Prisonisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Wirkungen und Folgen ==
== Wirkungen und Folgen ==
=== Resozialisierung und Rückfälligkeit ===
=== Resozialisierung und Rückfälligkeit ===
Der Prozess der Prisonisierung ist gemeinhin in der Gefängnisgesellschaft  zu beobachten. Mangels eindeutiger Untersuchungsergebnisse wird jedoch eine Auswirkung auf die Resozialisierungschancen der Inhaftierten unterschiedlich beurteilt. Bisherige Studien überprüfen keine Prisonisierungsfolgen, also tatsächliches Verhalten nach der [[Haft|Inhaftierung]]. Der deutsche Kriminologe Rüdiger Ortmann stellt unter Zugrundelegung der Theorie von Sykes dar, dass ein recht großer Teil der Varianz der Prisonisierungsmerkmale mit den Deprivationen der Inhaftierung zusammenhängt. Inhaftierung und die sie begleitenden Umstände haben demnach einen resozialisierungsfeindlichen Effekt auf Insassen (Ortmann: 1992, 408 ff.). Auch führen die mit der Inhaftierung einhergehenden Deprivationen nach den Ausführungen des deutschen Juristen und Kriminologen [[Stephan Quensel]] wohl zwingend zu Versuchen, neben der primären Bedürfnisbefriedigung auch sonstige Kontakte und eigene Selbstbestätigung zu erlangen (Quensel: 1968, 178). Ob es sich dabei um abweichende Werte und Normen einer eigenen Subkultur handelt oder Inhaftierte die zuvor gezeigten Maximen der Herkunftskultur fortsetzen, ist umstritten. Die Gefängniskultur kann unabhängig davon antisoziale Einstellungen verschärfen und vertiefen. Dabei muss der Inhaftierte in der von dem US- amerikanischen Soziologen Erving Goffman[http://de.wikipedia.org/wiki/Erving_Goffman]  als "[[totale Institution]]" bezeichneten Anstalt um des psychischen Überlebens willen erhebliche Anpassungsleistungen erbringen, was ihn für [[Stigmatisierung|stigmatisierende]] Prozesse erhöht verwundbar machen kann (Goffman: 1981, 24). Der US- amerikanische Psychologe Daniel Glaser geht jedoch nicht von einer Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung aus. Ein Einfluss der Prisonisierung auf zukünftiges Verhalten könne auch unter Berücksichtigung der divergierenden Ausführungen von Clemmer und Wheeler nicht sicher festgestellt werden (Glaser: 1956, 433 ff.).
Der Prozess der Prisonisierung ist gemeinhin in der Gefängnisgesellschaft  zu beobachten. Mangels eindeutiger Untersuchungsergebnisse wird jedoch eine Auswirkung auf die Resozialisierungschancen der Inhaftierten unterschiedlich beurteilt. Bisherige Studien überprüfen keine Prisonisierungsfolgen, also tatsächliches Verhalten nach der Inhaftierung. Der deutsche Kriminologe Rüdiger Ortmann stellt unter Zugrundelegung der Theorie von Sykes dar, dass ein recht großer Teil der Varianz der Prisonisierungsmerkmale mit den Deprivationen der Inhaftierung zusammenhängt. Inhaftierung und die sie begleitenden Umstände haben demnach einen resozialisierungsfeindlichen Effekt auf Insassen (Ortmann: 1992, 408 ff.). Auch führen die mit der Inhaftierung einhergehenden Deprivationen nach den Ausführungen des deutschen Juristen und Kriminologen [[Stephan Quensel]] wohl zwingend zu Versuchen, neben der primären Bedürfnisbefriedigung auch sonstige Kontakte und eigene Selbstbestätigung zu erlangen (Quensel: 1968, 178). Ob es sich dabei um abweichende Werte und Normen einer eigenen Subkultur handelt oder Inhaftierte die zuvor gezeigten Maximen der Herkunftskultur fortsetzen, ist umstritten. Die Gefängniskultur kann unabhängig davon antisoziale Einstellungen verschärfen und vertiefen. Dabei muss der Inhaftierte in der von dem US- amerikanischen Soziologen Erving Goffman[http://de.wikipedia.org/wiki/Erving_Goffman]  als "[[totale Institution]]" bezeichneten Anstalt um des psychischen Überlebens willen erhebliche Anpassungsleistungen erbringen, was ihn für [[Stigmatisierung|stigmatisierende]] Prozesse erhöht verwundbar machen kann (Goffman: 1981, 24). Der US- amerikanische Psychologe Daniel Glaser geht jedoch nicht von einer Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung aus. Ein Einfluss der Prisonisierung auf zukünftiges Verhalten könne auch unter Berücksichtigung der divergierenden Ausführungen von Clemmer und Wheeler nicht sicher festgestellt werden (Glaser: 1956, 433 ff.).
 
=== Möglichkeiten der Gegensteuerung ===
=== Möglichkeiten der Gegensteuerung ===
Im Rahmen des im deutschen Strafvollzugsrecht normierten Gegensteuerungsprinzipes (§ 3 Abs. 2 StVollzG, § 2 Abs. 3 S.1 JVollzGB III, Art. 5 Abs. 2 BayStVollzG, § 3 Abs. 1 S.2 HmbStVollzG, § 3 Abs. 2 HStVollzG, § 2 Abs. 2 NJVollzG) soll den schädigenden Wirkungen des Freiheitsentzuges entgegen gewirkt werden (Laubenthal: 2011, 129). Entsprechende Regelungen finden sich auch im Schweizerischen Strafgesetzbuch[http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a75.html] sowie dem Italienischen und Liechtensteiner[http://www.apt.ch/npm/eca/Liechtenstein1.pdf] Strafvollzugsgesetz. In der wissenschaftlichen Diskussion äußerten jedoch die deutschen Kriminologen und Soziologen [[Fritz Sack]] (1968, 488) und [[Sebastian Scheerer]] (2001, 70 f.) sowie Irwin (1988) erhebliche Zweifel an der erreichbaren Effizienz, der immanenten Härte und den Wirkungen staatlicher [[Strafe]] im Rahmen des bestehenden Schuldstrafrechts. Zu berücksichtigen ist zudem die partielle Abkehr von der Behandlungsideologie und die Suche nach problemlösenden Alternativen und gesetzlichen Neuerungen wie den "[[Three Strikes]] Laws", “[[Bootcamp]]“- Programmen und Privatisierungstendenzen, vornehmlich in den [[Strafvollzug in den USA|USA]]. Ausgehend von den empirischen Ergebnissen zur Prisonisierung setzt die Inhaftierung selbst der Perspektive einer Resozialisierung enge Grenzen. Die Inhaftierung fördert direkt Einstellungen und Verhaltensweisen, die das Rückfallrisiko erhöhen. Sie prägt zudem das Klima zwischen Inhaftierten und Anstaltspersonal in feindlicher Weise, sodass die Variablen "Resozialisierung" und "therapeutisches Klima" stark negativ beeinflusst werden (Ortmann: 1987, 355 ff.). Resozialisierung könne nur dann erfolgen, wenn in der weiteren Diskussion eine Konzentration nicht nur auf die Behandlungsforschung, sondern auch auf die Prisionierungsforschung erfolge. Daher müsse der Effekt des gesamten Strafvollzugs auf Resozialisierung und Rückfall langfristig und bezogen auf gleiche Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sowohl in der Anstalt als auch nach der Entlassung untersucht werden (Harbordt: 1972, 94). In Ermangelung eindeutiger empirischer Ergebnisse auch für deutsche Anstaltsverhältnisse gilt dies ebenso für den Prisonisierungsprozess und die These, Gefängnisse erwiesen sich als reine “Schulen des Verbrechens“. Führten Untersuchungen dazu, strafrechtlichen Sanktionen keinen eigenen positiven Wert mehr beizumessen, könne den schädigenden Wirkungen dieser Interventionen, also maßgeblich Stigmatisierungs- und Prisonisierungsprozessen, nur mit einer [[Kriminalpolitik]] der weitgehenden [[Kriminalisierung|Entkriminalisierung]] und Reduzierung der Eingriffsintensität der strafrechtlichen Praxis begegnet werden (Sack: 1968, 435ff.; Kaiser u.a.: 1993, 404 f.)
Im Rahmen des im deutschen Strafvollzugsrecht normierten Gegensteuerungsprinzipes (§ 3 Abs. 2 StVollzG, § 2 Abs. 3 S.1 JVollzGB III, Art. 5 Abs. 2 BayStVollzG, § 3 Abs. 1 S.2 HmbStVollzG, § 3 Abs. 2 HStVollzG, § 2 Abs. 2 NJVollzG) soll den schädigenden Wirkungen des Freiheitsentzuges entgegen gewirkt werden (Laubenthal: 2011, 129). Entsprechende Regelungen finden sich auch im Schweizerischen Strafgesetzbuch[http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a75.html] sowie dem Italienischen und Liechtensteiner[http://www.apt.ch/npm/eca/Liechtenstein1.pdf] Strafvollzugsgesetz. In der wissenschaftlichen Diskussion äußerten jedoch die deutschen Kriminologen und Soziologen [[Fritz Sack]] (1968, 488) und [[Sebastian Scheerer]] (2001, 70 f.) sowie Irwin (1988) erhebliche Zweifel an der erreichbaren Effizienz, der immanenten Härte und den Wirkungen staatlicher [[Strafe]] im Rahmen des bestehenden Schuldstrafrechts. Zu berücksichtigen ist zudem die partielle Abkehr von der Behandlungsideologie und die Suche nach problemlösenden Alternativen und gesetzlichen Neuerungen wie den "[[Three Strikes]] Laws", “[[Bootcamp]]“- Programmen und Privatisierungstendenzen, vornehmlich in den [[Strafvollzug in den USA|USA]]. Ausgehend von den empirischen Ergebnissen zur Prisonisierung setzt die Inhaftierung selbst der Perspektive einer Resozialisierung enge Grenzen. Die Inhaftierung fördert direkt Einstellungen und Verhaltensweisen, die das Rückfallrisiko erhöhen. Sie prägt zudem das Klima zwischen Inhaftierten und Anstaltspersonal in feindlicher Weise, sodass die Variablen "Resozialisierung" und "therapeutisches Klima" stark negativ beeinflusst werden (Ortmann: 1987, 355 ff.). Resozialisierung könne nur dann erfolgen, wenn in der weiteren Diskussion eine Konzentration nicht nur auf die Behandlungsforschung, sondern auch auf die Prisionierungsforschung erfolge. Daher müsse der Effekt des gesamten Strafvollzugs auf Resozialisierung und Rückfall langfristig und bezogen auf gleiche Personen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sowohl in der Anstalt als auch nach der Entlassung untersucht werden (Harbordt: 1972, 94). In Ermangelung eindeutiger empirischer Ergebnisse auch für deutsche Anstaltsverhältnisse gilt dies ebenso für den Prisonisierungsprozess und die These, Gefängnisse erwiesen sich als reine “Schulen des Verbrechens“. Führten Untersuchungen dazu, strafrechtlichen Sanktionen keinen eigenen positiven Wert mehr beizumessen, könne den schädigenden Wirkungen dieser Interventionen, also maßgeblich Stigmatisierungs- und Prisonisierungsprozessen, nur mit einer [[Kriminalpolitik]] der weitgehenden [[Kriminalisierung|Entkriminalisierung]] und Reduzierung der Eingriffsintensität der strafrechtlichen Praxis begegnet werden (Sack: 1968, 435ff.; Kaiser u.a.: 1993, 404 f.)
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