Staatsverbrechen und der heimliche Lehrplan der Kriminologie: Unterschied zwischen den Versionen

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Einige Stichworte reichen, um die Tiefe der Staatsverehrung anzudeuten. Im Absolutismus war staatsrechtlich sonnenklar, dass der Machthaber von Gott eingesetzt war und sich auch nur vor diesem Urgrund seiner legitimen Herrschaft zu verantworten hatte (princeps legibus solutus). Doch selbst die in post-absolutistischen deutschen Landen dominierende Kantische Rechts- und Staatslehre wollte von irgendeiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Herrscher nichts wissen und riet den Unzufriedenen dazu, statt den Herrscher zu kritisieren doch lieber ins Exil zu gehen. Und wer nicht Kantianer war, sondern Hegelianer, der sah im Staat eh die Materialisierung edelster Menschheitsideale von Freiheit und Vernunft. Hegel zufolge waren ja Sittlichkeit und Freiheit eine untrennbare Einheit, die erst im Rahmen des Staates in ihrer besten Form wirklich werden konnte. Definierte man aber den Staat mit Hegel als die selbstbewusste sittliche Substanz und als das an und für sich Vernünftige, so verblieb dem Einzelnen als höchste Freiheit nichts anderes, als eben dem Gesetz des Staates in aufopfernder Pflichtererfüllung zu gehorchen. Jeder Gedanke daran, dass es anders sein könnte, verbat sich von selbst. Fundamentaler Ausdruck der Erhabenheit der Staatsidee und der Funktion der Konzepte von Straftat und Strafjustiz (= Strafgerechtigkeit) war der bekannte Satz des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl (1802-1861): "Die Strafgerechtigkeit ist die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat."
Einige Stichworte reichen, um die Tiefe der Staatsverehrung anzudeuten. Im Absolutismus war staatsrechtlich sonnenklar, dass der Machthaber von Gott eingesetzt war und sich auch nur vor diesem Urgrund seiner legitimen Herrschaft zu verantworten hatte (princeps legibus solutus). Doch selbst die in post-absolutistischen deutschen Landen dominierende Kantische Rechts- und Staatslehre wollte von irgendeiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Herrscher nichts wissen und riet den Unzufriedenen dazu, statt den Herrscher zu kritisieren doch lieber ins Exil zu gehen. Und wer nicht Kantianer war, sondern Hegelianer, der sah im Staat eh die Materialisierung edelster Menschheitsideale von Freiheit und Vernunft. Hegel zufolge waren ja Sittlichkeit und Freiheit eine untrennbare Einheit, die erst im Rahmen des Staates in ihrer besten Form wirklich werden konnte. Definierte man aber den Staat mit Hegel als die selbstbewusste sittliche Substanz und als das an und für sich Vernünftige, so verblieb dem Einzelnen als höchste Freiheit nichts anderes, als eben dem Gesetz des Staates in aufopfernder Pflichtererfüllung zu gehorchen. Jeder Gedanke daran, dass es anders sein könnte, verbat sich von selbst. Fundamentaler Ausdruck der Erhabenheit der Staatsidee und der Funktion der Konzepte von Straftat und Strafjustiz (= Strafgerechtigkeit) war der bekannte Satz des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl (1802-1861): "Die Strafgerechtigkeit ist die Herstellung der Herrlichkeit des Staates durch die Vernichtung oder das Leiden dessen, der sich wider sie empört hat."


Zur Zeit der Entstehung der Kriminologie als Wissenschaft gab es also einen klaren Ausgangspunkt allen Denkens, Forschens und Lehrens, und das war die Vorstellung vom Strafrecht als Instrument des Herrschers gegen schwierige Untertanen, die untereinander keinen Frieden halten konnten und durch den weisen Herrscher und seine Peinliche Gerichtsbarkeit zur Raison gebracht werden mussten. Ausserdem gehörte zu dieser Vorstellung das Strafrecht als Waffe in der Hand des Herrschers, um sich selbst und sein Herrschaftssystem gegen politisch motivierte Angriffe zur Wehr zu setzen. Dieses Delikt der mehr oder minder direkten Herausforderung staatlicher Machthaber aus dem Innern des Staates selbst wurde seinerzeit als ''crimen (laesae) maiestatis'', als ''crimen perduellionis'', als ''crime d'État'' oder als ''Staatsverbrechen'' bezeichnet.


Mit dem Staatsverbrechen als einem Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird" (Krünitz 1836: 380), befasste sich das Staatsrecht allerdings deutlich intensiver als das Strafrecht. Die Kriminologie interessierte sich dafür eher am Rande. Wenn sich Kriminologen der Anfangszeit - wie namentlich auch Cesare Lombroso - allerdings angesichts einer Welle politischer Attentate einmal dem Thema widmeten, dann kamen auch sie mit ihren Methoden und Theorien recht gut damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Man hatte es ja mit einer Erscheinung zu tun, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen in einiger Direktheit gegen die politische Herrschaft wandten und diese nicht nur indirekt im Zuge der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols auf den Plan riefen.


Das Prinzip der Straffreiheit der Obrigkeit (princeps legibus solutus) galt seit unvordenklichen Zeiten als schiere Selbstverständlichkeit. Das Strafrecht war ein Instrument des Herrschers gegen schwierige Untertanen, die untereinander keinen Frieden halten konnten und durch den weisen Herrscher und seine Peinliche Gerichtsbarkeit zur Raison gebracht werden mussten. Und es war eine Waffe des Herrschers gegen Angriffe auf seine Ehre, seine Befehlsgewalt oder sein Leben. Das Delikt der mehr oder minder direkten Herausforderung staatlicher Machthaber aus dem Innern des Staates selbst wurde seinerzeit als ''crimen (laesae) maiestatis'', als ''perduellio'' oder als ''Staatsverbrechen'' bezeichnet.


 
aus heutiger Sicht den kriminellen Cha Zu der Zeit ihrer Entstehung hatte sie mit Staatsverbrechen weniger Probleme als heute. Die Zunft interessierte sich zwar nur eher am Rande dafür, doch im Prinzip zumindest kam man damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Während des gesamten 19. Jahrhunderts verstand man unter Staatsverbrechen nämlich ein Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird" (Krünitz 1836: 380). Mit anderen Worten: man stand vor einer Erscheinung, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen eben direkt gegen die Herrscher und/oder das Herrschaftssystem richteten (und nicht nur im Zuge der Verletzung anderer Geseelschaftsmitglieder indirekt das Gewaltmonopol des Staates missachteten).


klopädie (1836: 380 ff.) hiess es, ein Staatsverbrechen (=Crimen majestatis s. perduellionis; Fr. Crime d' état) sei "ein Vergehen, welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie." , als sie in  die Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
klopädie (1836: 380 ff.) hiess es, ein Staatsverbrechen (=Crimen majestatis s. perduellionis; Fr. Crime d' état) sei "ein Vergehen, welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie." , als sie in  die Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
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