Polizeiliche Kriminalstatistik: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine regelmäßige Datensammlung unter der Bezeichnung '''Polizeiliche Kriminalstatistik''' gibt es in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Dieser Beitrag bezieht sich auf die Situation in Deutschland.


 
Die seit 1953 jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebene Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist in Deutschland die bekannteste und am häufigsten verwendete Kriminalstatistik. In ihr registrieren die Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder die von ihnen bearbeiteten Straftaten (und der Art der Tatbegehung), aber auch Informationen zu Tatverdächtigen und Opfern.  
Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist diejenige unter den [[Kriminalstatistiken]], in der die von der Kriminalpolizei bearbeiteten Verbrechen und Vergehen registriert werden. Sie erfasst neben Daten zur Tat auch Daten zu Tätern, Opfern und der Tatbegehung.


== Geschichte ==
== Geschichte ==
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Bis 1970 galten keine einheitlichen Regelungen bezüglich der Abgabeform und des Erfassungszeitpunkts. Beides wurde erst mit einer grundlegenden Reform der PKS-Richtlinien 1971 durch die AG Kripo festgelegt. Seit der Reform wird die PKS als eine einheitliche Ausgangsstatistik geführt – das Delikt erst zum Zeitpunkt der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft erfasst. Im Zuge der Reform wurde zudem auf die „Elektronische Datenverarbeitung“ (EDV) als Form der Datenübermittlung umgestellt. Diese Umstellung ermöglichte durch die Einführung eines vierstelligen Zahlenschlüssels eine stärkere strafrechtliche und kriminologische Differenzierung einzelner Erfassungskriterien. Zu Tat (z.B. Tatzeit) und TV (z.B. Drogeneinfluss) wurden die Daten erweitert, zu anderen Gruppen (z.B. Opfer) erstmalig erfasst. Bis heute erfährt die PKS durch die Möglichkeiten der EDV stetig weitere Differenzierungen. Strafrechtliche Verstöße gegen die Landesgesetze sollten seither jedoch nicht mehr erfasst werden.
Bis 1970 galten keine einheitlichen Regelungen bezüglich der Abgabeform und des Erfassungszeitpunkts. Beides wurde erst mit einer grundlegenden Reform der PKS-Richtlinien 1971 durch die AG Kripo festgelegt. Seit der Reform wird die PKS als eine einheitliche Ausgangsstatistik geführt – das Delikt erst zum Zeitpunkt der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft erfasst. Im Zuge der Reform wurde zudem auf die „Elektronische Datenverarbeitung“ (EDV) als Form der Datenübermittlung umgestellt. Diese Umstellung ermöglichte durch die Einführung eines vierstelligen Zahlenschlüssels eine stärkere strafrechtliche und kriminologische Differenzierung einzelner Erfassungskriterien. Zu Tat (z.B. Tatzeit) und TV (z.B. Drogeneinfluss) wurden die Daten erweitert, zu anderen Gruppen (z.B. Opfer) erstmalig erfasst. Bis heute erfährt die PKS durch die Möglichkeiten der EDV stetig weitere Differenzierungen. Strafrechtliche Verstöße gegen die Landesgesetze sollten seither jedoch nicht mehr erfasst werden.


Durch erneute Reformen trat zum 01.01.1984 die sog. „Echttäterzählung“ in Kraft. Zuvor war der zu jeder Tat registrierte TV einfach gezählt worden, was zur Folge hatte, dass mehr TV gezählt wurden als in Anbetracht von Wiederholungstätern tatsächlich handelten. Mit der „Echttäterzählung“ wurde jeder Täter pro Berichtsjahr und Bundesland nur noch einmal erfasst. Damit sollte die Tatverdächtigenstruktur entzerrt werden.
Durch erneute Reformen trat zum 01.01.1984 die sog. „Echttäterzählung“ in Kraft. Zuvor war der zu jeder Tat registrierte TV einfach gezählt worden, was zur Folge hatte, dass die Tatverdächtigenzahl in Anbetracht von Wiederholungstätern höher war als die Zahl der tatsächlich tatverdächtigen Individuen. Mit der „Echttäterzählung“ wurde jeder Täter pro Berichtsjahr und Bundesland nur noch einmal erfasst. Damit sollte die Tatverdächtigenstruktur entzerrt werden.


Im Zuge der Zusammenführung der neuen und alten Bundesländer nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 kam es zu Anlaufschwierigkeiten bei der Bildung einer einheitlichen PKS, die umfangreichen personellen Veränderungen auf den Dienststellen der neuen Bundesländer geschuldet waren. Aus diesem Grund konnte erst ab 1993 eine vergleichbare statistische Kriminalitätserfassung erfolgen.
Im Zuge der Zusammenführung der neuen und alten Bundesländer nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 kam es zu Anlaufschwierigkeiten bei der Bildung einer einheitlichen PKS, die umfangreichen personellen Veränderungen auf den Dienststellen der neuen Bundesländer geschuldet waren. Aus diesem Grund konnte erst ab 1993 eine vergleichbare statistische Kriminalitätserfassung erfolgen.
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== Inhalt ==
== Inhalt ==
Die PKS beinhaltet die absolute Zahl aller von der Kriminalpolizei bearbeiteten Verbrechen und Vergehen einschließlich der strafbaren Versuche, ausgenommen der
Die PKS beinhaltet die absolute Zahl aller von den Kriminalpolizeien des Bundes- und der Länder bearbeiteten Verbrechen und Vergehen einschließlich der strafbaren Versuche, ausgenommen der


* Staatsschutzdelikte  
* Staatsschutzdelikte  
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Das Zahlenmaterial der PKS unterliegt vorangegangenen Filterprozessen und kann deshalb nicht mit der Kriminalitätswirklichkeit korrespondieren. Der erste Filter-prozess ergibt sich bereits daraus, dass ein Teil der Kriminalität unentdeckt bleibt.  
Das Zahlenmaterial der PKS unterliegt vorangegangenen Filterprozessen und kann deshalb nicht mit der Kriminalitätswirklichkeit korrespondieren. Der erste Filter-prozess ergibt sich bereits daraus, dass ein Teil der Kriminalität unentdeckt bleibt.  


Ein Teil der wiederum entdeckten Kriminalität wird gar nicht oder bei anderen Behörden zur Anzeige gebracht. Der bei der Polizei registrierte Teil unterliegt dann vorgegebenen Erfassungsmodalitäten wie beispielsweise der strafrechtlichen Konkurrenzlehre. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die polizeiliche Selektionspraxis. Da die Polizei primär im öffentlichen Raum tätig ist, führt dies zwangsläufig zu vermehrten Registrierungen von Straßenkriminalität (vgl. Lüchow-Dannenberg-Syndrom) und zur Vernachlässigung anderer Kriminalitätsarten, z.B.  Wirtschaftskriminalität. Außerdem ist die PKS für die Polizei ein Nachweis für Arbeitsquantität und –qualität, so dass aus ihrem Bewertungsspielraum (20 aufeinander folgend abgetretene Pkw-Rückspiegel können eine Tat oder 20 Einzelfälle sein) eine Erhöhung der Aufklärungsquote resultieren wird.
Ein Teil der wiederum entdeckten Kriminalität wird gar nicht oder bei anderen Behörden zur Anzeige gebracht. Der bei der Polizei registrierte Teil unterliegt dann vorgegebenen Erfassungsmodalitäten wie beispielsweise der strafrechtlichen Konkurrenzlehre. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die polizeiliche Selektionspraxis. Da die Polizei primär im öffentlichen Raum tätig ist, führt dies zwangsläufig zu vermehrten Registrierungen von Straßenkriminalität (vgl. Lüchow-Dannenberg-Syndrom) und zur Vernachlässigung anderer Kriminalitätsarten, z.B.  Wirtschaftskriminalität. Außerdem ist die PKS für die Polizei ein Nachweis für Arbeitsquantität und –qualität, so dass aus ihrem Bewertungsspielraum (20 beschädigte Strandkörbe können eine Tat(serie) oder 20 Einzelfälle sein; vgl.Rügemer) eine Erhöhung der Aufklärungsquote resultieren wird.


Weitere Verzerrungen können sich aus demographischen Aspekten ergeben. Die Anzahl der ausländischen TV an der Gesamtzahl muss relativiert werden, da bestimmte Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und Asylrecht ausschließlich von Ausländern begangen werden können. Auch kann vermutet werden, dass ein Teil der TV in der BRD nicht registriert ist und sich daraus ungenaue Kriminalitätsquotienten ergeben.
Weitere Verzerrungen können sich aus demographischen Aspekten ergeben. Die Anzahl der ausländischen TV an der Gesamtzahl muss relativiert werden, da bestimmte Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und Asylrecht ausschließlich von Ausländern begangen werden können. Auch kann vermutet werden, dass ein Teil der TV in der BRD nicht registriert ist und sich daraus ungenaue Kriminalitätsquotienten ergeben.


Die PKS enthält keine Angaben über nachgewiesene Täterschaften. Zahlen belegen, dass es in weit weniger als der Hälfte der registrierten Fälle überhaupt, aus Mangel an Beweisen o. ä. Gründen, zu einer Anklage der Staatsanwaltschaft kommt. In noch weniger Fällen kommt es zu einer Verurteilung vor Gericht.  
Die PKS enthält keine Angaben über nachgewiesene Täterschaften. Vergleiche mit der Staatsanwaltschaftsstatistik und der Strafvollzugsstatistik belegen, dass es in weit weniger als der Hälfte der in der PKS registrierten Fälle überhaupt, aus Mangel an Beweisen o. ä. Gründen, zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt. In noch weniger Fällen kommt es zu einer Verurteilung vor Gericht.  
Eine Relativierung der Datenaktualität kann sich, gerade bei langwierigen Verfahren, aus dem Erfassungszeitpunkt ergeben.  
Eine Relativierung der Datenaktualität kann sich, gerade bei langwierigen Verfahren, aus dem Erfassungszeitpunkt ergeben.  


Die PKS bildet insgesamt somit nur das sog. [[Hellfeld]] der durch die Polizei selektierten Delikte ab. [[Dunkelfeldforschungen]] ergaben, dass (Variationen zwischen den einzelnen Deliktgruppen vorbehalten) die nicht registrierte Kriminalität – als Faustformel – für die Gesamtheit aller Straftaten als zwei Mal höher angenommen werden kann.(vgl. Kerner) Demnach kann man von der PKS als ein Indiz für die Kriminalitätswirklichkeit sprechen.  
Die PKS bildet insgesamt somit nur das sog. [[Hellfeld]] der durch die Polizei selektierten Delikte ab. Dunkelfeldforschungen ergaben, dass (Variationen zwischen den einzelnen Deliktgruppen vorbehalten) die nicht registrierte Kriminalität – als Faustformel – für die Gesamtheit aller Straftaten als zwei Mal höher angenommen werden kann.(vgl. Kerner) Demnach kann man von der PKS als ein Indiz für die Kriminalitätswirklichkeit sprechen.


=== PKS als Vergleichsstatistik ===
=== PKS als Vergleichsstatistik ===
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Ein Vergleich mit anderen Kriminalstatistiken ist grundsätzlich schwierig, da die Erfassungszeiträume nicht übereinstimmen und die Erfassungsgrundsätze, sowie die Sachverhaltsbewertungen divergieren.
Ein Vergleich mit anderen Kriminalstatistiken ist grundsätzlich schwierig, da die Erfassungszeiträume nicht übereinstimmen und die Erfassungsgrundsätze, sowie die Sachverhaltsbewertungen divergieren.


== Instrumentalisierung ==
== Verwendung ==
Auf Städte- und Kommunalebene wird die PKS als Planungs- und Kontrollinstrument für präventive (z.B. städtebauliche) und repressive (Schwerpunktbildung bei Polizei) Maßnahmen genutzt. Auf politischer Ebene wird sie als Bilanz der Sicherheitspolitik und als Reforminstrument herangezogen. Auf Bundesebene wird die PKS jährlich im Mai durch den Bundesinnenminister veröffentlicht. Kritisch betrachtet scheint die Art Darstellung dabei eine wichtige Prämisse zu sein, da sich aus ihr politische Erfolge ableiten lassen. So werden Zahlen aus dem Kontext heraus präsentiert und ohne entsprechende wissenschaftliche Belege in erforderlicher Weise in Bezug zu sicherheitspolitischen Maßnahmen gesetzt. Die Darstellung der PKS nimmt auf die Kriminalitätsberichterstattung der Medien Einfluss, da sie ihr durch Archivierung einen Bezugsrahmen von gewisser Dauer liefert. Unter diesem Aspekt kann der PKS hinsichtlich des Einflusses medialer Berichterstattung auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und deren Bild von einer Kriminalitätswirklichkeit eine hohe Bedeutung zugeschrieben werden.(Vgl.Reuband)
Auf Städte- und Kommunalebene wird die PKS als Planungs- und Kontrollinstrument für präventive (z.B. städtebauliche) und repressive (Schwerpunktbildung bei Polizei) Maßnahmen genutzt. Auf politischer Ebene wird sie als Bilanz der Sicherheitspolitik und als Reforminstrument herangezogen. Auf Bundesebene wird die PKS jährlich im Mai durch den Bundesinnenminister veröffentlicht. Kritisch betrachtet scheint die Art Darstellung dabei eine wichtige Prämisse zu sein, da sich aus ihr politische Erfolge ableiten lassen. So werden Zahlen aus dem Kontext heraus präsentiert und ohne entsprechende wissenschaftliche Belege in erforderlicher Weise in Bezug zu sicherheitspolitischen Maßnahmen gesetzt. Die Darstellung der PKS nimmt auf die Kriminalitätsberichterstattung der Medien Einfluss, da sie ihr durch Archivierung einen Bezugsrahmen von gewisser Dauer liefert. Unter diesem Aspekt kann der PKS hinsichtlich des Einflusses medialer Berichterstattung auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und deren Bild von einer Kriminalitätswirklichkeit eine hohe Bedeutung zugeschrieben werden.(Vgl.Reuband)


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== Weblinks ==
== Weblinks ==
 
*Polizeiliche Kriminalstatistik (Deutschland) in: de.wikipedia [[http://de.wikipedia.org/wiki/Polizeiliche_Kriminalstatistik_%28Deutschland%29]]
Die Legitimation der PKS ergibt sich aus §2,Abs.6 Nr.2 BKAG: [http://www.gesetze-im-internet.de/bkag_1997/__2.html]
*Uniform Crime Reports (US-Pendant zur PKS) in: en.wikipedia [[http://en.wikipedia.org/wiki/Uniform_Crime_Reports]]
 
*Die Legitimation der PKS ergibt sich aus §2,Abs.6 Nr.2 BKAG: [http://www.gesetze-im-internet.de/bkag_1997/__2.html]
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) findet sich auf den Internetseiten des BKA unter: [http://www.bka.de/pks/]
*Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) findet sich auf den Internetseiten des BKA unter: [http://www.bka.de/pks/]
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