Prisonisierung: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Der Prisonisierungsprozess ===
=== Der Prisonisierungsprozess ===
Die allmähliche Anpassung des Inhaftierten an subkulturelle Werte und Normen der Gefängnisgesellschaft wird nach Clemmer von einem Großteil der Gefangenen durchlaufen. Zwar verlaufe dieser Vorgang in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch wird davon ausgegangen, dass die mit der Inhaftierung einhergehende Deprivation nur dem Inhaftierten die Möglichkeit von Vergünstigungen und Lebenserleichterungen lässt, der die subkulturellen Regeln beherrscht und sie befolgt. Prisonisierung sei somit ein Prozess, der in der Übernahme von Bräuchen, Sitten und der allgemeinen Kultur des Gefängnisses besteht. Dabei erstrecke sich der so verwendete Begriff der Gefängniskultur auf die formelle und informelle soziale Organisation der Anstalt, also auf Inhaftierte und Gefängnispersonal. So erleben Gefangene aufgrund der Inhaftierung einen massiven Statuswandel und verlieren als Individuum Bedeutung und Anerkennung. Selbst wenn der Betroffene sich weitgehend von anderen Inhaftierten entferne, erlerne er doch binnen kurzer Zeit die Wortwahl und intramurale Sitten, die den Umgang mit anderen Gefangenen prägen. Einen noch bedeutsameren Punkt im Rahmen des Prisonisierungsprozesses stelle die sich nach wenigen Wochen oder Monaten entwickelnde Anspruchshaltung gegenüber der Institution dar. So schulde diese dem Inhaftierten die Versorgung mit Essentialien wie Kleidung, Nahrung und Arbeit. Auch wenn gravierende Anpassungsprozesse nicht bei jedem Betroffenen festzustellen seien, würden die "universal factors of prisonization" dennoch für alle Inhaftierten gelten. Als förderliche Momente für einen hohen Prisonisierungsgrad sieht Clemmer eine lange Haftstrafe, eine instabile Persönlichkeit, den Mangel an sozialen Außenkontakten, die blinde Akzeptanz der Normen und Sitten der Insassenwelt, die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem intensiven Kontakt zu Gruppen und Personen mit ähnlichen Einstellungen sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an Glücksspielen und abnormen sexuellen Praktiken. Dabei wird von einem fortschreitenden Prisonisierungsprozess mit zunehmender Verbüßungsdauer ausgegangen (Clemmer: 1958, 299 ff., siehe hierzu auch Kaiser u.a.: 1993, 402 f.).
Die allmähliche Anpassung des Inhaftierten an [[subkultur]]elle Werte und Normen der Gefängnisgesellschaft wird nach Clemmer von einem Großteil der Gefangenen durchlaufen. Zwar verlaufe dieser Vorgang in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch wird davon ausgegangen, dass die mit der [[Haft|Inhaftierung]] einhergehende Deprivation nur dem Inhaftierten die Möglichkeit von Vergünstigungen und Lebenserleichterungen lässt, der die [[Subkultur|subkulturellen]] Regeln beherrscht und sie befolgt. Prisonisierung sei somit ein Prozess, der in der Übernahme von Bräuchen, Sitten und der allgemeinen Kultur des [[Gefängnis]]ses besteht. Dabei erstrecke sich der so verwendete Begriff der Gefängniskultur auf die formelle und informelle soziale Organisation der Anstalt, also auf Inhaftierte und Gefängnispersonal. So erleben Gefangene aufgrund der [[Haft|Inhaftierung]] einen massiven [[Status]]wandel und verlieren als Individuum Bedeutung und Anerkennung. Selbst wenn der Betroffene sich weitgehend von anderen Inhaftierten entferne, erlerne er doch binnen kurzer Zeit die Wortwahl und intramurale Sitten, die den Umgang mit anderen Gefangenen prägen. Einen noch bedeutsameren Punkt im Rahmen des Prisonisierungsprozesses stelle die sich nach wenigen Wochen oder Monaten entwickelnde Anspruchshaltung gegenüber der Institution dar. So schulde diese dem Inhaftierten die Versorgung mit Essentialien wie Kleidung, Nahrung und Arbeit. Auch wenn gravierende Anpassungsprozesse nicht bei jedem Betroffenen festzustellen seien, würden die "universal factors of prisonization" dennoch für alle Inhaftierten gelten. Als förderliche Momente für einen hohen Prisonisierungsgrad sieht Clemmer eine lange Haftstrafe, eine instabile Persönlichkeit, den Mangel an sozialen Außenkontakten, die blinde Akzeptanz der Normen und Sitten der Insassenwelt, die Bereitschaft und Fähigkeit zu einem intensiven Kontakt zu Gruppen und Personen mit ähnlichen Einstellungen sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an Glücksspielen und abnormen sexuellen Praktiken. Dabei wird von einem fortschreitenden Prisonisierungsprozess mit zunehmender Verbüßungsdauer ausgegangen (Clemmer: 1958, 299 ff., siehe hierzu auch Kaiser u.a.: 1993, 402 f.).


Nach der Untersuchung von Wheeler vollzieht sich dieser mehr oder minder stattfindende Anpassungsprozess hingegen in Form einer U-Kurve. So stimme ein Inhaftierter zu Beginn und zum Ende seiner Inhaftierung mit den außerhalb der Anstalt herrschenden allgemeingesellschaftlichen Werten und Normen überein, während mit größerem Abstand zu den genannten Zeitpunkten diese Konformität sinke (Wheeler: 1961, 702, 706f.). Dieser Umstand wird von dem deutschen Juristen Hans-Christoph Hoppensack damit erklärt, dass der Inhaftierte in der Mitte der Haftzeit am stärksten von der "Außenwelt" abgeschnitten und auf das Überleben in der "Anstaltswelt" angewiesen sei (Hoppensack: 1969, 156). Erreiche der Inhaftierte zudem bis zu seiner Entlassung nicht mehr das zuvor gezeigte Maß an Normkonformität, könne von einem Prisonisierungsschaden gesprochen werden (Kaiser/Schöch: 2003, § 13 Rn. 13ff.). Darüber hinaus wird der Einfluss des Alters auf den dargestellten Prozess diskutiert. So wird eine gewisse Resistenz namentlich älterer Erstverbüßer gegenüber der Sozialisation in die Gefängnissubkultur festgestellt (Rubenstein: 1984, 155). Der ältere Inhaftierte gleiche den zunächst geringeren Prisonisierungsgrad mit zunehmender Haftzeit jedoch aus (Alpert: 1979, 168 f.). Im Gegensatz zu Clemmer betrachtet Wheeler nur das Erlernen und die Verinnerlichung der Insassenkultur, während die Angleichung an den formellen Anstaltsbetrieb ausgeblendet wurde. Dieser Prozess wurde sodann als Institutionalisierung bezeichnet (Harbordt: 1972, 85), wodurch er in modifizierter Form auch auf andere Institutionen anwendbar wurde (Schramke: 1996, 254).
Nach der Untersuchung von Wheeler vollzieht sich dieser mehr oder minder stattfindende Anpassungsprozess hingegen in Form einer U-Kurve. So stimme ein Inhaftierter zu Beginn und zum Ende seiner [[Haft|Inhaftierung]] mit den außerhalb der Anstalt herrschenden allgemeingesellschaftlichen Werten und Normen überein, während mit größerem Abstand zu den genannten Zeitpunkten diese Konformität sinke (Wheeler: 1961, 702, 706f.). Dieser Umstand wird von dem deutschen Juristen Hans-Christoph Hoppensack[http://de.wikipedia.org/wiki/Hoppensack] damit erklärt, dass der Inhaftierte in der Mitte der Haftzeit am stärksten von der "Außenwelt" abgeschnitten und auf das Überleben in der "Anstaltswelt" angewiesen sei (Hoppensack: 1969, 156). Erreiche der Inhaftierte zudem bis zu seiner Entlassung nicht mehr das zuvor gezeigte Maß an Normkonformität, könne von einem Prisonisierungsschaden gesprochen werden (Kaiser/Schöch: 2003, § 13 Rn. 13ff.). Darüber hinaus wird der Einfluss des Alters auf den dargestellten Prozess diskutiert. So wird eine gewisse Resistenz namentlich älterer Erstverbüßer gegenüber der [[Sozialisation]] in die [[Gefängnissubkultur]] festgestellt (Rubenstein: 1984, 155). Der ältere Inhaftierte gleiche den zunächst geringeren Prisonisierungsgrad mit zunehmender Haftzeit jedoch aus (Alpert: 1979, 168 f.). Im Gegensatz zu Clemmer betrachtet Wheeler nur das Erlernen und die Verinnerlichung der [[Gefängnissubkultur|Insassenkultur]], während die Angleichung an den formellen Anstaltsbetrieb ausgeblendet wurde. Dieser Prozess wurde sodann als Institutionalisierung bezeichnet (Harbordt: 1972, 85), wodurch er in modifizierter Form auch auf andere Institutionen anwendbar wurde (Schramke: 1996, 254).


=== Prisonisierungstheorien ===
=== Prisonisierungstheorien ===
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