Routine Activity Theory: Unterschied zwischen den Versionen

2.836 Bytes hinzugefügt ,  23:06, 16. Jan. 2009
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 90: Zeile 90:




== Theoretische Einordnung und Weiterentwicklung ==
== Zeitliche und Theoretische Einordnung ==
 
Seit den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts erleben die westlichen Gesellschaften einen ökonomischen, kulturellen und sozialen Transformationsprozess mit weit reichenden Veränderungen:
 
Als Folgen der Globalisierung und Internationalisierung der Produktions- und Marktbeziehungen, sind eine erhöhte Arbeitslosigkeit, Deregulierung der Produktions- und Arbeitsverhältnisse, als auch eine Flexibilisierung der Arbeits- und Sozialverhältnisse festzustellen. (Singelnstein/Stolle, 2008)
 
Neoliberale Wirtschaftkonzepte (Chicagoer Schule um Milton Friedman) und ein moralisch – religiöser Konservatismus nehmen immer mehr Einfluss auf politisches Handeln. Es kommt zunehmend zu einer Ökonomisierung des Sozialen und zur Privatisierung vormaliger staatlicher Aufgaben. Neben der Individualisierung und dem Bedeutungsverlust traditioneller Institutionen, wie der Familie und sozialer Netzwerke verstärkt der ökonomische Zwang zur Flexibilität und Mobilität die soziale Desintegration. Garland beschreibt diesen Prozess als den Wechsel von ökonomischer Kontrolle und sozialer Befreiung hin zu ökonomischer Freiheit und sozialer Kontrolle (Garland, 2008).
 
Ökonomische Kriminalitätstheorien, mit dem Menschenbild des „homo oeconomicus“ (Becker), nehmen zunehmend Einfluss auf politisches Handeln. Die Übertragung ökonomischer Prinzipien auf menschliches Verhalten, beruht auf die Vorstellung, der Mensch sei ein homo oeconomicus, der seine knappen Mittel kraft rationaler Wahl zur Erlangung des größten subjektiven Nutzens einsetzt. (Kunz, 2004)
 
So mit lässt sich die RAT formal den Kriminalitätstheorien sozialer Desorganisation (Social Disorganisation Therories of Crime) zuordnen. Diesen Theorien ist ihre makrotheoretische Perspektive mit zumeist orts- und nicht personenzentrierten Erklärungsansätzen für das Auftreten strafrechtlich relevanter Handlungen gemein (siehe: Environmental Criminology). Bekannte Vertreter dieser Theorierichtung sind aus der sog. Chicago School hervorgegangen, so z.B. der sozialökologische Ansatz von Robert E. Park oder das Zonenmodell der Stadtentwicklung von Ernest W. Burgess.
 
Die RAT gliedert sich insofern in diesen Theoriezweig ein, als sie akteurszentrierte und entwicklungspsychologische Erklärungsansätze ablehnt. Aus Sicht der RAT sind Akteure lediglich Objekte, deren mögliche Handlungsmotive und Dispositionen unberücksichtigt bleiben. Das zeigt sich bereits an den verwendeten Termini: Anstelle von Opfer (victim) wird das wertneutralere Wort Ziel (target) verwendet, statt vom Verbrechen (crime) wird von Verstoß / Übertretung (violation) gesprochen. Und schließlich zeugt die Tatsache, dass ein wesentliches Element der RAT durch seine Abwesenheit definiert wird (nämlich: Abwesenheit eines fähigen Wächters / absence of a capable guardian), vom Bemühen, einen entpersonalisierten Erklärungsansatz für kriminelles Verhalten zu formulieren, fernab biologischer, persönlichkeitsbezogener oder sozialstruktureller Modelle. Gemeinsamkeiten sind auch mit der Theorie rationaler Wahlhandlungen (Rational Choice) gegeben. Die RAT geht implizit von einem rational agierenden Straftäter aus, der sich von situativen Momenten leiten lässt (Vorhandensein eines lohnenden Zielobjekts, Abwesenheit eines fähigen Wächters). Entscheidender Unterschied zwischen den beiden Theorien sind die unterschiedlichen Erklärungsebenen (RAT = Makroebene, Rational Choice = Mikroebene) und die unterschiedliche Einbeziehung akteursspezifischer Dispositionen in die Erklärung kriminellen Verhaltens.
 
Der RAT dient als theoretisches Fundament situativer Präventionsansätze. Hier ist vor allem die Situational Crime Prevention (Clarke 1993) zu nennen. Der Annahme der RAT folgend, dass ein Verbrechen ein zeitgleiches Aufeinandertreffen der drei Elemente (suitable target, absence of a capable guardian, likely offender) an einem Ort voraussetzt, werden bei situativen Präventionsmaßnahmen die Tatgelegenheiten erschwert. So kann beispielsweise durch den serienmäßigen Einbau von Wegfahrsperren in Kfz’s, dem Autodiebstahl vorgebeugt werden oder durch ein zügiges Entfernen von Graffiti, Sprühern der Anreiz genommen werden, erneut Sachbeschädigungen zu verursachen. Eine Übersicht von insgesamt 25 Techniken zur situativen Kriminalitäts-Prävention findet sich bei Cornish und Clarke (2003).
 
 
== Kritische Anmerkungen ==
 
Es entspricht dem der Routine Activity Theory zugrunde liegende Menschenbild des „homo oeconomicus“, wenn mögliche Motivationen, die einen potentiellen Straftäter zu einem tatsächlichen Straftäter werden lassen, konsequent ausgeblendet werden. Auch werden keine entwicklungspsychologische Theorien zur Erklärung kriminellen Verhaltens berücksichtigt. Die RAT geht von einer allgemeinen und allgegenwärtigen Neigung zum kriminellen Verhalten aus. Menschliches Verhalten ist grundsätzlich gekennzeichnet durch moralische Schwäche, Verführbarkeit und Provozierbarkeit; das menschliche Handeln wird durch situative Gegebenheiten und durch andere Personen erheblich beeinflusst.
 
Nach Garland beleben die Theorien der rationalen Wahl eine schlichte utilitaristische Vorstellung von kriminellem Verhalten wieder, die schon lange durch positivistische und soziologische Theorien ersetzt wurde. Für ihn bedeutet dies, dass das Modell Straftäter als rationale Opportunisten betrachtet, deren Verhalten je nach Manipulation der Anreize entweder abgeschreckt oder befördert wird - ein theoretischer Ansatz, der abschreckende Strafen zu einem selbstverständlichen Mittel der Reduzierung von Straftaten macht. (Garland, 2008)


Formal lässt sich die RAT den Kriminalitätstheorien [[soziale Desintegration|sozialer Desorganisation]] (Social Disorganisation Therories of Crime) zuordnen. Diesen Theorien ist ihre makrotheoretische Perspektive mit zumeist orts- und nicht personenzentrierten Erklärungsansätzen für das Auftreten strafrechtlich relevanter Handlungen gemein (siehe: [[Environmental Criminology]]). Bekannte Vertreter dieser Theorierichtung sind aus der sog. [[Chicago School]] hervorgegangen, so z.B. der sozialökologische Ansatz von [[Robert E. Park]] oder das Zonenmodell der Stadtentwicklung von [[Ernest W. Burgess]].
Die RAT gliedert sich insofern in diesen Theoriezweig ein, als sie akteurszentrierte und entwicklungspsychologische Erklärungsansätze ablehnt. Aus Sicht der RAT sind Akteure lediglich Objekte, deren mögliche Handlungsmotive und Dispositionen unberücksichtigt bleiben. Das zeigt sich bereits an den verwendeten Termini: Anstelle von Opfer (victim) wird das wertneutralere Wort Ziel (target) verwendet, statt vom Verbrechen (crime) wird von Verstoß / Übertretung (violation) gesprochen. Und schließlich zeugt die Tatsache, dass ein wesentliches Element der RAT durch seine Abwesenheit definiert wird (nämlich: Abwesenheit eines fähigen Wächters / absence of a capable guardian), vom Bemühen, einen entpersonalisierten Erklärungsansatz für kriminelles Verhalten zu formulieren, fernab biologischer, persönlichkeitsbezogener oder sozialstruktureller Modelle.
Gemeinsamkeiten sind auch mit der Theorie rationaler Wahlhandlungen ([[Rational Choice]]) gegeben. Die RAT geht implizit von einem rational agierenden Straftäter aus, der sich von situativen Momenten leiten lässt (Vorhandensein eines lohnenden Zielobjekts, Abwesenheit eines fähigen Wächters). Entscheidender Unterschied zwischen den beiden Theorien sind die unterschiedlichen Erklärungsebenen (RAT = Makroebene, Rational Choice = Mikroebene) und die unterschiedliche Einbeziehung akteursspezifischer Dispositionen in die Erklärung kriminellen Verhaltens.


Die RAT dient als theoretisches Fundament [[situativer Präventionsansätze]]. Hier ist vor allem die [[Situational Crime Prevention]] (Clarke 1993) zu nennen. Der Annahme der RAT folgend, dass ein Verbrechen ein zeitgleiches Aufeinandertreffen der drei Elemente (suitable target, absence of a capable guardian, likely offender) an einem Ort voraussetzt, werden bei situativen Präventionsmaßnahmen die Tatgelegenheiten erschwert. So kann beispielsweise durch den serienmäßigen Einbau von Wegfahrsperren in Kfz’s, dem Autodiebstahl vorgebeugt werden oder durch ein zügiges Entfernen von Graffiti, Sprühern der Anreiz genommen werden, erneut Sachbeschädigungen zu verursachen. 
Eine Übersicht von insgesamt 25 Techniken zur situativen Kriminalitäts-Prävention findet sich bei Cornish und Clarke (2003).


== Literatur ==
== Literatur ==
Zeile 119: Zeile 135:
*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Kunz (2004), ''Kriminologie'', S. 194-201
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Paternoster (1993), ''A rational choice theory of corporate crime''
*Singelnstein/Stolle (2008), ''Die Sicherheitsgesellschaft''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
*Tischler (1995), ''A test of routine activity theory and disaggregated homicide''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Majid Yar (2005), ''The novelty of 'cybercrime'. An assessment in light of routine activity theory''
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)
* Carol A. Zimmermann (2007), ''Routine Activity Theory and the Handling of Children and Policy Makers (Reaction Essay)
45

Bearbeitungen