Otto Gross: Unterschied zwischen den Versionen

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[[File:Otto Gross.jpg|thumb|Otto Gross]]'''Otto Hans Adolf Gross''' (* 17. März 1877 in Gniebing bei Feldbach, Steiermark; † 13. Februar 1920 in Berlin-Pankow), Sohn des bekannten [[Kriminologie|Kriminologen]] [[Hans Gross]] (1847-1915), war ein österreichischer Psychiater, Psychoanalytiker und Anarchist, der zunächst auch eine kriminologische Laufbahn anzustreben schien, sich aber bald mit seinem Vater überwarf und dessen konflikthaftes Leben selbst zum Gegenstand von u.a. auch kriminologischen Analysen werden sollte.
 
'''Otto Hans Adolf Gross''' (* 17. März 1877 in Gniebing bei Feldbach, Steiermark; † 13. Februar 1920 in Berlin-Pankow), Sohn des bekannten [[Kriminologie|Kriminologen]] [[Hans Gross]] (1847-1915), war ein österreichischer Psychiater, Psychoanalytiker und Anarchist, der zunächst auch eine kriminologische Laufbahn anzustreben schien, sich aber bald mit seinem Vater überwarf und dessen konflikthaftes Leben selbst zum Gegenstand von u.a. auch kriminologischen Analysen werden sollte.
 
 
== Leben ==
== Leben ==
=== Kurzbiographie ===
=== Kurzbiographie ===
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Nachdem er im Jahr 1903 in Graz ''Frieda Schloffer'' (1876-1950) geheiratet hatte, eine Konvention an elterliche und gesellschaftliche Erwartungen, begann er, sich für die sexuelle Freiheit einzusetzen und diese auch zu leben.  
Nachdem er im Jahr 1903 in Graz ''Frieda Schloffer'' (1876-1950) geheiratet hatte, eine Konvention an elterliche und gesellschaftliche Erwartungen, begann er, sich für die sexuelle Freiheit einzusetzen und diese auch zu leben.  
Er ging mit mehreren Patientinnen Beziehungen ein, von denen sich dann zwei, ohne dass er es zu verhindern vermochte, umbrachten.
Er ging mit mehreren Patientinnen Beziehungen ein, von denen sich dann zwei, ohne dass er es zu verhindern vermochte, umbrachten.
1907 hatte Gross Beziehungen zu den beiden ''Richthofen Schwestern'', Frieda und Else, die anderweitig verheiratet waren. Er schwängert beide im gleichen Jahr, beide Söhne wurden ''Peter'' genannt. 1906 begann er eine Beziehung zu ''Marianne Kuh'' (1894-1948), der Schwester des Schriftstellers Anton Kuh, mit der zusammen er eine Tochter hatte. Mit ihren Schwestern soll er ebenfalls Liebschaften gehabt haben. Um 1908 bekam Gross noch eine Tochter zusammen mit der Schweizer Schriftstellerin ''Regina Ullmann'' (1884-1961).
1907 hatte Gross Beziehungen zu den beiden ''Richthofen Schwestern'', Frieda und Else, die anderweitig verheiratet waren. Er schwängert beide im gleichen Jahr, beide Söhne wurden ''Peter'' genannt (Pate war jeweils Max Weber). 1906 begann er eine Beziehung zu ''Marianne Kuh'' (1894-1948), der Schwester des Schriftstellers Anton Kuh, mit der zusammen er eine Tochter hatte. Mit ihren Schwestern soll er ebenfalls Liebschaften gehabt haben. Um 1908 bekam Gross noch eine Tochter zusammen mit der Schweizer Schriftstellerin ''Regina Ullmann'' (1884-1961).


=== Seine Kinder ===
=== Seine Kinder ===
Der eine Sohn Peter starb mit 7 an Scharlachfieber, der andere 1946 an Lungentuberkolose (Dienes 2005: 29).
Der eine Sohn Peter starb mit 7 Jahren an Scharlachfieber, der andere 1946 an Lungentuberkolose (Dienes 2005: 29).
Am 23. November 1916 wurde seine Tochter ''Sophie'' als uneheliches Kind von ''Marianne Kuh'' geboren. Sophie Templer-Kuh, die ihren Vater nie persönlich kennengelernt hatte, ist heute Ehrenvorsitzende der Internationalen Otto Gross Gesellschaft.
Am 23. November 1916 wurde seine Tochter ''Sophie'' als uneheliches Kind von ''Marianne Kuh'' geboren. Sophie Templer-Kuh, die ihren Vater nie persönlich kennengelernt hatte, ist heute Ehrenvorsitzende der Internationalen Otto Gross Gesellschaft.
''Camilla Ullmann'' wurde nach ihrer Geburt zu Pflegeeltern gegeben. Sie arbeitete später u.a. als Krankenpflegerin und lebte in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bis zu ihrem Tod am 28. Mai 2000 in Hamburg.
''Camilla Ullmann'', die nach ihrer Geburt zu Pflegeeltern gegeben worden ist, arbeitete später u.a. als Krankenpflegerin und lebte in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bis zu ihrem Tod am 28. Mai 2000 in Hamburg.


=== Sein Umfeld ===
=== Sein Umfeld ===
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*Zeit- und gesellschaftskritische Phase: Hierzu gehören etwa "Zur Überwindung der kulturellen Krise" (1913 in "Die Aktion"); "Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs" (1919).
*Zeit- und gesellschaftskritische Phase: Hierzu gehören etwa "Zur Überwindung der kulturellen Krise" (1913 in "Die Aktion"); "Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs" (1919).


Werk und Person sind bei Otto Groos stärker als sonst üblich verwoben. Vieles von dem, was er theoretisch formulierte, hat er persönlich erlebt: Er hat über psychische Krankheiten geforscht und geschrieben, und war selbst mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Er hat theoretische Ansätze über Ursachen von und Umgang mit [[Kriminalität]] veröffentlicht, und wurde selbst strafrechtlich verfolgt. Er hat die Probleme einer patriarchalischen Gesellschaft analysiert, und wurde selbst auf Betreiben seines Vaters in einer Heilanstalt interniert.
Werk und Person sind bei Otto Gross stärker als sonst üblich verwoben. Vieles von dem, was er theoretisch formulierte, hat er persönlich erlebt: Er hat über psychische Krankheiten geforscht und geschrieben, und war selbst mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Er hat theoretische Ansätze über Ursachen von und Umgang mit [[Kriminalität]] veröffentlicht, und wurde selbst strafrechtlich verfolgt. Er hat die Probleme einer patriarchalischen Gesellschaft analysiert, und wurde selbst auf Betreiben seines Vaters in einer Heilanstalt interniert.


Gross hatte mit einigen Dämonen zu kämpfen, vor allem mit seiner Drogensucht, die um 1901 bei Fahrten als Schiffsarzt nach Südamerika entstand, bei denen er mit Morphium, Kokain und Opium in Berührung kam. Er begab sich 1902 wegen seiner Kokainsucht in seine erste Entziehungskur in die Psychiatrische Klinik Burghölzli bei Zürich. Weitere Entziehungskuren sollten folgen, es gelang ihm jedoch nie gänzlich, von den Drogen loszukommen.
Gross hatte mit einigen Dämonen zu kämpfen, vor allem mit seiner Drogensucht, die um 1901 bei Fahrten als Schiffsarzt nach Südamerika entstand, bei denen er mit Morphium, Kokain und Opium in Berührung kam. Er begab sich 1902 wegen seiner Kokainsucht in seine erste Entziehungskur in die Psychiatrische Klinik Burghölzli bei Zürich. Weitere Entziehungskuren sollten folgen, es gelang ihm jedoch nie gänzlich, von den Drogen loszukommen.


Ein weiteres Problem, mit dem Otto Gross zu kämpfen hatte, waren psychische Störungen, zu deren Bekämpfung er mehrfach in (teils stationärer) psychiatrischer Behandlung war. Unklar ist, wie eine etwaige psychische Störung oder Krankheit nach heutigen diagnostischen Maßstäben benannt werden könnte bzw. würde.
Ein weiteres Problem, mit dem Otto Gross zu kämpfen hatte, waren psychische Störungen, zu deren Bekämpfung er mehrfach in (teils stationärer) psychiatrischer Behandlung war. Unklar ist, wie eine etwaige psychische Störung oder Krankheit nach heutigen diagnostischen Maßstäben benannt werden könnte bzw. würde.
Während eines Aufenthalts in Burghölzli wurde Otto Gross aufgrund eines Attestes von Sigmund Freud von C.G. Jung analysiert. Die zuvor von C.G. Jung gestellte Diagnose der "Zwangsneurose" änderte er nach der Flucht von Otto Gross aus der Klinik nach fünf Wochen in die Diagnose "Dementia Praecox" (dem Formenkreis der Schizophrenie angehörig).  
Während eines Aufenthalts in Burghölzli wurde Otto Gross aufgrund eines Attestes von Sigmund Freud von C.G. Jung analysiert. Die zuvor von C.G. Jung gestellte Diagnose der "Zwangsneurose" änderte dieser nach der Flucht von Otto Gross aus der Klinik nach fünf Wochen in die Diagnose "Dementia Praecox" (dem Formenkreis der Schizophrenie angehörig).  
Klar ist zumindest, dass Gross unter erheblichen psychischen Problemen litt.
Klar ist zumindest, dass Gross unter erheblichen psychischen Problemen litt.
Er war zeitlebens von Schlaflosigkeit geplagt und konnte nur bei Licht und in einen Teppich eingerollt schlafen (Gross 2000: 187/188).
Er war zeitlebens von Schlaflosigkeit geplagt und konnte nur bei Licht und in einen Teppich eingerollt schlafen (Gross 2000: 187/188).
Auch der Selbstmord seiner Patientinnen Chattemer und Benz hatte für Gross nicht nur strafrechtliche Folgen, sie stürzten ihn auch in schwere seelische Krisen.  
Auch die Selbstmorde seiner Patientinnen Chattemer und Benz hatten für Gross nicht nur strafrechtliche Folgen, sie stürzten ihn auch in schwere seelische Krisen.  
In seinen fragmentarisch überlieferten Selbstanalysen lassen sich tiefe Selbstzweifel erkennen, so sprach er davon, dass die wissenschaftliche Selbstachtung nur ein Hohn auf die wirkliche sei und er den beneiden müsse, der zuversichtlich sei und einen echten Glauben an Sieg und eine Liebe zum Leben besäße (Gross 2000: 177).
In seinen fragmentarisch überlieferten Selbstanalysen sprach er u.a. davon, dass die wissenschaftliche Selbstachtung nur ein Hohn auf die wirkliche sei und er den beneiden müsse, der zuversichtlich sei und einen echten Glauben an Sieg und eine Liebe zum Leben besäße (Gross 2000: 177).
   
   
Der große Traum von Otto Gross war es, bis zum 45. Lebensjahr zu leben und dann zugrundezugehen, am liebsten bei einem anarchistischen Attentat. Angeblich soll er sogar mit dem Gedanken gespielt haben, ganz Wien in die Luft gehen zu lassen (Heuer 2003: 114).
Der große Traum von Otto Gross war es, bis zum 45. Lebensjahr zu leben und dann zugrundezugehen, am liebsten bei einem anarchistischen Attentat. Angeblich soll er sogar mit dem Gedanken gespielt haben, ganz Wien in die Luft gehen zu lassen (Heuer 2003: 114).
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=== Kongressbände ===
=== Kongressbände ===


*1. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Berlin 1999). Hrsgg. von R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2000 ISBN 3931614905  
*1. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Berlin 1999). Hrsgg. von R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2000 ISBN 3931614905
*2. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2000). Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2002 ISBN 3936134014  
*2. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2000). Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2002 ISBN 3936134014
*3. Internationaler Otto-Gross-Kongress (München 2002). Bohème, Psychoanalyse & Revolution. Hrsgg. vpm R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2003 ISBN 3936134065  
*3. Internationaler Otto-Gross-Kongress (München 2002). Bohème, Psychoanalyse & Revolution. Hrsgg. vpm R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2003 ISBN 3936134065
*4. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Graz 2004). Die Gesetze des Vaters. Hrsgg. von A. Götz von Olenhusen und G. Heuer. Marburg 2005 ISBN 3-936134-08-1  
*4. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Graz 2004). Die Gesetze des Vaters. Hrsgg. von A. Götz von Olenhusen und G. Heuer. Marburg 2005 ISBN 3-936134-08-1
*5. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2005). Utopie & Eros—Der Traum von der Moderne. Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2006 ISBN 3936134189  
*5. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2005). Utopie & Eros—Der Traum von der Moderne. Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2006 ISBN 3936134189
*6. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Wien 2006). „… da liegt der riesige Schatten Freuds nicht mehr auf meinem Weg.“ Die Rebellion des Otto Gross. Hrsgg. von R. Dehmlow, R. Rother und A. Springer. Marburg 2008 ISBN 978-3936134216  
*6. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Wien 2006). „… da liegt der riesige Schatten Freuds nicht mehr auf meinem Weg.“ Die Rebellion des Otto Gross. Hrsgg. von R. Dehmlow, R. Rother und A. Springer. Marburg 2008 ISBN 978-3936134216


=== Weitere Literatur ===
=== Weitere Literatur ===
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*[http://www.lsr-projekt.de/gross.html Bernd A. Laska: Otto Gross zwischen Max Stirner und Wilhelm Reich. Aus: Raimund Dehmlow & Gottfried Heuer, Hg.: 3. Internationaler Otto-Gross-Kongress, Ludwig-Maximilians-Universität, München. ISBN 3-936134-06-5]
*[http://www.lsr-projekt.de/gross.html Bernd A. Laska: Otto Gross zwischen Max Stirner und Wilhelm Reich. Aus: Raimund Dehmlow & Gottfried Heuer, Hg.: 3. Internationaler Otto-Gross-Kongress, Ludwig-Maximilians-Universität, München. ISBN 3-936134-06-5]
*[http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/Lebensreform/16 Gottfried Heuer: Otto Gross, Biographischer und theoretischer Überblick]
*[http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/Lebensreform/16 Gottfried Heuer: Otto Gross, Biographischer und theoretischer Überblick]
 
[[Kategorie:Mediziner (20. Jahrhundert)]]
[[Kategorie:Psychoanalytiker]]
[[Kategorie:Person des Anarchismus]]
[[Kategorie:Österreicher]]
[[Kategorie:Österreicher]]
[[Kategorie:Mann]]
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[[Kategorie:Kriminologe]]
[[Kategorie:Geboren 1877]]
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[[Kategorie:Gestorben 1920]]
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