Mord (Version 2): Unterschied zwischen den Versionen

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Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern sich zu einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen entschloss. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es in § 211 des Strafgesetzbuchs formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Aus der nationalsozialistischen Formulierung "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" wurde inzwischen: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Das deutsche Strafrecht weist dem Mord also eine dreifache Sonderstellung zu: erstens durch die Rede vom "Mörder" inmitten eines sonst nur Handlungen beschreibenden Tatstrafrechts, zweitens durch die Abweichung von der durchgängigen Praxis des Gesetzgebers, keine Punktstrafe vorzuschreiben, sondern einen gerichtlich auszufüllenden Strafrahmen anzugeben und drittens durch die Ausnahmevorschrift (seit 1979), dass Mord - anders als alle anderen Straftaten - keiner Verjährung unterliegt.
Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern sich zu einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen entschloss. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es in § 211 des Strafgesetzbuchs formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Aus der nationalsozialistischen Formulierung "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" wurde inzwischen: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Das deutsche Strafrecht weist dem Mord also eine dreifache Sonderstellung zu: erstens durch die Rede vom "Mörder" inmitten eines sonst nur Handlungen beschreibenden Tatstrafrechts, zweitens durch die Abweichung von der durchgängigen Praxis des Gesetzgebers, keine Punktstrafe vorzuschreiben, sondern einen gerichtlich auszufüllenden Strafrahmen anzugeben und drittens durch die Ausnahmevorschrift (seit 1979), dass Mord - anders als alle anderen Straftaten - keiner Verjährung unterliegt.
Die symbolisch also gleich mehrfach gesicherte Exzeptionalität des Mordes gegenüber allen anderen Tötungen und Tötungsdelikten dient der Markierung der moralischen Grenzen zur Abschreckung potentieller Täter ebenso wie zur Beruhigung der rechtstreuen Bevölkerung. Zwar erfolgt die Bestrafung des Mordes in der Praxis nicht schon immer dann quasi automatisch, wenn der Täter bekannt ist und seine Tat die Merkmale des Mordes erfüllt, weil letztlich jeder Schritt der Ermittlung, der Subsumtion und des Prozesses in unterschiedlichem Ausmaß mit Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen zusammenhängt und es durchaus vorkommen kann, dass eine Tötungshandlung, die nach dem Buchstaben des Gesetzes als Mord zu qualifizieren wäre, durch die Machtkonstellation erfolgreich umetikettiert und als fahrlässige Tötung, wenn nicht als Unfall, bzw. Tod durch Krankheit oder Altersschwäche dargestellt werden kann. Ist allerdings eine Tötung erst einmal verbindlich als Mord qualifiziert und die Tat einem Individuum zugeordnet, dann ist die damit verbundene Statusdegradierung kaum je wieder reparierbar - und der Staat hat seine Entschlossenheit zur Verteidigung der moralischen Grenzen des Gemeinwesens unter Beweis gestellt.


Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen. Das ist insofern unglücklich, als man die Abgrenzungsfragen nur verlagert - und sich vor allem aber die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit von vornherein verbaut.
Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen. Das ist insofern unglücklich, als man die Abgrenzungsfragen nur verlagert - und sich vor allem aber die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit von vornherein verbaut.
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