Prisonisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Beginn der Prisonisierungsforschung geht auf die Arbeit "Socialization in Prison" des US-amerikanischen Soziologen Hans Reimer zurück (Reimer: 1937). Er beschrieb eine Insassenkultur, die er mit ausdrucksstarken Bezeichnungen klassifizierte. Dabei wurden kreative Typenbezeichnungen gewählt, so der  „Gorilla“ oder „richtige Männer“. Mit „Gorilla“ bezeichnete Reimer Personen, die sich mittels Gewalt im [Gefängnis] durchsetzen. Unter „richtigen Männern“ wurden solche verstanden, die sich solidarisch zu ihren Mithäftlingen verhalten. Ausgehend von diesen Überlegungen entstanden in der Gefängnisforschung mehrere Klassifizierungen von Inhaftierten. Es entwickelten sich ernsthaftere theoretische Ansätze, um die Entstehung der [Gefängnissubkultur|Insassensubkultur] sowie oppositionellen Einstellungen und entsprechenden Aktivitäten von Inhaftierten zu erklären. Diese führten zu den Arbeiten der US-amerikanischen Kriminologen und Soziologen [[Gresham M. Sykes]] (1958) und [[Richard A. Cloward]] (1975), die Bedingungen und Ausprägungen der [[Gefängnissubkultur|Insassenkultur] sowie die spezifischen Anpassungsmuster der Inhaftierten an die Haftbedingungen zum Gegenstand hatten. Clemmer und der US-amerikanische Jurist und Soziologe Stanton Wheeler untersuchten Anpassungsprozesse, denen sich eine Person im Falle der Inhaftierung ausgesetzt sieht.
Der Beginn der Prisonisierungsforschung geht auf die Arbeit "Socialization in Prison" des US-amerikanischen Soziologen Hans Reimer zurück (Reimer: 1937). Er beschrieb eine Insassenkultur, die er mit ausdrucksstarken Bezeichnungen klassifizierte. Dabei wurden kreative Typenbezeichnungen gewählt, so der  „Gorilla“ oder „richtige Männer“. Mit „Gorilla“ bezeichnete Reimer Personen, die sich mittels Gewalt im [Gefängnis] durchsetzen. Unter „richtigen Männern“ wurden solche verstanden, die sich solidarisch zu ihren Mithäftlingen verhalten. Ausgehend von diesen Überlegungen entstanden in der Gefängnisforschung mehrere Klassifizierungen von Inhaftierten. Es entwickelten sich ernsthaftere theoretische Ansätze, um die Entstehung der [Gefängnissubkultur|Insassensubkultur] sowie oppositionellen Einstellungen und entsprechenden Aktivitäten von Inhaftierten zu erklären. Diese führten zu den Arbeiten der US-amerikanischen Kriminologen und Soziologen [[Gresham M. Sykes]] (1958) und [[Richard A. Cloward]] (1975), die Bedingungen und Ausprägungen der [[Gefängnissubkultur|Insassenkultur] sowie die spezifischen Anpassungsmuster der Inhaftierten an die Haftbedingungen zum Gegenstand hatten. Clemmer und der US-amerikanische Jurist und Soziologe Stanton Wheeler untersuchten Anpassungsprozesse, denen sich eine Person im Falle der Inhaftierung ausgesetzt sieht.
=== Der Prisonisierungsprozess ===
=== Der Prisonisierungsprozess ===
Die allmähliche Anpassung des Inhaftierten an subkulturelle Werte und Normen der Gefängnisgesellschaft wird nach Clemmer von einem Großteil der Gefangenen durchlaufen. Zwar verlaufe dieser Vorgang in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch wird davon ausgegangen, dass die mit der Inhaftierung einhergehende Deprivation nur dem Inhaftierten die Möglichkeit von Vergünstigungen und Lebenserleichterungen lässt, der die subkulturellen Regeln beherrscht und sie befolgt. Prisonisierung sei somit ein Prozess, der in der Übernahme von Bräuchen, Sitten und der allgemeinen Kultur des [[Gefängnis]]ses besteht. Dabei erstrecke sich der so verwendete Begriff der Gefängniskultur auf die formelle und informelle soziale Organisation der Anstalt, also auf Inhaftierte und Gefängnispersonal. So erleben Gefangene aufgrund der [[Haft|Inhaftierung]] einen massiven [[Status]]wandel und verlieren als Individuum Bedeutung und Anerkennung. Selbst wenn der Betroffene sich weitgehend von anderen Inhaftierten entferne, erlerne er doch binnen kurzer Zeit die Wortwahl und intramurale Sitten, die den Umgang mit anderen Gefangenen prägen.  
Die allmähliche Anpassung des Inhaftierten an subkulturelle Werte und Normen der Gefängnisgesellschaft wird nach Clemmer von einem Großteil der Gefangenen durchlaufen. Zwar verlaufe dieser Vorgang in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch wird davon ausgegangen, dass die mit der Inhaftierung einhergehende Deprivation nur dem Inhaftierten die Möglichkeit von Vergünstigungen und Lebenserleichterungen lässt, der die subkulturellen Regeln beherrscht und sie befolgt. Prisonisierung sei somit ein Prozess, der in der Übernahme von Bräuchen, Sitten und der allgemeinen Kultur des [[Gefängnis]]ses besteht. Dabei erstrecke sich der so verwendete Begriff der Gefängniskultur auf die formelle und informelle soziale Organisation der Anstalt, also auf Inhaftierte und Gefängnispersonal. So erleben Gefangene aufgrund der Inhaftierung einen massiven [[Status]]wandel und verlieren als Individuum Bedeutung und Anerkennung. Selbst wenn der Betroffene sich weitgehend von anderen Inhaftierten entferne, erlerne er doch binnen kurzer Zeit die Wortwahl und intramurale Sitten, die den Umgang mit anderen Gefangenen prägen.  


Einen noch bedeutsameren Punkt im Rahmen des Prisonisierungsprozesses stelle die sich nach wenigen Wochen oder Monaten entwickelnde Anspruchshaltung gegenüber der Institution dar. So schulde diese dem Inhaftierten die Versorgung mit Essentialien wie Kleidung, Nahrung und Arbeit. Auch wenn gravierende Anpassungsprozesse nicht bei jedem Betroffenen festzustellen seien, würden die "universal factors of prisonization" dennoch für alle Inhaftierten gelten. Als förderliche Momente für einen hohen Prisonisierungsgrad sieht Clemmer eine lange Haftstrafe, eine instabile Persönlichkeit, den Mangel an sozialen Außenkontakten, die blinde Akzeptanz der Normen und Sitten der Insassenwelt, die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem intensiven Kontakt zu Gruppen und Personen mit ähnlichen Einstellungen sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an Glücksspielen und abnormen sexuellen Praktiken. Dabei wird von einem fortschreitenden Prisonisierungsprozess mit zunehmender Verbüßungsdauer ausgegangen (Clemmer: 1958, 299 ff., siehe hierzu auch Kaiser u.a.: 1993, 402 f.).  
Einen noch bedeutsameren Punkt im Rahmen des Prisonisierungsprozesses stelle die sich nach wenigen Wochen oder Monaten entwickelnde Anspruchshaltung gegenüber der Institution dar. So schulde diese dem Inhaftierten die Versorgung mit Essentialien wie Kleidung, Nahrung und Arbeit. Auch wenn gravierende Anpassungsprozesse nicht bei jedem Betroffenen festzustellen seien, würden die "universal factors of prisonization" dennoch für alle Inhaftierten gelten. Als förderliche Momente für einen hohen Prisonisierungsgrad sieht Clemmer eine lange Haftstrafe, eine instabile Persönlichkeit, den Mangel an sozialen Außenkontakten, die blinde Akzeptanz der Normen und Sitten der Insassenwelt, die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem intensiven Kontakt zu Gruppen und Personen mit ähnlichen Einstellungen sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an Glücksspielen und abnormen sexuellen Praktiken. Dabei wird von einem fortschreitenden Prisonisierungsprozess mit zunehmender Verbüßungsdauer ausgegangen (Clemmer: 1958, 299 ff., siehe hierzu auch Kaiser u.a.: 1993, 402 f.).  
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