Mord (Version 2): Unterschied zwischen den Versionen

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Was den Mord angeht, so kann man sich als Grundregel merken: nur Menschen können morden. Erdbeben und Überschwemmungen können vieltausendfach pflanzliches, tierisches und menschliches Leben vernichten, aber nicht ermorden. Katzen bringen Vögel und Mäuse um, aber sie ermorden sie nicht. Jemanden ermorden zu können, ist sozusagen ein Monopol - ein negatives Privileg - einer einzigen, nämlich unserer eigenen Spezies: das Subjekt des Mordens ist der Mensch. Das heißt nicht, dass Menschen immer morden, wenn sie töten. Der Mensch tötet weitaus mehr, als dass er mordet: er tötet pflanzliches Leben schon beim Unkrautjäten im Balkonkasten und er tötet tierisches Leben schon bei der Bekämpfung von Mücken, Motten und Silberfischen. Dass er das zielgerichtet, planvoll und mit voller Absicht tut, macht aus dem Töten noch keinen Mord. Das gilt auch für die Tötung von jährlich 25 Millionen Tieren für die Pelzindustrie, von mehreren Milliarden Hühnern und rund 360 Millionen Schweinen, Schafen, Ziegen und Rindern für die Fleischerzeugung allein in der Europäischen Union (European Commission 2008). Denn nicht alles, was lebt, kommt als Objekt eines Mordes in Frage. Es muss schon "jemand" sein. Mit anderen Worten: jeder Mord erfordert mindestens einen Menschen als Subjekt und mindestens einen Menschen als Objekt einer Tötung.
Was den Mord angeht, so kann man sich als Grundregel merken: nur Menschen können morden. Erdbeben und Überschwemmungen können vieltausendfach pflanzliches, tierisches und menschliches Leben vernichten, aber nicht ermorden. Katzen bringen Vögel und Mäuse um, aber sie ermorden sie nicht. Jemanden ermorden zu können, ist sozusagen ein Monopol - ein negatives Privileg - einer einzigen, nämlich unserer eigenen Spezies: das Subjekt des Mordens ist der Mensch. Das heißt nicht, dass Menschen immer morden, wenn sie töten. Der Mensch tötet weitaus mehr, als dass er mordet: er tötet pflanzliches Leben schon beim Unkrautjäten im Balkonkasten und er tötet tierisches Leben schon bei der Bekämpfung von Mücken, Motten und Silberfischen. Dass er das zielgerichtet, planvoll und mit voller Absicht tut, macht aus dem Töten noch keinen Mord. Das gilt auch für die Tötung von jährlich 25 Millionen Tieren für die Pelzindustrie, von mehreren Milliarden Hühnern und rund 360 Millionen Schweinen, Schafen, Ziegen und Rindern für die Fleischerzeugung allein in der Europäischen Union (European Commission 2008). Denn nicht alles, was lebt, kommt als Objekt eines Mordes in Frage. Es muss schon "jemand" sein. Mit anderen Worten: jeder Mord erfordert mindestens einen Menschen als Subjekt und mindestens einen Menschen als Objekt einer Tötung.


Es gibt (seltene) Ausnahmen von dieser Regel. Man denke an Mordprozesse gegen Tiere oder an den Diskurs über Folter und Mord an Menschenaffen (Fischer 2005, Cavalieri & Singer 1994). Diese Ausnahmen zeigen zweierlei. Erstens, dass der Mord als soziale Tatsache nicht durch das Mensch-Sein von Täter und Opfer definiert ist, sondern letztlich nur durch die außerordentliche Verwerflichkeit, die einer Tötung zugeschrieben wird; die Menschen-Eigenschaft von Täter (= schuldfähiges Subjekt) und Opfer (= verbotenes Objekt der Tötung) gilt normalerweise als Voraussetzung dafür, eine Tötung als besonders empörend zu qualifizieren, doch können ausnahmsweise eben auch Tier-Mensch- oder Mensch-Tier-Tötungen ebenso starke Reaktionen auslösen wie kaltblütige Tötungen unter Menschen. Zweitens belegt die zunehmende Plausibilität der Ansicht, dass auch Tiere - und insbesondere die sog. Menschenaffen - Opfer von Folter und Mord sein können, die weitere Selbstrelativierung des Menschen im historischen Prozess und die daraus folgende allgemeine "Tendenz zur Inklusion" (Hess 2011).
Es gibt (seltene) Ausnahmen von dieser Regel. Man denke an Mordprozesse gegen Tiere oder an den Diskurs über Folter und Mord an Menschenaffen (Fischer 2005, Cavalieri & Singer 1994). Diese Ausnahmen zeigen zweierlei. Erstens, dass der Mord als soziale Tatsache nicht durch das Mensch-Sein von Täter und Opfer definiert ist, sondern letztlich nur durch die außerordentliche Verwerflichkeit, die einer Tötung zugeschrieben wird; die Menschen-Eigenschaft von Täter (= schuldfähiges Subjekt) und Opfer (= verbotenes Objekt der Tötung) gilt normalerweise als Voraussetzung dafür, eine Tötung als besonders empörend zu qualifizieren, doch können ausnahmsweise eben auch Tier-Mensch- oder Mensch-Tier-Tötungen ebenso starke Reaktionen auslösen wie kaltblütige Tötungen unter Menschen. Zweitens belegt die zunehmende Plausibilität der Ansicht, dass auch Tiere - und insbesondere die sog. Menschenaffen - Opfer von Folter und Mord sein können, die weitere Selbstrelativierung des Menschen im historischen Prozess und die damit zusammenhängende allgemeinere "Tendenz zur Inklusion" (Hess 2011).
   
   
Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  
Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  


Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern sich zu einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen entschloss. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es in § 211 des Strafgesetzbuchs formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Aus der nationalsozialistischen Formulierung "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" wurde inzwischen: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Das deutsche Strafrecht weist dem Mord also eine dreifache Sonderstellung zu: erstens durch die Rede vom "Mörder" inmitten eines sonst nur Handlungen beschreibenden Tatstrafrechts, zweitens durch die Abweichung von der durchgängigen Praxis des Gesetzgebers, keine Punktstrafe vorzuschreiben, sondern einen gerichtlich auszufüllenden Strafrahmen anzugeben und drittens durch die Ausnahmevorschrift (seit 1979), dass Mord - anders als alle anderen Straftaten - keiner Verjährung unterliegt.
Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern eine typisierende Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen vornahm. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es in § 211 des Strafgesetzbuchs formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Aus der nationalsozialistischen Formulierung "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" wurde inzwischen: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Das deutsche Strafrecht weist dem Mord also eine dreifache Sonderstellung zu: erstens durch die Rede vom "Mörder" inmitten eines sonst nur Handlungen beschreibenden Tatstrafrechts, zweitens durch die Abweichung von der durchgängigen Praxis des Gesetzgebers, keine Punktstrafe vorzuschreiben, sondern einen gerichtlich auszufüllenden Strafrahmen anzugeben und drittens durch die Ausnahmevorschrift (seit 1979), dass Mord - anders als alle anderen Straftaten - keiner Verjährung unterliegt.


Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen. Das ist insofern unglücklich, als man die Abgrenzungsfragen nur verlagert - und sich vor allem aber die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit von vornherein verbaut.
Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen. Das ist insofern unglücklich, als man die Abgrenzungsfragen nur verlagert - und sich vor allem aber die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit von vornherein verbaut.
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