Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch: Unterschied zwischen den Versionen

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Während so genannte „[[Nothing Works]]“-Thesen den positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.).  Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "'''sektoralen [[Punitivität]]'''" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145). Die zunehmende staatliche Repression und wachsende ‚Lust auf Strafe’ werden als zwei parallele Prozesse und Entwicklungen gesehen, die sich in allen post-modernen Gesellschaften beobachten lassen und denen sich Politiker und deren Parteien fügen und unterwerfen, ihn instrumentalisieren, wenn nicht sogar schüren (Sack 2006).
Während so genannte „[[Nothing Works]]“-Thesen dem positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.).  Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "'''sektoralen [[Punitivität]]'''" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145). Die zunehmende staatliche Repression und wachsende ‚Lust auf Strafe’ werden als zwei parallele Prozesse und Entwicklungen gesehen, die sich in allen post-modernen Gesellschaften beobachten lassen und denen sich Politiker und deren Parteien fügen und unterwerfen, ihn instrumentalisieren, wenn nicht sogar schüren (Sack 2006).




====Bayern: [[HEADS in Bayern]]: '''H'''aft-'''E'''ntlassenen-'''A'''uskunfts-'''D'''atei-'''S'''exualstraftäter (ab 01.10.2006)====
====Bayern: [[HEADS in Bayern]]: '''H'''aft-'''E'''ntlassenen-'''A'''uskunfts-'''D'''atei-'''S'''exualstraftäter (ab 01.10.2006)====
HEADS entstand, weil es zu einem Aufsehen erregenden, sexuell motivierten Tötungsdelikt durch einen nach der  9jähriger Haft Entlassenen an einem Jungen kam, wobei in einer Nachbereitung der Bedarf einer besseren Zusammenarbeit der einzelnen Stellen auffiel, der durch HEADS u.a. bewerkstelligt werden sollte. Hierbei entstand 2006 in Bayern als erstem Bundesland ein Konzept, welches 2009 erweitert wurde. [[HEADS in Bayern]] stellt ein mehrstufiges Verfahren dar, wobei Sexualstraftäter zunächst von der Staatsanwaltschaft als „[[Risikoproband]] Sexualstraftäter“ eingestuft werden. In der Bewährungshilfe werden die Risikofaktoren in statische (anamnestische Daten, Vorstrafen, Vorgeschichte), dynamische (Arbeit, Unterkunft, Sucht) und stabil-dynamische Risikofaktoren ([[Forensisch-psychiatrische Begutachtung]]) eingeteilt. Als Ziele werden benannt, dass der Kontroll- und Unterstützungsprozess mit den Methoden der Sozialarbeit das Rückfallrisiko minimieren, Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken erkennen und situationsadäquat reagieren soll. Der Bewährungshelfer soll bei der Beobachtung der Lebensführung des Probanden auch einen Blick auf die Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken werfen. Die Entscheidungen des Bewährungshelfers orientieren sich dabei nicht an der rein intuitiven Ebene, um die Kriterien der Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken herauszuarbeiten, sondern setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: zum einen einer Einschätzung darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Täter erneut Straftaten begeht (so genannte „Wahrscheinlichkeitsaussage“) und zum anderen einer Einschätzung darüber, welche Arten von Taten zu erwarten sind (so genannte „Tatbestandsaussage“).
HEADS entstand, weil es zu einem Aufsehen erregenden, sexuell motivierten Tötungsdelikt durch einen nach 9jähriger Haft Entlassenen an einem Jungen kam, wobei in einer Nachbereitung der Bedarf einer besseren Zusammenarbeit der einzelnen Stellen auffiel, der durch HEADS u. a. bewerkstelligt werden sollte. Hierbei entstand 2006 in Bayern als erstem Bundesland ein Konzept, welches 2009 erweitert wurde. [[HEADS in Bayern]] stellt ein mehrstufiges Verfahren dar, wobei Sexualstraftäter zunächst von der Staatsanwaltschaft als „[[Risikoproband]] Sexualstraftäter“ eingestuft werden. In der Bewährungshilfe werden die Risikofaktoren in statische (anamnestische Daten, Vorstrafen, Vorgeschichte), dynamische (Arbeit, Unterkunft, Sucht) und stabil-dynamische Risikofaktoren ([[Forensisch-psychiatrische Begutachtung]]) eingeteilt. Als Ziele werden benannt, dass der Kontroll- und Unterstützungsprozess mit den Methoden der Sozialarbeit das Rückfallrisiko minimieren, Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken erkennen und situationsadäquat reagieren soll. Der Bewährungshelfer soll bei der Beobachtung der Lebensführung des Probanden auch einen Blick auf die Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken werfen. Die Entscheidungen des Bewährungshelfers orientieren sich dabei nicht an der rein intuitiven Ebene, um die Kriterien der Gefährdungsmomente und Rückfallrisiken herauszuarbeiten, sondern setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: zum einen einer Einschätzung darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Täter erneut Straftaten begeht (so genannte „Wahrscheinlichkeitsaussage“) und zum anderen einer Einschätzung darüber, welche Arten von Taten zu erwarten sind (so genannte „Tatbestandsaussage“).


====Niedersachsen: [[K.U.R.S. Niedersachsen]], "'''K'''onzeption zum '''U'''mgang mit '''r'''ückfallgefährdeten '''S'''exualstraftätern/innen" (ab 01.10.2007)====  
====Niedersachsen: [[K.U.R.S. Niedersachsen]], "'''K'''onzeption zum '''U'''mgang mit '''r'''ückfallgefährdeten '''S'''exualstraftätern/innen" (ab 01.10.2007)====  
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====Hamburg: [[SURE]] – '''S'''icherheits- '''u'''nd '''R'''isikomanagement für '''E'''ntlassene (seit 01.01.2008)====
====Hamburg: [[SURE]] – '''S'''icherheits- '''u'''nd '''R'''isikomanagement für '''E'''ntlassene (seit 01.01.2008)====
Durch ein „Maßnahmenpaket“ zum Schutz der Bürger - „SURE“ (Sicherheits- und Risikomanagement für Entlassene)  - für gefährliche und rückfallgefährdete Straftäter soll die strafrechtliche Kontrolle nicht mit der Entlassung aus der Haft oder dem [[Maßregelvollzug]] enden. Hierzu wird dem Probanden ein besonders qualifizierter Bewährungshelfer zur Seite gestellt und er unter dem SURE-Konzept intensiv betreut und kontrolliert. Bereits in der Phase der Entlassungsvorbereitung nimmt der Bewährungshelfer Kontakt zum [[Risikoproband]]en auf und erstellt eine Gefährdungsanalyse. Nach der Unterstellung bewertet der Bewährungshelfer laufend die psychische und soziale Entwicklung des [[Risikoproband]]en, um Rückfallrisiken frühzeitig zu erkennen und stabilisierende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig werden Programme der forensischen Ambulanz zur Nachbetreuung von Verurteilten gestellt und eine zentrale Risikostraftäterdatei geschaffen (vgl. [http://www.welt.de/regionales/hamburg/article1382852/Senat_schafft_Zentraldatei_fuer_Gewalt_und_Sexualtaeter.html Presseartikel] in WELT ONLINE vom 20.11.07). Des Weiteren wurde innerhalb der Polizei in Hamburg die Arbeitsgruppe „T.O.P.“ (Täterorientierte Gewaltprävention) als Teil des Gesamtkonzeptes eingerichtet. T.O.P. soll Maßnahmen bündeln zu einem systematischen Konzept, um Rückfälle besonders gefährlicher Sexual- und Gewaltstraftäter zu vermeiden und weitere Straftaten zu verhindern. Ziel ist es, durch ein eng abgestimmtes Vorgehen von Justiz, Polizei, Fuḧrungsaufsichtsstelle und Bewaḧrungshilfe den Informationsfluss zu verbessern, Zeichen für einen Rückfall frühzeitig zu erkennen, gemeinsam Strategien zur Intervention vorzubereiten und rechtzeitig Maßnahmen zu koordinieren (vgl. [http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/2178050/2010-03-19-jb-bfi-taeterorientierte-praevention.html Pressemitteilung] der Hamburger Justizbehörde vom 19.03.2010).
Durch ein „Maßnahmenpaket“ zum Schutz der Bürger - „SURE“ (Sicherheits- und Risikomanagement für Entlassene)  - für gefährliche und rückfallgefährdete Straftäter soll die strafrechtliche Kontrolle nicht mit der Entlassung aus der Haft oder dem [[Maßregelvollzug]] enden. Hierzu wird dem Probanden ein besonders qualifizierter Bewährungshelfer zur Seite gestellt zudem wird er unter dem SURE-Konzept intensiv betreut und kontrolliert. Bereits in der Phase der Entlassungsvorbereitung nimmt der Bewährungshelfer Kontakt zum [[Risikoproband]]en auf und erstellt eine Gefährdungsanalyse. Nach der Unterstellung bewertet der Bewährungshelfer laufend die psychische und soziale Entwicklung des [[Risikoproband]]en, um Rückfallrisiken frühzeitig zu erkennen und stabilisierende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig werden Programme der forensischen Ambulanz zur Nachbetreuung von Verurteilten gestellt und eine zentrale Risikostraftäterdatei geschaffen (vgl. [http://www.welt.de/regionales/hamburg/article1382852/Senat_schafft_Zentraldatei_fuer_Gewalt_und_Sexualtaeter.html Presseartikel] in WELT ONLINE vom 20.11.07). Des Weiteren wurde innerhalb der Polizei in Hamburg die Arbeitsgruppe „T.O.P.“ (Täterorientierte Gewaltprävention) als Teil des Gesamtkonzeptes eingerichtet. T.O.P. soll Maßnahmen bündeln zu einem systematischen Konzept, um Rückfälle besonders gefährlicher Sexual- und Gewaltstraftäter zu vermeiden und weitere Straftaten zu verhindern. Ziel ist es, durch ein eng abgestimmtes Vorgehen von Justiz, Polizei, Fuḧrungsaufsichtsstelle und Bewaḧrungshilfe den Informationsfluss zu verbessern, Zeichen für einen Rückfall frühzeitig zu erkennen, gemeinsam Strategien zur Intervention vorzubereiten und rechtzeitig Maßnahmen zu koordinieren (vgl. [http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/2178050/2010-03-19-jb-bfi-taeterorientierte-praevention.html Pressemitteilung] der Hamburger Justizbehörde vom 19.03.2010).


====Brandenburg; [http://www.mdj.brandenburg.de/cms/detail.php/bb2.c.446676.de HEADS] - '''H'''aft-'''E'''ntlassenen-'''A'''uskunfts-'''D'''atei-'''S'''exualstraftäter (ab 04.01.2008)====
====Brandenburg; [http://www.mdj.brandenburg.de/cms/detail.php/bb2.c.446676.de HEADS] - '''H'''aft-'''E'''ntlassenen-'''A'''uskunfts-'''D'''atei-'''S'''exualstraftäter (ab 04.01.2008)====
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====Baden-Würtemberg: [http://www.landesrecht-bw.de/jportal/docs/anlage/bw/pdf/VerkBl/GABl/GABl-2010+46-48.pdf K.U.R.S]. - '''K'''onzept zum '''U'''mgang mit besonders '''r'''ückfallgefährdeten '''S'''exualtätern (seit 01.04.2010)====
====Baden-Würtemberg: [http://www.landesrecht-bw.de/jportal/docs/anlage/bw/pdf/VerkBl/GABl/GABl-2010+46-48.pdf K.U.R.S]. - '''K'''onzept zum '''U'''mgang mit besonders '''r'''ückfallgefährdeten '''S'''exualtätern (seit 01.04.2010)====
Durch die [http://www.landesrecht-bw.de/jportal/docs/anlage/bw/pdf/VerkBl/GABl/GABl-2010+46-48.pdf Verwaltungsvorschrift] KURS soll  die Allgemeinheit bestmöglich vor diesen besonders rückfallgefährdeten Sexualstraftätern geschützt werden. Dies soll insbesondere durch eine Optimierung des Informationsflusses zwischen der Justiz, dem [[Maßregelvollzug]] und der Polizei sowie durch eine Intensivierung und stärkere Verzahnung der führungsaufsichts- und gefahrenabwehnechtlichen Maßnahmen erfolgen. Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg wurde eine Gemeinsame Zentralstelle (GZS KURS) eingerichtet, bei welcher für die nähere Kategorisierung von[[ Risikoproband]]en und für ein abgestimmtes Vorgehen paritätisch aus Vertretern von Justiz und Polizei besetzte Bewertungsbesprechungen stattfinden.
Durch die [http://www.landesrecht-bw.de/jportal/docs/anlage/bw/pdf/VerkBl/GABl/GABl-2010+46-48.pdf Verwaltungsvorschrift] KURS soll  die Allgemeinheit bestmöglich vor diesen besonders rückfallgefährdeten Sexualstraftätern geschützt werden. Dies soll insbesondere durch eine Optimierung des Informationsflusses zwischen der Justiz, dem [[Maßregelvollzug]] und der Polizei sowie durch eine Intensivierung und stärkere Verzahnung der führungsaufsichts- und gefahrenabwehnechtlichen Maßnahmen erfolgen. Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg wurde eine Gemeinsame Zentralstelle (GZS KURS) eingerichtet, bei welcher für die nähere Kategorisierung von[[ Risikoproband]]en und für ein abgestimmtes Vorgehen paritätisch aus Vertretern von Justiz und Polizei besetzte Bewertungsbesprechungen stattfinden.


==Kriminologischer Diskurs zu Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland==
==Kriminologischer Diskurs zu Konzeptionen zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Deutschland==