Schweigepflicht: Unterschied zwischen den Versionen

1.620 Bytes entfernt ,  17:26, 2. Feb. 2010
Zeile 110: Zeile 110:
:*mutmaßliche Einwilligung
:*mutmaßliche Einwilligung
Eine mutmaßliche Einwilligung zur Offenbarung kann unterstellt werden, wenn diese im (mutmaßlichen) Interesse der Betroffenen liegt, dieser aber nicht gefragt werden kann, so beispielsweise im Fall der Information der Angehörigen eines bewußtlosen Patienten.
Eine mutmaßliche Einwilligung zur Offenbarung kann unterstellt werden, wenn diese im (mutmaßlichen) Interesse der Betroffenen liegt, dieser aber nicht gefragt werden kann, so beispielsweise im Fall der Information der Angehörigen eines bewußtlosen Patienten.


:*Offenbarungspflicht aufgrund besonderer Gesetze:
:*Offenbarungspflicht aufgrund besonderer Gesetze:
Zeile 115: Zeile 116:
Täter von seiner Tat abzuhalten für ÄrztInnen und neu auch für Psychologische PsychotherapeutInnen und
Täter von seiner Tat abzuhalten für ÄrztInnen und neu auch für Psychologische PsychotherapeutInnen und
Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen)  
Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen)  


::*prozessuale Zeugnispflicht (§ 53 StPO, § 383 ZPO)  
::*prozessuale Zeugnispflicht (§ 53 StPO, § 383 ZPO)  
Erziehungsrecht der Eltern aus dem BGB (begrenzt durch das Selbstbestimmungsrecht der Heranwachsen-
Erziehungsrecht der Eltern aus dem BGB (begrenzt durch das Selbstbestimmungsrecht der Heranwachsen-
den ab dem 14. Lebensjahr)Infektionsschutzgesetz, Geschlechtskrankheitengesetz
den ab dem 14. Lebensjahr)Infektionsschutzgesetz, Geschlechtskrankheitengesetz


:*Offenbarungsbefugnis aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (SGB V)
:*Offenbarungsbefugnis aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (SGB V)
Zeile 126: Zeile 129:
::*Übermittlung an die KK: Arbeitsunfähigkeitbescheinigung (§ 284 i.V.m. 295 SGB V),  
::*Übermittlung an die KK: Arbeitsunfähigkeitbescheinigung (§ 284 i.V.m. 295 SGB V),  
::*Übermittlung an den  medizinischen Dienst (§§ 276, 277 SGB V)
::*Übermittlung an den  medizinischen Dienst (§§ 276, 277 SGB V)


:*Mangelnde Einsichtsfähigkeit
:*Mangelnde Einsichtsfähigkeit
Zeile 131: Zeile 135:
Hier kann es durchaus Einschränkungen der Schweigepflicht geben, solange diese wegen  
Hier kann es durchaus Einschränkungen der Schweigepflicht geben, solange diese wegen  
ihres Alters nicht oder nicht ausreichend einsichts- und damit entscheidungsfähig sind.
ihres Alters nicht oder nicht ausreichend einsichts- und damit entscheidungsfähig sind.


:*Sozialadäquanz
:*Sozialadäquanz
In unserer modernen, arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft läßt es sich ersichtlich vielfach in alltäglichen Situationen gegenüber Praxisangehörigen, Mitarbeiter in Krankenhäusern und Angehörigen anderer Heilberufe oder Krankenkassen und Versicherungen gar nicht vermeiden, daß diese von Geheimnissen i.S.d. § 203 StGB Kenntnis erlangen. Je dichter das Netz der sozialen Fürsorge und je perfekter die arbeitsteilige, apparative Technik, um so gefährdeter sind das Arztgeheimnis und die Persönlichkeitssphäre des Patienten. Daher dürfen in sozialadäquatem Rahmen Informationen weitergegeben werden, soweit dies nötig oder unvermeidbar ist.
In unserer modernen, arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft läßt es sich ersichtlich vielfach in alltäglichen Situationen gegenüber Praxisangehörigen, Mitarbeiter in Krankenhäusern und Angehörigen anderer Heilberufe oder Krankenkassen und Versicherungen gar nicht vermeiden, daß diese von Geheimnissen i.S.d. § 203 StGB Kenntnis erlangen. Je dichter das Netz der sozialen Fürsorge und je perfekter die arbeitsteilige, apparative Technik, um so gefährdeter sind das Arztgeheimnis und die Persönlichkeitssphäre des Patienten. Daher dürfen in sozialadäquatem Rahmen Informationen weitergegeben werden, soweit dies nötig oder unvermeidbar ist.


:*Selbstschutz des Arztes
:*Selbstschutz des Arztes
Zeile 142: Zeile 148:


Unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes wird ein Verhalten gerechtfertigt, das ansonsten tatbestandsmäßig d.h. mißbilligt i.S. eines bestimmten Straftatbestandes wäre.  
Unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes wird ein Verhalten gerechtfertigt, das ansonsten tatbestandsmäßig d.h. mißbilligt i.S. eines bestimmten Straftatbestandes wäre.  
Dabei darf nicht allein ein abstrakter Wertevergleich der in Frage stehenden Rechtsgüter durchgeführt werden, sondern  es müssen alle Umstände der konkreten Kollisionslage berücksichtigt werden. Je höher der drohende Schaden durch Einhaltung der Schweigepflicht  im Vergleich zu dem aus der Geheimnisoffenbarung resultierenden Nachteil ist, desto eher wird die Geheimnisoffenbarung als angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr für das höherrangige Rechtsgut gerechtfertigt sein.
 
Die Rechtfertigung einer Notstandshandlung hängt also von einer zweifachen Wertung ab, wobei die eine das Rangverhältnis der kollidierenden Interessen und die andere die sozialethische Angemessenheit der Tat erfaßt. Das heißt: Die Notstandshandlung ist nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, das vom Täter geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt und die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden (Angemessenheitsklausel).
d.h. auch ein Arzt handelt “befugt”, wenn die Voraussetzungen des § 34 vorliegen.
Zur Frage, wie weit in die Rechtsgüter eines “Geheimnisberechtigten” eingegriffen werden darf, wird auch die Unterscheidung zwischen Defensiv- und Agressivnotstand relevant.
 
Die Notstandsformen unterscheiden sich insoweit, als daß beim Defensivnotstand die Abwehrhandlung allein in die Gütersphäre dessen eingreift, von dem die Gefahr ausgeht, wohingegen beim Agressivnotstand Rechtsgüter unbeteiligter Dritter in Mitleidenschaft gezogen werden.
Dies ist immer dann der Fall, wenn der Patient durch seine nicht Offenbarung andere Personen gefährdet.
Vor diesem Hintergrund erscheint einleuchtend, daß im Rahmen des Defensivnotstandes qualitativ und quantitativ weitergehende Beeinträchtigungen zulässig sind, weil das Eingriffsopfer selbst die Notstandsgefahr geschaffen hat.
Meißt handelt es sich hier um die Verheimlichung ansteckender Krankheiten.
Wegen der Einheit der Rechtsordnung muß das Vorliegen allgemeiner Rechtfertigungsgründe auch auf das ärztliche Berufsrecht durchschlagen, d.h. auch ein Arzt handelt “befugt”, wenn die Voraussetzungen des § 34 vorliegen.
 
Wegen des hohen Stellenwertes, den die ärztliche Schweigepflicht und das darin geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient in unserer Gesellschaft und damit auch in unserer Rechtsordnung innehat, darf das Recht zur Geheimnisoffenbarung aber nur restriktiv gehandhabt werden. Auch wenn es im Rahmen des § 34 gerechtfertigt ist, darf es immer nur als letztes Mittel, quasi als “ultima ratio” eingesetzt werden. Der Arzt muß zunächst mit allem Nachdruck versuchen, den Patienten “zur Vernunft zu bringen”, d.h. zur Krankheitseinsicht und zum verantwortungsvollen Umgang mit der Krankheit selbst und den Risiken, die sie für seine Umgebung birgt. Nur wenn dies fehlschlägt, der Mediziner also davon ausgehen muß, daß der “gefährliche” Patient nicht aus eigener Initiative die als gefährdet in Betracht kommenden Personen in seinem Umfeld aufklären wird und diese deshalb Gefahr laufen, infiziert zu werden, darf er seine Schweigepflicht brechen und auch Dritte von der Erkrankung und dem daraus für sie resultierenden Risiko informieren.
Wegen des hohen Stellenwertes, den die ärztliche Schweigepflicht und das darin geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient in unserer Gesellschaft und damit auch in unserer Rechtsordnung innehat, darf das Recht zur Geheimnisoffenbarung aber nur restriktiv gehandhabt werden. Auch wenn es im Rahmen des § 34 gerechtfertigt ist, darf es immer nur als letztes Mittel, quasi als “ultima ratio” eingesetzt werden. Der Arzt muß zunächst mit allem Nachdruck versuchen, den Patienten “zur Vernunft zu bringen”, d.h. zur Krankheitseinsicht und zum verantwortungsvollen Umgang mit der Krankheit selbst und den Risiken, die sie für seine Umgebung birgt. Nur wenn dies fehlschlägt, der Mediziner also davon ausgehen muß, daß der “gefährliche” Patient nicht aus eigener Initiative die als gefährdet in Betracht kommenden Personen in seinem Umfeld aufklären wird und diese deshalb Gefahr laufen, infiziert zu werden, darf er seine Schweigepflicht brechen und auch Dritte von der Erkrankung und dem daraus für sie resultierenden Risiko informieren.


334

Bearbeitungen