Routine Activity Theory: Unterschied zwischen den Versionen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
→‎Literatur: Neuer Zugang, freundlicher Hinweis von Benjamin Pesch
(→‎Literatur: Neuer Zugang, freundlicher Hinweis von Benjamin Pesch)
 
(4 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 10: Zeile 10:
== Ursprung ==
== Ursprung ==


Die RAT wurde erstmals 1979 von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson formuliert (Cohen/Felson 1979)<ref>Cohen/Felson (1979), Social Change and Crime Rate Trends: A Routine Activity Approach. American Sociological Review 44, 588-608.</ref>. Ziel der Autoren war es,  Kriminalitätsraten in den USA zu erklären und insbesondere die Bedingungen zu eruieren, unter denen ganze Bevölkerungsgruppen Opfer krimineller Aktivitäten werden. Damit ist der RAT ursprünglich ein viktimologischer Ansatz (Eifler, 2002)<ref>Eifler (2002), Kriminalsoziologie, S. 52 - 55</ref>.
Die RAT wurde erstmals 1979 von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson formuliert (Cohen/Felson 1979). Ziel der Autoren war es,  Kriminalitätsraten in den USA zu erklären und insbesondere die Bedingungen zu eruieren, unter denen ganze Bevölkerungsgruppen Opfer krimineller Aktivitäten werden. Damit ist der RAT ursprünglich ein viktimologischer Ansatz (Eifler, 2002).


Cohen und Felson (1979) <ref>Cohen/Felson (1979), Social Change and Crime Rate Trends: A Routine Activity Approach. American Sociological Review 44, 588-608.</ref> analysierten mit der RAT räumliche und zeitliche Aspekte bzw. untersuchten, bei welchen Gelegenheiten es zu einem Kontakt von Tätern und Opfern bei Diebstahls- und Raubdelikten sowie Körperverletzungen kommt. Ihr Erklärungsmodell macht den gesellschaftlichen Wandel, der sich in einem veränderten Grad sozialer Verflechtungen und Interaktionen zeigt, für die steigende Kriminalität (hier stehen vor allem die Eigentumsdelikte im Fokus der Aufmerksamkeit) verantwortlich.  
Cohen und Felson (1979)analysierten mit der RAT räumliche und zeitliche Aspekte bzw. untersuchten, bei welchen Gelegenheiten es zu einem Kontakt von Tätern und Opfern bei Diebstahls- und Raubdelikten sowie Körperverletzungen kommt. Ihr Erklärungsmodell macht den gesellschaftlichen Wandel, der sich in einem veränderten Grad sozialer Verflechtungen und Interaktionen zeigt, für die steigende Kriminalität (hier stehen vor allem die Eigentumsdelikte im Fokus der Aufmerksamkeit) verantwortlich.  


Der Begriff der routine activities bezeichnet in Anlehnung an Amaos Hawley (1950)<ref>Hawley, Human Ecology. A theory of Community Structure</ref> diejenigen Aktivitäten, die Menschen regelmäßig zum Zwecke der Existenzsicherung ausführen, wie z.B. die Ausübung eines Berufes, das Einkaufen von Lebensmitteln oder anderen Gütern des alltäglichen Bedarfs. Aus solchen Aktivitätsmustern großer Bevölkerungsgruppen ergeben sich der RAT zufolge jeweils spezifische Verteilungsmuster von Eigentumsdelikten (Eifler, 2002)<ref>Eifler (2002), Kriminalsoziologie, S. 52 - 55</ref>.
Der Begriff der routine activities bezeichnet in Anlehnung an Amaos Hawley (1950) diejenigen Aktivitäten, die Menschen regelmäßig zum Zwecke der Existenzsicherung ausführen, wie z.B. die Ausübung eines Berufes, das Einkaufen von Lebensmitteln oder anderen Gütern des alltäglichen Bedarfs. Aus solchen Aktivitätsmustern großer Bevölkerungsgruppen ergeben sich der RAT zufolge jeweils spezifische Verteilungsmuster von Eigentumsdelikten (Eifler, 2002).


Eine gestiegene Mobilität der US-amerikanischen Bevölkerung führt zunächst zu einer Besiedelung der Vororte (suburbs) größerer Städte. Wohn- und Arbeitsstelle sind in der Regel klar räumlich voneinander getrennt. Zeitlich auf diese Entwicklung folgend, führt ein zunehmender Anteil von berufstätigen Frauen zur relativen Auflösung informeller Kontrolle bzw. der informellen Kontrollsysteme.
Eine gestiegene Mobilität der US-amerikanischen Bevölkerung führt zunächst zu einer Besiedelung der Vororte (suburbs) größerer Städte. Wohn- und Arbeitsstelle sind in der Regel klar räumlich voneinander getrennt. Zeitlich auf diese Entwicklung folgend, führt ein zunehmender Anteil von berufstätigen Frauen zur relativen Auflösung informeller Kontrolle bzw. der informellen Kontrollsysteme.
Zeile 49: Zeile 49:
Access: Auch der Zugang zu einem Tatziel spielt eine wichtige Rolle. Ein nicht
Access: Auch der Zugang zu einem Tatziel spielt eine wichtige Rolle. Ein nicht
oder nicht wesentlich erschwerter Zugang erhöht die Geeignetheit als Tatziel
oder nicht wesentlich erschwerter Zugang erhöht die Geeignetheit als Tatziel
(Feltes, 2004 S. 49 ff).
(Feltes, 2004 S. 49 ff)




Zeile 56: Zeile 56:
Das zweite wesentliche Element für die Deliktsbegehung ist das Fehlen eines ausreichenden Schutzes vor Kriminalität für das Tatziel. Instanzen formeller und informeller Kontrolle können sowohl menschliche Akteure aber auch Alarmanlagen, Überwachungskameras oder andere technische Kontrollsysteme sein. Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
Das zweite wesentliche Element für die Deliktsbegehung ist das Fehlen eines ausreichenden Schutzes vor Kriminalität für das Tatziel. Instanzen formeller und informeller Kontrolle können sowohl menschliche Akteure aber auch Alarmanlagen, Überwachungskameras oder andere technische Kontrollsysteme sein. Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
   
   
Polizei  
*Polizei  
 
*Sicherheitsdienste  
Sicherheitsdienste  
*Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen  
 
*Türsteher  
Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen  
*aufmerksames Personal  
 
*Mitarbeiter  
Türsteher  
*Freunde  
 
*Nachbarn  
aufmerksames Personal  
*Videoüberwachung  
 
Mitarbeiter  
 
Freunde  
 
Nachbarn  
 
Videoüberwachung  


Schutzvorrichtungen müssen neben der Existenz auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen, d.h. ist beispielsweise eine Überwachungskamera installiert, aber nicht richtig ausgerichtet, stellt sie keine geeignete Schutzmöglichkeit dar. Oder der „Wächter“ kann unaufmerksam und ungeschult sein, so dass es trotz der Anwesenheit zum Auftreten von Verbrechen kommt.  
Schutzvorrichtungen müssen neben der Existenz auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen, d.h. ist beispielsweise eine Überwachungskamera installiert, aber nicht richtig ausgerichtet, stellt sie keine geeignete Schutzmöglichkeit dar. Oder der „Wächter“ kann unaufmerksam und ungeschult sein, so dass es trotz der Anwesenheit zum Auftreten von Verbrechen kommt.  
Zeile 83: Zeile 75:


Je nachdem wie diese drei Elemente aufgrund des individuellen Lebensrhythmus verteilt sind, ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Straftaten zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten (vgl. Eisenberg 1995: § 7 Rn. 12). Hier wird angenommen, dass die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung eine rationale Wahlhandlung darstellt, bei der der Handelnde in einer Kosten-Nutzen-Rechnung seinen potentiellen Gewinn den vermeintlichen Kosten gegenüberstellt. Solche Routinen spielen auch auf Seiten des Opfers eine große Rolle. Bei routinemäßig ablaufenden Aktivitäten, wie Fahrten zur Arbeit, Schule, Einkäufe etc., bleiben mögliche Tatobjekte unbewacht und dadurch entstehen kriminalitätsbegünstigende Faktoren (Büttner/Spengler, 2003).
Je nachdem wie diese drei Elemente aufgrund des individuellen Lebensrhythmus verteilt sind, ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Straftaten zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten (vgl. Eisenberg 1995: § 7 Rn. 12). Hier wird angenommen, dass die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung eine rationale Wahlhandlung darstellt, bei der der Handelnde in einer Kosten-Nutzen-Rechnung seinen potentiellen Gewinn den vermeintlichen Kosten gegenüberstellt. Solche Routinen spielen auch auf Seiten des Opfers eine große Rolle. Bei routinemäßig ablaufenden Aktivitäten, wie Fahrten zur Arbeit, Schule, Einkäufe etc., bleiben mögliche Tatobjekte unbewacht und dadurch entstehen kriminalitätsbegünstigende Faktoren (Büttner/Spengler, 2003).


== Zeitliche und theoretische Einordnung ==
== Zeitliche und theoretische Einordnung ==
Zeile 102: Zeile 93:


Die RAT dient als theoretisches Fundament situativer Präventionsansätze. Hier ist vor allem die Situational Crime Prevention (Clarke 1993) zu nennen. Der Annahme der RAT folgend, dass ein Verbrechen ein zeitgleiches Aufeinandertreffen der drei Elemente (suitable target, absence of a capable guardian, likely offender) an einem Ort voraussetzt, werden bei situativen Präventionsmaßnahmen die Tatgelegenheiten erschwert. So kann beispielsweise durch den serienmäßigen Einbau von Wegfahrsperren in Kfz’s dem Autodiebstahl vorgebeugt werden oder durch ein zügiges Entfernen von Graffiti Sprühern der Anreiz genommen werden, erneut Sachbeschädigungen zu verursachen. Eine Übersicht von insgesamt 25 Techniken zur situativen Kriminalitäts-Prävention findet sich bei Cornish und Clarke (2003).
Die RAT dient als theoretisches Fundament situativer Präventionsansätze. Hier ist vor allem die Situational Crime Prevention (Clarke 1993) zu nennen. Der Annahme der RAT folgend, dass ein Verbrechen ein zeitgleiches Aufeinandertreffen der drei Elemente (suitable target, absence of a capable guardian, likely offender) an einem Ort voraussetzt, werden bei situativen Präventionsmaßnahmen die Tatgelegenheiten erschwert. So kann beispielsweise durch den serienmäßigen Einbau von Wegfahrsperren in Kfz’s dem Autodiebstahl vorgebeugt werden oder durch ein zügiges Entfernen von Graffiti Sprühern der Anreiz genommen werden, erneut Sachbeschädigungen zu verursachen. Eine Übersicht von insgesamt 25 Techniken zur situativen Kriminalitäts-Prävention findet sich bei Cornish und Clarke (2003).


== Kritische Anmerkungen ==
== Kritische Anmerkungen ==
Zeile 132: Zeile 122:
*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Pesch/Neubacher (2011), ''[http://www.degruyter.com/view/j/jura.2011.33.issue-3/jura.2011.037/jura.2011.037.xml Der Routine Activity Approach – Ein vielseitiges Instrument der Kriminologie]'', Jura 2011, 205 ff.
*Singelnstein/Stolle (2008), ''Die Sicherheitsgesellschaft''
*Singelnstein/Stolle (2008), ''Die Sicherheitsgesellschaft''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)


== Weblinks ==
== Weblinks ==

Navigationsmenü