Prisonisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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In der funktionalistischen Forschung haben sich zwei maßgebliche Theorierichtungen herausgebildet. Die erste entstand im Rahmen der Arbeiten "The Society of Captives" von Sykes (1958) und den "Theoretical Studies in Social Organization of the Prison" von Cloward (1960; ders. u.a. 1975). Nach der Deprivationstheorie von Sykes, die auch als Spezialfall der Reaktanztheorie[http://de.wikipedia.org/wiki/Reaktanz_%28Psychologie%29] des US- amerikanischen Psychologen Jack W. Brehm (1966) betrachtet werden kann, sind die unabhängigen Variablen der Prisonisierung durch Anstalt und Inhaftierung bedingt. In der Folge seien die abhängigen Variablen "Feindseligkeit" und Opposition" auch Resultat der Anstalt selbst. Sykes nennt in seiner Theorie fünf unabhängige Variablen der Prisonisierung, die er als "pains of imprisonment" bezeichnet, namentlich den Verlust der Freiheit, den Entzug materieller und immaterieller Güter, den Entzug heterosexueller Beziehungen, den Mangel an Sicherheit vor kriminellen Mithäftlingen sowie die Beschränkung der Autonomie (Ortmann: 1992, 409, 442).
In der funktionalistischen Forschung haben sich zwei maßgebliche Theorierichtungen herausgebildet. Die erste entstand im Rahmen der Arbeiten "The Society of Captives" von Sykes (1958) und den "Theoretical Studies in Social Organization of the Prison" von Cloward (1960; ders. u.a. 1975). Nach der Deprivationstheorie von Sykes, die auch als Spezialfall der Reaktanztheorie[http://de.wikipedia.org/wiki/Reaktanz_%28Psychologie%29] des US- amerikanischen Psychologen Jack W. Brehm (1966) betrachtet werden kann, sind die unabhängigen Variablen der Prisonisierung durch Anstalt und Inhaftierung bedingt. In der Folge seien die abhängigen Variablen "Feindseligkeit" und Opposition" auch Resultat der Anstalt selbst. Sykes nennt in seiner Theorie fünf unabhängige Variablen der Prisonisierung, die er als "pains of imprisonment" bezeichnet, namentlich den Verlust der Freiheit, den Entzug materieller und immaterieller Güter, den Entzug heterosexueller Beziehungen, den Mangel an Sicherheit vor kriminellen Mithäftlingen sowie die Beschränkung der Autonomie (Ortmann: 1992, 409, 442).
==== Die kulturelle Übertragungstheorie ====
==== Die kulturelle Übertragungstheorie ====
Eine zweite Theorierichtung geht aus der Arbeit der  US- amerikanischen Soziologen John K. Irwin[http://en.wikipedia.org/wiki/John_Keith_Irwin] und [[Donald R. Cressey]] hervor, die der vorgenannten Theorie widerspricht. Nach der von letzteren entwickelten kulturellen Übertragungstheorie fänden sich in einer Anstalt genau diejenigen Einstellungs- und Verhaltensmuster, die auch außerhalb einer Anstalt in Form von Normen und Maximen der Kultur der Unterschicht im Allgemeinen und der "kriminellen Kultur“ im Besonderen existierten. Die Insassenkultur sei demnach importiert. Es fänden sich in [[Gefängnis]]sen drei Subkulturen, die "Subkultur der Diebe", die "Subkultur der Gefangenen" und die "Legitime Subkultur". Dabei verfolge die "Subkultur der Diebe" zentrale Werte der "hardcore"- Unterschicht, nämlich Loyalität innerhalb der Gruppe, Standfestigkeit und Autonomie. Diese würden durch den "antisozialen Insassen" des "right guy" präsentiert. Der zentrale Wert der "Subkultur der Gefangenen" sei hingegen die "Nützlichkeit", wobei deren Mitglieder ihr Lebenszentrum im Gefängnis hätten und die manipulativsten Menschen am erfolgreichsten seien. Die dritte Gruppe der "Legitimen Subkultur" gliedere sich in keine der vorbenannten Gruppen ein und bereite der Anstalt keine Probleme (Irwin/Cressey: 1962, 142 ff.).
Eine zweite Theorierichtung geht aus der Arbeit der  US- amerikanischen Soziologen John K. Irwin[http://en.wikipedia.org/wiki/John_Keith_Irwin] und [[Donald R. Cressey]] hervor, die der vorgenannten Theorie widerspricht. Nach der von letzteren entwickelten kulturellen Übertragungstheorie fänden sich in einer Anstalt genau diejenigen Einstellungs- und Verhaltensmuster, die auch außerhalb einer Anstalt in Form von Normen und Maximen der Kultur der Unterschicht im Allgemeinen und der "kriminellen Kultur“ im Besonderen existierten. Die Insassenkultur sei demnach importiert. Es fänden sich in Gefängnissen drei Subkulturen, die "Subkultur der Diebe", die "Subkultur der Gefangenen" und die "Legitime Subkultur". Dabei verfolge die "Subkultur der Diebe" zentrale Werte der "hardcore"- Unterschicht, nämlich Loyalität innerhalb der Gruppe, Standfestigkeit und Autonomie. Diese würden durch den "antisozialen Insassen" des "right guy" präsentiert. Der zentrale Wert der "Subkultur der Gefangenen" sei hingegen die "Nützlichkeit", wobei deren Mitglieder ihr Lebenszentrum im Gefängnis hätten und die manipulativsten Menschen am erfolgreichsten seien. Die dritte Gruppe der "Legitimen Subkultur" gliedere sich in keine der vorbenannten Gruppen ein und bereite der Anstalt keine Probleme (Irwin/Cressey: 1962, 142 ff.).
 
==== Kritik ====
==== Kritik ====
Eine empirische Prüfung der dargestellten Theorien gestaltet sich nicht zuletzt deshalb schwierig, da sie komplexe Variablenbeziehungen darstellen, die aufwendige Untersuchungen verlangen. Auch bleiben wichtige Fragen offen. So erläutert Sykes nicht, warum Deprivation[http://de.wikipedia.org/wiki/Deprivation] zur Entwicklung "illegitimer Normen" führen soll. Bei Irwin und Cressey bleiben die Aussagen zur Entstehung der "Subkultur der Gefangenen" in Teilen unklar. Den Ausführungen wird entgegen gehalten, dass das Leben in der Unterschicht mit dem Leben von Inhaftierten funktionale Äquivalenzen aufweist, die zu vergleichbaren Reaktionsmustern führen. Daher sei die Darstellung einer erst bei Inhaftierung entstehenden Subkultur anzuzweifeln (Kaiser u.a.: 1993, 404).
Eine empirische Prüfung der dargestellten Theorien gestaltet sich nicht zuletzt deshalb schwierig, da sie komplexe Variablenbeziehungen darstellen, die aufwendige Untersuchungen verlangen. Auch bleiben wichtige Fragen offen. So erläutert Sykes nicht, warum Deprivation[http://de.wikipedia.org/wiki/Deprivation] zur Entwicklung "illegitimer Normen" führen soll. Bei Irwin und Cressey bleiben die Aussagen zur Entstehung der "Subkultur der Gefangenen" in Teilen unklar. Den Ausführungen wird entgegen gehalten, dass das Leben in der Unterschicht mit dem Leben von Inhaftierten funktionale Äquivalenzen aufweist, die zu vergleichbaren Reaktionsmustern führen. Daher sei die Darstellung einer erst bei Inhaftierung entstehenden Subkultur anzuzweifeln (Kaiser u.a.: 1993, 404).
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