Mord (Version 2): Unterschied zwischen den Versionen

Keine Änderung der Größe ,  16:29, 1. Jun. 2012
keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 7: Zeile 7:
Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  
Andererseits ist aber auch nicht jede Tötung eines Menschen durch einen Menschen ein Mord. Man denke an die Einnahme feindlicher Stellungen im Krieg, an die Vollstreckung von Todesstrafen, an die Tötung in Notwehr oder an den tödlichen Schuss auf einen Bankräuber zur Rettung von Geiseln. Man denke an fahrlässige Tötungen, an die Tötung auf Verlangen, an Abtreibungen oder Taten im Affekt. Man denke schließlich an vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhaft begangene Tötungen, die vom Gesetz und von den Gerichten wie auch von der öffentlichen Meinung als Totschlags- und nicht als Mord-Fälle angesehen werden. Die Funktion der Kategorie des Mordes besteht darin, eine Grenze zu ziehen zwischen den Tötungen, die der Mensch an Artgenossen vornimmt, und die noch irgendwie als innerhalb der Gesellschaft angesehen werden (können und sollen) - und jenen, die von einer Grausamkeit und Gefährlichkeit sind, die ganz fundamentale Fragen der Existenz und des Wesens des Menschen, Gottes und des Bösen aufwerfen ("Wie kann ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage sein? Was muss das für ein Gott sein, der so etwas zulässt?"). Welche Eigenschaften eine Tat aufweisen muss, um der Extremkategorie dieser besonders verabscheuungswürdigen und kaum oder gar nicht nachvollziehbaren Mord-Taten zugeordnet zu werden, wird von jeder Epoche und jeder Rechtskultur anders beantwortet: was sie aber alle zu einen scheint ist die Überzeugung, dass die Existenz einer solchen Kategorie zur Benennung des Aller-Abscheulichsten, was der Mensch dem Menschen antun kann, in der Sprache und in der Verknüpfung solcher Fälle mit besonderen Rechtsfolgen einen klaren Ausdruck finden muss.  


Die soziale Bewertung reicht von schärfster Verurteilung bis zu höchster Anerkennung. Das Grundmuster, dem die Verteilung von Ächtung und Achtung folgt, sieht folgendermaßen aus. Das Töten von Nicht-Menschen gilt grundsätzlich als moralisch neutral. Das Töten von Artgenossen wird grundsätzlich dann als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt, wenn die Handlung aus (egoistischen) Motiven zum privaten Vorteil erfolgt. Demgegenüber wird das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb des betreffenden Gemeinwesens grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich bewertet. Tötungen können den Status einer Person also beschädigen (Bestrafung, Verachtung), sie können ihn aber auch unberührt lassen (Indifferenz bei Notwehr oder bei der Tötung von Tieren) oder erhöhen (Orden, Ehrenzeichen, Denkmäler).
Die schiere Bandbreite sozialer Werturteile birgt ein gewisses Potential an Wertungswidersprüchen und -konflikten, deren Aufbrechen und Ausufern nicht nur den ethischen, sondern auch den politisch-ideologischen und damit den machtmäßigen Status Quo der Gesellschaft gefährden könnte. Diesem Risiko begegnet in gewisser Weise die Trennung zwischen privater und politischer Moral. Nach dem Prinzip ''Quod licet Iovi non licet bovi'' kann dann zwar der Staat das Töten verlangen und belohnen, doch gilt für Privatpersonen nichtsdestotrotz der Satz: ''Du sollst nicht töten''. Eine Vielzahl von Ausnahmen und feinen Differenzierungen führt dazu, dass das soziale Bewertungskontinuum, das sich zwischen der verwerflichsten und der lobenswertesten Tötung erstreckt, letztlich dann aber doch nicht ganz deckungsgleich ist mit dem Kontinuum vom Privaten zum Öffentlichen: die Tötung aus privater Notwehr gilt zum Beispiel als achtens-, die extralegale Tötung von Zivilpersonen durch staatliche Akteure hingegen eher als ächtenswert.
Vor allem aber gibt es auch innerhalb der Klasse der sozial unerwünschten Tötungshandlungen noch erhebliche moralische Differenzierungen: wo die Tötung fahrlässig oder auf Verlangen des dann Getöteten erfolgte, wird sie generell weniger stark geächtet sein als dort, wo sie als Totschlag im Rahmen eines Eifersuchtsanfalls erfolgt oder gar ganz kaltblütig ein arg- und wehrloses Opfer langsam und qualvoll vom Leben zum Tode befördert. Für Taten vom Stile der letztgenannten Art haben die meisten Gesellschaften mittels besonderer Begriffe und Sanktionen eine von anderen Tötungsdelikten abgesonderte Klasse geschaffen, die als Inbegriff des größten Unrechts und der größten Schuld gilt, die ein Mensch auf sich laden kann. Insofern hat die Bezeichnung einer vorsätzlichen Tötung als Mord eine viel wuchtigere und metaphysisch aufgeladenere Bedeutung als wenn sie als Totschlag bezeichnet würde.


Welche Arten von Tötungen jeweils der Kategorie der höchsten Verwerflichkeit zugeordnet werden, unterscheidet sich nach Epochen, Kulturen und politischen Verhältnissen. Üblicherweise erfolgte (und erfolgt) die Abgrenzung im westlichen Kulturkreis mittels der Merkmale des Vorbedachts (im griechischen Alterum: ''ek pronoia'') und der Planung (''bouleusis'').
Welche Arten von Tötungen jeweils der Kategorie der höchsten Verwerflichkeit zugeordnet werden, unterscheidet sich nach Epochen, Kulturen und politischen Verhältnissen. Üblicherweise erfolgte (und erfolgt) die Abgrenzung im westlichen Kulturkreis mittels der Merkmale des Vorbedachts (im griechischen Alterum: ''ek pronoia'') und der Planung (''bouleusis'').
Zeile 87: Zeile 82:


== Mord als Konformität ==
== Mord als Konformität ==
Die soziale Bewertung reicht von schärfster Verurteilung bis zu höchster Anerkennung. Das Grundmuster, dem die Verteilung von Ächtung und Achtung folgt, sieht folgendermaßen aus. Das Töten von Nicht-Menschen gilt grundsätzlich als moralisch neutral. Das Töten von Artgenossen wird grundsätzlich dann als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt, wenn die Handlung aus (egoistischen) Motiven zum privaten Vorteil erfolgt. Demgegenüber wird das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb des betreffenden Gemeinwesens grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich bewertet. Tötungen können den Status einer Person also beschädigen (Bestrafung, Verachtung), sie können ihn aber auch unberührt lassen (Indifferenz bei Notwehr oder bei der Tötung von Tieren) oder erhöhen (Orden, Ehrenzeichen, Denkmäler).
Die schiere Bandbreite sozialer Werturteile birgt ein gewisses Potential an Wertungswidersprüchen und -konflikten, deren Aufbrechen und Ausufern nicht nur den ethischen, sondern auch den politisch-ideologischen und damit den machtmäßigen Status Quo der Gesellschaft gefährden könnte. Diesem Risiko begegnet in gewisser Weise die Trennung zwischen privater und politischer Moral. Nach dem Prinzip ''Quod licet Iovi non licet bovi'' kann dann zwar der Staat das Töten verlangen und belohnen, doch gilt für Privatpersonen nichtsdestotrotz der Satz: ''Du sollst nicht töten''. Eine Vielzahl von Ausnahmen und feinen Differenzierungen führt dazu, dass das soziale Bewertungskontinuum, das sich zwischen der verwerflichsten und der lobenswertesten Tötung erstreckt, letztlich dann aber doch nicht ganz deckungsgleich ist mit dem Kontinuum vom Privaten zum Öffentlichen: die Tötung aus privater Notwehr gilt zum Beispiel als achtens-, die extralegale Tötung von Zivilpersonen durch staatliche Akteure hingegen eher als ächtenswert.
Vor allem aber gibt es auch innerhalb der Klasse der sozial unerwünschten Tötungshandlungen noch erhebliche moralische Differenzierungen: wo die Tötung fahrlässig oder auf Verlangen des dann Getöteten erfolgte, wird sie generell weniger stark geächtet sein als dort, wo sie als Totschlag im Rahmen eines Eifersuchtsanfalls erfolgt oder gar ganz kaltblütig ein arg- und wehrloses Opfer langsam und qualvoll vom Leben zum Tode befördert. Für Taten vom Stile der letztgenannten Art haben die meisten Gesellschaften mittels besonderer Begriffe und Sanktionen eine von anderen Tötungsdelikten abgesonderte Klasse geschaffen, die als Inbegriff des größten Unrechts und der größten Schuld gilt, die ein Mensch auf sich laden kann. Insofern hat die Bezeichnung einer vorsätzlichen Tötung als Mord eine viel wuchtigere und metaphysisch aufgeladenere Bedeutung als wenn sie als Totschlag bezeichnet würde.


Während der sozial unangepasste Mörder schon lange die Aufmerksamkeit der Kriminologie erregen konnte, ist die Möglichkeit des Mordes aus Gehorsam gegenüber bestimmten Normen und Werten erst in jüngerer Zeit wissenschaftlich bearbeitet worden. Dabei kommt Mord wohl mindestens ebenso häufig als Verbrechen aus Gehorsamsbereitschaft und damit als Ausdruck von sozialer Konformität vor wie als Ausdruck sozialer Anpassungsschwierigkeiten.
Während der sozial unangepasste Mörder schon lange die Aufmerksamkeit der Kriminologie erregen konnte, ist die Möglichkeit des Mordes aus Gehorsam gegenüber bestimmten Normen und Werten erst in jüngerer Zeit wissenschaftlich bearbeitet worden. Dabei kommt Mord wohl mindestens ebenso häufig als Verbrechen aus Gehorsamsbereitschaft und damit als Ausdruck von sozialer Konformität vor wie als Ausdruck sozialer Anpassungsschwierigkeiten.
31.738

Bearbeitungen