Polizeikultur: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Begriff '''Polizeikultur''' beschreibt  formelle und informelle Wertmaßstäbe und Verhaltensmuster,  die das Sozialgefüge innerhalb der Polizei prägen und das Alltagshandeln neben rechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich beeinflussen.
Der Begriff '''Polizeikultur''' beschreibt  formelle und informelle Wertmaßstäbe und Verhaltensmuster,  die das Sozialgefüge innerhalb der Polizei prägen und das Alltagshandeln neben rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflussen.


== Begriffsbestimmung ==
== Begriffsbestimmung ==
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Maßgeblich von Behr geprägt wird zwischen der offiziell in Form von Leitbildern gezeichneten Polizeikultur und der informell gelebten Polizistenkultur (Cop Culture) unterschieden. Zwar lässt sich die polizeiliche Basis nicht direkt mit der Polizistenkultur gleich setzen und auch die polizeiliche Führung nicht in Gänze der Polizeikultur zuordnen, dennoch sind entsprechende Tendenzen erkennbar. Der Bezug zur Polizeikultur nimmt zu, je weiter sich eine Person vom polizeilichen Arbeitsalltag („auf der Straße“) entfernt. Dies kann sowohl horizontal (durch den Arbeitsbereich) als auch vertikal (durch die Hierarchieebene) bedingt sein (vgl. Behr 2016, S. 14). Insgesamt sind Polizei- und Polizistenkultur nicht trennscharf abgrenzbar. Insbesondere in der mittleren Führungsebene (z.B. Dienstabteilungsleiter) mischen sich die unterschiedlichen Wertvorstellungen. Zudem wurden auch Beamte in höheren Führungsfunktionen durch einen schrittweisen Aufstieg in der Hierarchie zunächst in der polizeilichen Basis mit Werten der Cop Culture sozialisiert, was das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Kulturen abfedern kann (vgl. ebd. S. 15 f.).  
Maßgeblich von Behr geprägt wird zwischen der offiziell in Form von Leitbildern gezeichneten Polizeikultur und der informell gelebten Polizistenkultur (Cop Culture) unterschieden. Zwar lässt sich die polizeiliche Basis nicht direkt mit der Polizistenkultur gleich setzen und auch die polizeiliche Führung nicht in Gänze der Polizeikultur zuordnen, dennoch sind entsprechende Tendenzen erkennbar. Der Bezug zur Polizeikultur nimmt zu, je weiter sich eine Person vom polizeilichen Arbeitsalltag („auf der Straße“) entfernt. Dies kann sowohl horizontal (durch den Arbeitsbereich) als auch vertikal (durch die Hierarchieebene) bedingt sein (vgl. Behr 2016, S. 14). Insgesamt sind Polizei- und Polizistenkultur nicht trennscharf abgrenzbar. Insbesondere in der mittleren Führungsebene (z.B. Dienstabteilungsleiter) mischen sich die unterschiedlichen Wertvorstellungen. Zudem wurden auch Beamte in höheren Führungsfunktionen durch einen schrittweisen Aufstieg in der Hierarchie zunächst in der polizeilichen Basis mit Werten der Cop Culture sozialisiert, was das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Kulturen abfedern kann (vgl. ebd. S. 15 f.).  


===Polizeikultur===
Die Polizeikultur entsteht durch die idealtypischen Erwartungen der Gesellschaft an die Arbeit der Polizei und ist direkt an bürokratische Rahmenbedingungen geknüpft (vgl. Vera 2016, S.17). Dieser idealisierte Anspruch beinhaltet Aspekte wie Zuverlässigkeit, Objektivität und Rechtsstaatlichkeit und spiegelt sich in polizeipolitischen Vorgaben wider. Diese politischen Vorgaben werden von der polizeilichen Managementebene adaptiert. Sie schlagen sich in Erlassen, Leitbildern und offiziellen Selbstdarstellungen nieder und werden so an die polizeiliche Basis weiter gegeben (top down). Insgesamt handelt es sich bei Leitbildern um eine idealisierte Selbstdarstellung anhand einer politisch korrekten Wirklichkeitskonstruktion, die sehr unverbindlich und wenig praxisorientiert sind und daher im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit bleiben. Ihre tatsächliche Umsetzung in der Praxis ist weder möglich noch intendiert. Vielmehr dienen sie der theoretischen Ausrichtung der Organisation sowie als Kommunikationsangebot mit der Öffentlichkeit (vgl. Behr 2016, S.16).
Die Polizeikultur entsteht durch die idealtypischen Erwartungen der Gesellschaft an die Arbeit der Polizei und ist direkt an bürokratische Rahmenbedingungen geknüpft (vgl. Vera 2016, S.17). Dieser idealisierte Anspruch beinhaltet Aspekte wie Zuverlässigkeit, Objektivität und Rechtsstaatlichkeit und spiegelt sich in polizeipolitischen Vorgaben wider. Diese politischen Vorgaben werden von der polizeilichen Managementebene adaptiert. Sie schlagen sich in Erlassen, Leitbildern und offiziellen Selbstdarstellungen nieder und werden so an die polizeiliche Basis weiter gegeben (top down). Insgesamt handelt es sich bei Leitbildern um eine idealisierte Selbstdarstellung anhand einer politisch korrekten Wirklichkeitskonstruktion, die sehr unverbindlich und wenig praxisorientiert sind und daher im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit bleiben. Ihre tatsächliche Umsetzung in der Praxis ist weder möglich noch intendiert. Vielmehr dienen sie der theoretischen Ausrichtung der Organisation sowie als Kommunikationsangebot mit der Öffentlichkeit (vgl. Behr 2016, S.16).


===Polizistenkultur===
Im Gegensatz zur Polizeikultur bildet sich die Polizistenkultur (Cop Culture) von der Basis ausgehend als notwendiges Korrektiv zur nicht praktikablen, offiziellen Polizeikultur. Cop Culture ist an den Erfordernissen des polizeilichen Einsatzhandelns orientiert und fungiert mittels einer „komplexitätsreduzierenden Praxisanleitung“ als Strategie zur Alltagsbewältigung (Behr 2006, S. 39). Es handelt  sich um eine auf Erfahrungswissen beruhende Kultur, die mündlich durch „Geschichten“ und durch konkludentes Handeln von Generation zu Generation weitergegeben wird. Der polizeiliche Alltag ist vom Handeln unter einem chronischen Informationsdefizit geprägt. Entscheidungen müssen in Einsatzsituationen ad hoc getroffen werden, wohingegen die rechtliche Bewertung der getroffenen Entscheidung erst im Nachhinein unter vollständiger Information durch Vorgesetzte erfolgt. Oft finden informelle Lösungsstrategien Anwendung, welche nicht nur die Effektivität steigern, sondern auch eine moralische Komponente beinhalten. So wird mitunter aus Sicht des Einsatzpolizisten gerecht, wenn auch nicht immer streng gesetzlich gehandelt; Legalität und Legitimität stimmen in der polizeilichen Praxis nicht zwingend überein und mitunter wird Illegalität bemüht um Legalität zu erzielen (vgl. Schweer/Strasser 2008, S. 18f., Behr 2006, S. 73 ff.)  
Im Gegensatz zur Polizeikultur bildet sich die Polizistenkultur (Cop Culture) von der Basis ausgehend als notwendiges Korrektiv zur nicht praktikablen, offiziellen Polizeikultur. Cop Culture ist an den Erfordernissen des polizeilichen Einsatzhandelns orientiert und fungiert mittels einer „komplexitätsreduzierenden Praxisanleitung“ als Strategie zur Alltagsbewältigung (Behr 2006, S. 39). Es handelt  sich um eine auf Erfahrungswissen beruhende Kultur, die mündlich durch „Geschichten“ und durch konkludentes Handeln von Generation zu Generation weitergegeben wird. Der polizeiliche Alltag ist vom Handeln unter einem chronischen Informationsdefizit geprägt. Entscheidungen müssen in Einsatzsituationen ad hoc getroffen werden, wohingegen die rechtliche Bewertung der getroffenen Entscheidung erst im Nachhinein unter vollständiger Information durch Vorgesetzte erfolgt. Oft finden informelle Lösungsstrategien Anwendung, welche nicht nur die Effektivität steigern, sondern auch eine moralische Komponente beinhalten. So wird mitunter aus Sicht des Einsatzpolizisten gerecht, wenn auch nicht immer streng gesetzlich gehandelt; Legalität und Legitimität stimmen in der polizeilichen Praxis nicht zwingend überein und mitunter wird Illegalität bemüht um Legalität zu erzielen (vgl. Schweer/Strasser 2008, S. 18f., Behr 2006, S. 73 ff.)  


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Mit Werten wie Gerechtigkeit, Tapferkeit,  Mut, Loyalität und Ehre ist die Polizistenkultur von Männlichkeitsmustern geprägt und weist einen gewissen Institutionspatriotismus auf (vgl. Behr 2016, S.18). Cop Culture kann grundsätzlich als Homogenitätskultur bezeichnet werden, die Diversität nicht betont, sondern nivelliert. Von einigen Spielräumen und Nischen abgesehen, verlangt sie von ihren Mitgliedern eine hohe Assimilationsbereitschaft und bewirkt so Konformität. Im Gegensatz zur absoluten internen Solidarität und extremem Vertrauen werden Außenstehende und Fremde tendenziell mit defensiver Vorsicht behandelt. Rückhalt wird daher zumeist durch die Bezugnahme auf die eigene Gruppe und durch das geteilte Wissen der „Schattenseite der Gesellschaft“ erfahren (Behr 2006, S. 77).
Mit Werten wie Gerechtigkeit, Tapferkeit,  Mut, Loyalität und Ehre ist die Polizistenkultur von Männlichkeitsmustern geprägt und weist einen gewissen Institutionspatriotismus auf (vgl. Behr 2016, S.18). Cop Culture kann grundsätzlich als Homogenitätskultur bezeichnet werden, die Diversität nicht betont, sondern nivelliert. Von einigen Spielräumen und Nischen abgesehen, verlangt sie von ihren Mitgliedern eine hohe Assimilationsbereitschaft und bewirkt so Konformität. Im Gegensatz zur absoluten internen Solidarität und extremem Vertrauen werden Außenstehende und Fremde tendenziell mit defensiver Vorsicht behandelt. Rückhalt wird daher zumeist durch die Bezugnahme auf die eigene Gruppe und durch das geteilte Wissen der „Schattenseite der Gesellschaft“ erfahren (Behr 2006, S. 77).
Cop Culture stellt insgesamt gewissermaßen die Seele der Polizeiarbeit dar und sichert die polizeiliche Handlungsfähigkeit. Denn nur mit dem Wissen, sich in Notsituationen bedingungslos auf den Partner verlassen zu können, ist polizeiliches Einsatzhandeln möglich. Darüber hinaus bietet der innerhalb der Cop Culture bestehende Gruppenzusammenhalt normative Orientierung und Rückhalt und fördert so die Verarbeitung belastender Situationen für den Einzelnen (vgl. ebd., S. 78 ff.). Ferner erzeugt der Anspruch dem Idealbild der Polizistenkultur zu entsprechen, ein enormes Einsatzpotential weit über das geforderte Maß hinaus. Polizisten bringen sich selbst in Gefahr, um dem Idealbild der Cop Culture zu entsprechen, denn auch Pflichterfüllung und Aufopferung für Andere („Heldentum“) sind fester Bestandteil der Polizistenkultur (vgl. ebd., S.98 f.).
Cop Culture stellt insgesamt gewissermaßen die Seele der Polizeiarbeit dar und sichert die polizeiliche Handlungsfähigkeit. Denn nur mit dem Wissen, sich in Notsituationen bedingungslos auf den Partner verlassen zu können, ist polizeiliches Einsatzhandeln möglich. Darüber hinaus bietet der innerhalb der Cop Culture bestehende Gruppenzusammenhalt normative Orientierung und Rückhalt und fördert so die Verarbeitung belastender Situationen für den Einzelnen (vgl. ebd., S. 78 ff.). Ferner erzeugt der Anspruch dem Idealbild der Polizistenkultur zu entsprechen, ein enormes Einsatzpotential weit über das geforderte Maß hinaus. Polizisten bringen sich selbst in Gefahr, um dem Idealbild der Cop Culture zu entsprechen, denn auch Pflichterfüllung und Aufopferung für Andere („Heldentum“) sind fester Bestandteil der Polizistenkultur (vgl. ebd., S.98 f.).
Generell ist die Entstehung von informellen Wertesystemen nicht typisch für die Organisationen der Polizei. Vielmehr bilden sich vergleichbare Wertesysteme auch in anderen Organisationen heraus. Da Polizeibeamte häufig in gewaltgeprägten Situationen agieren müssen, kommt der Polizeikultur eine besondere Bedeutung zu. Hierbei wird Gewalt zum einen gegen Polizeibeamte aber auch von ihnen eingesetzt (vgl. Vera/Kölling 2016, S.17). Fälle vermeintlicher Polizeigewalt oder scheinbar steigende Gewalt gegen Polizeibeamte finden medial große Beachtung.


== Einflussfaktoren und Ausblick ==
== Einflussfaktoren und Ausblick ==
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VERA, Antonio/ KÖLLING, Katharina (2012): Cop Culture in einer alternden Polizei. In: Vera, Antonio (Hrsg.): Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei, 2/2012. Organisation und Personalmanagement in der Polizei unter den Bedingungen des demografischen Wandels, Münster, S. 11-56.
VERA, Antonio/ KÖLLING, Katharina (2012): Cop Culture in einer alternden Polizei. In: Vera, Antonio (Hrsg.): Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei, 2/2012. Organisation und Personalmanagement in der Polizei unter den Bedingungen des demografischen Wandels, Münster, S. 11-56.


== Links ==  
 
BEHR, Rafael (2008): Die ethische Dimension staatlicher Gewaltausübung. Zum Verhältnis von Handlungsethik und Organisationskultur der Polizei, elektronische Ressource, verfügbar unter http://hdp.hamburg.de/contentblob/2238604/data/ethische-dimension.pdf (abgerufen am: 23.02.2017).
== Internetquellen ==
BEHR, Rafael (2008): Die ethische Dimension staatlicher Gewaltausübung. Zum Verhältnis von Handlungsethik und Organisationskultur der Polizei, elektronische Ressource, verfügbar unter http://www.hamburg.de/contentblob/2238604/data/ethische-dimension.pdf (abgerufen am: 23.02.2017).
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