Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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===Bedenken aus kriminologischer Sicht===
===Bedenken aus kriminologischer Sicht===
Ferner wird davor gewarnt, dass die nachträgliche Sicherungsverwarnung bei Jugendlichen in die Richtung der „selektiven Incapacitation“ geht (Graebsch 2008). Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit eine erfahrungswissenschaftliche Basis des gesetzgeberischen Vertrauens in Gefährlichkeitsporgnosen existiert. Des Weiteren wird kritisiert, dass ein theoretisches Fundament der Prognoseinstrumente fehlt. In den jüngeren kriminologischen Forschungen wurde widerlegt, dass es eine persönlichkeitsbedingte Neigung zur Kriminalität gibt. Heute werden nicht mehr kriminelle mit nicht kriminellen Jugendlichen verglichen, sondern Lebensphasen einer Person mit und solche ohne strafbares Handeln. Dies angenommen, erklärt, weshalb eine Prognose bezogen auf ein Individuum nicht zielführend ist. Die geforderte Prognose bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen ist rein persönlichkeitsorientiert und nicht auf intra- personelle Entwicklungen angelegt (Graebsch 2008). Der Freiheitsentzug beruht nicht mehr auf der Schuldverbüßung, sondern alleine auf einer Gefährlichkeitsprognose. So wird formuliert, dass bei jungen Menschen die geforderte Beurteilung der Gefährlichkeit nicht verlässlich festgestellt werden könne. Gegenwärtig liegen für Deutschland keinerlei kriminologische Forschungen vor, aus denen sich eine Einschätzung des Risikos derartiger Fehlurteile ableiten ließe. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der unnötig Inhaftierten beträchtlich ist. Teilweise wird in der kriminologischen Literatur davon ausgegangen, dass schon gegenwärtig 60 bis 90% der Sicherungsverwahrten aufgrund derartiger Fehlprognosen inhaftiert sind. Bemerkenswert ist, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleich im Ausgangsurteil (derzeit noch) nicht möglich ist, denn Jugendliche und Heranwachsende befinden sich aufgrund ihres Alters i.d.R. in einer Phase starker Persönlichkeitsentwicklungen. Man geht davon aus, dass hier noch bessere Möglichkeiten zur Einflussnahme, Veränderung und positiven Entwicklung gegeben sind. Daher sieht das Gesetz bislang davon ab, bereits in diesem Alter langfristige Gefährlichkeitsprognosen zu erstellen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht fußt auf Erkenntnissen, die wesentlich aus der Begehung der Ausgangstat gewonnen werden, sowie auf einer „Gesamtwürdigung des Verurteilten“. Diese Gesamtwürdigung, soweit sie tatsächlich weitere Aspekte beinhaltet, kann sich auch nur auf den Verurteilten zur Zeit seiner Verurteilung beziehen. Beide Erkenntnisse sind jedoch wegen der alterstypischen Entwicklungsphase noch wenig belastbar. Zum anderen soll „ergänzend“ auch die Entwicklung während des Vollzuges zur Beurteilung herangezogen werden. Auch diese Schlüsse sind wenig belastbar, da die Situation im Vollzug eine grundsätzlich andere ist als die in Freiheit. Zudem ist die Entwicklung im Vollzug nicht nur von dem Gefangenen, sondern in hohem Maße auch von den staatlich zu verantworteten Bedingungen abhängig, unter denen der Vollzug stattfindet. Positiv ist die in § 7 Abs.4 JGG normierte jährliche Überprüfung, ansonsten der sonst zwei Jahre betragenden Frist, zu erwähnen. Andere Experten halten die nachträgliche Sicherungsverwahrung für junge Menschen zwar rechtstheoretisch begründbar. Allerdings sei sie nicht rechtspraktikabel und darüber hinaus könnte sie sich kontraproduktiv für den Opferschutz auswirken. (Laubenthal/Baier 2006). Dies aus folgenden Gründen: Die kriminelle Entwicklung junger Menschen verläuft nicht linear nach unten in die Unverbesserlichkeit, sondern sie ist wellenförmig mit Abbrüchen und Neuanfängen. Die Dauer der wellenförmigen Delinquenzperiode endet meistens im Alter von 20- 27 Jahren. Häufig sind es zufällige, äußere Umstände, die zu einer Umkehr in die kriminelle Karriere oder aus ihr heraus führen. Hierzu zählen Schicksalsschläge in der Familie, Erkrankungen, eine neue Partnerschaft oder ein neuer Job. Eine zuverlässige Prognoseentscheidung ist daher bei jungen Menschen noch schwieriger als bei Erwachsenen. Um dem Rechnung zu tragen, wird auf die Einführung der Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren und die Möglichkeit der Anordnung zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung verzichtet. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines nach Jugendstrafrecht Verurteilten könnte frühestens mit 21 Jahren angeordnet werden (wenn sie mit 14 zu einer 7-jährigen Jugendstrafe verurteilt wurden) und spätestens mit 31 (wenn sie mit 21 als Heranwachsende zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt wurden). Im Ergebnis dürfte die Möglichkeit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor allem junge Verurteilte im Alter von Mitte bis Ende 20, im Einzelfall aber auch darunter, betreffen.
Ferner wird davor gewarnt, dass die nachträgliche Sicherungsverwarnung bei Jugendlichen in die Richtung der „selektiven Incapacitation“ geht (Graebsch 2008). Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit eine erfahrungswissenschaftliche Basis des gesetzgeberischen Vertrauens in Gefährlichkeitsprognosen existiert. Des Weiteren wird kritisiert, dass ein theoretisches Fundament der Prognoseinstrumente fehlt. In den jüngeren kriminologischen Forschungen wurde widerlegt, dass es eine persönlichkeitsbedingte Neigung zur Kriminalität gibt. Heute werden nicht mehr kriminelle mit nicht kriminellen Jugendlichen verglichen, sondern Lebensphasen einer Person mit und solche ohne strafbares Handeln. Dies angenommen, erklärt, weshalb eine Prognose bezogen auf ein Individuum nicht zielführend ist. Die geforderte Prognose bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen ist rein persönlichkeitsorientiert und nicht auf intra- personelle Entwicklungen angelegt (Graebsch 2008). Der Freiheitsentzug beruht nicht mehr auf der Schuldverbüßung, sondern alleine auf einer Gefährlichkeitsprognose. So wird formuliert, dass bei jungen Menschen die geforderte Beurteilung der Gefährlichkeit nicht verlässlich festgestellt werden könne. Gegenwärtig liegen für Deutschland keinerlei kriminologische Forschungen vor, aus denen sich eine Einschätzung des Risikos derartiger Fehlurteile ableiten ließe. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl der unnötig Inhaftierten beträchtlich ist. Teilweise wird in der kriminologischen Literatur davon ausgegangen, dass schon gegenwärtig 60 bis 90% der Sicherungsverwahrten aufgrund derartiger Fehlprognosen inhaftiert sind. Bemerkenswert ist, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleich im Ausgangsurteil (derzeit noch) nicht möglich ist, denn Jugendliche und Heranwachsende befinden sich aufgrund ihres Alters i.d.R. in einer Phase starker Persönlichkeitsentwicklungen. Man geht davon aus, dass hier noch bessere Möglichkeiten zur Einflussnahme, Veränderung und positiven Entwicklung gegeben sind. Daher sieht das Gesetz bislang davon ab, bereits in diesem Alter langfristige Gefährlichkeitsprognosen zu erstellen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht fußt auf Erkenntnissen, die wesentlich aus der Begehung der Ausgangstat gewonnen werden, sowie auf einer „Gesamtwürdigung des Verurteilten“. Diese Gesamtwürdigung, soweit sie tatsächlich weitere Aspekte beinhaltet, kann sich auch nur auf den Verurteilten zur Zeit seiner Verurteilung beziehen. Beide Erkenntnisse sind jedoch wegen der alterstypischen Entwicklungsphase noch wenig belastbar. Zum anderen soll „ergänzend“ auch die Entwicklung während des Vollzuges zur Beurteilung herangezogen werden. Auch diese Schlüsse sind wenig belastbar, da die Situation im Vollzug eine grundsätzlich andere ist als die in Freiheit. Zudem ist die Entwicklung im Vollzug nicht nur von dem Gefangenen, sondern in hohem Maße auch von den staatlich zu verantworteten Bedingungen abhängig, unter denen der Vollzug stattfindet. Positiv ist die in § 7 Abs.4 JGG normierte jährliche Überprüfung, ansonsten der sonst zwei Jahre betragenden Frist, zu erwähnen. Andere Experten halten die nachträgliche Sicherungsverwahrung für junge Menschen zwar rechtstheoretisch begründbar. Allerdings sei sie nicht rechtspraktikabel und darüber hinaus könnte sie sich kontraproduktiv für den Opferschutz auswirken. (Laubenthal/Baier 2006). Dies aus folgenden Gründen: Die kriminelle Entwicklung junger Menschen verläuft nicht linear nach unten in die Unverbesserlichkeit, sondern sie ist wellenförmig mit Abbrüchen und Neuanfängen. Die Dauer der wellenförmigen Delinquenzperiode endet meistens im Alter von 20- 27 Jahren. Häufig sind es zufällige, äußere Umstände, die zu einer Umkehr in die kriminelle Karriere oder aus ihr heraus führen. Hierzu zählen Schicksalsschläge in der Familie, Erkrankungen, eine neue Partnerschaft oder ein neuer Job. Eine zuverlässige Prognoseentscheidung ist daher bei jungen Menschen noch schwieriger als bei Erwachsenen. Um dem Rechnung zu tragen, wird auf die Einführung der Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren und die Möglichkeit der Anordnung zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung verzichtet. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines nach Jugendstrafrecht Verurteilten könnte frühestens mit 21 Jahren angeordnet werden (wenn sie mit 14 zu einer 7-jährigen Jugendstrafe verurteilt wurden) und spätestens mit 31 (wenn sie mit 21 als Heranwachsende zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt wurden). Im Ergebnis dürfte die Möglichkeit der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor allem junge Verurteilte im Alter von Mitte bis Ende 20, im Einzelfall aber auch darunter, betreffen.


===Bedenken hinsichtlich der zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose unter Vollzugsbedingungen===
===Bedenken hinsichtlich der zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose unter Vollzugsbedingungen===
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