Sicherungsverwahrung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Geschichte ==
== Geschichte ==
*18. Jahrhundert: In Preußen wurde erstmals zwischen Strafe und Maßregel unterschieden. Allerdings gab es keine differenzierte Ausgestaltung von Strafe und Verwahrung, so dass die Maßregel wieder abgeschafft wurde (Vgl. Mischke (2010): S. 51).
*18. Jahrhundert: In Preußen wurde erstmals zwischen Strafe und Maßregel unterschieden. Allerdings gab es keine differenzierte Ausgestaltung von Strafe und Verwahrung, so dass die Maßregel wieder abgeschafft wurde (Vgl. Mischke (2010): S. 51).
*Ende des 19. Jahrhunderts: Franz von Liszt orientierte sich zwar am Schuldstrafrecht, erklärte die sichere Verwahrung des „nicht besserungsfähigen Gewohnheitsverbrechers“ jedoch zum Mittel, ihm zu begegnen (Vgl. Cornel et. al. (2009): S. 322). Carl Stooss versuchte mit seinem Entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch, den Ansatz von Liszt und individualpräventive Reaktionsmöglichkeiten zu vereinen (Vgl. Internetquelle Nr. 9).
*Ende des 19. Jahrhunderts: [[Franz von Liszt]] orientierte sich zwar am [[Schuldstrafrecht]], erklärte die sichere Verwahrung des „nicht besserungsfähigen Gewohnheitsverbrechers“ jedoch zum Mittel, ihm zu begegnen (Vgl. Cornel et. al. (2009): S. 322). [[Carl Stooss]] versuchte mit seinem Entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch, den Ansatz von Liszt und individualpräventive Reaktionsmöglichkeiten zu vereinen (Vgl. Internetquelle Nr. 9).
*Weimarer Republik: Entwürfe zum Strafgesetzbuch sahen neben anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung auch die Sicherungsverwahrung vor, ratifiziert wurden sie nicht. 24.11.1933: Einführung des „Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung“. Im § 42e RStGB wurde erstmals die Sicherungsverwahrung gesetzlich geregelt.
*Weimarer Republik: Entwürfe zum Strafgesetzbuch sahen neben anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung auch die Sicherungsverwahrung vor, ratifiziert wurden sie nicht.  
*24.11.1933: Einführung des „Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung“. Im § 42e RStGB wurde erstmals die Sicherungsverwahrung gesetzlich geregelt.
*1953: Die BRD übernahm den § 42 e in das StGB. - Verortung in § 66 StGB erfolgte später.
*1953: Die BRD übernahm den § 42 e in das StGB. - Verortung in § 66 StGB erfolgte später.
*01.04.1970: Erstes Strafrechtsreformgesetz. Verschärfung der zu erfüllenden Voraussetzungen. Ziel war es, die Zahl der Neuanordnungen zu verringern und sich mehr an der Gefährlichkeit des Straftäters zu orientieren.
*01.04.1970: Erstes Strafrechtsreformgesetz. Verschärfung der zu erfüllenden Voraussetzungen. Ziel war es, die Zahl der Neuanordnungen zu verringern und sich mehr an der Gefährlichkeit des Straftäters zu orientieren.
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*05.02.2004: Rechtmäßigkeit der bis dahin ergangenen Vorschriften wird nach Beschwerde durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bejaht.  
*05.02.2004: Rechtmäßigkeit der bis dahin ergangenen Vorschriften wird nach Beschwerde durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bejaht.  
*10.02.2004: Das BVerfG erklärt die in verschiedenen Bundesländern erlassenen Gesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig (Vgl. Bartsch (2010): S. 29 ff.).  
*10.02.2004: Das BVerfG erklärt die in verschiedenen Bundesländern erlassenen Gesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig (Vgl. Bartsch (2010): S. 29 ff.).  
*01.04.2004: Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für Heranwachsende nach § 106 Abs. 3 und 4 JGG.
*01.04.2004: Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für Heranwachsende nach § 106 Abs. 3,4 JGG.
*29.07.2004: Einführung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB für Erwachsene und gem. § 106 Abs. 5 und 6 JGG für Heranwachsende. Sie machte es möglich, die Sicherungsverwahrung trotz im Urteil zur Anlasstat nicht erwähnter Androhung anzuordnen, wenn während des Vollzuges der Freiheitsstrafe „neue“ Tatsachen bekannt wurden, die auf die fortdauernde Gefährlichkeit des Täters schließen ließen (Bruhn (2010): S. 42 ff.).
*29.07.2004: Einführung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB für Erwachsene und gem. § 106 Abs. 5,6 JGG für Heranwachsende. Sie machte es möglich, die Sicherungsverwahrung trotz im Urteil zur Anlasstat nicht erwähnter Androhung anzuordnen, wenn während des Vollzuges der Freiheitsstrafe „neue“ Tatsachen bekannt wurden, die auf die fortdauernde Gefährlichkeit des Täters schließen ließen (Bruhn (2010): S. 42 ff.).
*18.04.2007: Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Hier wurde nicht nur die Führungsaufsicht durch die Erweiterung der strafbewährten Weisungen, sowie der Erhöhung der Höchststrafe bei Zuwiderhandeln auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe gestärkt, sondern auch die Möglichkeit der unbefristeten Anordnung der Führungsaufsicht und der Wiedereinsetzung einer ausgesetzten Maßregel der Besserung und Sicherung gem. §§ 63 und 64 StGB eingeführt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung war fortan auch dann möglich, wenn das Urteil zur Anlasstat zeitlich vor Einführung des § 66b StGB lag (Vgl. Mischke (2010): S. 82 ff.).
*18.04.2007: Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Hier wurde nicht nur die Führungsaufsicht durch die Erweiterung der strafbewährten Weisungen, sowie der Erhöhung der Höchststrafe bei Zuwiderhandeln auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe gestärkt, sondern auch die Möglichkeit der unbefristeten Anordnung der Führungsaufsicht und der Wiedereinsetzung einer ausgesetzten Maßregel der Besserung und Sicherung gem. §§ 63 und 64 StGB eingeführt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung war fortan auch dann möglich, wenn das Urteil zur Anlasstat zeitlich vor Einführung des § 66b StGB lag (Vgl. Mischke (2010): S. 82 ff.).
*12.07.2008: Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht gem. § 7 Abs. 2-4 JGG (Vgl. Bruhn (2010): S. 51 ff.).
*12.07.2008: Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht gem. § 7 Abs. 2-4 JGG (Vgl. Bruhn (2010): S. 51 ff.).
*17.12.2009: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte, dass die Dauer der Unterbringung nach § 67 d StGB gegen die Art. 5 (das Recht auf Freiheit) und 7 (keine Strafe ohne Gesetz) EMRK verstoße (Internetquelle Nr. 1 und 2).
*17.12.2009: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte, dass die Dauer der Unterbringung nach § 67 d StGB gegen die Art. 5 (das Recht auf Freiheit) und 7 (keine Strafe ohne Gesetz) EMRK verstoße (Internetquelle Nr. 1 und 2).
*01.01.2011: Reform zur Sicherungsverwahrung. Die Absätze 1 und 2 des § 66b StGB wurden gestrichen. Es verbleibt die oben erläuterte Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Außerdem trat das ThUG in Kraft, nach dem diejenigen Sicherungsverwahrten, die auf Grund des Verbotes der rückwirkenden Verschärfung im Recht nicht weiter verwahrt werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen in speziellen Therapieeinrichtungen weiter untergebracht werden können (Internetquelle Nr. 11).  
*01.01.2011: Reform zur Sicherungsverwahrung. Die Absätze 1 und 2 des § 66b StGB wurden gestrichen. Es verbleibt die oben erläuterte Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Außerdem trat das ThUG in Kraft, nach dem diejenigen Sicherungsverwahrten, die auf Grund des Verbotes der rückwirkenden Verschärfung im Recht nicht weiter verwahrt werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen in speziellen Therapieeinrichtungen weiter untergebracht werden können (Internetquelle Nr. 11).


== Europa im Vergleich ==
== Europa im Vergleich ==

Version vom 8. März 2012, 18:29 Uhr

wird als Prüfungsleistung bearbeitet von Marcella T.

Die Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung, die neben der Strafe angeordnet werden kann. Bei angeordneter Sicherungsverwahrung verbleibt der Straftäter nach der Verbüßung seiner Strafhaft in staatlichem Gewahrsam. Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet, wenn vom Straftäter eine Gefahr zur erneuten Begehung erheblicher Straftaten ausgeht und er somit eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellt.

Anordnung

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist in den §§ 66, 66a und 66b StGB, dem § 106 Abs. 3, 5 und 6 JGG, sowie dem § 7 Abs. 2-4 JGG geregelt. Nach § 66 Abs. 1 StGB ist die Sicherungsverwahrung zwingend im Moment des Urteils zur Anlasstat anzuordnen, wenn Vorverurteilungen zu in Abs. 1 S.1 a, b aufgeführten Straftaten mit Freiheitsstrafen von insgesamt mind. zwei Jahren vorliegen und zur Anlasstat eine Freiheitsstrafe von ebenfalls mind. zwei Jahren ausgesprochen wird. Nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB liegt die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ermessen des zur Anlasstat entscheidenden Gerichts. Sie richtet sich nach der Anzahl der für die Anordnung relevanten Taten und Freiheitsstrafen, sowie in Abs. 3 nach einem erweiterten Katalog von Straftaten. Das Gericht kann die Sicherungsverwahrung hier auch ohne vorangegangene Verurteilungen oder Strafverbüßungen anordnen. Grundsätzlich muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten einen Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten, die eine körperliche oder seelische Schädigung des Opfers erwarten lassen, ergeben. In § 66a StGB ist die vorbehaltene Sicherungsverwahrung geregelt. Hiernach wird die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung in der Hauptverhandlung zur Anlasstat „vertagt“. Dies geht nur, wenn die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB erfüllt sind und die Wahrscheinlichkeit zur Begehung weiterer erheblicher Straftaten besteht. Spätestens ein halbes Jahr vor der möglichen Reststrafenaussetzung zur Bewährung wird dann über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entschieden (Vgl. Mischke (2010): S. 4 ff.). Der § 66b StGB regelt die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung. Diese kann auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB folgen, wenn die der Unterbringung zu Grunde liegende Anlasstat die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB erfüllt, die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus als erledigt erklärt wird und nach Gesamtschau des Täters und seiner Taten davon auszugehen ist, dass eine hohe Gefahr zur Begehung weiterer erheblicher Straftaten von ihm ausgeht (Internetquelle Nr. 5). Bei Jugendlichen und Heranwachsenden kann die Sicherungsverwahrung nicht neben der Strafe angeordnet werden. Für Heranwachsende ist jedoch die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 106 Abs. 3 JGG und die nachträgliche Sicherungsverwahrung unter den Voraussetzungen des § 106 Abs. 5 und 6 JGG möglich. Bei Jugendlichen kann unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 2-4 JGG nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Für Jugendliche und Heranwachsende sind die Hürden zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich höher als bei erwachsenen Straftätern (Vgl. Bruhn (2010): S. 168 ff.).

Vollzug und Dauer

Der Vollzug der Sicherungsverwahrung wird durch Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Vollzuges durchgeführt. Entsprechend ist er in den Gesetzen beschrieben, die den Strafvollzug regeln. Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz hierfür bei den Ländern. Länder, die noch nicht über ihr eigenes Landesstrafvollzugsgesetz verfügen, greifen auf die dann geltenden Regelungen des StVollzG zurück (Internetquelle Nr. 9). Während sich der Vollzug der vor der Sicherungsverwahrung zu vollstreckenden Freiheitsstrafe grundsätzlich am § 2 StVollzG, also am Ziel der Resozialisierung des Straftäters ausrichtet, steht beim Vollzug der Sicherungsverwahrung gem. § 129 StVollzG der Schutz der Bevölkerung durch Sicherung des Straftäters im Fordergrund. Erst Satz zwei des § 129 StVollzG erklärt, dass auch die Eingliederung in ein Leben in Freiheit Ziel der Unterbringung ist (Cornel et. al (2009): S. 323 ff.). Die Dauer der Unterbringung ist im § 67 d StVollzG geregelt. Die Sicherungsverwahrung kann grundsätzlich unbegrenzt andauern. Eine Entlassung gem. § 67 d Abs. 3 StVollzG kann nach zehn Jahren erfolgen, wenn von dem Verwahrten nicht mehr die Gefahr zur Begehung erheblicher Straftaten ausgeht. Die Maßregel wird dann als erledigt erklärt und Führungsaufsicht tritt ein. Die Überprüfung der Anordnung der Sicherungsverwahrung soll spätestens alle zwei Jahre erfolgen (Vgl. Woynar (2010): S. 128).

Geschichte

  • 18. Jahrhundert: In Preußen wurde erstmals zwischen Strafe und Maßregel unterschieden. Allerdings gab es keine differenzierte Ausgestaltung von Strafe und Verwahrung, so dass die Maßregel wieder abgeschafft wurde (Vgl. Mischke (2010): S. 51).
  • Ende des 19. Jahrhunderts: Franz von Liszt orientierte sich zwar am Schuldstrafrecht, erklärte die sichere Verwahrung des „nicht besserungsfähigen Gewohnheitsverbrechers“ jedoch zum Mittel, ihm zu begegnen (Vgl. Cornel et. al. (2009): S. 322). Carl Stooss versuchte mit seinem Entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch, den Ansatz von Liszt und individualpräventive Reaktionsmöglichkeiten zu vereinen (Vgl. Internetquelle Nr. 9).
  • Weimarer Republik: Entwürfe zum Strafgesetzbuch sahen neben anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung auch die Sicherungsverwahrung vor, ratifiziert wurden sie nicht.
  • 24.11.1933: Einführung des „Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung“. Im § 42e RStGB wurde erstmals die Sicherungsverwahrung gesetzlich geregelt.
  • 1953: Die BRD übernahm den § 42 e in das StGB. - Verortung in § 66 StGB erfolgte später.
  • 01.04.1970: Erstes Strafrechtsreformgesetz. Verschärfung der zu erfüllenden Voraussetzungen. Ziel war es, die Zahl der Neuanordnungen zu verringern und sich mehr an der Gefährlichkeit des Straftäters zu orientieren.
  • 01.08.1995: Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung nach der Wiedervereinigung.
  • 31.01.1998: Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten. Ziel war die vermehrte Anordnung der Sicherungsverwahrung gegenüber Sexualstraftätern. Mit der Einführung des § 66 Abs. 3 StGB wurden die Möglichkeiten der Anordnung erleichtert. Gleichzeitig wurden die Voraussetzungen zur Aussetzung zur Bewährung erschwert und die in § 67d StGB aufgeführte Höchstgrenze von 10 Jahren bei Erstanordnung rückwirkend aufgehoben.
  • 28.08.2002: Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gem. § 66a StGB.
  • 05.02.2004: Rechtmäßigkeit der bis dahin ergangenen Vorschriften wird nach Beschwerde durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bejaht.
  • 10.02.2004: Das BVerfG erklärt die in verschiedenen Bundesländern erlassenen Gesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig (Vgl. Bartsch (2010): S. 29 ff.).
  • 01.04.2004: Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für Heranwachsende nach § 106 Abs. 3,4 JGG.
  • 29.07.2004: Einführung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB für Erwachsene und gem. § 106 Abs. 5,6 JGG für Heranwachsende. Sie machte es möglich, die Sicherungsverwahrung trotz im Urteil zur Anlasstat nicht erwähnter Androhung anzuordnen, wenn während des Vollzuges der Freiheitsstrafe „neue“ Tatsachen bekannt wurden, die auf die fortdauernde Gefährlichkeit des Täters schließen ließen (Bruhn (2010): S. 42 ff.).
  • 18.04.2007: Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Hier wurde nicht nur die Führungsaufsicht durch die Erweiterung der strafbewährten Weisungen, sowie der Erhöhung der Höchststrafe bei Zuwiderhandeln auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe gestärkt, sondern auch die Möglichkeit der unbefristeten Anordnung der Führungsaufsicht und der Wiedereinsetzung einer ausgesetzten Maßregel der Besserung und Sicherung gem. §§ 63 und 64 StGB eingeführt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung war fortan auch dann möglich, wenn das Urteil zur Anlasstat zeitlich vor Einführung des § 66b StGB lag (Vgl. Mischke (2010): S. 82 ff.).
  • 12.07.2008: Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht gem. § 7 Abs. 2-4 JGG (Vgl. Bruhn (2010): S. 51 ff.).
  • 17.12.2009: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erklärte, dass die Dauer der Unterbringung nach § 67 d StGB gegen die Art. 5 (das Recht auf Freiheit) und 7 (keine Strafe ohne Gesetz) EMRK verstoße (Internetquelle Nr. 1 und 2).
  • 01.01.2011: Reform zur Sicherungsverwahrung. Die Absätze 1 und 2 des § 66b StGB wurden gestrichen. Es verbleibt die oben erläuterte Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Außerdem trat das ThUG in Kraft, nach dem diejenigen Sicherungsverwahrten, die auf Grund des Verbotes der rückwirkenden Verschärfung im Recht nicht weiter verwahrt werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen in speziellen Therapieeinrichtungen weiter untergebracht werden können (Internetquelle Nr. 11).

Europa im Vergleich

Erwachsene

  • Schweden: Bis zum Jahr 1981 gab es hier die Maßregel der „Internierung“, bei der die Resozialisierung durch Behandlung im Vordergrund stand. Sie wurde durch die Möglichkeit der Strafverschärfung beim Rückfall ersetzt. Mit dieser kann nun das Höchstmaß einer für eine Straftat vorgesehenen Freiheitsstrafe um bis zu vier Jahre überschritten werden.
  • Großbritannien: Schaffte die Sicherungsverwahrung im Jahr 1991 ab. Dafür wurde die Möglichkeit einer vorbeugenden Freiheitsstrafe geschaffen, deren Ausmaß sich auf das zum Schutz der Bevölkerung notwendige Maß ausdehnen soll.
  • Österreich: Es wurde 1975 die Möglichkeit der Unterbringung von gefährlichen Rückfalltätern in einer dafür vorgesehenen Anstalt eingeführt. Daneben steht gleichzeitig die Möglichkeit der Erhöhung zeitiger Freiheitsstrafen um bis zur Hälfte ihrer gesetzlichen Androhung.
  • Niederlande: Die Strafe kann vor dem Hintergrund der Gefährlichkeit eines Täters verschärft werden. Außerdem kann eine Unterbringung im „Institut der Überlassung mit Versorgung von Staatswegen“ erfolgen. Diese Anordnung kann allerdings nur gegen vermindert schuldfähige oder schuldunfähige Straftäter erfolgen.
  • Schweiz: Hier wird die Verwahrung von Gewohnheitsverbrechern seit 1937 praktiziert. Nach vielen Reformen richtet sich die Unterbringung vor allem gegen Sexual- und Gewaltverbrecher. Es wird erst die Maßregel und dann die Freiheitsstrafe vollstreckt, so dass faktisch eine lebenslange Unterbringung möglich ist.
  • Frankreich: Führte 2008 einer der Sicherungsverwahrung vergleichbare Maßregel ein. Sie sieht einen über das Strafende hinausgehenden, vorbeugenden Gewahrsam vor (Internetquelle Nr. 12).

Jugendliche

  • Niederlande: Ähnliche Institution existiert, Unterbringung grundsätzlich für zwei Jahre, einmalige Verlängerung auf vier Jahre möglich.
  • Großbritannien: Keine Sicherungsverwahrung, dafür aber die Möglichkeit der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe, wenn dies zum Schutz der Bevölkerung geboten erscheint. *Frankreich: Keine Sicherungsverwahrung. Die Höchststrafe für Jugendliche liegt bei 20 Jahren.
  • Österreich: Keine Sicherungsverwahrung, aber Möglichkeit der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Außerdem ist die Höchststrafe für Jugendliche auf 15, für Heranwachsende auf 20 Jahre festgesetzt (Vgl. Bruhn (2010): S. 223).

Verfassungswidrigkeit der Regelungen

Mit Beschluss vom 4.5.2011 (2 BvR 2365/09) entschied das BVerfG, dass alle Vorschriften des StGB und des JGG über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung mit dem Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Das Abstandsgebot – also die Besserstellung der Sicherungsverwahrten gegenüber Strafgefangenen - sei nicht gewahrt, die der Strafe zu Grunde liegende Vergeltung der schuldhaft begangenen Straftat und der ausschließlich präventive Zweck der Sicherungsverwahrung seien zu wenig differenziert. Außerdem sah es den Vertrauensschutz – also das der geltenden Rechtsordnung entgegengebrachte Vertrauen - gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als verletzt an. Die Regelungen sind zwar für verfassungswidrig, nicht jedoch für nichtig erklärt worden. Sie bleiben bis spätestens 31.05.2013 erhalten und werden durch verschiedene, im Urteil aufgeführte Übergangsregeln ergänzt (Vgl. Internetquelle Nr. 1 und 2).

Zukunft

Als Aufgabe für die Zukunft stellte das BVerfG mit seinem Urteil vom 04.05.2011 (2 BvR 2365/09), den Vollzug der Sicherungsverwahrung freiheitsorientiert und therapiegerichtet zu gestalten, um die von den Verwahrten ausgehende Gefahr zu minimieren und damit die Dauer der Unterbringung auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Therapeutische Maßnahmen zur Vermeidung der Maßregel sollen bereits während der Vollstreckung der Freiheitsstrafe ansetzen. Außerdem soll die Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft des Untergebrachten fortwährend gefördert werden. Es soll des Weiteren dafür gesorgt werden, dass die Sicherungsverwahrung als Maßregel der Besserung und Sicherung getrennt vom allgemeinen Strafvollzug vollzogen wird und die Fortdauer der Unterbringung jährlich geprüft wird. Zwar stellen diese Forderungen keine grundsätzlichen Neuerungen dar, sie bekräftigen jedoch den Anspruch an die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung als Maßregel der Besserung und Sicherung und nicht allein als Maßnahme des Schutzes der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Straftätern (Vgl. Internetquelle Nr. 1 und 2). Am 30.11.2011 hat das OLG Naumburg (Az. 1 Ws 64/11) das Abstandsgebot bezüglich der Größe der Räume, in denen Sicherungsverwahrte untergebracht werden sollen, konkretisiert. Eine Mindestgröße von 20 qm, eine eigene Nasszelle, eine eigene Kochmöglichkeit, sowie ein eigener Kühlschrank sollen nach dieser Entscheidung mindestens vorgehalten werden (Internetquelle Nr. 10).

Empirie

Einige in den neunziger Jahren begangene Tötungsdelikte an Kindern, die ausführlich von den Medien thematisiert wurden, führten zu einem Wiederaufblühen der Sicherungsverwahrung. Das Forschungsinstitut Niedersachsen führte in Zusammenarbeit mit dem TNS Infratest im Zeitraum von 1995 bis 2005 eine Studie zur Frage des Anstiegs u.a. sexuell motivierter Mordfälle durch. Die Befragten nahmen einen Anstieg von 168% an. Dieser gefühlte Anstieg wird durch die Polizeiliche Kriminalstatistik nicht bestätigt. Im Gegenteil führte eine eher sinkende Anzahl an Opfern bei sexuell motivierten Mordfällen an Kindern (1987 – 1991: 24 Opfer, 1997 – 2001: 12 Opfer, 2002 – 2006: 17 Opfer) zur geschilderten Verschärfung der Sicherungsverwahrung (Vgl. Internetquelle Nr. 13) Tillmann Bartsch erstellte mit seiner Auswertung vorhandener Datenquellen und Durchführung einer bundesweiten empirischen Untersuchung einen umfassenden Überblick über die gesetzlichen Anforderungen und deren tatsächliche Umsetzung an den Vollzug der Sicherungsverwahrung, sowie deren Schwierigkeiten bei der Umsetzung (Bartsch (2010)). Im Rahmen seiner Dissertation führte Ulrich Mischke an der JVA Werl eine empirische Studie durch. Er untersuchte fünf Sicherungsverwahrte mittels Sichtung und Auswertung der Gefangenenpersonalakten, sowie einzelner Interviews. Die Darstellung der Lebensgeschichte, der Sozialisation und der Legalbiografie stehen im Vordergrund. Mischke überprüfte hier vor allem die Anwendungspraxis der Sicherungsverwahrung (Mischke (2010)). Michael Alex führte eine Rückfalluntersuchung für 77 Personen durch, bei denen die nachträgliche Sicherungsverwahrung zwar beantragt, jedoch nicht rechtskräftig angeordnet wurde und die deshalb bis spätestens zum 31.12.2006 entlassen wurden. Er wertete Bundeszentralregisterauszüge bis zum 2. Halbjahr 2009 aus. 27 der untersuchten Personen waren erneut verurteilt, davon 12 zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Vier Personen waren erneut wegen Raub- oder Sexualstraftaten verurteilt worden. Bei drei dieser Personen wurde neben der Freiheitsstrafe eine Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Prognose, dass zum Zeitpunkt der Entlassung eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Begehung erheblicher Straftaten bestand, erfüllte sich bei vier von 77 Personen (Alex (2010)).

Kriminologische Relevanz

Nach einer Entschärfung der Voraussetzungen zur Anordnung der Sicherungsverwahrung im Jahr 1970, auf die der gewünschte Effekt sinkender Zahlen von Untergebrachten folgte, entwickelte sich die Neuausrichtung und die umfassende, über ein Jahrzehnt andauernde Verschärfung der gesetzlichen Regelungen zu einem Vorzeigebeispiel der von Jonathan Simon geprägten These des „gouverning through crime“. In einem Zusammenspiel zwischen medialem Aufbereiten tragischer Sexualmorde, dem Ausruf des Krieges gegen das Verbrechen und dem gleichzeitigen Präsentieren eines (Er)lösungsvorschlages der Politik, die „das Wegsperren für immer“ als das punitive Mittel der Stunde gegen die Wiederholungsgefahr ausrief, wurden Gesetze erlassen, die zu Beginn auch durch das höchste deutsche Gericht mitgetragen wurden. Erst das EGMR konnte mit Verweis auf die EMRK Einhalt gebieten und ein Umdenken beim BVerfG erwirken. Ob und wie die geübte Kritik, vor allem auch in der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung, kanalisiert werden kann, vor allem auch vor dem hierfür zu betreibenden finanziellen Aufwand für den einzelnen Verwahrten, bleibt noch genauso unklar, wie die Bereitschaft von Politik und Medien, die Neuerungen der Gesellschaft zu verkaufen.

Quellen

Internetquellen

  1. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-031.html
  2. http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110504_2bvr236509.html
  3. http://www.bpb.de/wissen/CNLY1A,0,0,Strafgefangene_und_Sicherungsverwahrte.html
  4. http://www.trend.infopartisan.net/trd1111/t291111.html
  5. http://www.juraforum.de/lexikon/sicherungsverwahrung
  6. http://www.buzer.de/gesetz/6165/al26895-0.htm
  7. http://www.fritz-sack.com/01%20Texte/Governing%20through%20Crime.htm
  8. http://www.gesetze-im-internet.de (StGB, JGG, GG, StVollzG, ThUG)
  9. http://de.wikipedia.org/wiki/Sicherungsverwahrung
  10. http://www.strafvollzugsarchiv.de/index.php?action=archiv_beitrag&thema_id=5&beitrag_id=471&gelesen=471
  11. http://www.wkdis.de/aktuelles/rechtsnews/200044/nussstein-ueber-inhalt-und-probleme-des-therapieunterbringungsgesetzes
  12. http://www.aikidan.ch/logo/forum_heft3_2010.pdf
  13. http://kfn.de/versions/kfn/assets/fb103.pdf

Literaturquellen

  • Cornel/Kawamura-Reindl/Maelicke/Sonnen(2009): Resozialisierung. Baden-Baden. S. 322 ff.
  • Alex (2010): Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel. Holzkirchen/Obb. Studie S. 79 ff.
  • Bruhn (2010): Die Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht. Hamburg. S 45 – 55, S. 168 – 224.
  • Woynar in Pollähne/Rode (2010): Sicherungsverwahrung: Zwischen Endstrafennotierung und ultimativem Wegschließen, in Probleme unbefristeter Freiheitsentziehung - Lebenslange Freiheitsstrafe, psychiatrische Unterbringung, Sicherungsverwahrung. S. 127 – 139.
  • Mischke (2010): Die Sicherungsverwahrung - Eine kriminologisch-juristische Bewertung anhand von Fallakten. Holzkirchen/Obb. Studie S. 85 ff.
  • Bartsch (2010): Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme. Baden Baden. Studie S. 131 ff.