Staatsverbrechen und der heimliche Lehrplan der Kriminologie: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Kriminologie sammelt Informationen über Straftaten, Rechtsbrecher und soziale Kontrolle und versucht diese Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Sie will dies solide tun, d.h. mit wissenschaftlichen Methoden und so objektiv wie möglich. In der Praxis muss sie allerdings Schwerpunkte setzen und darf sich nicht zu weit von dem entfernen, was im Weltbild ihrer Adressaten als wichtig und richtig erscheint. Das relativiert den eigenen Anspruch an objektive Erkenntnis in erheblichem Masse. Wie stark diese Bornierung wirkt, lehrt vor allem die Historie. Man denke an die Grenzen der Erkenntnis und ihre Verschiebung in den Jahren zwischen 1871 und 1971. Im Deutschen Kaiserreich waren die massgeblichen Mentalitäten andere als in der Weimarer Republik. Auch im sogenannten Dritten Reich wurde Kriminologie betrieben, auch damals beobachtete man die Entwicklungslinien zahlreicher Delikte - und doch sorgte der seinerzeitige Bezugsrahmen dafür, dass die bedeutendsten Verbrechen der damaligen Zeit komplett ausgeblendet blieben. Trotz subjektiv sorgfältigster Beobachtung ...     as, was aus heutiger Sicht den kriminellen Cha Zu der Zeit ihrer Entstehung hatte sie mit Staatsverbrechen weniger Probleme als heute. Die Zunft interessierte sich zwar nur eher am Rande dafür, doch im Prinzip zumindest kam man damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Während des gesamten 19. Jahrhunderts verstand man unter Staatsverbrechen nämlich ein Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird" (Krünitz 1836: 380). Mit anderen Worten: man stand vor einer Erscheinung, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen eben direkt gegen die Herrscher und/oder das Herrschaftssystem richteten (und nicht nur im Zuge der Verletzung anderer Geseelschaftsmitglieder indirekt das Gewaltmonopol des Staates missachteten).
Die Kriminologie sammelt Informationen über Straftaten, Rechtsbrecher und soziale Kontrolle und versucht diese Phänomene zu beschreiben und zu erklären. Sie will dies solide tun, d.h. mit wissenschaftlichen Methoden und so objektiv wie möglich. In der Praxis muss sie allerdings Schwerpunkte setzen und darf sich nicht zu weit von dem entfernen, was im Weltbild ihrer Adressaten als wichtig und richtig erscheint. Das relativiert den eigenen Anspruch an objektive Erkenntnis in erheblichem Masse. Wie stark diese Bornierung wirkt, lehrt vor allem die Historie. Man denke an die Grenzen der Erkenntnis und ihre Verschiebung in den Jahren zwischen 1871 und 1971. Im Deutschen Kaiserreich waren die massgeblichen Mentalitäten andere als in der Weimarer Republik. Auch im sogenannten Dritten Reich wurde Kriminologie betrieben, auch damals beobachtete man die Entwicklungslinien zahlreicher Delikte - und doch sorgte der seinerzeitige Bezugsrahmen dafür, dass die bedeutendsten Verbrechen der damaligen Zeit komplett ausgeblendet blieben. Trotz subjektiv sorgfältigster Beobachtung der Deliktsentwicklungen und trotz erster Erkundungen des Dunkelfeldes blieben die meisten und die schwersten Delikte ausgeblendet oder unsichtbar.
 
Aus heutiger Sicht lag der entscheidende Grund in dem historisch gewachsenen Bezugssystem der Kriminologie. Die Kriminologie hatte ihren Ursprung ja in dem Versuch, den staatlichen Stellen beim Umgang mit einer anschwellenden Menge von Delikten zur Seite zu stehen. Die vom Industrieproletariat und mehr noch vom Subproletariat ausgehenden Bedrohungen der etablierten Ordnung - die Rede war von den ''dangerous classes'' -  wollten vorbeugend und sanktionierend unter Kontrolle gebracht werden. Das war angesichts
 
aus heutiger Sicht den kriminellen Cha Zu der Zeit ihrer Entstehung hatte sie mit Staatsverbrechen weniger Probleme als heute. Die Zunft interessierte sich zwar nur eher am Rande dafür, doch im Prinzip zumindest kam man damit zurecht. Der Grund war wohl, dass Taten und Täter nicht aus der normalen Konfiguration von kriminellem Akteur und staatlicher Macht herausfielen. Während des gesamten 19. Jahrhunderts verstand man unter Staatsverbrechen nämlich ein Delikt, "welches gegen den Staat begangen wird" (Krünitz 1836: 380). Mit anderen Worten: man stand vor einer Erscheinung, die - wie alle anderen Delikte auch - von Machtunterworfenen kam und gegen die Machthaber gerichtet war. Die spezifische Differenz zu anderen Tattypen bestand nur in dem Umstand, dass sich die so verstandenen Staatsverbrechen eben direkt gegen die Herrscher und/oder das Herrschaftssystem richteten (und nicht nur im Zuge der Verletzung anderer Geseelschaftsmitglieder indirekt das Gewaltmonopol des Staates missachteten).


klopädie (1836: 380 ff.) hiess es, ein Staatsverbrechen (=Crimen majestatis s. perduellionis; Fr. Crime d' état) sei "ein Vergehen, welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie." , als sie in  die Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
klopädie (1836: 380 ff.) hiess es, ein Staatsverbrechen (=Crimen majestatis s. perduellionis; Fr. Crime d' état) sei "ein Vergehen, welches gegen den Staat begangen wird, sey es nun gegen den Staat oder die Regierung als Körperschaft, oder gegen den Regenten, als Haupt, Oberhaupt der Körperschaft, und gegen dessen Familie." , als sie in  die Alles scheint in Ordnung. Aber das ist es nicht. Die Kriminologie, einst nur mit den unteren sozialen Schichten, den sogenannten dangerous classes, befasst, bzw. den nuts, sluts, and preverts (Liazos 1970), beginnt sich zwar ihrer Absicht nach durchaus zu emanzipieren. Sie hat die Delikte von Staatsführungen entdeckt, das repressive Verbrechen, den Genozid und ganz allgemein die Kriminalität der politisch und/oder wirtschaftlich Mächtigen. Es gibt einen umfangreichen Subdiskurs der Kriminologie zum Thema Staatsverbrechen. Und dennoch bleibt der Eindruck, dass all dies nicht ganz echt ist, dass die Befassung mit den crimes of the powerful weder von der scientific community noch vom allgemeinen Publikum als authentischer Teil der Kriminologie wahrgenommen wird. Irgendwie will es mit der Integration des Themas in den Lehr- und Forschungsapparat der Disziplin nicht so recht funktionieren. In der Lehre bleiben Staatsverbrechen abgesondert von der eigentlichen Kriminalität, in der Forschung spielen sie meist schon aus praktischen Gründen keine nennenswerte Rolle. Die pragmatischen Barrieren sind leicht zu benennen: fehlender Zugang im Hinblick auf empirische Forschung sowie die Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, welche Verhaltensweisen nach welchen Kriterien als strafbar bzw. als Verbrechen anzusehen sind. In der kriminologischen Theorie, in dem Reigen der speziellen und vor allem der allgemeinen Kriminalitätstheorien vermochte deshalb das Staatsverbrechen seinen Platz noch nicht zu finden. Impliziter Bezugspunkt der taatsimplizit immer noch der normale Unterschichtsdelinquent Unterdrückung   
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