New York: Unterschied zwischen den Versionen

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(2) Die zweifache Veränderung des Drogenhandels, nämlich die Stabilisierung des Crackhandels in den Armenvierteln durch Oligopolbildung einerseits und der Bedeutungsverlust von Crack zugunsten von Cannabis im illegalen Drogenmarkt andererseits, erklärt ebenfalls einen nicht unerheblichen Teil des Gewaltrückgangs (30%?)
(2) Die zweifache Veränderung des Drogenhandels, nämlich die Stabilisierung des Crackhandels in den Armenvierteln durch Oligopolbildung einerseits und der Bedeutungsverlust von Crack zugunsten von Cannabis im illegalen Drogenmarkt andererseits, erklärt ebenfalls einen nicht unerheblichen Teil des Gewaltrückgangs (30%?)
(3) Der demographische Wandel und die Verringerung der am ehesten zu Gewalt neigenden Altersgruppe der 18-24-Jährigen "ist allein für mindestens ein Zehntel des Rückgangs der Angriffe auf Personen in diesem Zeitraum verantwortlich"
 
(4)  Falle New Yorks, die makabre Statistik der außer Gefecht gesetzten po-tentiellen Kriminellen, entweder durch die Aids-Pandemie unter den Heroinkonsumenten (19.000 Todesfälle zwischen 1987 und 1997), eine Überdosis an Drogen (14.000 Todes-fälle), Ermordung durch ihre Gangsterkollegen (4.150) oder dadurch, dass sie hinter Gitter gebracht oder aus dem Land gejagt wurden (5.250), das ergibt eine Zahl von etwa 43.000 im Laufe eines Jahrzehnts eliminierten „Unruhestiftern“, gleich hoch wie die Zahl der aus der Stadt kommenden Häftlinge, die jedes Jahr in die Zuchthäuser im Norden des Staates gebracht werden, um dort ihre Strafe zu verbüßen (Karmen 2001: 242f). Dieser rezessive Effekt des Rückgangs der jungen und kriminellen Bevölkerungsschicht wurde obendrein noch verstärkt durch den starken Anstieg der Immigration, insbesondere von Frauen aus Ländern wie der Dominikanischen Republik, China und Russland. Immigranten aus diesen Ländern, die in den 1990er Jahren nach New York kamen, verfügten über „ethnische Ni-schen“, die ihre Integrierung in die lokale Ökonomie erleichterten, so dass sie durch ihre Handelsaktivitäten und ihren Konsum den im Abstieg begriffenen Zonen am Rande der großen Schwarzenghettos neuen Elan gegeben haben, wodurch deren Bewohner, „den öf-fentlichen Raum zurückerobern und die kriminellen Aktivitäten im Freien unterbinden konnten […]. Diese bei weitem unvorhergesehene Erfahrung des Multikulturalismus, die Menschen aus 121 Nationen dazu bringt, miteinander zu leben, scheint sehr gut funktioniert zu haben, in dem Sinne, dass sie den Anstieg der Verbrechensrate gebremst und sogar dazu beigetragen hat, den Prozeß umzukehren.“ (Karmen 2001: 225)
(3) Der zahlenmäßige Rückgang der jungen und kriminellen Bevölkerungsschichten "ist allein für mindestens ein Zehntel des Rückgangs der Angriffe auf Personen in diesem Zeitraum verantwortlich." Zu denken ist an Rückgang der am ehesten zu Kriminalität neigenden Gruppe der 18-24-Jährigen und an die Statistik der außer Gefecht gesetzten "Unruhestifter": 19.000 Aids-Tote unter Heroinkonsumenten zwischen 1987 und 1997; 14.000 Überdosis-Todesfälle, 4.150 Mordopfer durch Gangsterkollegen, Rückgang um 5.250 durch Einsperrung oder Ausweisung; summa summarum ca. 43.000 im Laufe eines Jahrzehnts eliminierte „Unruhestifter“ - eine Zahl, die genau so hoch ist wie die Zahl der aus der Stadt kommenden Häftlinge, die zur Strafverbüßung jedes Jahr in die Zuchthäuser im Norden des Staates gebracht werden.
Aber es gibt nicht nur ökonomische und demographische Ursachen, und man muß un-ter den Kräften, die das Verbrechen in den Vereinigten Staaten beschnitten haben, auch einen Lerneffekt mitberücksichtigen, der von den Kriminologen „Syndrom des kleinen Bruders“ genannt wird, aufgrund dessen die nach 1975-1980 geborene neue Generation von Jugendlichen sich von den harten Drogen und dem damit assoziierten gefährlichen Lebens-stil abgewandt hat, um nicht dem gleichen makabren Schicksal zu verfallen, das ihre großen Brüder, Cousins und Freunde ereilt hatte, die an der Front des „Straßenkriegs“ am Ende der 1980er Jahre gefallen waren: unkontrollierbare Drogenabhängigkeit, Freiheitsentzug, ge-waltsamer und verfrühter Tod (Curtis 1998; Johnson et al. 2000). Dies beweisen die von den Gangs, die die marginalisierten Territorien von Los Angeles, Chicago, Detroit und Boston kontrollieren, zu Beginn der 1990er Jahre unterschriebenen „Waffenstillstands- und Friedensverträge“, die die Zahl der Ermordungen von jungen und armen Männern stark reduziert haben. Die in den marginalisierten Zonen der amerikanischen Städte ansässigen Organisationen – Kirchen, Schulen, verschiedene Vereinigungen, Stadtviertelclubs, Kol-lektive von Müttern, deren Kinder auf der Straße ermordet wurden, wie die MAD (Mothers Against Drugs) in Chicago und Mothers ROC (Mothers Reclaiming Our Children) in Los Angeles (Pattillo 1998; Wilson und Gilmore 1999) – haben sich ihrerseits mobilisiert und überall, wo sie dies noch konnten, ihre Fähigkeit der informellen sozialen Kontrolle akti-viert. Ihre Sensibilierungs- und Präventionskampagnen, wie die vom Grand Council of Guardians, der Vereinigung der farbigen Polizisten New Yorks, organisierte Operation „Take Back Our Community“, haben die Rückzugsbewegung der Jugendlichen aus der räuberischen Straßenökonomie begleitet und verstärkt. Im übrigen möchten wir mit Benja-min Bowling (1999) betonen, dass mit der Verbesserung der Wirtschaft die kollektiven Initiativen der Bewohner der armen Viertel im herrschenden Diskurs über den Rückgang der Kriminalität in den Vereinigten Staaten völlig verschleiert und sogar durch Rudolph Giuliani und William Bratton heftig herabgesetzt wurden.
 
Und schließlich waren die von den Vereinigten Staaten zu Beginn der 1990er Jahre ausgewiesenen Raten krimineller Gewalt unnormal hoch und hatten daher alle Chancen, aufgrund des statistischen Gesetzes der Regression zum Durchschnitt hin nach unten zu gehen, wenn es stimmt, dass die Kombination der Faktoren, die diese außerhalb der Norm hochschnellen ließ (wie der anfängliche Aufschwung des Crackhandels), nicht andauern konnte. Der Historiker Eric Monkkonen (2001) konnte zeigen, dass die Phase von 1975-1990 atypisch war, was die Tendenz zur Gewaltkriminalität in New York betrifft, indem er sie im zeitlichen Ablauf des 20. Jahrhunderts situierte: Zwischen 1900 und 1960 lag die Mordrate der symbolischen Hauptstadt Amerikas unter dem nationalen Durchschnitt; nach den Rassenunruhen der 1960er Jahre stieg sie auf das Dreifache der nationalen Rate infolge der rasanten Entwicklung des durch bewaffnete Konfrontationen regulierten Drogenhan-dels; ihr rascher Rückgang in den 1990er Jahren hat sie lediglich auf die Höhe des nationa-len Durchschnitts zurückfallen lassen, auf ein Niveau, auf dem sie bereits ein Vierteljahr-hundert früher situiert war.
(4) Anstieg des Bevölkerungsanteils von gut integrierten Frauen durch Immigration aus der Dominikanischen Republik, aus China und Russland etc., die über ethnische Nischen und Integrationsmöglichkeiten verfügen und "den öffentlichen Raum zurückerobern und die kriminellen Aktivitäten im Freien unterbinden"
(5) Lerneffekte im Sinne des „Syndroms des kleinen Bruders“, "aufgrund dessen die nach 1975-1980 geborene neue Generation von Jugendlichen sich von den harten Drogen und dem damit assoziierten gefährlichen Lebensstil abgewandt hat, um nicht dem gleichen makabren Schicksal zu verfallen, das ihre großen Brüder, Cousins und Freunde ereilt hatte, die an der Front des „Straßenkriegs“ am Ende der 1980er Jahre gefallen waren: unkontrollierbare Drogenabhängigkeit, Freiheitsentzug, gewaltsamer und verfrühter Tod". Die Mobilisierung von Bürgerinitiativen gegen Drogen, ihre Sensibilierungs- und Präventionskampagnen haben die Rückzugsbewegung der Jugendlichen aus der räuberischen Straßenökonomie begleitet und verstärkt.
 
(6) Schließlich waren die von den Vereinigten Staaten zu Beginn der 1990er Jahre ausgewiesenen Raten krimineller Gewalt unnormal hoch und hatten daher alle Chancen, aufgrund des statistischen Gesetzes der Regression zum Durchschnitt hin nach unten zu gehen, wenn es stimmt, dass die Kombination der Faktoren, die diese außerhalb der Norm hochschnellen ließ (wie der anfängliche Aufschwung des Crackhandels), nicht andauern konnte. Der Historiker Eric Monkkonen (2001) konnte zeigen, dass die Phase von 1975-1990 atypisch war, was die Tendenz zur Gewaltkriminalität in New York betrifft, indem er sie im zeitlichen Ablauf des 20. Jahrhunderts situierte: Zwischen 1900 und 1960 lag die Mordrate der symbolischen Hauptstadt Amerikas unter dem nationalen Durchschnitt; nach den Rassenunruhen der 1960er Jahre stieg sie auf das Dreifache der nationalen Rate infolge der rasanten Entwicklung des durch bewaffnete Konfrontationen regulierten Drogenhan-dels; ihr rascher Rückgang in den 1990er Jahren hat sie lediglich auf die Höhe des nationalen Durchschnitts zurückfallen lassen, auf ein Niveau, auf dem sie bereits ein Vierteljahrhundert früher situiert war.
 
 
Die Verbindung dieser sechs Faktoren genügt bei weitem, um den Rückgang der Ge-waltkriminalität in den Vereinigten Staaten zu erklären. Aber die lange, langsame Zeit der wissenschaftlichen Analyse ist nicht die schnelle, abgehackte Zeit der Politik und der Me-dien, und der Propagandaapparat Giulianis hat es verstanden, die unvermeidliche zeitliche Verzögerung der kriminologischen Untersuchung für sich zu nutzen, um mit ihrem vorge-fertigten Diskurs über die Effizienz der polizeilichen Repression, die als alleiniges Mittel gegen die angeborene Nachlässigkeit der gefährlichen Klassen wieder zu Ehren kam, die Erklärungslücke auszufüllen.
Die Verbindung dieser sechs Faktoren genügt bei weitem, um den Rückgang der Ge-waltkriminalität in den Vereinigten Staaten zu erklären. Aber die lange, langsame Zeit der wissenschaftlichen Analyse ist nicht die schnelle, abgehackte Zeit der Politik und der Me-dien, und der Propagandaapparat Giulianis hat es verstanden, die unvermeidliche zeitliche Verzögerung der kriminologischen Untersuchung für sich zu nutzen, um mit ihrem vorge-fertigten Diskurs über die Effizienz der polizeilichen Repression, die als alleiniges Mittel gegen die angeborene Nachlässigkeit der gefährlichen Klassen wieder zu Ehren kam, die Erklärungslücke auszufüllen.


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