Mord (Version 2): Unterschied zwischen den Versionen

Zeile 3: Zeile 3:
Mord ist eine menschliche Tötungshandlung. Das heißt: der Mord ist ein Monopol - wenn man so will: ein (negatives) Privileg - des Menschen. Zwar können auch Erdbeben, Gewitter und sintflutartige Regenfälle töten, doch was auch immer sie an Fürchterlichem anrichten: die unbelebte Natur tötet, aber sie mordet nicht. Selbst die belebte Natur kennt - bei aller Gewalttätigkeit - keinen Mord. Das Subjekt des Mordens ist der Mensch. Die Katze bringt Vögel und Mäuse um, aber sie ermordet sie nicht. Grundsätzlich gilt: nur Menschen können morden.
Mord ist eine menschliche Tötungshandlung. Das heißt: der Mord ist ein Monopol - wenn man so will: ein (negatives) Privileg - des Menschen. Zwar können auch Erdbeben, Gewitter und sintflutartige Regenfälle töten, doch was auch immer sie an Fürchterlichem anrichten: die unbelebte Natur tötet, aber sie mordet nicht. Selbst die belebte Natur kennt - bei aller Gewalttätigkeit - keinen Mord. Das Subjekt des Mordens ist der Mensch. Die Katze bringt Vögel und Mäuse um, aber sie ermordet sie nicht. Grundsätzlich gilt: nur Menschen können morden.


Allerdings mordet auch der Mensch nicht immer, wenn er tötet. Er tötet häufiger als dass er mordet. Er tötet pflanzliches Leben schon beim Unkrautjäten im Balkonkasten und er tötet tierisches Leben schon bei der Bekämpfung von Motten und Silberfischen. In solchen Fällen tötet der Mensch zwar mit voller Absicht, aber er mordet nicht. Der Mord beginnt fast immer erst dort, wo der Mensch einen anderen Menschen tötet - und es auf eine besondere Art tut.  Grundsätzlich gilt also: der Mord erfordert einen Menschen als Subjekt und einen Menschen als Objekt.  
Allerdings mordet auch der Mensch nicht immer, wenn er tötet. Er tötet häufiger als dass er mordet. Er tötet pflanzliches Leben schon beim Unkrautjäten im Balkonkasten und er tötet tierisches Leben schon bei der Bekämpfung von Mücken, Motten und Silberfischen. In solchen Fällen tötet der Mensch zwar mit voller Absicht, aber er mordet nicht. Der Mord beginnt fast immer erst dort, wo der Mensch einen anderen Menschen tötet - und es auf eine besondere Art tut.  Grundsätzlich gilt also: der Mord erfordert einen Menschen als Subjekt und einen Menschen als Objekt.  


Es sind allerdings Ausnahmen denkbar. Das hat damit zu tun, dass das entscheidende Kriterium, das aus der Tötung einen Mord macht, soziologisch gesehen nicht das Menschliche an Täter und Opfer ist, sondern die besondere Verwerflichkeit, die der Tötung sozial zugeschrieben wird. Regelmäßig ist es zwar die Menschen-Eigenschaft auf der Seite von Täter und Opfer, die diese Verwerflichkeit indiziert (weil ein schuldfähiges Subjekt dann ein nicht zur Tötung freigegebenes Objekt tötet), doch kann es Konstellationen geben, in denen die ''conscience collective'' auch bei Tier-Mensch- oder Mensch-Tier-Tötungen die besondere Verwerflichkeit des Mordes als gegeben ansieht. Man denke an die historischen Tierstrafen und Tierprozesse einerseits (Fischer 2005) und an die zunehmende gesellschaftliche Inklusion von Primaten in den Grundrechtsschutz andererseits (Cavalieri & Singer 1994).       
Es sind allerdings Ausnahmen denkbar. Das hat damit zu tun, dass das entscheidende Kriterium, das aus der Tötung einen Mord macht, soziologisch gesehen nicht das Menschliche an Täter und Opfer ist, sondern die besondere Verwerflichkeit, die der Tötung sozial zugeschrieben wird. Regelmäßig ist es zwar die Menschen-Eigenschaft auf der Seite von Täter und Opfer, die diese Verwerflichkeit indiziert (weil ein schuldfähiges Subjekt dann ein nicht zur Tötung freigegebenes Objekt tötet), doch kann es Konstellationen geben, in denen die ''conscience collective'' auch bei Tier-Mensch- oder Mensch-Tier-Tötungen die besondere Verwerflichkeit des Mordes als gegeben ansieht. Man denke an die historischen Tierstrafen und Tierprozesse einerseits (Fischer 2005) und an die zunehmende gesellschaftliche Inklusion von Primaten in den Grundrechtsschutz andererseits (Cavalieri & Singer 1994).       
Zeile 11: Zeile 11:
Das gilt auch für den "normalen" Totschlag, der zwar vorsätzlich erfolgt, aber doch nicht als so verwerflich angesehen wird wie der ja geradezu durch seine Außergewöhnlichkeit definierte Mord. Von Mord wird nur dann gesprochen, wenn die Tötungshandlung besondere Eigenschaften aufweist, die sie als außerordentlich verwerflich erscheinen lassen. Im Laufe der Geschichte und quer durch alle Gesellschaften gehen die Ansichten darüber zwar auseinander, welche Arten von Tötungshandlungen diese besondere moralische (und rechtliche) Verurteilung verdienen; zugleich erscheint jedoch die Überzeugung durchaus universellen Charakters zu sein, dass es erforderlich sei, eine solche Klasse besonders verwerflicher Tötungen von "normalen" Tötungen abzugrenzen und besonders zu behandeln.
Das gilt auch für den "normalen" Totschlag, der zwar vorsätzlich erfolgt, aber doch nicht als so verwerflich angesehen wird wie der ja geradezu durch seine Außergewöhnlichkeit definierte Mord. Von Mord wird nur dann gesprochen, wenn die Tötungshandlung besondere Eigenschaften aufweist, die sie als außerordentlich verwerflich erscheinen lassen. Im Laufe der Geschichte und quer durch alle Gesellschaften gehen die Ansichten darüber zwar auseinander, welche Arten von Tötungshandlungen diese besondere moralische (und rechtliche) Verurteilung verdienen; zugleich erscheint jedoch die Überzeugung durchaus universellen Charakters zu sein, dass es erforderlich sei, eine solche Klasse besonders verwerflicher Tötungen von "normalen" Tötungen abzugrenzen und besonders zu behandeln.


Man tötet Motten, Mücken, Fliegen, Mäuse und Ratten; man tötet allein innerhalb der Europäischen Union jährlich 25 Millionen Tiere für die Pelzindustrie sowie mehrere Milliarden Hühner und weiteres Geflügel sowie rund 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder für die Fleischerzeugung (European Commission 2008). Darüber hinaus ist der Mensch aber auch biologisch gesehen durchaus "frei, seine Artgenossen zu töten; die instinktive Hemmung dagegen reicht bei ihm nicht aus" (v. Weizsäcker 1979: 85). Als soziale Tatsache ist das Töten - auch das von Artgenossen - in soziologischer Hinsicht normal (Durkheim 1968).
Man tötet allein innerhalb der Europäischen Union jährlich 25 Millionen Tiere für die Pelzindustrie sowie mehrere Milliarden Hühner und weiteres Geflügel sowie rund 360 Millionen Schweine, Schafe, Ziegen und Rinder für die Fleischerzeugung (European Commission 2008). Darüber hinaus ist der Mensch aber auch biologisch gesehen durchaus "frei, seine Artgenossen zu töten; die instinktive Hemmung dagegen reicht bei ihm nicht aus" (v. Weizsäcker 1979: 85). Als soziale Tatsache ist das Töten - auch das von Artgenossen - in soziologischer Hinsicht normal (Durkheim 1968).


Die soziale Bewertung reicht von schärfster Verurteilung bis zu höchster Anerkennung. Das Grundmuster, dem die Verteilung von Ächtung und Achtung folgt, sieht folgendermaßen aus. Das Töten von Nicht-Menschen gilt grundsätzlich als moralisch neutral. Das Töten von Artgenossen wird grundsätzlich dann als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt, wenn die Handlung aus (egoistischen) Motiven zum privaten Vorteil erfolgt. Demgegenüber wird das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb des betreffenden Gemeinwesens grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich bewertet. Tötungen können den Status einer Person also beschädigen (Bestrafung, Verachtung), sie können ihn aber auch unberührt lassen (Indifferenz bei Notwehr oder bei der Tötung von Tieren) oder erhöhen (Orden, Ehrenzeichen, Denkmäler).
Die soziale Bewertung reicht von schärfster Verurteilung bis zu höchster Anerkennung. Das Grundmuster, dem die Verteilung von Ächtung und Achtung folgt, sieht folgendermaßen aus. Das Töten von Nicht-Menschen gilt grundsätzlich als moralisch neutral. Das Töten von Artgenossen wird grundsätzlich dann als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt, wenn die Handlung aus (egoistischen) Motiven zum privaten Vorteil erfolgt. Demgegenüber wird das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb des betreffenden Gemeinwesens grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich bewertet. Tötungen können den Status einer Person also beschädigen (Bestrafung, Verachtung), sie können ihn aber auch unberührt lassen (Indifferenz bei Notwehr oder bei der Tötung von Tieren) oder erhöhen (Orden, Ehrenzeichen, Denkmäler).
31.738

Bearbeitungen