Routine Activity Theory: Unterschied zwischen den Versionen

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Bei der '''Routine Activity Theory''' (oder auch Routine Activity Approach, nachfolgend RAT) handelt es sich um eine Kriminalitätstheorie, die auf der Makroebene argumentiert. Die im Jahre 1979 zuerst von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson[http://www.newark.rutgers.edu/ourfaculty/index.php?sId=kudosDetail&expertId=40] vorgestellte RAT versucht die Veränderung der Kriminalitätsraten in einer Gesellschaft mit der Veränderung der Lebensgewohnheiten in der Bevölkerung (= routine activities) zu erklären.


Bei der '''Routine Activity Theory''' (oder auch Routine Activity Approach, nachfolgend RAT) handelt es sich um eine Kriminalitätstheorie, die auf der Makroebene argumentiert. Sie ist aus dem Umfeld der [[Chicago School]] (ökonomische Kriminalitätstheorien) entwickelt worden und versucht zu erklären, wie gesellschaftliche Erneuerungen die Zahl der Gelegenheiten verändern und somit die Kriminalitätsrate steigt oder fällt. Somit weisen der Routine Activity Approach und der Rational Choice Theory (beachte http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung) im Ansatz Parallelen auf, da beide Konzepte davon ausgehen, dass [[Kriminalität]] abhängig von den Gelegenheiten ist. (Brandt, 2004)  
Damit es zu Kriminalität kommen kann, müssen nach der Routine Activity Theory lediglich drei Bedingungen erfüllt sein: erstens muss es ein geeignetes Objekt für die kriminelle Handlung geben (suitable target), zweitens das Fehlen eines ausreichenden Schutzes für das Tatziel (absence of capable guardians) und drittens das Vorhandensein eines motivierten Täters (presence of motivated offender). Je nachdem wie diese drei Elemente aufgrund des individuellen Lebensrhythmus verteilt sind, ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Straftaten zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten (vgl. Eisenberg 1995: § 7 Rn. 12).
 
Der RAT ist aus dem Umfeld der [[Chicago School]] (ökonomische Kriminalitätstheorien) entwickelt worden. Somit weisen der Routine Activity Approach und der Rational Choice Theory (beachte http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung) im Ansatz Parallelen auf, da beide Konzepte davon ausgehen, dass [[Kriminalität]] abhängig von den Gelegenheiten ist. (Brandt, 2004)  


Der ökonomische Aufschwung in den 50iger und 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts fördert ein Klima der sozialen Solidarität. Dies ändert sich in den 70iger Jahren. Mit der Wirtschaftskrise, dem Beginn der Massenarbeitslosigkeit und einer stark ansteigenden Kriminalitätsrate schwinden die Grundprinzipien des penal welfarism ([[Garland, David]], 2008).






== Ursprung ==
== Ursprung ==


Die RAT wurde erstmals 1979 von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson formuliert (Cohen/Felson 1979). Ziel der Autoren war es,  Kriminalitätsraten in den USA zu erklären und insbesondere die Bedingungen zu eruieren, unter denen ganze Bevölkerungsgruppen Opfer krimineller Aktivitäten werden. Damit ist der RAT ursprünglich ein viktimologischer Ansatz (Eifler, 2002).
Die RAT wurde erstmals 1979 von Lawrence E. Cohen und Marcus Felson formuliert (Cohen/Felson 1979). Ziel der Autoren war es,  Kriminalitätsraten in den USA zu erklären und insbesondere die Bedingungen zu eruieren, unter denen ganze Bevölkerungsgruppen Opfer krimineller Aktivitäten werden. Damit ist der RAT ursprünglich ein viktimologischer Ansatz (Eifler, 2002).


Cohen und Felson (1979) analysierten mit der RAT räumliche und zeitliche Aspekte bzw. untersuchten, bei welchen Gelegenheiten es zu einem Kontakt von Tätern und Opfern bei Diebstahls- und Raubdelikten sowie Körperverletzungen kommt. Ihr Erklärungsmodell macht den gesellschaftlichen Wandel, der sich in einem veränderten Grad sozialer Verflechtungen und Interaktionen zeigt, für die steigende Kriminalität (hier stehen vor allem die Eigentumsdelikte im Fokus der Aufmerksamkeit) verantwortlich.  
Cohen und Felson (1979)analysierten mit der RAT räumliche und zeitliche Aspekte bzw. untersuchten, bei welchen Gelegenheiten es zu einem Kontakt von Tätern und Opfern bei Diebstahls- und Raubdelikten sowie Körperverletzungen kommt. Ihr Erklärungsmodell macht den gesellschaftlichen Wandel, der sich in einem veränderten Grad sozialer Verflechtungen und Interaktionen zeigt, für die steigende Kriminalität (hier stehen vor allem die Eigentumsdelikte im Fokus der Aufmerksamkeit) verantwortlich.  


Der Begriff der routine activities bezeichnet in Anlehnung an Amaos Hawley (1950) diejenigen Aktivitäten, die Menschen regelmäßig zum Zwecke der Existenzsicherung ausführen, wie z.B. die Ausübung eines Berufes, das Einkaufen von Lebensmitteln oder anderen Gütern des alltäglichen Bedarfs. Aus solchen Aktivitätsmustern großer Bevölkerungsgruppen ergeben sich der RAT zufolge jeweils spezifische Verteilungsmuster von Eigentumsdelikten (Eifler, 2002).
Der Begriff der routine activities bezeichnet in Anlehnung an Amaos Hawley (1950) diejenigen Aktivitäten, die Menschen regelmäßig zum Zwecke der Existenzsicherung ausführen, wie z.B. die Ausübung eines Berufes, das Einkaufen von Lebensmitteln oder anderen Gütern des alltäglichen Bedarfs. Aus solchen Aktivitätsmustern großer Bevölkerungsgruppen ergeben sich der RAT zufolge jeweils spezifische Verteilungsmuster von Eigentumsdelikten (Eifler, 2002).


Eine gestiegene Mobilität der US-amerikanischen Bevölkerung führt zunächst zu einer Besiedelung der Vororte (suburbs) größerer Städte. Wohn- und Arbeitsstelle sind in der Regel klar räumlich voneinander getrennt. Zeitlich auf diese Entwicklung folgend, führt ein zunehmender Anteil von berufstätigen Frauen zur relativen Auflösung informelle Kontrolle|informeller Kontrollsysteme.
Eine gestiegene Mobilität der US-amerikanischen Bevölkerung führt zunächst zu einer Besiedelung der Vororte (suburbs) größerer Städte. Wohn- und Arbeitsstelle sind in der Regel klar räumlich voneinander getrennt. Zeitlich auf diese Entwicklung folgend, führt ein zunehmender Anteil von berufstätigen Frauen zur relativen Auflösung informeller Kontrolle bzw. der informellen Kontrollsysteme.


Für einen Großteil des Tages sind die Wohnhäuser unbewohnt und unbewacht. Gleichzeitig finden hochwertige transportable und leicht verkäufliche Produkte (z.B. Fernseher und Videorekorder) Einzug in viele Haushalte. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen bezeichnen Cohen und Felson als Routineaktivitäten (z.B. das Verlassen des Wohnortes während der Büro- und Arbeitszeiten), die einer zeitweiligen Auflösung der Sozialkontrolle gleichkommen.
Für einen Großteil des Tages sind die Wohnhäuser unbewohnt und unbewacht. Gleichzeitig finden hochwertige transportable und leicht verkäufliche Produkte (z.B. Fernseher und Videorekorder) Einzug in viele Haushalte. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen bezeichnen Cohen und Felson als Routineaktivitäten (z.B. das Verlassen des Wohnortes während der Büro- und Arbeitszeiten), die einer zeitweiligen Auflösung der Sozialkontrolle gleichkommen.
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Access: Auch der Zugang zu einem Tatziel spielt eine wichtige Rolle. Ein nicht
Access: Auch der Zugang zu einem Tatziel spielt eine wichtige Rolle. Ein nicht
oder nicht wesentlich erschwerter Zugang erhöht die Geeignetheit als Tatziel
oder nicht wesentlich erschwerter Zugang erhöht die Geeignetheit als Tatziel
(Feltes, 2004 S. 49 ff).
(Feltes, 2004 S. 49 ff)




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Das zweite wesentliche Element für die Deliktsbegehung ist das Fehlen eines ausreichenden Schutzes vor Kriminalität für das Tatziel. Instanzen formeller und informeller Kontrolle können sowohl menschliche Akteure aber auch Alarmanlagen, Überwachungskameras oder andere technische Kontrollsysteme sein. Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
Das zweite wesentliche Element für die Deliktsbegehung ist das Fehlen eines ausreichenden Schutzes vor Kriminalität für das Tatziel. Instanzen formeller und informeller Kontrolle können sowohl menschliche Akteure aber auch Alarmanlagen, Überwachungskameras oder andere technische Kontrollsysteme sein. Einige Beispiele für “capable guardians” sind:
   
   
Polizei  
*Polizei  
 
*Sicherheitsdienste  
Sicherheitsdienste  
*Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen  
 
*Türsteher  
Nachbarschaftliche Überwachungspatrouillen  
*aufmerksames Personal  
 
*Mitarbeiter  
Türsteher  
*Freunde  
 
*Nachbarn  
aufmerksames Personal  
*Videoüberwachung  
 
Mitarbeiter  
 
Freunde  
 
Nachbarn  
 
Videoüberwachung  


Schutzvorrichtungen müssen neben der Existenz auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen, d.h. ist beispielsweise eine Überwachungskamera installiert, aber nicht richtig ausgerichtet, stellt sie keine geeignete Schutzmöglichkeit dar. Oder der „Wächter“ kann unaufmerksam und ungeschult sein, so dass es trotz der Anwesenheit zum Auftreten von Verbrechen kommt.  
Schutzvorrichtungen müssen neben der Existenz auch den gewünschten Effekt nach sich ziehen, d.h. ist beispielsweise eine Überwachungskamera installiert, aber nicht richtig ausgerichtet, stellt sie keine geeignete Schutzmöglichkeit dar. Oder der „Wächter“ kann unaufmerksam und ungeschult sein, so dass es trotz der Anwesenheit zum Auftreten von Verbrechen kommt.  
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Je nachdem wie diese drei Elemente aufgrund des individuellen Lebensrhythmus verteilt sind, ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Straftaten zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten (vgl. Eisenberg 1995: § 7 Rn. 12). Hier wird angenommen, dass die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung eine rationale Wahlhandlung darstellt, bei der der Handelnde in einer Kosten-Nutzen-Rechnung seinen potentiellen Gewinn den vermeintlichen Kosten gegenüberstellt. Solche Routinen spielen auch auf Seiten des Opfers eine große Rolle. Bei routinemäßig ablaufenden Aktivitäten, wie Fahrten zur Arbeit, Schule, Einkäufe etc., bleiben mögliche Tatobjekte unbewacht und dadurch entstehen kriminalitätsbegünstigende Faktoren (Büttner/Spengler, 2003).
Je nachdem wie diese drei Elemente aufgrund des individuellen Lebensrhythmus verteilt sind, ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten für Straftaten zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten (vgl. Eisenberg 1995: § 7 Rn. 12). Hier wird angenommen, dass die Begehung einer strafrechtlich relevanten Handlung eine rationale Wahlhandlung darstellt, bei der der Handelnde in einer Kosten-Nutzen-Rechnung seinen potentiellen Gewinn den vermeintlichen Kosten gegenüberstellt. Solche Routinen spielen auch auf Seiten des Opfers eine große Rolle. Bei routinemäßig ablaufenden Aktivitäten, wie Fahrten zur Arbeit, Schule, Einkäufe etc., bleiben mögliche Tatobjekte unbewacht und dadurch entstehen kriminalitätsbegünstigende Faktoren (Büttner/Spengler, 2003).


== Zeitliche und theoretische Einordnung ==
== Zeitliche und theoretische Einordnung ==
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Nach Garland wiederbeleben die Theorien der rationalen Wahl eine schlichte utilitaristische Vorstellung von kriminellem Verhalten, die schon lange durch positivistische und soziologische Theorien ersetzt wurden. Dies bedeutet, dass die Straftäter als rationale Opportunisten betrachtet werden, deren Verhalten je nach Manipulation der Anreize entweder abgeschreckt oder befördert wird - ein theoretischer Ansatz, der abschreckende Strafen zu einem selbstverständlichen Mittel der Reduzierung von Straftaten macht (Garland, 2008).
Nach Garland wiederbeleben die Theorien der rationalen Wahl eine schlichte utilitaristische Vorstellung von kriminellem Verhalten, die schon lange durch positivistische und soziologische Theorien ersetzt wurden. Dies bedeutet, dass die Straftäter als rationale Opportunisten betrachtet werden, deren Verhalten je nach Manipulation der Anreize entweder abgeschreckt oder befördert wird - ein theoretischer Ansatz, der abschreckende Strafen zu einem selbstverständlichen Mittel der Reduzierung von Straftaten macht (Garland, 2008).


== Literatur ==
== Literatur ==
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*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Pesch/Neubacher (2011), ''[http://www.degruyter.com/view/j/jura.2011.33.issue-3/jura.2011.037/jura.2011.037.xml Der Routine Activity Approach – Ein vielseitiges Instrument der Kriminologie]'', Jura 2011, 205 ff.
*Singelnstein/Stolle (2008), ''Die Sicherheitsgesellschaft''
*Singelnstein/Stolle (2008), ''Die Sicherheitsgesellschaft''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung
http://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_rationalen_Entscheidung
http://www.newark.rutgers.edu/ourfaculty/index.php?sId=kudosDetail&expertId=40
[[Kategorie:Kriminologie]]
[[Kategorie:Leistungsnachweis]]
{{Fußnote}}

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