Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Strafrecht präzisiert sexuelle Handlungen explizit und implizit. Eine explizite Konkretisierung erfolgt in § 184 f StGB: Danach sind sexuelle Handlungen nur solche, die von einiger Erheblichkeit sind (Abs. 1), sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. In der Rechtspraxis sind danach sexuelle Handlungen mit "einiger Erheblichkeit" nicht nur Geschlechtsverkehr mit Penetration, sondern z. B. das Streicheln des Geschlechtsteils über der Kleidung, den "Schenkelverkehr", das Berühren des nackten Geschlechtsteils eines Kindes oder ein Zungenkuss. Zudem wird das "Einwirken" auf ein Kind "durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhaltes oder durch entsprechendes Reden" (§ 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB) als sexueller Missbrauch verstanden. Diese Form knüpft an '''sozialwissenschaftliche Auffassungen''' an, wonach der Begriff auch auf Handlungen ausgedehnt wird, die nicht zwingend strafbar sind.  
Das Strafrecht präzisiert sexuelle Handlungen explizit und implizit. Eine explizite Konkretisierung erfolgt in § 184 f StGB: Danach sind sexuelle Handlungen nur solche, die von einiger Erheblichkeit sind (Abs. 1), sexuelle Handlungen vor einem anderen nur solche, die vor einem anderen vorgenommen werden, der den Vorgang wahrnimmt. In der Rechtspraxis sind danach sexuelle Handlungen mit "einiger Erheblichkeit" nicht nur Geschlechtsverkehr mit Penetration, sondern z. B. das Streicheln des Geschlechtsteils über der Kleidung, den "Schenkelverkehr", das Berühren des nackten Geschlechtsteils eines Kindes oder ein Zungenkuss. Zudem wird das "Einwirken" auf ein Kind "durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhaltes oder durch entsprechendes Reden" (§ 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB) als sexueller Missbrauch verstanden. Diese Form knüpft an '''sozialwissenschaftliche Auffassungen''' an, wonach der Begriff auch auf Handlungen ausgedehnt wird, die nicht zwingend strafbar sind.  
Kennzeichnend für sexuellen Missbrauch ist ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer, wobei der Täter seine Autoritätsstellung oder Vertrauensposition ausnutzt, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten der abhängigen Person zu befriedigen. Sexueller Missbrauch ist somit Missbrauch von Macht in Erziehungs-, Betreuungs- und Ausbildungsverhältnissen oder auch von Machtungleichheiten bei Geschlechtern (vgl. Weber & Rohleder 1995: S. 29).


Schneider definiert den sexuellen Missbrauch an Kindern als ,,Kontakte und Interaktionen zwischen einem Kind und einem Erwachsenen, bei denen das Kind als Objekt zur sexuellen Stimulation des Täter bzw. der Täterin oder einer anderen Person missbraucht wird" (2001 91ff.).
Schneider definiert den sexuellen Missbrauch an Kindern als ,,Kontakte und Interaktionen zwischen einem Kind und einem Erwachsenen, bei denen das Kind als Objekt zur sexuellen Stimulation des Täter bzw. der Täterin oder einer anderen Person missbraucht wird" (2001 91ff.).
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===Zielgruppe: Kinder und Eltern / Erziehungsberechtigte===
===Zielgruppe: Kinder und Eltern / Erziehungsberechtigte===
Regional, überregional und international existieren Beratungs-, Kontakt- und Informationsstellen gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, deren Angebote von Fachinformationen über Fortbildungen, Veranstaltungen, Präventionstheater bis hin zu Büchern, Spielen und Musik reichen.
Die herkömmliche [[Prävention]] bereite geradezu den Boden für Missbrauch, denn fehlinformierte, unsichere, angepasste und abhängige Kinder seien ideale Opfer. Sinnvolle Prävention dagegen müsse Kinder stark machen, sie in die Lage versetzen, sexuelle Übergriffe zu erkennen, einzuordnen und sich dagegen zu wehren, sich selbst zu schützen.
Prävention müsse die Stärke von Kinder aufbauen, die Unabhängigkeit der Kinder fördern, die Mobilität der Kinder erweitern und die Freiheit von Kindern vergrößern. Prävention dürfe auf keinen Fall Angst machen, da Angst Schwäche erzeuge und Angst lähme. Angst entstehe aus Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Kindern müsse das Wissen um ihre Stärke und Handlungsmöglichkeiten vermittelt, da Wissen Macht bedeute.
 
 
Fey (1988: 189; 218) beschreibt fünf Themenbereiche als zentral für eine präventive Erziehung:
 
* Mein Körper gehört mir. Der eigene Körper ist wertvoll, jedes Kind hat das Recht, ihn zu schützen.
* Intuition: Maßstab für Mädchen und Buben sind ihre eigenen Gefühle; "ich kann mich auf meine Gefühle verlassen".
* Berührungen: Kinder lernen zwischen "guten" und "schlechten" sowie "merkwürdigen" Berührungen unterscheiden und die beiden letzteren abzuweisen.
* Neinsagen: Kinder dürfen und müssen in bestimmten Situationen Grenzen ziehen und Nein zu den Anforderungen Erwachsener sagen. Sie haben die Erlaubnis, nicht zu gehorchen und sich zu wehren.
* Geheimnisse: Kinder lernen adäquate Geheimnisse, wie zum Beispiel Überraschungen, von schlechten, beängstigenden Geheimnissen zu unterscheiden. Wenn Heimlichkeiten unheimlich werden, ist es besser, sich Freunden und/oder Erwachsenen mitzuteilen.
 
 
Aus diesen Prinzipien geht hervor, dass sinnvolle Prävention sich niemals nur auf punktuelle Warnungen beschränkt, sondern immer eine Erziehungshaltung ist, die kontinuierlich wirkt. Dies bedeutet, dass präventive Aspekte in die Gesamterziehung integriert werden müssen. Kinder sollen in den oben angeführten Bereichen gestärkt werden, ohne dass gewaltsame sexuelle Übergriffe direkt angesprochen werden müssen. Damit wird vermieden, dass Kinder in dem Gefühl aufwachsen, dass Sexualität und Gewalt zusammengehören und so ein negatives Verständnis von Sexualität entwickeln. Dies hat außer dem präventiven Effekt noch eine weitere Auswirkung: die betroffenen Kinder fühlen sich angesprochen, möglicherweise bekommen sie den Mut, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren, vielleicht erhalten sie Handlungsperspektiven. Zumindest merken sie, dass es Erwachsene gibt, die von dem Problem wissen. Spiele, Geschichten, Bilderbücher, Lieder, etc. können Gesprächsanlass sein, sodass eine Atmosphäre der Offenheit entsteht, die betroffene Kinder ermutigt, sich anzuvertrauen.




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Während so genannte „Nothing-Works“-Thesen den positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.).  Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "'''sektoralen Punitivität'''" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145).  
Während so genannte „Nothing-Works“-Thesen den positiven Sinn von Behandlungs- und Präventionsprogrammen stark zusetzten, ging zeitgleich eine Zunahme der Straflust in der Bevölkerung mit einer punitiven Tendenz in der Kriminalpolitik einher, mit der Folge der kontinuierlichen Verschärfung des Erwachsenen- sowie Jugendstrafrechts (vgl. Thomas et al. 2006: 80 ff.).  Dies trifft insbesondere die Delikte der Vergewaltigung mit und ohne Todesfolge sowie den sexuellen Kindesmissbrauch, die als Entwicklung einer "'''sektoralen [[Punitivität]]'''" – einer Strafverschärfung bei spezifischen Taten und Tätergruppen betrachtet werden (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2000: 145).  




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==Literatur==
==Literatur==
* Fey, E. (1988): Von unabhängigen Müttern, starken Kindern, dem Sinn des Ungehorsams und sozialen Netzen. in Kazis, K. (Hrsg.): Dem Schweigen ein Ende. Sexuelle Ausbeutung von Kindern in der Familie, Basel
* Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (2000): Warum und wie die Strafjustiz spart. In: Rottleuthner, H. (Hrsg.) (2000): Armer Rechtstaat. Beiträge zur Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Innsbruck 1998. Baden-Baden.
* Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (2000): Warum und wie die Strafjustiz spart. In: Rottleuthner, H. (Hrsg.) (2000): Armer Rechtstaat. Beiträge zur Jahrestagung der Vereinigung für Rechtssoziologie in Innsbruck 1998. Baden-Baden.
* Popitz, Heinrich, (1968): Die Präventivwirkung des Nichtwissens, Tübingen
* Popitz, Heinrich, (1968): Die Präventivwirkung des Nichtwissens, Tübingen
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* Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Misshandlung, Weinheim, München
* Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Misshandlung, Weinheim, München
* Thomas, Jürgen et al. (2006): Freie Straffälligenhilfe unter Veränderungsdruck. In: Neue Praxis. Heft 1/2006, S. 80-98
* Thomas, Jürgen et al. (2006): Freie Straffälligenhilfe unter Veränderungsdruck. In: Neue Praxis. Heft 1/2006, S. 80-98
* Weber, M. & Rohleder, C. (1995): Sexueller Missbrauch. Jugendhilfe zwischen Aufbruch und Rückschritt, Münster




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* [http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2010/Handreichung-zu-sexuellen-Missbrauchsfaellen-Gewalthandlungen.pdf Handlungsempfehlungen] der Kultusministerkonferenz zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen und schulnahen Einrichtungen v. 20.04.2010
* [http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2010/Handreichung-zu-sexuellen-Missbrauchsfaellen-Gewalthandlungen.pdf Handlungsempfehlungen] der Kultusministerkonferenz zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen und schulnahen Einrichtungen v. 20.04.2010
* Sack, Fritz (2006): [http://www.fritz-sack.com/ThesenArgumente.htm Einige Thesen und Argumente zur gegenwärtigen Kriminalpolitik]
* Sack, Fritz (2006): [http://www.fritz-sack.com/ThesenArgumente.htm Einige Thesen und Argumente zur gegenwärtigen Kriminalpolitik]
* [http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/SexuellerMissbrauch.shtml Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen]
* Informationsangebot der [http://www.polizei-beratung.de/rat_hilfe/opferinfo/sexueller_missbrauch_von_kindern/ Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes]
* Informationsangebot der [http://www.polizei-beratung.de/rat_hilfe/opferinfo/sexueller_missbrauch_von_kindern/ Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes]
* [http://www.psychologie.uni-freiburg.de/Members/wetzel/lehre/SexuellerMissbrauch/download Katalog der Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindesmisshandlung und -missbrauch]
* [http://www.psychologie.uni-freiburg.de/Members/wetzel/lehre/SexuellerMissbrauch/download Katalog der Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindesmisshandlung und -missbrauch]
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