Mord (Version 2): Unterschied zwischen den Versionen

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Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  
Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  


Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern sich zu einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen entschloss. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Die semantische Absonderung geht einher mit einer speziellen Sanktionsandrohung. In Deutschland erfolgt das dadurch, dass das Gesetz (völlig untypischerweise) bei Vorliegen eines Mordes die lebenslange Freiheitsstrafe als einzig mögliche Strafe zwingend vorschreibt. Der heutige Gesetzeswortlaut "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft" gilt erst seit 1969 und geht über den seit 1953 geltenden Zwischenschritt "Der Mörder wird mit lebenslangem Zuchthaus bestraft" bis auf die 1941 eingeführte Formulierung zurück: "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft." Zusätzlich kommt seit 1979 als symbolische Abgrenzung auch im Verhältnis zum Totschlag hinzu, dass Mord nicht mehr verjähren kann.
Die westliche Tradition ordnet grundsätzlich all jene Tötungen der Kategorie des Mordes (oder seiner begrifflichen Äquivalente) zu, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens mit Vorbedacht (im griechischen Altertum: ''ek pronoia'') und Planung (''bouleusis'') begangen wurden. Das deutsche Recht schlug 1941 einen bis heute nicht verlassenen Sonderweg ein, indem es die Abgrenzung nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornahm, sondern sich zu einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen entschloss. Seither beschreibt das Gesetz auch nicht mehr die Tat des Mordes, sondern den Täter, indem es in § 211 des Strafgesetzbuchs formuliert: "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Aus der nationalsozialistischen Formulierung "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" wurde inzwischen: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Das deutsche Strafrecht weist dem Mord also eine dreifache Sonderstellung zu: erstens durch die Rede vom "Mörder" inmitten eines sonst nur Handlungen beschreibenden Tatstrafrechts, zweitens durch die Abweichung von der durchgängigen Praxis des Gesetzgebers, keine Punktstrafe vorzuschreiben, sondern einen gerichtlich auszufüllenden Strafrahmen anzugeben und drittens durch die Ausnahmevorschrift (seit 1979), dass Mord - anders als alle anderen Straftaten - keiner Verjährung unterliegt.


Die symbolisch also gleich mehrfach gesicherte Exzeptionalität des Mordes gegenüber allen anderen Tötungen und Tötungsdelikten dient der Markierung der moralischen Grenzen zur Abschreckung potentieller Täter ebenso wie zur Beruhigung der rechtstreuen Bevölkerung. Zwar erfolgt die Bestrafung des Mordes in der Praxis nicht schon immer dann quasi automatisch, wenn der Täter bekannt ist und seine Tat die Merkmale des Mordes erfüllt, weil letztlich jeder Schritt der Ermittlung, der Subsumtion und des Prozesses in unterschiedlichem Ausmaß mit Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen zusammenhängt und es durchaus vorkommen kann, dass eine Tötungshandlung, die nach dem Buchstaben des Gesetzes als Mord zu qualifizieren wäre, durch die Machtkonstellation erfolgreich umetikettiert und als fahrlässige Tötung, wenn nicht als Unfall, bzw. Tod durch Krankheit oder Altersschwäche dargestellt werden kann. Ist allerdings eine Tötung erst einmal verbindlich als Mord qualifiziert und die Tat einem Individuum zugeordnet, dann ist die damit verbundene Statusdegradierung kaum je wieder reparierbar - und der Staat hat seine Entschlossenheit zur Verteidigung der moralischen Grenzen des Gemeinwesens unter Beweis gestellt.
Die symbolisch also gleich mehrfach gesicherte Exzeptionalität des Mordes gegenüber allen anderen Tötungen und Tötungsdelikten dient der Markierung der moralischen Grenzen zur Abschreckung potentieller Täter ebenso wie zur Beruhigung der rechtstreuen Bevölkerung. Zwar erfolgt die Bestrafung des Mordes in der Praxis nicht schon immer dann quasi automatisch, wenn der Täter bekannt ist und seine Tat die Merkmale des Mordes erfüllt, weil letztlich jeder Schritt der Ermittlung, der Subsumtion und des Prozesses in unterschiedlichem Ausmaß mit Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen zusammenhängt und es durchaus vorkommen kann, dass eine Tötungshandlung, die nach dem Buchstaben des Gesetzes als Mord zu qualifizieren wäre, durch die Machtkonstellation erfolgreich umetikettiert und als fahrlässige Tötung, wenn nicht als Unfall, bzw. Tod durch Krankheit oder Altersschwäche dargestellt werden kann. Ist allerdings eine Tötung erst einmal verbindlich als Mord qualifiziert und die Tat einem Individuum zugeordnet, dann ist die damit verbundene Statusdegradierung kaum je wieder reparierbar - und der Staat hat seine Entschlossenheit zur Verteidigung der moralischen Grenzen des Gemeinwesens unter Beweis gestellt.
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