rest der Welt und denjenigen in "seiner Welt" hin. Nils Christie hat einmal gesagt, Kriminologie solle ein Spiegel sein. Sie ist ein Zerrspiegel, der die wesentlichen Dinge nicht widerspiegelt.
*Die Genozid-Erfahrung wird eingekapselt in Spezial-Diskurse. Der kriminologische Diskurs könnte von der Öffnung in Richtung auf die Integration des Genozids lernen (auch Young's ''Exclusive Society'' würde anders aussehen), aber auch die Genozid-Studien könnten von den kriminologischen Herangehensweisen lernen.
 


== Staatsverbrechen ==
== Staatsverbrechen ==
ä  könnte
ü
Die Kriminologie sammelt Informationen über Straftaten, Rechtsbrecher und soziale Kontrolle und versucht diese Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Sie will dies solide tun, d.h. mit wissenschaftlichen Methoden und so objektiv wie möglich. In der Praxis muss sie allerdings Schwerpunkte setzen und darf sich nicht zu weit von dem entfernen, was im Weltbild ihrer Adressaten als wichtig und richtig erscheint. Das relativiert den eigenen Anspruch an objektive Erkenntnis in erheblichem Masse. Wie stark diese Bornierung wirkt, lehrt vor allem die Historie. Man denke an die Grenzen der Erkenntnis und ihre Verschiebung in den Jahren zwischen 1871 und 1971. Im Deutschen Kaiserreich waren die massgeblichen Mentalitäten andere als in der Weimarer Republik - und wieder andere gab es dann im sogenannten Dritten Reich. Auch im NS-Staat wurde Kriminologie betrieben, auch damals beobachtete man die Entwicklungslinien zahlreicher Delikte - und doch sorgte der seinerzeitige Bezugsrahmen dafür, dass die bedeutendsten Verbrechen der damaligen Zeit aus Lehrwerken und Forschungen und aus der wissenschaftlichen Wahrnehmung insgesamt komplett ausgeblendet blieben. Trotz subjektiv sorgfältigster Beobachtung der Deliktsentwicklungen und trotz erster Erkundungen des Dunkelfeldes blieben also die meisten und die schwersten Delikte ausserhalb der Grenzen des Diskurses.
Aus heutiger Sicht lag der entscheidende Grund für die Blindheit der Kriminologie in dem historisch gewachsenen Bezugssystem der Disziplin selbst. Die Kriminologie hatte ihren Ursprung ja in dem Versuch, den staatlichen Stellen beim Umgang mit einer anschwellenden Menge von Delikten zur Seite zu stehen. Die vom Industrieproletariat und mehr noch vom Subproletariat ausgehenden Bedrohungen der etablierten Ordnung - die Rede war von den ''dangerous classes'', den ''criminal classes'' und einer anwachsenden ''Armee von Verbrechern'' -  sollten durch Kenntnis der Ursachen dieser Erscheinungen unter Kontrolle gebracht werden. Ein Mittel dazu sah man in der wissenschaftlich fundierten Modernisierung der Kriminalpolitik (von der Effektivierung der Gesetzgebung bis hin zum Strafvollzug).
Der Bezugsrahmen, innerhalb dessen man seine Wahrnehmung organisierte, bestand aus der gleichsam axiomatischen Gewissheit, "dass das Strafrecht das Recht des Machthabers gegen den Machtunterworfenen ist, der Machthaber selbst aber nicht bestraft werden kann" (Naucke 2012: 15).
Dieser Bezugsrahmen war so tief verankert, dass er erstens schon effektiv jede Wahrnehmung und jede Subsumtion staatlichen Handelns unter das Strafrecht blockierte und zweitens auch in dem (eines Tages ja dann doch eintretenden Fall einer solchen Wahrnehmung und Subsumtion) nicht von einem Tag auf den anderen revidiert werden konnte.
Einige Stichworte reichen, um die Tiefe der Staatsverehrung anzudeuten. Im Absolutismus war staatsrechtlich sonnenklar, dass der Machthaber von Gott eingesetzt war und sich auch nur vor diesem Urgrund seiner legitimen Herrschaft zu verantworten hatte (princeps legibus solutus). Doch selbst die in post-absolutistischen deutschen Landen dominierende Kantische Rechts- und Staatslehre wollte von irgendeiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Herrscher nichts wissen und riet den Unzufriedenen dazu, statt den Herrscher zu kritisieren doch lieber ins Exil zu gehen. Und wer nicht Kantianer war, sondern Hegelianer, der sah im Staat eh die Materialisierung edelster Menschheitsideale von Freiheit und Vernunft. Hegel zufolge waren ja Sittlichkeit und Freiheit eine untrennbare Einheit, die erst im Rahmen des Staates in ihrer besten Form wirklich werden konnte. Definierte man aber den Staat mit Hegel als die selbstbewusste sittliche Substanz und als das an und für sich Vernünftige, so verblieb dem Einzelnen als höchste Freiheit nichts anderes, als eben dem Gesetz des Staates in aufopfernder Pflichtererfüllung zu gehorchen. Jeder Gedanke daran, dass es anders sein könnte, verbat sich von selbst. Fundamentaler Ausdruck der Erhabenheit der Staatsidee und der Funktion der Konzepte von Straftat und Strafjustiz (= Strafgerechtigkeit) war der bekannte Satz des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl (1802-1861): "Die Strafgerechtigkeit ist die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat."
Zur Zeit der Entstehung der Kriminologie als Wissenschaft gab es also einen klaren Ausgangspunkt allen Denkens, Forschens und Lehrens, und das war die Vorstellung vom Strafrecht als Instrument des Herrschers gegen schwierige Untertanen, die untereinander keinen Frieden halten konnten und durch den weisen Herrscher und seine Peinliche Gerichtsbarkeit zur Raison gebracht werden mussten. Ausserdem gehörte zu dieser Vorstellung das Strafrecht als Waffe in der Hand des Herrschers, um sich selbst und sein Herrschaftssystem gegen politisch motivierte Angriffe zur Wehr zu setzen. Dieses Delikt der mehr oder minder direkten Herausforderung staatlicher Machthaber aus dem Innern des Staates selbst wurde seinerzeit als ''crimen (laesae) maiestatis'', als ''crimen perduellionis'', als ''crime d'État'' oder als ''Staatsverbrechen'' bezeichnet.
Mit dem Staatsverbrechen als einem Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie" (Krünitz 1836: 380), befasste sich das Staatsrecht allerdings deutlich intensiver als das Strafrecht. Die Kriminologie interessierte sich dafür eher am Rande. Wenn sich Kriminologen der Anfangszeit - wie namentlich auch Cesare Lombroso - allerdings angesichts einer Welle politischer Attentate einmal dem Thema widmeten, dann kamen auch sie mit ihren Methoden und Theorien recht gut damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Man hatte es ja mit einer Erscheinung zu tun, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen in einiger Direktheit gegen die politische Herrschaft wandten und diese nicht nur indirekt im Zuge der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols auf den Plan riefen.
Schon dieser kurze Blick in die Geschichte der Kriminologie kann uns lehren, das Selbstverständnis der Disziplin in einer bestimmten Epoche nicht unhinterfragt zu übernehmen, sondern so gut es geht von aussen zu betrachten, es also statt zum Ausgangpunkt zum Gegenstand der Forschung zu machen. Wenn wir dies in Bezug auf die Vergangenheit tun, dann finden wir die oben angedeuteten unausgesprochenen, also gleichsam axiomatisch vorausgesetzten Begrenzungen, die sich auch als Imperative oder als Tabuschranken formulieren lassen. Wer als Kriminologe seinerzeit erfolgreich sein wollte, der musste nicht nur forschen und lehren, sondern in erster Linie musste er sich mit diesen Axiomen vertraut machen - und sie wurden ihm auch implizit, nicht explizit, beigebracht:
*Das Strafrecht ist das Instrument der Machthaber ...
*Vertraue dem Staat und seinen Organen mehr als den Machtunterworfenen oder Deinem eigenen Verstand
*Vertraue denjenigen, die in der Hierarchie angesiedelt sind, in dem Masse und in der Reihenfolge ihres sozialen Ranges
*Diene der staatlichen Ordnung und ihren Erfordernissen
*Erforsche die Delikte, die eine Bedrohung der Ordnung darstellen
*Erforsche nicht die dunklen Seiten der Macht
In der Geschichte der Kriminologie gab es wohl keinen einzigen erfolgreichen Vertreter dieses Faches, der dies nicht gelernt und beherzigt hat. Obwohl derlei in keinem offiziellen Lehrplan stand. Und dennoch waren diese Imperative ohne Zweifel etwas, was sozusagen zur Grundausbildung eines jeden Kriminologen gehörte. Nur dass der Lehrplan eben kein geschriebener, sondern ein heimlicher war. Insofern kann man, auch wenn das Konzept selbst aus der Erziehungswissenschaft stammt, von einem heimlichen Lehrplan der Kriminologie sprechen.
... im sinne eines ensembles von aufgaben und zielen, die ...
these ist, den hL gab es, aber den gibt es auch noch.
wie anders ist zu erklaeren, dass das staatsverbrechen heutiger art nicht integriert wird.
es gibt viele staatsverbrechen. und viel kriminologisches reden darueber. aber keine integration in theorie und forschung. warum? zugang, kritik an herrschenden, keine finanzen, problem der loesung vom legalistischen verbrechensbegriff, bzw. problem der machtlosigkeit gegenueber den rechtfertigungsversuchen der herrschenden.
in der kriminologischen theorie und ueberall muesste es veraenderungen geben, die man nicht aushaelt.
Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
    
    
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== Literatur ==
== Literatur ==
*Bernfeld, Siegfried (1981) Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, 4. Auflage Frankfurt a. M.
*Bernfeld, Siegfried (1981) Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, 4. Auflage Frankfurt a. M.
*[http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Michael_Franz_Birnbaum#Zum_Werk_.22.C3.9Cber_das_Erforderni.C3.9F_einer_Rechtsgutverletzung_zum_Begriff_des_Verbrechens.22 Birnbaum]
*Döring, Klaus W. (1989) Lehrerverhalten. Weinheim.
*Döring, Klaus W. (1989) Lehrerverhalten. Weinheim.


*Dutton, D., Boyanowsky, E., & Bond, M. (2005). Extreme mass homicide: From military massacre to genocide. Aggression and Violent Behavior, 10(4), 437-473.
*Dutton, D., Boyanowsky, E., & Bond, M. (2005). Extreme mass homicide: From military massacre to genocide. Aggression and Violent Behavior, 10(4), 437-473.
*Galassi, Silviana


*[http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=BNg8tdL2IdQC&oi=fnd&pg=PR11&dq=hidden+curriculum+definition&ots=hSL06FClWv&sig=YwIzI8Blj5RUGTEz-LT-nMxgmsE#v=onepage&q&f=false Gatto, John Taylor (2005) Dumbing Us Down: The Hidden Curriculum of Compulsory Schooling. Gabriola Island (BC): New Society Publishers].
*[http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=BNg8tdL2IdQC&oi=fnd&pg=PR11&dq=hidden+curriculum+definition&ots=hSL06FClWv&sig=YwIzI8Blj5RUGTEz-LT-nMxgmsE#v=onepage&q&f=false Gatto, John Taylor (2005) Dumbing Us Down: The Hidden Curriculum of Compulsory Schooling. Gabriola Island (BC): New Society Publishers].
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*Meyer, Hilbert : UnterrichtsMethoden. In: Theorieband. Frankfurt 1988, 2. Auflage.
*Meyer, Hilbert : UnterrichtsMethoden. In: Theorieband. Frankfurt 1988, 2. Auflage.
*Morrison, Wayne (2004) Criminology, Genocide, and Modernity: Remarks on the Companion that Criminology Ignored, in: Colin Sumner, ed., The Blackwell Companion to Criminology.  
*Morrison, Wayne (2004) Criminology, Genocide, and Modernity: Remarks on the Companion that Criminology Ignored, in: Colin Sumner, ed., The Blackwell Companion to Criminology.  
*Morrison, Wayne (1995) Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism
*Morrison, Wayne (1995) Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism
*[http://www.amazon.de/Die-Freigabe-Vernichtung-lebensunwerten-Lebens/dp/3830511698/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1337963808&sr=1-1 Naucke, Wolfgang (2006) Einführung: Rechtstheorie und Staatsverbrechen, in: Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens – Ihr Maß und ihre Form (1920). Neudruck 2006: V-LXXI (S. V-XI online)].
*[http://www.amazon.de/Die-Freigabe-Vernichtung-lebensunwerten-Lebens/dp/3830511698/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1337963808&sr=1-1 Naucke, Wolfgang (2006) Einführung: Rechtstheorie und Staatsverbrechen, in: Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens – Ihr Maß und ihre Form (1920). Neudruck 2006: V-LXXI (S. V-XI online)].
*Naucke, Wolfgang (2012) Annäherung an den Begriff der politischen Wirtschaftsstraftat.


*Oeconomische Encyclopädie, oder Allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- u. Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung. 165. Band, Berlin: Krause.
*Oeconomische Encyclopädie, oder Allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- u. Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung. 165. Band, Berlin: Krause.
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*Popitz: Phänomene der Macht. 2., erw. Aufl. Tübingen: Mohr 1992, S. 22
*Popitz: Phänomene der Macht. 2., erw. Aufl. Tübingen: Mohr 1992, S. 22
*[http://www.springerlink.com/content/x3017321870441p2/ Sack, Fritz (2008) Die deutsche Kriminologie im Lichte des Werkes von D. Garland, in: Exklusion in der Marktgesellschaft ...]
*[http://www.springerlink.com/content/x3017321870441p2/ Sack, Fritz (2008) Die deutsche Kriminologie im Lichte des Werkes von D. Garland, in: Exklusion in der Marktgesellschaft ...]
*[http://www.policypress.co.uk/PDFs/General/An%20introduction%20to%20political%20crime_Chapter%202.pdf Ross, Jeffrey Ian (2012) An Introduction to Political Crime. Bristol: Policy Press Chapter 2: Theoretical explanations of political crime]
*Schütz, Alfred: Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 1: Das problem der sozialen Wirklichkeit Den Haag 1971, S. 237-298.
*Schütz, Alfred: Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 1: Das problem der sozialen Wirklichkeit Den Haag 1971, S. 237-298.
*Zinnecker, Jürgen (1975) Der heimliche Lehrplan. Weinheim.
*Zinnecker, Jürgen (1975) Der heimliche Lehrplan. Weinheim.
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