Staatsverbrechen und der heimliche Lehrplan der Kriminologie

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Im Folgenden geht es um Lernziele und Lerngegenstände in der kriminologischen Ausbildung. Allerdings um jene, die gerade nicht dort zu finden sind, wo man sie vernünftigerweise zunächst einmal sucht, nämlich in den Studienplänen und Modulbeschreibungen, wie wir sie aus dem universitären Sitzungen, den Informationsmaterialien und den Internetauftritten der kriminologischen Institute und Studiengänge im In- und Ausland kennen.

Der Lehrplan, um den es geht, ist nirgendwo schriftlich festgelegt. Nie wurde er diskutiert, in keinem Gremium gab es jemals eine Vorlage, nirgendwo hat man je über ihn abgestimmt. Keine Aufsichtsbehörde hat ihn je genehmigt und kein Amtsblatt hat ihn je veröffentlicht. In der Welt des Geschriebenen gibt es ihn nicht. Doch unsichtbar heißt nicht unbedingt inexistent. Denn paradoxerweise ist seine Wirkung stärker als die aller geschriebenen Curricula zusammengenommen. Der heimliche Lehrplan der Kriminologie ist nicht, wie die anderen, räumlich in seiner Geltung begrenzt. Er gilt überall auf der Welt und er wird auf das Strengste befolgt. Der heimliche Lehrplan beherrscht die Kriminologie von Alaska bis Feuerland, von Irland bis Australien und von Sofia bis Singapur. Er war schon in Kraft, als die Kriminologie entstand und er bedurfte keiner Ergänzungen, keiner Novellierungen und schon gar keiner Revision bis auf den heutigen Tag. Nichts deutet darauf hin, dass seine Bestimmungen außer Kraft gesetzt werden könnten. Er ist nicht nur das eherne Gesetz, unter dem die Kriminologie antrat, sondern er stellt auch das größte Hindernis dar, das der Kriminologie wie ein Felsblock den Weg zur vollen Wissenschaftlichkeit versperrt.


Gibt es ihn überhaupt? Suchmethode Indirekt Dark Matter Aids

Vorschlag Staatsverbrechen.

Besonderheiten des Umgangs mit Staatsverbrechen, die anders nicht erklärt werden können.

Ein Umgang, der sich vorhersehen lässt.

Dann hätte man den indirekten Nachweis seiner Existenz.

Und man könnte seine Konturen zu bestimmen versuchen.





Gegenstand der Wissenschaft, nämlich auf Delinquenz, Kriminalität und Kontrolle, bzw., auf "the process of making laws, of breaking laws, and of reacting toward the breaking of laws" (Sutherland 1974: 3).

Insofern dienen Forschung und Lehre in der Kriminologie der Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst.

Die Kriminologie einschließlich der Kriminalsoziologie steht heutzutage - wieder einmal, muss man sagen - im Begriff, sich den großen Themen der Gegenwart zu öffnen. Stichworte wie Wirtschafts-, Finanz- und Umweltkriminalität sind uns inzwischen geläufig. Es gibt eine beachtliche wissenschaftliche Aktivität in diesem Bereich. Offenbar will man den Blick nicht mehr nur nach unten auf die "nuts, sluts, and preverts" (Liazos) richten, will nicht mehr nur von oben herab die Rand- und Unterschichten der Gesellschaft und deren "crimes in the streets" analysieren, sondern endlich auch die bislang weitgehend ignorierten "crimes in the suites", d.h. die zerstörerischen Machenschaften, die ihren Ausgang in den Vorstandsetagen großer Unternehmen oder den Verständigungen der politisch Mächtigen nehmen und in der Versehrung oder Vernichtung ungezählter Menschenleben enden.

Nachdem vieles, was einst ganz unbezweifelt als "abweichendes Verhalten" galt - noch vor wenigen Jahrzehnten zählte dazu die Homosexualität - normativ aufgewertet, sozial inkludiert und dem kriminologischen Zugriff folgerichtig entzogen wurde, ist die neuerliche Entdeckung der Makrokriminalität unter dem Gesichtspunkt der Sorge um die Aufrechterhaltung der Bedeutung des Faches auf jeden Fall eine hochwillkommene Kompensation für anderswo verlorenes Terrain.

Allerdings weist schon die Tatsache, dass es sich nicht um den ersten Anlauf in diese Richtung handelt, auf das Vorliegen eines Problems hin. Dinge, die sich nicht im ersten Anlauf realisieren lassen, haben es offenbar mit Widerstand zu tun. Irgend etwas hindert die Kriminologie, ihre Aspiration, sich von einer Randgruppen- und Unterschichts-Wissenschaft zu einer ganzen Wissenschaft zu entwickeln, d.h. zu einer Disziplin, die mit demselben Erfolg die Normbrüche der privilegierten Schichten untersucht, mit dem sie bisher ausschließlich die Straftaten der Unterprivilegierten erforschte.


Insofern kann ein Blick auf den Umgang der Kriminologie mit dem Thema Staatsverbrechen vor allem die Schwierigkeiten unserer Disziplin mit sich selbst offenbaren. Die mannigfaltigen Probleme bei dem Versuch, diesen doch eher ungewöhnlichen Gegenstand zu integrieren, lassen die Existenz einer Art von heimlichem Lehrplan vermuten, also von unausgesprochenen Funktionsimperativen oder Aufgaben der Kriminologie, die nicht unbedingt identisch sind mit den Zielen und Herausforderungen, denen sie sich nach ihrem dargestellten Selbstverständnis verpflichtet sieht. Der heimliche Lehrplan, so die Vermutung, steht in mancher Hinsicht im Widerspruch zu den selbstgesteckten Zielen der Kriminologie als eines der Aufklärung verpflichteten Unternehmens. Stimmt die These vom heimlichen Lehrplan der Kriminologie, dann besteht ihre Aufgabe nicht nur in der Produktion und Vermittlung von Wissen, sondern auch - und in erster Linie - in der Sozialisation in eine bestimmte Grundauffassung von Staat, Recht, Kriminalität, Chaos und Ordnung. Dieser unausgesprochene Imperativ drückt sich dann in allerlei Vorbehalten und Bedingungen aus, die den Erkenntnisprozess der Kriminologie seit jeher begleiten, belasten und begrenzen - und die es ihr einerseits immer schon schwer gemacht haben und andererseits wohl auch in der Zukunft schwer machen werden, sich aus ihrem Status und ihrer Funktion als einer subalternen Wissenschaft zu befreien. Der Diskurs der Kriminologie kommt im wesentlichen (also in den gängigen Lehrbüchern und Kriminalitätstheorien) ohne die Thematisierung von Genoziden und anderen Formen der Makrokriminalität aus. Morrison fragt in dieser Publikation nach der Bedeutung dieses Umstands und kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Othering. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, sie selbst zu sein - nämlich eine Wissenschaft des Othering, die Kriminalität als Angelegenheit individueller psychischer Unterschiede konzipiert (man denke an Don Gibbons 1994 ebenso wie an Hirschi and Gottfredson 1990).
  • Trivialisierung. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, ihre These von der Trivialität und Belanglosigkeit der grossen Masse der Straftaten aufrecht zu erhalten. Diese Trivialisierung des Gegenstands der Kriminologie wäre unmöglich, wenn man den Genozid einbezöge.
  • Nützlichkeit. Die Kriminologie ist vor allem ideologisch nützlich, indem sie das Bild aufrechterhält, dass der Staat die soziale Ordnung garantiert und die Kriminologie ihm dabei hilft, das Chaos zu bändigen. Die Kriminologie analysiert den modernen Nationalstaat nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sondern arbeitet innerhalb von dessen symbolischem Universum. Die Kriminologie analysiert auch nicht die funktionalistische Auffassung, die das Selbstbild des Staates prägt, sondern ist Teil derselben. Sie sieht sich selbst als Helferin bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Distanz finden sich zwar bei Nils Christie und Stan Cohen und ihren Warnungen im Stile von "Do not trust the state and narratives of control ...", doch deren Platz in der Kriminologie ist derjenige von Pflichtzitaten ohne weitere Wirkung auf fundamentaler Ebene.
  • Was macht den wissenschaftlichen Umgang mit dem Genozid in der Kriminologie so schwer? Die Frage nach dem Warum und nach den Implikationen für unser Verständnis der Menschheit, bzw. des Menschseins, aber auch für unser Verständnis der Moderne und des (deutschen?) Menschen. Die Schwierigkeit besteht vor allem wohl darin, dass die Moderne, die politische Ordnung und sogar das Menschsein nicht mehr als eigentlich in Ordnung begriffen werden könnten - und auch die Ur-Positionierung der Kriminologie als Verteidigerin der Ordnung gegen das Chaos und das Böse nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Insofern müßten die Erkenntnisse von Forschern wie Browning, Milgram u.a. die Grundfesten der Kriminologie erschüttern.
  • David Garlands Sicht der Erfahrung der Kriminalität in der Moderne ist merkwürdig provinziell: immer wieder verwechselt er USA & GB mit der ganzen Welt - und nichts weist auf die innere Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Rest der Welt und denjenigen in "seiner Welt" hin. Nils Christie hat einmal gesagt, Kriminologie solle ein Spiegel sein. Sie ist ein Zerrspiegel, der die wesentlichen Dinge nicht widerspiegelt.
  • Die Genozid-Erfahrung wird eingekapselt in Spezial-Diskurse. Der kriminologische Diskurs könnte von der Öffnung in Richtung auf die Integration des Genozids lernen (auch Young's Exclusive Society würde anders aussehen), aber auch die Genozid-Studien könnten von den kriminologischen Herangehensweisen lernen.


Staatsverbrechen

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Die Kriminologie sammelt Informationen über Straftaten, Rechtsbrecher und soziale Kontrolle und versucht diese Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Sie will dies solide tun, d.h. mit wissenschaftlichen Methoden und so objektiv wie möglich. In der Praxis muss sie allerdings Schwerpunkte setzen und darf sich nicht zu weit von dem entfernen, was im Weltbild ihrer Adressaten als wichtig und richtig erscheint. Das relativiert den eigenen Anspruch an objektive Erkenntnis in erheblichem Masse. Wie stark diese Bornierung wirkt, lehrt vor allem die Historie. Man denke an die Grenzen der Erkenntnis und ihre Verschiebung in den Jahren zwischen 1871 und 1971. Im Deutschen Kaiserreich waren die massgeblichen Mentalitäten andere als in der Weimarer Republik - und wieder andere gab es dann im sogenannten Dritten Reich. Auch im NS-Staat wurde Kriminologie betrieben, auch damals beobachtete man die Entwicklungslinien zahlreicher Delikte - und doch sorgte der seinerzeitige Bezugsrahmen dafür, dass die bedeutendsten Verbrechen der damaligen Zeit aus Lehrwerken und Forschungen und aus der wissenschaftlichen Wahrnehmung insgesamt komplett ausgeblendet blieben. Trotz subjektiv sorgfältigster Beobachtung der Deliktsentwicklungen und trotz erster Erkundungen des Dunkelfeldes blieben also die meisten und die schwersten Delikte ausserhalb der Grenzen des Diskurses.

Aus heutiger Sicht lag der entscheidende Grund für die Blindheit der Kriminologie in dem historisch gewachsenen Bezugssystem der Disziplin selbst. Die Kriminologie hatte ihren Ursprung ja in dem Versuch, den staatlichen Stellen beim Umgang mit einer anschwellenden Menge von Delikten zur Seite zu stehen. Die vom Industrieproletariat und mehr noch vom Subproletariat ausgehenden Bedrohungen der etablierten Ordnung - die Rede war von den dangerous classes, den criminal classes und einer anwachsenden Armee von Verbrechern - sollten durch Kenntnis der Ursachen dieser Erscheinungen unter Kontrolle gebracht werden. Ein Mittel dazu sah man in der wissenschaftlich fundierten Modernisierung der Kriminalpolitik (von der Effektivierung der Gesetzgebung bis hin zum Strafvollzug).

Der Bezugsrahmen, innerhalb dessen man seine Wahrnehmung organisierte, bestand aus der gleichsam axiomatischen Gewissheit, "dass das Strafrecht das Recht des Machthabers gegen den Machtunterworfenen ist, der Machthaber selbst aber nicht bestraft werden kann" (Naucke 2012: 15).

Dieser Bezugsrahmen war so tief verankert, dass er erstens schon effektiv jede Wahrnehmung und jede Subsumtion staatlichen Handelns unter das Strafrecht blockierte und zweitens auch in dem (eines Tages ja dann doch eintretenden Fall einer solchen Wahrnehmung und Subsumtion) nicht von einem Tag auf den anderen revidiert werden konnte.

Einige Stichworte reichen, um die Tiefe der Staatsverehrung anzudeuten. Im Absolutismus war staatsrechtlich sonnenklar, dass der Machthaber von Gott eingesetzt war und sich auch nur vor diesem Urgrund seiner legitimen Herrschaft zu verantworten hatte (princeps legibus solutus). Doch selbst die in post-absolutistischen deutschen Landen dominierende Kantische Rechts- und Staatslehre wollte von irgendeiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Herrscher nichts wissen und riet den Unzufriedenen dazu, statt den Herrscher zu kritisieren doch lieber ins Exil zu gehen. Und wer nicht Kantianer war, sondern Hegelianer, der sah im Staat eh die Materialisierung edelster Menschheitsideale von Freiheit und Vernunft. Hegel zufolge waren ja Sittlichkeit und Freiheit eine untrennbare Einheit, die erst im Rahmen des Staates in ihrer besten Form wirklich werden konnte. Definierte man aber den Staat mit Hegel als die selbstbewusste sittliche Substanz und als das an und für sich Vernünftige, so verblieb dem Einzelnen als höchste Freiheit nichts anderes, als eben dem Gesetz des Staates in aufopfernder Pflichtererfüllung zu gehorchen. Jeder Gedanke daran, dass es anders sein könnte, verbat sich von selbst. Fundamentaler Ausdruck der Erhabenheit der Staatsidee und der Funktion der Konzepte von Straftat und Strafjustiz (= Strafgerechtigkeit) war der bekannte Satz des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl (1802-1861): "Die Strafgerechtigkeit ist die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat."

Zur Zeit der Entstehung der Kriminologie als Wissenschaft gab es also einen klaren Ausgangspunkt allen Denkens, Forschens und Lehrens, und das war die Vorstellung vom Strafrecht als Instrument des Herrschers gegen schwierige Untertanen, die untereinander keinen Frieden halten konnten und durch den weisen Herrscher und seine Peinliche Gerichtsbarkeit zur Raison gebracht werden mussten. Ausserdem gehörte zu dieser Vorstellung das Strafrecht als Waffe in der Hand des Herrschers, um sich selbst und sein Herrschaftssystem gegen politisch motivierte Angriffe zur Wehr zu setzen. Dieses Delikt der mehr oder minder direkten Herausforderung staatlicher Machthaber aus dem Innern des Staates selbst wurde seinerzeit als crimen (laesae) maiestatis, als crimen perduellionis, als crime d'État oder als Staatsverbrechen bezeichnet.

Mit dem Staatsverbrechen als einem Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie" (Krünitz 1836: 380), befasste sich das Staatsrecht allerdings deutlich intensiver als das Strafrecht. Die Kriminologie interessierte sich dafür eher am Rande. Wenn sich Kriminologen der Anfangszeit - wie namentlich auch Cesare Lombroso - allerdings angesichts einer Welle politischer Attentate einmal dem Thema widmeten, dann kamen auch sie mit ihren Methoden und Theorien recht gut damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Man hatte es ja mit einer Erscheinung zu tun, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen in einiger Direktheit gegen die politische Herrschaft wandten und diese nicht nur indirekt im Zuge der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols auf den Plan riefen.

Schon dieser kurze Blick in die Geschichte der Kriminologie kann uns lehren, das Selbstverständnis der Disziplin in einer bestimmten Epoche nicht unhinterfragt zu übernehmen, sondern so gut es geht von aussen zu betrachten, es also statt zum Ausgangpunkt zum Gegenstand der Forschung zu machen. Wenn wir dies in Bezug auf die Vergangenheit tun, dann finden wir die oben angedeuteten unausgesprochenen, also gleichsam axiomatisch vorausgesetzten Begrenzungen, die sich auch als Imperative oder als Tabuschranken formulieren lassen. Wer als Kriminologe seinerzeit erfolgreich sein wollte, der musste nicht nur forschen und lehren, sondern in erster Linie musste er sich mit diesen Axiomen vertraut machen - und sie wurden ihm auch implizit, nicht explizit, beigebracht:

  • Das Strafrecht ist das Instrument der Machthaber ...
  • Vertraue dem Staat und seinen Organen mehr als den Machtunterworfenen oder Deinem eigenen Verstand
  • Vertraue denjenigen, die in der Hierarchie angesiedelt sind, in dem Masse und in der Reihenfolge ihres sozialen Ranges
  • Diene der staatlichen Ordnung und ihren Erfordernissen
  • Erforsche die Delikte, die eine Bedrohung der Ordnung darstellen
  • Erforsche nicht die dunklen Seiten der Macht

In der Geschichte der Kriminologie gab es wohl keinen einzigen erfolgreichen Vertreter dieses Faches, der dies nicht gelernt und beherzigt hat. Obwohl derlei in keinem offiziellen Lehrplan stand. Und dennoch waren diese Imperative ohne Zweifel etwas, was sozusagen zur Grundausbildung eines jeden Kriminologen gehörte. Nur dass der Lehrplan eben kein geschriebener, sondern ein heimlicher war. Insofern kann man, auch wenn das Konzept selbst aus der Erziehungswissenschaft stammt, von einem heimlichen Lehrplan der Kriminologie sprechen.

... im sinne eines ensembles von aufgaben und zielen, die ... these ist, den hL gab es, aber den gibt es auch noch. wie anders ist zu erklaeren, dass das staatsverbrechen heutiger art nicht integriert wird. es gibt viele staatsverbrechen. und viel kriminologisches reden darueber. aber keine integration in theorie und forschung. warum? zugang, kritik an herrschenden, keine finanzen, problem der loesung vom legalistischen verbrechensbegriff, bzw. problem der machtlosigkeit gegenueber den rechtfertigungsversuchen der herrschenden.

in der kriminologischen theorie und ueberall muesste es veraenderungen geben, die man nicht aushaelt.





Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung


So wie die Unterdrückung der Frau vor allem an dem Verhalten der Frauen selber zu erkennen ist, so manifestiert sich auch der subalterne Charakter der Kriminologie vor allem im ihrem eigenen Verhalten im Wissenschaftsalltag. Ihr Wirken ist der Pflege des Heimes gewidmet: in den Grenzen des Nationalstaats fühlt sie sich wohl, dort ist sie produktiv, doch produktiv eben nur in einem eingeschränkten Sinne. Ein besserer Ausdruck ist deshalb: reproduktiv. Sie leistet einen Beitrag zur Verteidigung des Status Quo in ideologischer und materieller Hinsicht. Ihr Thema ist das unsoziale Verhalten von Individuen und der Schaden, den es anrichtet. Ihr Adressat ist der Staat. Der soll es richten.

Literatur

  • Bernfeld, Siegfried (1981) Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, 4. Auflage Frankfurt a. M.
  • Birnbaum
  • Döring, Klaus W. (1989) Lehrerverhalten. Weinheim.
  • Dutton, D., Boyanowsky, E., & Bond, M. (2005). Extreme mass homicide: From military massacre to genocide. Aggression and Violent Behavior, 10(4), 437-473.
  • Galassi, Silviana
  • Han, Byung-Chul (2010) Müdigkeitsgesellschaft: Berlin, Matthes und Seitz.
  • Hess, Henner (1976) Repressives Verbrechen.
  • Hess, Henner & Scheerer, Sebastian (2011) Radikale Langeweile. In: Helge Peters & Michael Dellwing: Langweiliges Verbrechen. Wiesbaden: VS, 27-52.
  • [Hillyard, Paddy, Christina Pantazis, Steve Tombs, eds., Beyond Criminology: Taking Harm Seriously. Pluto]
  • Hillyard, Paddy & Steve Tombs (2007) From ‘crime’ to social harm? CRIME, LAW AND SOCIAL CHANGE Volume 48, Numbers 1-2: 9-25.
  • Meyer, Hilbert : UnterrichtsMethoden. In: Theorieband. Frankfurt 1988, 2. Auflage.
  • Morrison, Wayne (2004) Criminology, Genocide, and Modernity: Remarks on the Companion that Criminology Ignored, in: Colin Sumner, ed., The Blackwell Companion to Criminology.
  • Morrison, Wayne (1995) Theoretical Criminology: From Modernity to Post-modernism
  • Naucke, Wolfgang (2012) Annäherung an den Begriff der politischen Wirtschaftsstraftat.


  • Schütz, Alfred: Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze. Bd. 1: Das problem der sozialen Wirklichkeit Den Haag 1971, S. 237-298.
  • Zinnecker, Jürgen (1975) Der heimliche Lehrplan. Weinheim.

Weblinks

Material

Ines de Castro.

No one has ever faced charges in respect of the atomic bomb, althou gh Sellars (2002: 66), relying upon a biography of the US President Harry Truman (written by his daughter, Margaret) relates a stag dinner hosted by Truman in early 1953. At this dinner, the famous wartime British leader, Winston Churchill, had the bad manners to ask Truman if he had his response ready for when they both were to stand before St Peter and told to justify using the atomic bombs. This caused considerable shock, which was alleviated when the party organized a mock trial of Chu rchill with Truman as judge and a jury consisting of the US Secretary of State and other close US colleagues and Generals. Acquittal resulted, though Sellars could not fi nd in Margaret Truman’s account the reason; perhaps, Sellars surmised, ‘they sensed t hat t hei r own hands were dipped i n blood. Or perhaps, t hey reasoned t hat it did not matter anyway. After all, even in real life tribunals, no one ever punishes a victor.’ Let us pause for refl ection. What are the consequences if we accept the defi nition of crime that is presented in most criminal law textbooks, namely a crime is some con

On 6 Au gu st 1945, US forces dropped an atomic bomb called ‘Little Boy’ on the Japanese city of Hiroshima. Three days later they dropped another called ‘Fat Man’ on Nagasa k i . By t he end of 1945, less t ha n si x mont hs l ater, t he Hi roshi ma bomb had caused 140,0 0 0 deat hs, and t he Nagaski bomb 70,0 0 0. Five years later t he total s were 200,000 and 140,000. At the time the reason put forward was that the use of atomic dev ices was necessa r y to shor ten t he wa r a nd save a l l ied l i ves. Was t hi s a cr i me? Does it matter to your opinion that at the Tokyo International Military Tribunal set up to judge Japanese war criminals, the only judge with any previous experience of ‘international law’, the Indian judge Pal, issued a full dissenting judgment? He refused to accept the prosecution of the Japanese defendants as he considered that the Allies too should be t r ied and puni shed for cr i mes commit ted dur i ng t he war, i n par t icul ar for the dropping of the atomic bomb.

  • Staatsverbrechen bringen das Konzept der Kriminalität in Schwierigkeiten, weil sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit des bisherigen Fluchtpunkts aller Definitionen aufzeigen. Man braucht einen archimedischen Punkt außerhalb des Staates. UNO? ICC? Politische Interessen vs. Subsumtion. Weltstaat? Verführung und Druck, sich nur mit den erfolgreich kriminalisierten Fällen zu befassen. Das sind aber die Außenseiter und die kleinen Tyrannen. Insofern Konstruktion von Devianz im globalen Maßstab. Wie ist es mit der Differenz zwischen law in books and in action? Second code? Lösungsansatz: alle 4 Definitionen von Kriminalität berücksichtigen.


keine Probleme als Probleme, keine Fragen als Fragen, nur klare Antworten auf Fragen, die vielleicht niemand stellt und die vielleicht keine Relevanz haben

  • provinziell (Ruanda, Kongo, Kambodscha, Mexikos Drogenkrieg, Polizeigewalt in Lateinamerika, Honduras ...)
  • verniedlichend (massenweise Bagatell; kommunale Präventionsräte)
  • Puppenhaus (kein Serienmörder, kein Coltan, kein Somalia)


die heimlichen Lernziele werden nicht offen kommuniziert, sondern unter- und unbewusst, durch einseitige Auswahl der Inhalte, durch Aufgreifen und Abbilden sozialer Strukturen in Lehrbüchern (Lebensentwürfe, Handlungsverteilung), Struktur der Erziehung sowie das Verhalten der Pädagogen, vermittelt. Um 1970 wurde der Begriff „heimlicher Lehrplan“ in der Erziehungswissenschaft vornehmlich in gesellschaftskritischer Absicht verwendet. In dieser Sicht bewirkt Schule eine soziale Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse; Schüler werden dazu erzogen, im gegebenen Gesellschaftssystem zu funktionieren. Die Schule hat, wie viele Institutionen, einen Doppelcharakter: zwar verspricht sie Emanzipation und Aufklärung, veranlasst die Schüler aber zu Anpassung und stabilisiert damit das herrschende „System“ bzw. in der Gesellschaft verankerte Hierarchien. In jüngerer Zeit wird verstärkt darauf hingewiesen, dass heimliche Lehrpläne Benachteiligungen zum Beispiel aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft bewirken oder festigen können. So wird beim Bemühen um interkulturelle Erziehung darauf hingewiesen, dass eine eurozentristische Unterrichtsweise ausländische Schüler benachteiligt.

Given that the traditional frame of reference for doing criminology, including locating the processes whereby ‘crime’ was defi ned, has been the nation state, current scholarship that attempts to come to grips with globalization should revolutionize criminology (its impact so far has been minor). We are told that state sovereignty, the legitimate defi ner of crime in a territory, is being undercut. At its strongest the argument is that the State can no longer produ ce sovereignty—if so, this impacts on all aspects of the State’s performance. In the fi eld of crime control this results in ambivalent tactics. State sovereignty asserts itself even when it lacks control over the economy by a wave of popu larism in the arena of secu rity seeking pu blic support of its power displays in war on crime, or war on dru gs, or war on terror. Consider the effect of defi ning the events of 11 September 2001 as war and not a crime. The choice of ‘crime’ would have allowed for an international policing action, working through (and building) international moves towards international criminal courts, and a board coalition. The struggle to bring the ‘terrorists’ to justice would have been a global justice and not the ‘justice of this nation’ as George W. Bu sh had stated. Declaring a war on terror has led to theinvasion of Afghanistan and Iraq, the destabilization of a number of countries, dramatically divided world opinion, and to the clear dou ble standards concerning the treatment of civilian deaths in the US and those of the invaded countries. The events at the ‘Abu Ghraib’ prison in Iraq became shorthand for the abu se of power and the ‘crimes’ committed in several dozen detention centres in Iraq, Afghanistan, and at Guantanamo Bay. At last Pentagon count, no less than 27 detainee deaths were criminal homicides. The CIA has admitted to using ‘water boarding’ (near drowning), unmistakably a form of torture. And documents released in 2005 under the Freedom of Information Act have confi rmed some of the more outrageous accounts of detainee abuse. In commenting on images of US soliders killing a wounded insurgent, the war correspondent Max Hastings sums up the moral distaste the hypocrisy of this ‘war for civilization’ engenders: This is a scene straight out of Platoon or Full Metal Jacket. A soldier gazing down on a prostrate enemy sees him move and shouts: ‘He’s f***ing faking he’s dead.’ Another soldier fi res a single contemptuous shot into the wounded man’s head, and says laconically: ‘Well, he’s dead now.’ Morrison, Wayne What is Crime?

1. Der Platz der Staatsverbrechen in der Kriminologie (keine theoretische Relevanz) 1.1 Welche werden überhaupt thematisiert? NSG, verurteilte, hegemonial anerkannte (die Hegemonie selbst wird nicht problematisiert) 1.2 Nicht thematisiert werden diejenigen, die eigene Subsumtion erfordern (Hiroshima) Sherman (2011) Paul Tibbetts and the Enola Gay die politisch umstritten sind: Mäntelchen.

2. Der heimliche Lehrplan 2.1 Heimlicher Lehrplan und verwandte Konzepte (latente Sinnstruktur, Deutungsmuster, dokumentarischer Sinn) 2.2 Kriminalität ist die der anderen (Othering) 2.3 Kriminalität ist nicht so schlimm (Banalisierung) 2.4 Kriminalität ist kein Teil der Ordnung, sondern ein Fall von Unordnung; Kriminalität ist Abweichung, nicht Konformität; Ursachen liegen in der Abweichung, nicht in der Konformität

3. Mord in Lehrbüchern der Kriminologie 3.1 Foucault 3.2 Abwesenheit von Mord (KL KUNZ) Kinzig, Kriminologie I, Gewalt-, Tötungs- und Sexualdelikte


3.3 In der kritischen Kriminologie noch abwesender (Ausklammerung? Verdrängung? Verleugnung?)

4. Bilder zum Schluss: Zustand der Kriminologie: TUI Atom-Pilot: der große Abwesende Ines de Castro: die kritische Kriminologie heute.




kriminologie: wissenschaft von der delinquenz, nicht von straftaten (das würde eigene subsumtion von atombombenabwürfen etc. erfordern)

konforme kriminalität.


döner morde pressekonstruktionen täter- opfer -dichotomie; böse-gut-dichotomie; just world bedürfnis (de haan); unordnung (drogen) ...

Foucault: bras et jambes. lehrbücher. was genau hat foucault kritisiert. theorielosigkeit. für leute, die sich subaltern verhalten gegenüber dem strafsystem. unterteufel.

kriminologie nicht wissenschaft in der praxis für die praxis, sondern außerhalb. der sozialen kontrolle? des schadens?

Latente Sinnstrukturen . Objektive Bedeutungsinhalte. Oevermann. Bohnsack. Dokumentarische Methode.

"Die eigentliche Revolution des Bildungssystems, so die dafür zuständige Ministerin Schavan, sei die Revolution der Lernkultur. Was sie damit meinen könnte ..."

Möglichst viel möglichst schnell zu vermitteln, ohne die lästige Frage zu stellen, was sich denn eigentlich zu wissen lohnt, und die Kunst zu lehren, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden

"Das relevante Wissensformat einer solchen allein ander Normativität des Faktischen orientierten Informations- und Mediengesellschaft ist das jeweils für akutell erklärte 'Lehrbuch' sowie die in Skripten und PPPT niedergelegten Auffassungen des Dozenten, als o das prüfungsrelevante Kompaktwissen. Das "Design der Module und der Aufbau des Studiums", so die Hochschulrektorenkonferenz, "fokussiere auf die zu erwerbenden Kompetenzne und daamit auf die 'Learning Outcomes' der Studierenden.

"Der Student lernt dementsprechend Antworten auf Fragen auswendig, die er selbst nie gestellt hätte. Ein Problem als Problem zu behandeln, eine Frage als Frage zu erörtern, ist daher nicht das Ziel modularisierter Vorlesungen. Es werden nur Fargen gestellt, auf die es auch eine Antwort gibt, Beobachtungen gemacht, aus denen sich Regeln ableiten lassen. Die Erkenntnisse der Forschung werden auf Merksatzformate eingedampft, Lehrstreitigkeiten gelten als entscheiden. Dabei ist eine Frage in den Hintergrund getreten: Was, vor allem wie denken unsere Studenten?

Was ist ein Staatsverbrechen? 1836 heißt es auf Seite 380 des 165. Bandes der Krünitz'schen Oekonomischen Encyclopaedie, ein Staatsverbrechen oder Staatsvergehen, das crimen majestatis, sei ein Vergehen, "das gegen den Staat begangen wird" - und dann wird über hunderte von Seiten ausgebreitet, was das alles sein könne: erwähnt werden Beispiele wie das Verraten der Geheimnisse des Staates, aber auch die Kritik an der Kirche oder das Klagen über schlechte Zeiten. Verfasser dieses Lemmas dürfte (unter dem Verleger Litfaß) wohl Johann Wilhelm David Korth (1783–1861) gewesen sein, denn Johann Georg Krünitz selbst war schon lange vor dem Buchstaben S bei der Bearbeitung des Stichworts Leiche im 73. Band am 20. Dezember 1796 verstorben. Doch ob Korth oder Krünitz: keiner der Autoren, keiner der Verleger, keiner wäre wohl um diese Zeit überhaupt auf die Idee gekommen, dass man das Kompositum Staatsverbrechen auch anders lesen könnte: nicht als Verbrechen gegen den Staat nämlich, sondern als eine Tat, die nicht von einem Bürger gegen den Staat, sondern vom Staat gegen seine Bürger begangen wird. Der Staat als Verbrecher?

Zu jener Zeit standen Staatstheorie und Strafrechtswissenschaft unter dem Einfluss Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Für Hegelianer aber war der Staat kein bloßer Zweckverband. Dass er sich einer bloß rationalen Einordnung als Interessenorganisation entzog, zeigte schon die inflationäre Rede von seiner "Herrlichkeit". Der Staat wurde als Endzweck der menschlichen Entwicklung angesehen, als höchster Punkt der Entwicklung des Rechts, der Sittlichkeit und der Freiheit. Unter anderem wurde er als "Endzweck" definiert, der "das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staats zu sein". Wer sich gegen diese höchste Pflicht sträubt oder gar empört, der handelt unsittlich und unrechtlich, egal, wie sich der Staat verhält. Der Staat steht (so auch schon Kant) außerhalb jeder Kritik durch seine Bürger. Das schlimmste Verbrechen ist die Empörung gegen den Staat. Die Strafe wiederum ist - in den Worten des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl - die "Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat."

Seit geraumer Zeit hat sich der Wind gedreht. Die Hegelsche "Staatsvergottung" von einst ist für uns in Mitteleuropa heute nicht mehr nachvollziehbar. Als der Rechtsphilosoph Ulrich Klug den "Abschied von Kant und Hegel" (1968) proklamierte, hatte die Geschichte selbst ihn schon längst vollzogen. Sie selbst demonstrierte, wohin es führt, wenn der Staat das Höchste und der Einzelne im Vergleich zum Staat ein Nichts ist. Wer heute studiert, weiß aus dem Fernsehen, dass es Staatsverbrechen gibt. Und assoziiert damit wohl kaum noch Sachverhalte wie Hoch- oder Geheimnisverrat, Majestätsbeleidigung und ähnliches, sondern den Staat als Täter von Folter, Verschleppung, Verschwindenlassen, extralegalen Hinrichtungen, Kriegsverbrechen und Völkermorden. Möglicherweise weiß man aus den Medien auch, dass sogar der "gute", der "demokratische" Staat, der sich als Verteidiger der Souveränität seiner Bürger versteht, zur Begehung von Vergehen und Verbrechen in der Lage ist. Vor allem die USA als westliche Führungsmacht, als vorbildliche Demokratie, aber auch als jene "good people", die gleichwohl nicht ganz auf das "dirty work" verzichten können (Hughes 1962) - Stichwort Guantanamo - stehen da im Rampenlicht einer allerdings kaum noch zum Aufbegehren fähigen "Müdigkeitsgesellschaft" (Han 2010).

Es gibt sogar Verurteilungen von Staatsverbrechen - und nicht nur verbal, auch performativ. Seit 2002 gibt es den Internationalen Strafgerichtshof. Seinen ersten Verhandlungstag erlebte er anlässlich des Falles des Kongolesen Thomas Lubanga im Jahre 2009, seinen ersten Schuldspruch in demselben Fall im Jahre 2012. So ganz allmählich tut sich da auch ein Arbeitsfeld für Kriminologie-Alumni auf: Beschreibung, Ursachenanalyse, Kritik der Klassenjustiz, Fachjournalismus, Bewährungshilfe für haftentlassene Warlords.

Wie reagiert die Kriminologie? Spät und unvollkommen, mit gehörigem , und man könnte leicht argumentieren, dass die Publikationen und Kongresse zum Thema Staatsverbrechen der umstürzenden Bedeutung der Thematik nicht gerecht werden. Doch wo werden sie der Bedeutung eines Themas denn gerecht - gibt es da nicht auch andere Fälle? Und sind time lags nicht geradezu ein typisches und sogar notwendiges Merkmal aller Innovationsprozesse?

Es gibt diesen Innovationsprozess in der Kriminologie aber gar nicht. Nicht in dem Bereich, der zählt. Nicht in der kriminologischen Theorie. Da hat man noch keine einzige der Fragen, die durch Staatsverbrechen aufgeworfen werden müssten, ernsthaft behandelt. Aber was sind das für Fragen?

  • Die erste Frage scheint rein technischer Natur: sie betrifft die in der Kriminologie gebräuchlichen statistischen Aussagen über Verbrechenshäufigkeiten, Kriminalitätsbelastungsziffern und die Entwicklung der Kriminalität über längere Zeiträume. Und über Inhaftierungsraten. - Wayne Morrison hat


Aussagen über as kriminologische Stimmen die Statistiken noch? Gewiss: sie haben als Arbeitsberichte der Polizei immer schon gestimmt und stimmen noch immer; aber als Berichte über die Höhe der Kriminalitätsbelastung haben sie noch nie gestimmt und stimmen immer noch nicht - und als grobe Indikatoren für die Richtung der Häufigkeitsentwicklung etwa von Homiziden? Da gelten sie als passable Orientierungsmarken. Auch in der kritischen Kriminologie. Doch was würde aus den "Wissensbeständen" der Kriminologie, wenn man die Toten von Hiroshima und Nagasaki hinzuzählte zu den Statistiken der Homizide von 1945? Homizide, höre ich empört dazwischenrufen, das war doch Krieg! Ach ja: im Krieg gibt es ja keinen Mord. Oder doch? Vorsätzliche Massentötungen von Zivilisten (der Ausdruck: "von Frauen und Kindern" darf nicht fehlen) - das sind doch Massenmorde - oder? Und damit sind wir bei der nächsten Frage.

  • Ist es denn überhaupt Kriminalität? Es gab doch keine Verurteilung. Also vielleicht ist es doch gar nichts für die Kriminologie. Staatsverbrechen würden uns zwingen, uns ewig den Kopf zu zerbrechen über eine Frage, die wir doch nicht entscheiden können. Also ist es ergebnisoffen, beliebig, sinnlos. Bei den Nazi-Verbrechen ist das anders: da hat man das Regime besiegt und es gibt einen nachträglichen Konsens, dass die Verbrechen Verbrechen waren. Nürnberg. Und weil es sich gehört, das zu meinen. Die Subsumtion ist entbehrlich. Im Falle von Hiroshima und Nagasaki brauchte es hingegen Mut zur Subsumtion. Und in der Gegenwart noch viel mehr. Kriminologen aber sind normalerweise ängstliche Individuen.
  • Trotzdem gibt es immerhin diejenigen Staatsverbrechen, über deren Charakter als Staatsverbrechen auch in der scientific community Konsens besteht. Paradigmatisch: der Holocaust. Fast schon zu groß für die Kategorie der Kriminalität. Und schlimmer noch: eigentlich passen keine Theorien. Die Anomietheorie nicht, die Sozialisationstheorien eigentlich auch nicht, die Chancenstrukturtheorien und die Subkultur-, die Kulturkonflikt- und die biologischen Theorien schon gar nicht. Und die Developmental und die Age-Graded und die Kontrolltheorien oder die Desorganisationstheorien oder Two-Path-Theories? Auch nicht. Ach, und die Labeling-Theorie? Die eigentlichen Täter sind ja diejenigen, die über die Verteilung des negativen Gutes Kriminalität bestimmen: die Polizisten, die Staatsanwälte und im Kern die Richter. Wenn man so will: die Richter sind die Täter. Ach so: nicht die Täter des Holocaust sind die Täter, sondern die Richter, die ein Menschenalter nach den Taten die Täter verurteilen? Diese Richter sollen die Täter sein? Peinlich!
  • Bleiben wir noch einen Moment bei den Konsens-Staatsverbrechen. Was waren das denn für Täter - und was würde es für die Kriminologie bedeuten, wenn es stimmte, was Christopher Browning (1999) erklärte: das waren ganz normale Männer? Wie kommen ganz normale Männer - Individuen, die sich in nichts, aber auch gar nichts, von Nicht-Mördern unterscheiden - wie kommen diese ganz normalen Männer dazu, kaum, dass man sie mit diesem Auftrag versehen und ihnen Waffen in die Hand gedrückt hat, wehrlose Zivilisten, Männer, vor allem aber Frauen und Kinder, zu erschießen? Wenn Kriminalitätstheorien darauf zusammenschnurren können, dass Menschen Massenmörder werden, wenn man ihnen sagt, dass sie es tun sollen, was sagt das dann über die Wissenschaft der Kriminologie aus?

Es ist gar kein time lag, den wir hier vor uns haben. Es kommt gar nichts: weder langsam noch schnell. Es kommt gar nichts. Die Kriminologie will und kann die Fragen, die sich stellen würden, nicht bearbeiten, ohne an sich selbst zu verzweifeln. Und das will sie nicht. Denn was wäre die Kriminologie ohne die Anderen, die Besonderen, diejenigen, für die sich die Konstruktion von Kriminalitätstheorien lohnt?

Etwas an dieser Interpretation - normaler time lag, nichts Besonderes - ist aber nicht ganz stimmig. Irgend etwas stimmt nicht mit dem Erwartungsfahrplan bei Innovationsprozessen überein, irgend eine Hemmkraft scheint die Einwanderung der neuen Erfahrungen in die kriminologischen Statistiken, Materialsammlungen und Theoriebildungen zu verhindern.

Vielleicht gibt es etwas in den Tiefenstrukturen des kriminologischen Selbst- und Weltverständnisses, das der Rezeption der Realität und ihrer Transformation in kriminologische Theorie und Empirie widerstrebt, was sich ihr widersetzt, und was für die Kriminologie vielleicht wichtiger ist als der Versuch einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung und Erklärung der Zusammenhänge, also als "die Wahrheit".

Man hat ja schon gehört, dass es Wichtigeres gäbe als die Wahrheit. Freilich wurde das, was Wichtiger sei gerade von denen, die seine Existenz postulieren, noch nie beim Namen genannt. Das scheint schwierig zu sein - oder unmöglich. Über die Gründe dafür kann man spekulieren. Vielleicht, weil das, was wichtig ist als die Wahrheit, ein Geheimnis ist, vielleicht, weil seine Wirksamkeit von der Bewahrung des Geheimnisses abhängig ist. Dann handelte es sich um einen heimlichen Lehrplan der Kriminologie über das, was gelehrt und geglaubt werden soll und der nicht gefährdet werden dürfte durch die Berücksichtigung dessen, was ist.

Wayne Morrison (2004) meint:

  • Othering. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, sie selbst zu sein - nämlich eine Wissenschaft des Othering, die Kriminalität als Angelegenheit individueller psychischer Unterschiede konzipiert (man denke an Don Gibbons 1994 ebenso wie an Hirschi and Gottfredson 1990).
  • Trivialisierung. Die Abwesenheit des Genozids ermöglicht der Kriminologie, ihre These von der Trivialität und Belanglosigkeit der grossen Masse der Straftaten aufrecht zu erhalten. Diese Trivialisierung des Gegenstands der Kriminologie wäre unmöglich, wenn man den Genozid einbezöge.
  • Nützlichkeit. Die Kriminologie ist vor allem ideologisch nützlich, indem sie das Bild aufrechterhält, dass der Staat die soziale Ordnung garantiert und die Kriminologie ihm dabei hilft, das Chaos zu bändigen. Die Kriminologie analysiert den modernen Nationalstaat nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sondern arbeitet innerhalb von dessen symbolischem Universum. Die Kriminologie analysiert auch nicht die funktionalistische Auffassung, die das Selbstbild des Staates prägt, sondern ist Teil derselben. Sie sieht sich selbst als Helferin bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Ansätze zu einer wissenschaftlichen Distanz finden sich zwar bei Nils Christie und Stan Cohen und ihren Warnungen im Stile von "Do not trust the state and narratives of control ...", doch deren Platz in der Kriminologie ist derjenige von Pflichtzitaten ohne weitere Wirkung auf fundamentaler Ebene.
  • Was macht den wissenschaftlichen Umgang mit dem Genozid in der Kriminologie so schwer? Die Frage nach dem Warum und nach den Implikationen für unser Verständnis der Menschheit, bzw. des Menschseins, aber auch für unser Verständnis der Moderne und des (deutschen?) Menschen. Die Schwierigkeit besteht vor allem wohl darin, dass die Moderne, die politische Ordnung und sogar das Menschsein nicht mehr als eigentlich in Ordnung begriffen werden könnten - und auch die Ur-Positionierung der Kriminologie als Verteidigerin der Ordnung gegen das Chaos und das Böse nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte. Insofern müßten die Erkenntnisse von Forschern wie Browning, Milgram u.a. die Grundfesten der Kriminologie erschüttern.
Gewalt war und ist eine Option menschlichen Handelns. Als Macht zu töten und als Ohnmacht des Opfers ist die "Todesmacht von Menschen über Menschen" das Fundament der gesellschaftlichen Struktur und politischen Herrschaft. In den Worten von Heinrich Popitz (1992: 57 ff.): „Der Mensch muß nie, kann aber immer gewaltsam handeln, er muß nie, kann aber immer töten […]. Gewalt überhaupt und Gewalt des Töten im besonderen ist […] kein bloßer Betriebsunfall sozialer Beziehungen, keine Randerscheinung sozialer Ordnungen und nicht lediglich ein Extremfall oder eine ultima ratio (von der nicht so viel Wesens gemacht werden sollte). Gewalt ist in der Tat […] eine Option menschlichen Handelns, die ständig präsent ist. Keine umfassende soziale Ordnung beruht auf der Prämisse der Gewaltlosigkeit. Die Macht zu töten und die Ohnmacht des Opfers sind latent oder manifest Bestimmungsgründe der Struktur sozialen Zusammenlebens.“
  • David Garlands Sicht der Erfahrung der Kriminalität in der Moderne ist merkwürdig provinziell: immer wieder verwechselt er USA & GB mit der ganzen Welt - und nichts weist auf die innere Verknüpfung zwischen den Ereignissen im Rest der Welt und denjenigen in "seiner Welt" hin. Nils Christie hat einmal gesagt, Kriminologie solle ein Spiegel sein. Sie ist ein Zerrspiegel, der die wesentlichen Dinge nicht widerspiegelt.
  • Die Genozid-Erfahrung wird eingekapselt in Spezial-Diskurse. Der kriminologische Diskurs könnte von der Öffnung in Richtung auf die Integration des Genozids lernen (auch Young's Exclusive Society würde anders aussehen), aber auch die Genozid-Studien könnten von den kriminologischen Herangehensweisen lernen.

Der heimliche Lehrplan lautet: forschen, nicht denken. Drittmittel besorgen, nicht forschen. Actuarialism. Es geht nicht um Forschungsergebnisse, sondern um Tätigkeitsbelege operationalisierbarer Art. Niemand liest die Berichte. Aber jeder sieht das Geld. Drittmittelfetischismus.


Die mannigfaltigen Wirklichkeiten in der Kriminologie.

Doch diese Veränderungen in der Realität (so kritisch man ihnen gegenüber stehen mag; vgl. Christie) und im kriminologischen Diskurs weisen eine Besonderheit auf: sie spiegeln sich nur unvollkommen im kriminologischen Curriculum wider. Der kriminologische Lehrplan scheint weitgehend unbeeinflusst von dem, was sich in den letzten Jahrzehnten getan hat. Er hat immer weniger Bezug zur Realität und zum veränderten Wissen der letzten Dekaden.

Zu den institutionellen Attributen der Kriminologie gehören neben Kongressen, Instituten, wissenschaftlichen Vereinigungen und Zeitschriften natürlich auch Lehrbücher und Lehrpläne, obwohl letztere heute unter meist unter dem Alias-Namen Modulbeschreibungen, bzw. fachspezifische Bestimmungen von Studiengängen und Teilstudiengängen aufzutreten pflegen. In diesen Lehrbüchern und (mit Verlaub) Lehrplänen definiert die Kriminologie, was sie in der Welt des Verbrechens und der Strafrechtspflege für relevant hält, welche Fragen sie an diese Welt stellt und mit welchen Methoden und Ergebnissen sie aufwarten kann. Wer sich als Haupt- oder Nebenfächler für Kriminologie interessiert, soll damit wenn nicht glücklich, so doch auf den Stand der Forschung gebracht werden. Das ist schön und lobenswert zugleich und deshalb wundert man sich unwillkürlich, was denn einen großen Philosophen wie Michel Foucault dazu getrieben haben mag, so viele gnarzige Bemerkungen über die Kriminologie zu machen, dass ihn ein Interviewer einmal direkt danach fragte - und wir kennen ja noch die entschiedene, wenn auch kryptische Gegenfrage des großen Philosophen: "Haben Sie schon einmal Texte von Kriminologen gelesen? Da haut es Sie um (c'est à vous couper bras et jambes)" (Foucault 1976: 34).

Die Kriminologie weiß eine Menge über die großen Männer der Vergangenheit, über die biologischen, psychologischen, soziologischen und die allgemeinen Theorien, über die Meinungen dazu, über einzelne Delikte und über die Bedeutung des Lebensalters, des Geschlechts, der Armut (weniger des Reichtums) und sogar der Ernährung, sie kennt die Probleme des Strafvollzugs und der Geldstrafen, der Strafaussetzung zur Bewährung und der Alternativen zur Freiheitsstrafe. Kurzum: sie weiß eben eine Menge. Ihr Lehrplan ist umfangreich. Die Wissensbestände sind imposant. Sie sind allerdings auch auf eine merkwürdige Weise unzusammenhängend. Nicht, dass alles völlig durcheinander wäre. Das nicht. Aber die Darstellungen werden nicht durch die Antworten auf die zahllosen Fragen abgerundet, die sich beim Hineinpieken in jedes beliebige kriminologische Thema ergeben, sondern durch etwas anderes, vielleicht durch das implizite Waltenlassen des common sense, der alltäglichen Vorurteile über die Welt? Es ist schwer zu sagen.

Nehmen wir ein Beispiel. Mord. Es fehlt der Kontext des Tötens. Jugendkriminalität: und was ist mit den jugendlichen Mördern? Und mit den Serienmördern? In der Kriminologie gibt es das Böse nicht, nur Bagatellen. Und Staatsverbrechen? Staatsverbrechen sind eingekapselt in einen Spezialdiskurs. Warum? Weil eine Integration alles auf den Kopf stellen würde.

Ritualen der Institution selbst. Es wird gelernt, wie man Erfolg bei Mitschülern oder bei der Lehrkraft hat, wie man Unwissen verheimlicht, wie man unangenehme Arbeit vermeidet, wie man als Leerlauf empfundene Unterrichtszeit effektiv für Nebentätigkeiten nutzt usw., und es wird gelernt, "sich an Oben und Unten, an Gutsein und Schlechtsein, an Auffälligwerden und Durchwursteln zu gewöhnen. Um es in den gängigen Fremdwörtern zu formulieren: es geht um die Einübung in hierarchisches Denken, in Leistungskonkurrenz und Normkonformität“ (Meyer 1988: 65).

Nun ist die Universität nicht die Schule und es geht auch nicht um den hidden curriculum der Universität als Institution, sondern um die wissenschaftliche Disziplin der Kriminologie. Gibt es einen heimlichen Lehrplan dieses Faches? Meine Vermutung ist: Ja. Es gibt eine Kluft zwischen dem, was die Kriminologie zu sein und zu vermitteln glaubt (oder behauptet) - und dem, was die Kriminologie tatsächlich vermittelt. Diese Differenz stammt aus dem, was die Kriminologie im Gegensatz zu ihrem offiziellen Selbstverständnis tatsächlich, wenn auch nur untergründig, vermittelt: durch ihre Schwerpunktsetzungen, Unklarheiten, Weglassungen, durch systematische Differenzen zwischen Gesagtem und Gemeintem. Sie schafft ein falsches Bild von der Welt und vom Menschen in der Welt. Und sie erzieht zur Selbstüberschätzung kriminologischer Empirie und zu einem (von gewissen narzisstischen Kränkungen, die routinemäßig beklagt werden, weil die Politik die Wissenschaft nicht ernst nähme, einmal abgesehen) behaglichen Frieden mit dem Status Quo. Das ließe sich an beliebigen Beispielen zeigen, aber am besten ist vielleicht die Art und Weise der (Nicht-) Thematisierung von Staatsverbrechen zur Illustration dieser These geeignet.

Die Kriminologie lehrt eine gesellschaftskonforme Rationalität: ihre Parabeln von Verbrechen und Strafe, von Konformität und Abweichung identifizieren sie als Ort, an dem die herrschende gesellschaftliche Grundordnung stabilisiert wird. Sie tut das im Rahmen ihres heimlichen Lehrplans (Jackson 1968). Ihre heimlichen Lernziele werden nicht offen kommuniziert, sondern unter- und unbewusst, durch einseitige Auswahl der Inhalte, durch Aufgreifen und Abbilden archetypischer Ordnungsbilder, bei denen der Staat die Rolle des Heilenden und Helfenden einnimmt. Hinter der kriminologischen Lehre steht die Aufforderung zur Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Kriminologiestudien hat einen Doppelcharakter: zwar verspricht es Emanzipation und Aufklärung, veranlasst die Studierenden aber zu Anpassung und stabilisiert damit das herrschende „System“ bzw. in der Gesellschaft verankerte Hierarchien.

Verbrechen und Staat sind zweierlei, aber ohne einander sind beide nichts. Die ersten Verbrechen waren Verbrechen gegen den Staat. Crimina laesae maiestatis. Als revoltierende, beleidigende Erhebung gegen die Herrlichkeit des Herrschers figuriert das Staatsverbrechen in den Enzyklopädien des 19. Jahrhunderts. Davon, dass der Staat selbst der Verbrecher sein könnte, hatte man zu Hegels Zeiten und unter seinem Einfluss entweder noch nichts wissen wollen oder aber, da man nicht mit der Nase drauf gestoßen wurde, nichts wissen können. Wer heute von Staatsverbrechen spricht, denkt an den Holocaust, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, vielleicht auch noch an die vor internationalen Strafgerichtshöfen angeklagten oder mit internationalen Haftbefehlen gesuchten ehemaligen Inhaber privilegierter politischer Positionen, seien es Regierungschefs oder Warlords.

Staatsverstärkte Kriminalität. Der Begriff heimlicher Lehrplan weist auf unausgesprochene Lernziele und ungewollte Lerneffekte in der Erziehung hin, die im

Fremdbild der Kriminologie: die durch den innerstaatlichen Justizapparat bewältigten Probleme öffentlicher Sicherheit. Nicht: Aufruhr, Revolte, civil strife, warlords. Kongo-Episode Promotions-Disputation. Kriminologie im Kaiserreich: Armee von Verbrechern. Aschaffenburg. Armee von Verbrechern in Afrika war nicht gemeint. Da gab es vielleicht auch Rechtsgrundlagen für die Täter. Was bedeutet das? Schwierige Frage von gesetzlichem Unrecht. Binding/Hoche. Naucke. Wem arbeitet die Kriminologie zu? Dem positiven Recht? Was ist das positive Recht? Können mit einem Federstrich neue Verbrecher geschaffen werden? Oder der inneren Sicherheit? Oder dem Guten? Oder der menschlichen Sicherheit? Mal Kaiser Lehrbuch angucken. Genozid? Mal Labeling angucken: Genozid? Irrwege der kritischen Kriminologie: Psychologie (Moser), Täterschaft, subjektiver Sinn, Staatsverbrechen ... Fehlanzeige. Ubiquitätsthese, Selektionsmechanismen.


Research and theorizing on state crime has come to play an important role in the fields of criminology and criminal justice for understanding the worst of crimes: those of powerful state agencies and agents. Since William Chambliss’ (1989) ASC presidential address, scholars of state crime have made advances in theoretical modeling and analyzing core enactment and etiological factors of crimes of the state (e.g., Barak 1991; Friedrichs 1998; Grabosky 1989; Kauzlarich and Kramer 1998; Kramer and Michalowski 2005; Kramer et al. 2005; Michalowski and Kramer 2006; Mullins and Rothe 2008a, b; Pearce 1976; Ross 1995, 2000; Rothe 2009; Rothe and Mullins 2006, 2008). Nonetheless, the study of state crime still has a long way to go before it ever reaches the magnitude or legitimacy afforded to the study of traditional street crime. It is with this in mind that several leading scholars of state criminality have come together and reevaluated the state of state crime and the ways in which the field must move forward. This kind of inventory, where scholars examine the past, present and future of the field, is not without precedent. For example, almost a decade ago (Ross et al. 1999) explored the difficulty of conducting state crime research and made a series of recommendations on how it could be improved. Nearly 7 years later (Rothe and Friedrichs 2006) re-evaluated the state of state crime and called for more attention to those beyond US crimes of the state and include crimes of globalization and also international controls such as the International Criminal Court (Friedrichs and Friedrichs 2007; Rothe and Mullins 2006; Rothe et al. 2006, 2008). Since that time, there has been substantial movement by scholars of state crime in these other areas, yet, as we note, there still remains key issues that need to be addressed and overcome: it is with this that we again revisit the field of state crime.

Begriffe sind längst nicht mehr Werkzeuge des Denkens, sondern Signalflaggen zur zeitweisen Konstzruktion von Erfahrungs- und Kommunikationsgemeinschaften. Dies führt zu einer Erweiterung und Beliebigkeit der Begriffsräume, die nicht auf Urteilsfähigkeit oder Sprachkompetenz beruhen, sondern auf Zustimmungsbereitschaft im Medium der Öffentlichkeit.

Der ideenpolitische Opportunismus, Gehlen, hat zu einer Haltung geführt, die iam Alltag fünf gerade sein läss,t die das Abwarten, wer gewinnt, un in welcher Richtung man denen eigenen Mantel in den -Wind hängen sollte, für Lebensklugheit hält. Man entscheidet selbst ,wa gut und böse ist. Die Realität passt sich der Wortwikrlichkeit an, die Tatsachen und Menshucen entwickeln sich sozusagen in das Gerede von ihnenn hinein.