Mord (Version 1)

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Der Mord im Zusammenhang des Tötens

Anthropologisch gesehen ist der Mensch bedauerlicherweise "frei, seine Artgenossen zu töten; die instinktive Hemmung dagegen reicht bei ihm nicht aus" (v. Weizsäcker 1979: 85). Tötungshandlungen gehören darüber hinaus nicht nur zu dem, was dem Menschen möglich ist, sondern sind zudem aus soziologischer Sicht "normal" (vgl. Durkheim 1968), auch wenn sie sozial höchst unterschiedlichen Bewertungen unterliegen. Diese Bewertungen reichen je nach Taten, Tätern und Beobachterstandpunkten von höchstem Lob bis zu schärfster Verurteilung. Das heißt nicht, dass sie willkürlich mal diese und mal jene Handlungen betreffen, denn es lassen sich durchaus erklärbare Grundmuster der Bewertung feststellen. Während nämlich einerseits das (egoistische) Töten zum privaten Vorteil in fast allen Gesellschaften als Gefahr für die Allgemeinheit wahrgenommen und dementsprechend missbilligt wird, gilt das (altruistische) Töten zur Abwehr von Bedrohungen des Gemeinwesens innerhalb dieser sozialen Einheit grundsätzlich als notwendig und gerechtfertigt, wenn nicht lobenswert und vorbildlich. Im letztgenannten Fall ist es nicht unüblich, den entsprechenden Personen mittels Orden, Ehrenzeichen, Denkmälern usw. einen besonders hohen Status zuzuweisen.

Die schiere Bandbreite sozialer Werturteile birgt ein gewisses Potential an Wertungswidersprüchen und -konflikten, deren Aufbrechen und Ausufern nicht im Interesse der jeweiligen sozialen Ordnung liegt. Die Interessenten an deren Aufrechterhaltung begegnen diesem Risiko präventiv mittels einer Trennung zwischen Privatmoral und öffentlicher Politik. Nach dem Prinzip Quod licet Iovi non licet bovi kann dann zwar der Staat das Töten verlangen und belohnen, doch gilt für Privatpersonen nichtsdestotrotz der Satz: Du sollst nicht töten.

Eine Vielzahl von Ausnahmen und feinen Differenzierungen führt allerdings dazu, dass das soziale Bewertungskontinuum, das sich zwischen der verwerflichsten und der lobenswertesten Tötung erstreckt, letztlich dann doch nicht deckungsgleich ist mit den Graden der Privatheit, bzw. Öffentlichkeit der Handlungsarten. Die Tötung aus privater Notwehr gilt durchaus als achtens-, die extralegale Tötung von Zivilpersonen hingegen, auch wenn sie vom Staat ausgeht, als ächtenswert.

Selbstverständlich sind auch innerhalb der Klasse der soziale unerwünschten Tötungshandlungen moralische Abstufungen festzustellen. Auch wenn diese einerseits dem historischen Wandel unterliegen (ein naheliegendes Beispiel ist der Neonatizid), so gibt es doch auch relativ konstante Wertungsverhältnisse: die fahrlässige Tötung und die Tötung auf Verlangen werden regelmäßig weniger stark geächtet und sanktioniert als mit Vorbedacht ausgeführte Handlungen, die arg- und wehrlose Opfer langsam und qualvoll bei vollem Bewußtsein vom Leben zum Tode befördern. Handlungen dieser Art wird regelmäßig das höchste denkbare Maß der sozialen Verwerflichkeit zugeschrieben und die Summe der Handlungstypen, die dieser Kategorie zugerechnet werden, wird mit dem abstrakten Begriff des Mordes nicht nur von allen anderen Tötungshandlungen, sondern insbesondere von allen anderen sozial unerwünschten und geächteten Delikten gegen das Leben abgesondert.

Der eigene Begriff für extrem verwerfliche Tötungshandlungen verleiht dem Mord gegenüber dem Totschlag eine symbolisch hervorgehobene Bedeutung als Inbegriff des Bösen. Zudem wird die Besonderheit des Mordes gegenüber allen anderen Tötungsdelikten durch eine spezielle Sanktionsandrohung noch einmal extra hervorgehoben. In Deutschland erfolgt das dadurch, dass das Gesetz (völlig untypischerweise) bei Vorliegen eines Mordes die lebenslange Freiheitsstrafe als einzig mögliche Strafe zwingend vorschreibt. Die symbolisch verdoppelte Exzeptionalität soll zeigen, dass der Täter solcher Taten die letzte Grenze überschritten hat und mit keiner Nachsicht rechnen kann. Mehr kann und will man nicht tun, um potentielle Täter abzuschrecken, die rechtstreue Bevölkerung hinsichtlich der Entschlossenheit des Staates im Kampf gegen das Verbrechen zu beruhigen und künftig auftretende Fälle im Einzelfall handhabbar zu machen: wenn eine Tötung die Merkmale des Mordes erfüllt, ist der weitere Weg so klar wie möglich vorgezeichnet.

Zwar erfolgt die Bestrafung des Mordes in der Praxis nicht schon immer dann quasi automatisch, wenn der Täter bekannt ist und seine Tat die Merkmale des Mordes erfüllt, weil letztlich jeder Schritt der Ermittlung, der Subsumtion und des Prozesses in unterschiedlichem Ausmaß mit Machtverhältnissen und Interessenkonstellationen zusammenhängt und es durchaus vorkommen kann, dass eine Tötungshandlung, die nach dem Buchstaben des Gesetzes als Mord zu qualifizieren wäre, durch die Intervention Dritter erfolgreich umetikettiert und als fahrlässige Tötung, wenn nicht als Unfall, bzw. Tod durch Krankheit oder Altersschwäche dargestellt wird. Ist allerdings eine Tötung erst einmal verbindlich als Mord qualifiziert und die Tat einem Individuum zugeordnet, dann ist dieses damit in der Regel doch gesellschaftlich erledigt.

Wie aber wird zwischen dem Verbrechen des Totschlags und dem besonders verwerflichen und sittlich auf der niedrigsten Stufe angesiedelten Mord unterschieden? Üblicherweise erfolgte (und erfolgt) die Abgrenzung durch die Merkmale Vorbedacht (im griechischen Alterum: ek pronoia) und Planung (bouleusis). Die mit böser Absicht geplante Tötung wird der Extremkategorie zugerechnet, während alle anderen Tötungshandlungen darunter rangieren. In Deutschland herrscht allerdings insofern eine besondere Situation, als das hiesige Strafgesetz die Abgrenzung des Mordes vom Totschlag seit 1941 nicht mehr nach dem Merkmal der Überlegung vornimmt, sondern mittels einer typisierenden Bewertung von Tatmotiven, Tatumständen und Tatzielen. Zudem beschreibt das Gesetz seither nicht die Tat, sondern den Täter. "Mörder ist", heißt es in dem seit 1941 unveränderten, aus der nationalsozialistischen Tätertypenlehre stammenden Gesetzestext, "wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet." Hieß es allerdings von 1941 bis 1953 noch "Der Mörder wird mit dem Tode bestraft" (und von 1953 bis 1969: "Der Mörder wird mit lebenslangem Zuchthaus bestraft"), so lautet dieser erste Absatz des § 211 StGB seit 1969: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft." Zur symbolischen Trennung des Mordes von anderen Tötungsdelikten gehört (seit 1979) in Deutschland - wie in vielen anderen Staaten auch - dass Mord nicht verjähren kann.

Welche Arten von Tötungen jeweils der Kategorie der höchsten Verwerflichkeit zugeordnet werden, unterscheidet sich nach Epochen, Kulturen und politischen Verhältnissen. Immer wieder sind Konflikte darum zu verzeichnen, welche Verhaltensweisen wie bewertet und gesetzlich eingestuft werden sollen. Alte Eliten kämpfen gegen die Abwertung und neue für die Verankerung ihrer jeweiligen Moralvorstellungen im Strafgesetzbuch. So unterliegt das, was vom Gesetzgeber mit dem Anspruch der Allgemeinverbindlichkeit als Mord bezeichnet wird, letztlich auch dem Wandel der gesellschaftlichen Einstellungen und der politischen Machtverhältnisse. Die Heterogenität des Begriffsinhalts von Mord führt dazu, dass vergleichende Forschungen lieber auf die Kategorie der vorsätzlichen Tötungen ausweichen (Homizide) und gar nicht erst versuchen, den Mord im engeren Sinne zum Gegenstand historischer und interkultureller Komparatistik zu machen, doch ist man damit erstens nicht von Abgrenzungsfragen befreit und verbaut sich zudem zweitens die Möglichkeit einer fokussierten Erforschung speziell der extremen Formen menschlicher Grausamkeit.

Für die kriminologische Analyse des Mordes als Gewaltaktion kann ein Blick auf die vier gesellschaftlich vorfindlichen Definitionen des Gegenstands von Nutzen sein. In der Realität wird ja als Mord bezeichnet, was:

  1. im Gesetz abstrakt-generell als Mord definiert ist (abstrakte Gesetzes-Definition)
  2. soziale Gruppen als Mord geächtet wissen wollen (abstrakte Sozial-Definition)
  3. staatliche Institutionen offiziell als Mord registrieren (formelle Real-Definition)
  4. Historiker, Journalisten, Kriminologen und andere informell unter die gesetzliche Definition subsumieren (informelle Real-Definition).

Für die Sozialwissenschaften geht es nicht darum, welche der vorfindlichen Definitionen die richtige ist, sondern darum, dass jede dieser Definitionen eine soziale Tatsache darstellt, die etwas über das Recht und die Ideologie, die Konflikte und die Probleme in Staat und Gesellschaft aussagen kann. Die gesetzliche Definition des Mordes ist nicht nur deshalb besonders relevant, weil hinter ihrem Allgemeinverbindlichkeitsanspruch die Macht des Staatsapparates steht, sondern auch deshalb, weil sie etwas über die Herrschaftsverhältnisse und die herrschende Ideologie einer Zeit Auskunft gibt. Die Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Definition des Mordes einerseits und konkurrierenden Definitionen in gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Bewegungen andererseits kann Aufschluss geben über konfligierende Werte in der Gesellschaft, über Tendenzen sozialen und politischen Wandels und vieles mehr: konservative Kreise kämpfen für das ungeborene menschliche Leben und gegen ihren eigenen gesellschaftlichen Einflussverlust mit Kampagnen gegen den "Massenmord an ungeborenen Kindern"; eine zunehmende Zahl von Menschen sieht inzwischen auch ethische Probleme im Umgang mit anderen Lebewesen und verlangt die Ächtung dessen, was sie als "Mord an Tieren" bezeichnet (vgl. dazu Hoerster 2007); legale Hinrichtungen werden hingegen seit langer Zeit von kritischen Geistern als kalte Grausamkeit und "staatlicher Mord" verurteilt; eine ähnliche Delegitimierung staatlichen Tötens beabsichtigt auch der Ausdruck "Soldaten sind Mörder". Hier wie anderswo manifestiert sich ein Unbehagen an dem, was als Heuchelei und Doppelmoral einer gespaltenen Tötungsethik erscheint. Hinter derlei "Streit um Worte" stehen Konflikte von Lebensstilen, Ethiken und ganzen gesellschaftlichen Segmenten um die Frage, wessen Werte als allgemein verbindlich zu gelten haben. Eine selbstbewußter werdende Bürgergesellschaft sieht sich nicht mehr als Untertan des Staates, sondern diesen als eine Organisation im Dienste der Bürger - und würde ihm also am liebsten die Gesellschaftsmoral des Tötungsverbots oktroyieren. All diese Phänomene zeigen, dass es eine Differenz gibt zwischen den herrschenden Überzeugungen, wie sie im positiven Recht verankert sind, und den Werten und Normen gesellschaftlicher Gruppen, Bewegungen oder Subsysteme, aus denen historisch gesehen immer wieder auch rechtlicher Wandel entsteht. Insofern sensibilisieren diese Definitionen nicht nur für ethisch-ideologische Differenzen zwischen Herrschenden und Beherrschten, sondern sie gewähren auch einen Blick auf die Spannbreite dessen, was die Zukunft prägen könnte.

Eine weitere Diskrepanz besteht zwischen dem, was einerseits von Polizei und Justiz als Mord registriert und deshalb auch in die Statistiken eingespeist wird - und dem, was von anderen als den offiziell dazu berufenen Stellen als Mord angesehen wird. Viele Tötungen, die Mordmerkmale aufweisen, verbleiben im Dunkelfeld. Sie erreichen gar nicht erst die Polizei oder gar die Gerichte. Dennoch werden sie von den Opfern (oder sogar von den Tätern), von Journalisten oder Wissenschaftlern als solche wahrgenommen, beschrieben, bezeichnet und analysiert. Diese Definitionen sind oft unklarer und unsicherer als diejenigen von Gerichten (aber auch die sind oft nicht so solide, wie sie scheinen). Viele aber sind - auch wenn sie nicht vor Gericht landen - nicht weniger real und nicht weniger scheußlich als vor Gericht abgehandelte und formell als Mord definierte Tötungen. Dass diese (theoretisch in Howard S. Beckers Kategorie des „rule-breaking behavior“, bzw. in Michel Foucaults Konzept der „illégalismes“ gehörenden) Morde im Dunkelfeld, die "nur" informell so definiert werden, nicht als Morde in Gerichtsurteilen auftauchen, macht sie jedenfalls nicht schon deshalb weniger real oder gar weniger verwerflich. Oft sind es sogar die gravierendsten Taten, die im Dunkelfeld verbleiben. Denn je näher die Täter an der Macht operieren und je brutaler sind sie, desto größer ihr korruptiver und einschüchternder Einfluss und desto größer auch ihre Chance, sich der formellen Definition ihrer Taten als Mord für lange Zeit oder für immer zu entziehen. Wenn zum Beispiel die Opfer eines Massakers gefunden werden und die Funde keinen Zweifel daran lassen, dass hier unbewaffnete Zivilisten grausam zu Tode gebracht wurden, wenn aber die mutmaßlichen Täter längst gestorben oder aus anderen Gründen nicht zu belangen sind, dann können sie in keiner Polizei- oder Verurteiltenstatistik auftauchen - und doch wäre es absurd, die entsprechenden Individuen (man denke an diktatorische Staatsführungen des 20. Jahrhunderts, die nie zur Rechenschaft gezogen werden konnten) aus jeder kriminologischen Betrachtung auszuklammern, auch wenn die von Historikern zusammengetragenen Belege erdrückende Beweise für ihre Verantwortlichkeit liefern. Wer vom Mord spricht, ist deshalb gut beraten, seinen Blick auf die Welt nicht dadurch unnötig einzuschränken, dass er sich ausschließlich auf solche Taten und Akteure beschränkt, die von ordentlichen Gerichten rechtskräftig verurteilt wurden. Keine der vier Definitionen hat die Wahrheit gepachtet und keine ist - wenn man sie mit Vorsicht behandelt - als Erkenntnisquelle völlig zu entbehren.

Der evolutionäre Vorteil instrumenteller Grausamkeit

Über das aggressive Töten anderer Menschen, das die Geschichte unserer Spezies von Anfang an charakterisiert, glaubt die Forschung heute zweierlei zu wissen.

Erstens, dass der Mensch, der als "das gefährlichste aller Tiere" (David Livingstone Smith) über einen Erfindungsreichtum sondergleichen verfügt, was die grausame und egoistische Eliminierungen seiner Artgenossen angeht, diese Fähigkeit schon von seinen Vorfahren übernommen haben dürfte, für die sich dieses Verhalten im Laufe von rund sechs Millionen Jahren immer wieder als überlebenswichtig erwiesen und tief verankert hatte. Die Verschmelzung der Angst des Gejagten mit dem Triumph des Jägers im "aggressiven Individuum" war wohl ein erheblicher evolutionärer Vorteil für den homo erectus. Darauf konnte auch der anatomisch moderne Mensch, der die Erde seit rund 200.000 Jahren bevölkert, aufbauen - und noch während der letzten 12.000 Jahre, seit der Erfindung des Ackerbaus, erwies sich die Bereitschaft zur Grausamkeit gegenüber Fremden als nützliche Verhaltensdisposition. Immerhin verbrachte der Mensch 95% dieser Zeitspanne in sehr übersichtlichen Gemeinschaften: Fremde kannte er fast nur als Gefahr für sein Leben. Viele Forscher sehen heute noch ontogenetische Ausläufer dieses phylogenetischen Erbes: in der kulturübergreifend feststellbaren Entwicklungsphase des "Fremdelns" bei sieben bis acht Monate alten Kleinkindern (einer Phase der Angst vor Fremden und besonders vor männlichen Fremden) ebenso wie in der (aus der Angst vor dem Ermordet-Werden stammenden) Fähigkeit des Menschen, sich in die potentiell bösen Absichten Anderer hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit ist dann ein Vorteil, wenn es dem Menschen gelingt, die Angst vor dem Anderen in die Bereitschaft zu dessen Tötung zu verwandeln. Denn die (von Thomas Hobbes eindrucksvoll geschilderte) Logik der wechselseitigen Antizipation böser Absichten befähigt (und nötigt) das um seine Sicherheit besorgte Individuum, dem Risiko eines Angriffs durch den Anderen durch den eigenen Angriff zuvorzukommen. Den für die weitere Entwicklung riskanten bellum omnium contra omnes konnte dann - nach Hobbes - nur die Herausbildung einer starken, die Partikulargewalten entwaffnenden Zentralmacht verhindern. - Der angesehene Ökonom und Verhaltensforscher Samuel Bowles (2004) sieht in der Aggression gegen äußere Feinde sogar die Bedingung der Möglichkeit für die ersten evolutionären Schritte zu einer verstärkten Binnensolidarität menschlicher Gemeinschaften. Die Bedrohung von außen wurde zur Wiege menschlicher Selbstlosigkeit. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte wurden Kontakte häufiger und intensiver, nicht aber unbedingt friedlicher. So wie es für Kopfjäger und Kannibalen rational war, Fremde umzubringen und gegebenenfalls aufzuessen, weil man damit mehrere Zwecke zugleich erreichen konnte - Abschreckung von Feinden, Vermehrung der eigenen Ressourcen, Stärkung des eigenen Machtgefühls und Verbesserung der Eiweißversorgung - so wurde es auch rational, Fremde zu foltern, zu vergewaltigen oder zu zergliedern. Da die Grausamkeit zweckorientiert war und für die Menschen einen effektiven Weg zum Überleben darstellte, war das Töten anderer Menschen strategisch rational (Helbling 2006). Was heutigen Betrachtern als verabscheuungswürdiger Mord erscheint, war im moralischen Universum der Betroffenen ein naturgegebener und fraglos legitimer Weg der Existenzsicherung des Individuums und seines Kollektivs.

Zweitens hat das Risiko, sein Leben als Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat zu beenden, im Laufe der Jahrtausende dramatisch abgenommen. Alles in allem ist die Menschheit - so kontraintuitiv das angesichts der Massaker der Gegenwart erscheint - heutzutage im Vergleich zu früher eher besonders friedfertig. Vor 10.000, 5.000, 2.000 und auch noch 500 Jahren war die Rate gewaltsamer Todesfälle wesentlich höher als heute. Insofern wurde das Mordgeschehen menschheitsgeschichtlich immer weiter marginalisiert: faktisch wie ideologisch und moralisch. Ein erster Befriedungsschub verdankte sich (vor 5000 Jahren) der Entstehung von Hochkulturen. Damals ging die Rate der Homizide um etwa vier Fünftel zurück. Der Aufbau von Verwaltungsstrukturen im 13. und 14. Jahrhundert führte zu einem erneuten und überaus dramatischen Tötungs-Rückgang auf jährlich vielleicht noch 30 bis 40 Personen pro 100.000 Einwohner. Der dritte Humanisierungsschub schließlich kam mit dem Niedergang zahlreicher Gewaltpraktiken von der Gewaltherrschaft bis zur Folter im Zuge der Aufklärung und der Urbanisierung (Eisner 1997). - Die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts mit ihren vielleicht 180 Millionen Toten (White 2011) sollen nichts an der Realität einer langfristigen Abnahme des Homizids ändern: selbst wenn dadurch der Durchschnitt auf drei von hundert Todesfällen stiege, läge dieser Anteil immer noch deutlich unter dem in allen früheren Epochen Üblichen. Steven Pinker (2011) zieht daraus den Schluss, dass wir bei aller noch vorhandenen Grausamkeit auf der Welt letztlich doch froh sein könnten über die historische Leistung der Aufklärung und der Zivilisation insgesamt. Wenn das so grausame und so blutige 20. Jahrhundert allerdings im historischen Vergleich vergleichsweise gewaltarm war - dann kann dies auch weniger zur Beruhigung als vielmehr zu einer vertieften Beunruhigung über die Geschichte der Menschheit und den Stand ihrer Zivilisierung Anlass geben. Und denkbar wäre auch, dass das 21. Jahrhundert mit seiner "Coming Anarchy" (Kaplan 1994) eine neue Tendenz in Richtung auf vermehrte Extremgewalt begründet. Jedenfalls fehlt es nicht an Gesellschaftskrisen, die zu derlei Anlass geben könnten - und auch nicht an militärischem, religiösen und politischen Gewaltpotential oder irgend einer sonstigen Bedingung für die rasche Entstehung und Vervielfältigung sozial heterogener Netzwerke der Verfolgung, die trotz intern uneinheitlicher Motivationen und Interessen eines gemeinsam haben: den Willen, eine gegnerische Gruppe zu vernichten (Gerlach 2011). Wenn also auch zuzutreffen scheint, dass Mord heute weniger häufig vorkommt als während aller früheren Epochen, so bleibt es doch beunruhigend, dass gerade die entwickelten Gesellschaften im frühen 19. Jahrhundert und in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts schwer erklärliche Phasen des Anstiegs des Risikos gewaltsamer Tötungen zu verzeichnen hatten (vgl. Gartner 1990: 92; Gurr 1981).

Tötungsdelikte im internationalen Vergleich

Der internationale Vergleich von Mordstatistiken ist für seine vielen Fallstricke und Unwägbarkeiten bekannt. Um die Schwierigkeiten, die sich aus den verschiedenen gesetzlichen Abgrenzungen ergeben, zu entgehen, beschränkt man den Vergleichsversuch von vornherein auf die viel weitere Kategorie der "vorsätzlichen Tötungsdelikte", schließt also zumindest den Totschlag mit ein. Da sich auch dort erhebliche Abgrenzungsprobleme ergeben, hat man das Problem weniger umgangen als verschoben. Aber so ist es nun einmal. Den relativ besten Eindruck von den Größenverhältnissen und Entwicklungstendenzen bei vorsätzlichen Tötungsdelikten (= homicide; Homizide) vermittelt die Global Study on Homicide des Büros Vereinten Nationen zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung gelten (UNODC 2011), die ihre Daten aus nationalen und internationalen sowie polizeilichen und medizinischen Quellen schöpfte und dadurch einige der Verzerrungen, die sich aus mancherorts sehr selektiven Polizeistatistiken ergeben, ausbügeln konnte.

  • Weltweit starben im Jahr 2010 nach der besten verfügbaren Schätzung 468 000 Menschen durch vorsätzliche Tötungsdelikte. Die Homizidrate lag damit im weltweiten Durchschnitt bei 6,9 Tötungsdelikts-Opfern pro 100.000 Einwohnern. Homizide sind überwiegend Männersache und werden häufig mit Schusswaffen begangen. 80 Prozent aller Täter und aller Opfer sind männlich. Schußwaffen spielen bei 40% aller Taten eine Rolle (in Europa: 21%).
  • In Europa wird der globale Durchschnitt nur in den neuen baltischen EU-Mitgliedsstaaten erreicht. Ansonsten bleibt Europa, wo 11% der Weltbevölkerung wohnen, aber (nur) 5% der vorsätzlichen Tötungen geschehen, deutlich darunter. Die Staaten der EU kommen auf einen Wert von 3/100.000. West- und Mitteleuropa für sich genommen auf 1,5 und Deutschland seit Jahren auf einen um die 1,0 oszillierenden Wert (je nach Quelle und Berechnung auf 0,84 bis 1,1), während Österreich ebenfalls seit Jahren noch darunter liegt (0,56).
  • Geringe Homizidraten (< 3/100.000) fanden sich 2010 weltweit (einschließlich Europas) in immerhin 40 (von 207 berücksichtigten) Staaten. Außerhalb Europas gehören zu dieser Gruppe u.a. Kanada, Australien und Neuseeland, China und Japan und die meisten arabischen Staaten. Soziale Unruhen (wie in Nordafrika) und einzelne Massenmorde (wie das Massaker auf der norwegischen Insel Utoya) verweisen allerdings auf eine hohe Störanfälligkeit des statistischen Friedens.
  • Sogar ohne dramatische gesellschaftliche Verwerfungen können sich die Homizid-Raten innerhalb von ein bis zwei Dekaden erheblich verändern. Zwischen Ende der 1950er und Ende der 1970er Jahre stieg z.B. in entwickelten westlichen Ländern das Risiko, Opfer eines tödlichen Gewaltverbrechens zu werden, um 60%. Andererseits sank dasselbe Risiko in New York City von 1993 bis 2002 um 69% (vgl. Hess 2004).
  • Homizidraten von über 20/100.000 fanden sich 2010 in 17 der 2007 Staaten. Die Spitzengruppe liegt mit ihren Raten allerdings weit darüber. An erster Stelle steht Honduras (Anstieg von 82/100.000 im Jahre 2010 auf 86/100.000 im Jahre 2011). Mit einigem Abstand folgen El Salvador (von 66 in 2010 auf 71 in 2011), Saint Kitts and Nevis (von 38 in 2010 auf 68 in 2011) und Venezuela (von 48 in 2010 auf 67 in 2011).
  • Direkt unter den genannten vier Ländern mit ihren völlig aus dem Rahmen fallenden Homizidraten rangierten im Jahr 2011 sieben Staaten mit Raten im Dreißigerbereich: Belize, Guatemala und Jamaika (mit jeweils 39), die Bahamas (36), Kolumbien (33), Südafrika (32; Durchschnitt für ganz Afrika: 17) und die Dominikanische Republik (31).
  • In armen Ländern mit extremen Einkommensunterschieden und schlechter Regierungsführung und ist die Mord- und Totschlagsrate um ein Mehrfaches höher als anderswo. Länder wie Honduras, El Salvador, Guatemala sind von tiefen sozialen Gräben zwischen einer nahezu allmächtigen Oligarchie und weitgehend rechtlosen Angehörigen verschiedener Volksgruppen gekennzeichnet. Polizei und Militär haben in solchen Ländern oft faktisch eine Lizenz zum Töten und stellen eher einen Teil der Gewaltmärkte und Gewaltkulturen dar, als dass sie sie eindämmten.
  • Ausnahmefall Nicaragua: das Land ist arm und liegt in demselben Drogenkorridor von Süd- nach Nordamerika, der die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Gruppen und Banden in Ländern wie Honduras und El Salvador befeuert. Dennoch liegt die Homizidrate (13/100.000) hier seit vielen Jahren schon um ein Vielfaches niedriger als bei den Nachbarn. Die relative Immunität gegen exorbitante Gewalt korreliert hier mit einer besseren Regierungsführung, einer vergleichsweise funktionsfähigen Justiz und einer weniger in feindselige ethnische oder soziale Lager gespaltenen Gesellschaftsstruktur (Logan 2009).
  • Ausnahmefall Brasilien: das Land hat eine hohe, aber nicht exorbitante Homizidrate von 25/100.000. Es gibt aber einen Bundesstaat (Alagoas), der eine Homizidrate von 60/100.000 aufweist und dessen Hauptstadt Maceió auf eine Rate von 107 kommt. Das Hauptmerkmal von Alagoas und seiner Hauptstadt Maceió ist extreme soziale Ungleichheit. Elend und Luxus leben nebeneinander. Riesige Zuckerrohrplantagen und Rinderherden kennzeichnen eine Gesellschaft, in der die Plantagenarbeiter ihre Zwiste mit der Faust und mit Messern oder Macheten austragen und in der die Oberschicht der Bestrafung entgeht, indem sie verschwiegene und billige Auftragskiller nutzt. Während Verbesserungen der Lebensverhältnisse und der Polizeiarbeit seit 1998 einen Rückgang der Homizide in Rio um zwei Fünftel und Sao Paulo um zwei Drittel bewirkten, wanderten gewalttätige Drogen- und Waffenhändlerbanden in Gegenden aus, die gleichsam noch auf ihre postmoderne Erschließung warteten, gleichzeitig aber auch alte Gewaltstrukturen aufwiesen: unter anderem in Alagoas fanden sie Gelegenheiten der Landerschließung, des illegalen Tropenholzmarktes, schlecht bewachte Grenzen für Waffen und Drogen sowie eine hochgradig korrupte Polizei (Waiselfisz 2011).
  • Die UNO sieht eine klare Verbindung zwischen Homizidraten und der Kluft zwischen Arm und Reich. In Ländern mit (laut Gini- oder Human Development Index) besonders krassen Unterschieden sind Homizide um ein Vielfaches häufiger als in Ländern mit einer gleichmäßigeren Verteilung des Wohlstands.
  • Auch die Alterspyramide spielt eine Rolle: je höher der Anteil junger Menschen, desto höher die Homizidraten. Insbesondere junge Männer haben eher Waffen, beteiligen sich an Straßenkriminalität und geraten leichter in körperliche Auseinandersetzungen (weltweit werden in jedem Jahr 21 von 100.000 jungen Männern Opfer vorsätzlicher Tötungsdelikte).

Mord als soziale Abweichung

Tötungsdelikte, in denen sich ein Individuum gegen seine Bezugspersonen oder mutmaßliche Quellen der Frustration und Erniedrigung wie vielleicht Schulen, Ämter oder Geldinstitute stellt, werden häufig aus Situationen emotionaler Unterlegenheit, aus Verlassensangst oder (sonstiger) Überforderung in verschiedenen Lebensbereichen heraus begangen. Das sind Abweichungen vom Erwartungsfahrplan der Gesellschaft, die seit jeher einen legitimen Gegenstand der Theorien abweichenden Verhaltens und der Kriminalitätstheorien darstellen. Man denke an die bekannten Muster bei der Tötung des Intimpartners, wie sie Wilfried Rasch (1995) beschrieben hatte: da ist der Konflikt zwischen der Vitalschwäche, Kontaktenge und Gehemmtheit auf der Seite des späteren Täters einerseits und der Aktivität, Durchsetzungsfähigkeit und Souveränität auf der Seite des späteren Opfers andererseits. In einer Phase spannungsreicher Instabilität denkt der spätere Täter abwechselnd an Suizid, an die Tötung des Partners und einen gemeinsamen Tod: "Verzweiflung wird abgelöst von Hoffnung, um erneut tiefer Verzweiflung zu weichen (...) In einer 'letzten Aussprache' erfolgt schließlich die Tat überraschend für das Opfer, aber auch allzuoft unerwartet für den Täter selbst." Diese für die Geliebtentötung durch den verlassenen Partner charakteristische Konstellation findet sich auch dort, wo der verlassene Partner nicht den Geliebten oder die Geliebte, sondern den fortstrebenden Ehegatten umbringt. Auch hier gibt es das Machtgefälle, "bei dem das spätere Opfer mit seiner Umgebung als derjenige Teil erscheint, der die Situation beherrscht und in der Hand hat" - nur dass das spätere Opfer meist auch noch durch seine Herkunftsfamilie, Freunde, Anwälte und Behörden unterstützt wird und der spätere Täter sich fühlt, als stünde er mit dem Rücken zur Wand (Rasch 1995: 95 f.).

Was im Alltag oft als Mord bezeichnet wird, ist für Gerichte allerdings in der Mehrzahl der Fälle Totschlag (u.a. auch im Affekt) oder Körperverletzung mit Todesfolge. Das gilt auch für die folgenden raum-zeitlichen Aspekte vorsätzlicher Tötungsdelikte:

Tödliche Beziehungen. Für Staaten mit geringen oder durchschnittlichen Homizidraten gilt grundsätzlich, dass das Risiko, von einem unbekannten Täter umgebracht zu werden, deutlich geringer ist als das Risiko, zum Opfer eines Familienmitglieds, Freundes oder Bekannten zu werden. Hier liegt auch der Anteil von Frauen (sowohl unter Tätern als auch unter Opfern) regelmäßig deutlich höher (gelegentlich sogar über 50%) als in Ländern mit hohen Homizidraten, wo er nur halb so hoch oder noch geringer zu sein pflegt (vgl. Dotzauer 1975).

Gefährliches Wochenende. Die Kluft zwischen Arbeitszeit und Freizeit, insbesondere der besondere Status des Wochenendes, macht sich auch in der Kriminalität bemerkbar. Das Wochenende ist für große Bevölkerungskreise die Zeit der Geselligkeit und der außerhäuslichen Aktivitäten. Häufig spielt Alkohol eine Rolle, häufig kommt es auch zu Streitigkeiten. So kann nicht erstaunen, dass immerhin die Hälfte aller Körperverletzungen mit Todesfolge auf das Wochenende entfallen. Überraschenderweise gilt das aber nicht für Mord, der sich sogar unterdurchschnittlich häufig am Wochenende ereignet - mit einer markanten Ausnahme, nämlich der Ehegatten- und Geliebtenmorde. Offenbar werden die freien Tage genutzt, um eine letzte Aussprache herbeizuführen und die Beziehung ab und zu eben auch gewaltsam und endgültig zu beenden. Jedenfalls fallen immerhin rund 40 statt der zu erwartenden 30 Prozent der Taten aus dieser speziellen Fallgruppe auf das Wochenende (Dotzauer 1975: 365).

Gefährliche Nachtstunden. Zwischen 20 Uhr abends und 4 Uhr morgens spielen sich zwar überproportional viele Tötungsdelikte ab - die ihrerseits auf die Besonderheiten der sich in diesen Stunden abspielenden Sozialkontakte verweisen, sie in stärkerem Maße Reibungsflächen bieten und nach gesonderten Skripts ablaufen - doch werden auch sie in der Regel als Körperverletzungen mit Todesfolge eingeordnet, während Morde sich statistisch gesehen weitaus weniger tageszeitabhängig verhalten. Diese Unabhängigkeit von Wochentagen und Tageszeiten zeigt sich inbesondere in sog. Mord-Selbstmord-Fällen, bei denen der Täter sich nach dem Mord (an Familienangehörigen) selbst richtet (vgl. Dotzauer 1975: 365)

Kurze und lange Tötungen. Zwischen dem plötzlichen Mordanschlag einerseits und dem sich über Stunden, Tage oder gar Wochen hinziehenden Sexualmord andererseits liegen Welten. Die zeitlichen Strukturen des Täterhandelns und des Opferleidens sind bislang untererforscht. Beachtung verdienen vor allem die "langen Morde", seien es solche, die durch anomische Kleingruppen begangen werden - oder solche, die als bürokratische oder militärische Aktionen großer Gewaltkollektive in der Form von mörderischen Deportationen und Todesmärschen manifestieren. Die von Wolfgang Sofsky (1997) entworfene Forschungslandschaft der Gewaltzeit, in der es nicht nur um die Aktionsdynamik geht, sondern auch um deren Auswirkungen auf die leib-seelische Existenz der Opfer, ist für den Mord erst noch in konkrete Forschungen umzusetzen.

Sicherer Arbeitsplatz. Individuell motivierte Homizide geschehen nur selten am Arbeitsplatz des Täters: Interessen und Kräfte sind absorbiert, die Konflikte am Arbeitsplatz selbst erreichen häufig nicht die Intensität wie zuhause - und ein Blick auf die Strafurteile wegen Mordes zeigt, dass die meisten Täter zur Zeit der Tat sogar von einer beruflichen Bindung und damit von ihrem Arbeitsplatz akut oder längerfristig gelöst waren (arbeitslos, krank, im Urlaub, schlichtes Fernbleiben; vgl. Dotzauer 1975: 366).

Tödliche Wohnung. Speziell die Mord-Selbstmord-Fälle, aber auch die Beziehungs-Taten allgemein erfolgen überaus häufig in der gemeinsamen Wohnung, bzw. in der des Täters oder des Opfers. Für Frauen ist der riskanteste Ort mit großem Abstand das Schlafzimmer, für Männer aber auch noch die Küche, wo die Tötung dann typischerweise durch Erstechen erfolgt.

Die für die Zuordnung zum Mord erforderliche besondere Verwerflichkeit der Tat ist hingegen bei solchen Tatmustern gegeben, die von geradezu archetypischer Grausamkeit sind und an die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft gehen - nicht umsonst graben sich in solchen Fällen auch die Namen der Täter in das kollektive Gedächtnis ein. Man denke an Jeffrey Dahmer, der die Köpfe seiner noch lebenden Opfer aufbohrte und mit Säure füllte, um sie zu willenlosen Sex-Sklaven zu machen machen, an Jack Unterweger, der junge Frauen mit dem Draht ihres Büstenhalters oder mit ihrer zu einem Henkersknoten gebundenen Unterwäsche qualvoll strangulierte oder einen Jürgen Bartsch, der seine kindlichen Opfer in einen höhlenartigen Bunker führte, wo er sie zwang sich zu entkleiden, sexuelle Handlungen an ihnen vornahm und sie dann bei vollem Bewusstsein zerstückelte. Der gut dokumentierte Fall Bartsch zeigt allerdings auch, dass sich erstens die Lustphantasien der Täter bei der Ermordung verängstigter, gefügiger und völlig wehrloser Opfer häufig als spiegelverkehrte Neuinszenierungen eigener Leidenswege des Täters als Kind verstehen und erklären lassen, und dass die monströsesten Taten von den Personen vollbracht werden können, die psychisch eher ein Häuflein Elend darstellen. Wo das Tatstrafrecht nach einer vergeltenden Grausamkeit ruft, würde ein Täterstrafrecht eher eine Klinikunterbringung nahelegen.


Gehorsamsmorde

Während der sozial unangepasste Mörder schon lange die Aufmerksamkeit der Kriminologie erregen konnte, ist die Möglichkeit des Mordes aus Gehorsam gegenüber bestimmten Normen und Werten erst in jüngerer Zeit wissenschaftlich bearbeitet worden. Dabei kommt Mord wohl mindestens ebenso häufig als Verbrechen aus Gehorsamsbereitschaft und damit als Ausdruck von sozialer Konformität vor wie als Ausdruck sozialer Anpassungsschwierigkeiten.

Kulturkonflikt

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bemerkten Soziologen in der Einwanderergesellschaft der USA, dass es mit der Diagnose "soziale Abweichung" jedenfalls dann nicht getan ist, wenn einem Delikt ein Gruppenprozess zugrunde liegt, der selbst normativ strukturiert ist und innerhalb eines größeren Kollektivs durch Legitimitätsglauben gestützt wird. Dann ist die Handlung zwar aus der Sicht der Hauptkultur und ihrer Rechtsordnung "abweichend", nicht aber aus der Sicht der Täter selbst. Diese halten sich mit der Tat an eine eigene Ethik mit Werten und Normen, die sie und ihre Bezugsgruppen für legitim und verpflichtend halten, auch wenn diese von der sie umgebenden Rechtskultur nicht anerkannt werden (Sellin 1938).

Ein solcher Fall liegt häufig dem Tatmuster Ehrenmord zugrunde. Nach den kulturell verankerten Familien-Normen ist die Tat eine Art Pflichterfüllung, die aber von der Rechtsordnung angesichts der nicht selten brutalen Tatausführung (z.B. dann, wenn zu mehreren auf das Opfer eingeschlagen und eingetreten wurde, um es sodann mit 18 Messerstichen im Leib - von denen ein besonders wuchtiger das Schulterblatt durchstieß - qualvoll verbluten zu lassen) häufig dann doch als Mord verurteilt wird.

Hier liegt nicht einfach antisoziales Verhalten im Sinne des Ungehorsams gegenüber sozialen Normen vor, sondern ein Fall des Autoritäts- und Gehorsamskonflikts: die Befolgung des einen Normensystems bedingt die Verletzung des anderen und umgekehrt. Und wenn keine rechtliche Strafe wartet, dann vielleicht eine informelle Sanktion aus dem anderen Normensystem, die von den Betroffenen noch mehr gefürchtet wird als eine formelle Strafe. Nicht nur für die Opfer von Ehrenmorden, sondern für alle direkt und indirekt daran Beteiligten enden derlei Doppelbindungen an konträre Normen mit großer Regelmäßigkeit in menschlichen Tragödien.

Ausnahmezustand

Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen traten Phänomene konformer Kriminalität jenseits des Horizonts von Subkultur- und Kulturkonflikts-Theorien in das Blickfeld der Sozialwissenschaften. Hier ging es um Morde, die nicht aufgrund individueller sozialer Anpassungsschwierigkeiten begangen wurden, sondern von "ganz normalen Männern" (Browning 1999)

theorie und die Subkulturtheorien vorstellen konnten, Phänomene konformer Kriminalität ins Blickfeld der Sozialwissenschaftenbegann sich die Erst im späten 20. Jahrhundert begann sich die Erkenntnis Bahn zu brechen, dass es auch Morde gibt, die nicht auf Graden individueller Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur Erfüllung normativer Umwelterwartungen beruhen, sondern sozialen Anpassung von den unmittelbaren Tätern nur widerstrebend und letztlich aus Gründen der Anpassung an die Erwartungen der Umwelt begangen werden, die also keine "crimes of deviance" sind, sondern "crimes of obedience". Der Mord als Abweichung von fundamentalen sozialen und rechtlichen Erwartungen weist bestimmte Charakteristika auf, die sich von denen des Mordes, der aus Anpassung an die Erwartungen eines Kollektivs begangen wird, in vielen Fällen unterscheidet.

Der Mord, bei dem sich der Einzelne (gelegentlich in Assoziation mit einem oder mehreren Beteiligten) gegen die ihn umgebende Ordnung stellt, verweist häufig auf schwerwiegende Probleme des Individuums im Sinne antisozialer Persönlichkeitsstörungen.

Kollektiveffekte

Machthaber als Mörder. *Genozid.

Beispiele scheinbar irrationaler Gewalt, insbesondere in Bürgerkriegen, zeigen, dass es sich aus der Perspektive der Kriegsherren um durchaus zweckrationale Unternehmungen handelt. Sie nutzen gewaltoffene Räume (Räume ohne Gewaltmonopol), um in hochprofitablen Gewaltmärkten zu wirtschaften. Macht-, Prestige- und Güterakkumulation. Dabei werden Gewaltmuster besonders durch die Schaffung einer zweiten Motivationsebene stabilisiert, die über die Lebenszeit hinausreicht (Georg Elwert). Organisierte Verbände als wichtigste Gewaltakteure in Gewaltkulturen: "Ethnische Gewaltakte, Gewaltkreisläufe und schließlich Bürgerkriege gefährden in wachsendem Maße die Stabilität und Legitimität multiethnischer Staaten. Diese militanten ethnischen Konflikte entstehen aber keineswegs zwangsläufig. Sie haben zumindest die "Politisierung", also die politische Artikulation und Verschärfung ökonomischer und sozialer Forderungen ethnischer Gruppen und die Entstehung ethnischer Ideologen, "Unternehmer" und Parteien zur Voraussetzung. Entscheidend für den Ausbruch und die wechselseitige Steigerung ethnischer Gewaltkreisläufe ist aber die Entstehung einer über lange Zeit unbewußten Gewaltbereitschaft, die die einzelnen Mitglieder der ethnischen Gruppe zu einer in ihren Augen zu Unrecht attackierten und beständig bedrohten Schicksals- und Opfergemeinschaft zusammenschließt und ihnen am Ende kompensatorische Vergeltungsschläge gegen lokale aber friedliche Mitglieder der Gegengruppe nahelegt" (Jakob Rösel).

Wandel kultureller Bedeutungsmuster des politischen Mordes: "in schwach integrierten Gesellschaften, in denen die Einheit des sozialen Ganzen in der Person des Königs verkörpert wird, kann die gewaltsame Ablösung von Herrschern als normaler und heroischer Teil eines zwar tragischen, aber vitalen und positiven kosmologischen Dramas verstanden werden, das die gesellschaftliche Integration stärkt. Je mehr jedoch das "Recht des Stärkeren" von Prinzipien höheren göttlichen Rechts domestiziert wird, desto mehr kann die Tötung politischer Führer als "Bestrafung" ungerechter, "schuldiger" Herrscher verstanden (und exekutiert) werden. In stark integrierten Gesellschaften, in denen die persönliche "Schuld" des Regierungschefs hinter der anonymen Macht von Systemstrukturen verblaßt, wird die Ermordung von Herrschern zunehmend ein bloßes Element symbolischer Politik. Im Zeitalter der "Globalisierung" und des "internationalen Terrorismus" löst die typologische Figur des "unschuldigen Zivilisten" als Opfer politischen Mordes mehr und mehr die typologischen Figuren getöteter Herrscher als symbolisches Zentrum makrogesellschaftlicher Integration ab" (Thomas Scheffler).

Eine moralisch - auch seitens wissenschaftlicher Beobachter - als schlechthin negativ bewertete Handlung wie der Mord kann gleichwohl "sozial produktiv" sein. Als Gemeinschaftshandeln kann ein Mord zum Beispiel die subkulturelle Zusammengehörigkeit stärken (= gesellige Gewalt, die theoretisch mit Bezug auf Durkheim und Simmel erfaßt werden kann; Katharina Inhetveen).

Je stärker die Fähigkeit des Staates, durch administrative Effizienz und wohlfahrtsstaatliche Befriedung von Klassengegensätzen für Legitimität, Sicherheit und Wohlstand zu sorgen, desto milder können die Strafen für Mord werden. Je größer hingegen die gesellschaftliche Ungleichheit, administrative Ineffizienz und justizielle Unfähigkeit, desto eher wird die Todesstrafe zu einem wesentlichen Instrument, um politische Zustimmung von verunsicherten Bevölkerungsteilen zu erreichen (Jonathan Simon).

Zahlreiche soziale Bewegungen richten sich darauf, spezifische Werte und auf ihnen beruhende gesetzliche Normen durchzusetzen. Dabei ist Gewalt ein mögliches Mittel, diese Ziele zu erreichen (Jürgen Friedrichs).

Wege zur Tatbegehung

Die Analyse des mit Morden verbundenen subjektiven Sinns, um auch die Extreme "sinnlosen" Mordens verstehen zu können. Katz

Motive

Für Mord gibt es aus der praxisorientierten Sicht des FBI nur vier grundlegende Motive, bzw. Motivgruppen:

  • Bereicherung (Criminal Enterprise Murder; Begehung zwecks persönlichen - nicht nur materiellen - Gewinns, bzw. zum Erhalt oder der Vermehrung von Ressourcen; einschließlich Taten zur Verdeckung eines vorher begangenen Delikts).
  • Beziehung (Personal Cause Murder; Begehung infolge eines emotionalen Konflikts; dazu gehört auch: vorsätzliche Tötung im Rahmen von Stalking, von häuslicher Gewalt, Rachetaten, Mord an Vorgesetzten, d.h. Autoritätshomizide, ideologisch motivierter Hass; Tötungen von schwerkranken Patienten durch Pflegepersonal aus Barmherzigkeit ...). Overall these types of murders tend to emerge quickly, are fiercely impassioned, and are conducted with an indifference to the legal consequences. They are therefore immune to the Classical model's insistence that swift, certain, and severe punishment will act as a general deterrence. The person usually makes no attempt to escape and is quickly apprehended. Why do such murders occur? Katz offers the following explanation: 1. The would-be murdered must come to understand the situation as one in which the victim is attacking what he regards as an eternal human truth. The situation requires a last stand in defense of a value that is associated with the individual's basic worth as a human being. The person feels they can not simply walk away from the situation without suffering a tremendous loss of face. Katz tries to explain why the overwhelming majority of such murders occur at home or at a recreational activity (i.e., drinking at a bar). You can walk away from conflicts at work, because after 9 to 5 you are free to leave. The home is a much more difficult scene to relieve oneself from. Also, there is a much greater emotional investment in hearth and home. Recreational facilities are places people often come to as a last resort escape from other spheres of life. If one can not escape serious personal challenges there, where can one turn? 2. The particular emotion the killer is feeling (humiliation) must be transformed into rage. It is on this point that Katz's theory is most problematic? He does not assert simplistically that people are impelled by their emotions. He, in fact, states that persons who become enraged must create their own emotions first, and then allow themselves to be seduced by their emotions in order to act out violently.
  • Sexualität (Sexual Homicide; Begehung, bei denen die Ereignissequenz, die zur Tat führte, sexuelle Komponenten aufwies; dazu gehören die Tötungen von Kindern durch Pädophile, von Frauen durch Vergewaltiger, die von sadistischen Serienmördern begangenen Tötungen).
  • Gruppendynamik (Group Cause Homicide; in der gemeinsamen Ideologie mehrerer Akteure erscheint die Tötung als unabdingbar, gerechtfertigt, notwendig - jedenfalls legitim).

Karrieren

Der negative Sonderstatus, der die Kategorie des Mordes nicht nur von der Welt der Rechtschaffenheit, sondern darüber hinaus von "normalen" Straftaten absondert, legt den Gedanken nahe, dass auch die Motive für Mord ganz außergewöhnlich seien. Dramatische Folgen können jedoch aus ganz banalen Situationen und Motiven erwachsen.

Morde können wie andere Handlungen auch anhand der vier Weber'schen Idealtypen sozialen Handelns klassifiziert werden. Gemordet werden kann entweder

  • zweckrational zwecks bestmöglicher Erreichung eines Ziels, bzw. einer Problemlösung (z.B. Lösung eines Liquiditätsproblems durch einen groß angelegten Versicherungsbetrug) oder
  • wertrational als Dienst an der eigenen Überzeugung und ohne Rücksicht auf Sanktionen ("Ich musste es einfach tun, es war eine Gewissenspflicht") oder
  • affektuell als Reaktion auf eine momentane Gefühlslage (" ... mit diesem Hass habe ich dann einfach nur noch die Maschinenpistole auf die Menge gehalten und dann ging's los ...") oder
  • traditionell in Befolgung einer regelhaften Gewohnheit ("Wir sind dann später jeden Tag von neuem ausgezogen, um unsere Arbeit - das Töten - fortzusetzen ... nach dem Sinn oder Zweck haben wir schon gar nicht mehr gefragt").

Die Frage, warum Menschen morden, ist von der Kriminologie in Anlehnung an die jeweils vorherrschenden Denkmuster einer Epoche sehr verschieden beantwortet worden. Cesare Lombroso (1836–1909) und sein Schüler Enrico Ferri (1856–1929) waren überzeugt, dass sich insbesondere unter Mördern ein hoher Anteil "geborener Verbrecher" befände, die sich schon rein äußerlich von anderen Menschen (und anderen Verbrechern) unterschieden. Ganz allgemein seien bei geborenen Verbrechern "die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhle gewölbt, die Kinnlade enorm, das Kinn viereckig oder vorragend, die Backenknochen breit". Was die einzelnen Tätertypen anging, so versicherte Ferri (1896: 38) allen Zweiflern, "daß ich im Stande bin, allein aus den organischen Erscheinungen die Diagnose des Mörders zu machen inmitten anderer Verbrecher". Lombroso wiederum glaubt, er könne den Mördertypus klar vom Vergewaltiger abgrenzen: "Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich; die Lippen dünn, die Eckzähne groß. Nystagmus ist häufig, auch einseitiges Gesichtszucken, wobei sie die Eckzähne zeigen, gleichsam grinsend oder drohend". Die Vergewaltiger hingegen "haben fast immer ein funkelndes Auge, feines Gesicht, schwellende Lippen und Brauen, aber einen starken Unterkiefer. Meist sind die gracil gebaut, bisweilen jedoch bucklig" (Lombroso 1894: 229 ff.).

Eine neue Forschungslinie in der Hirnphysiologie vertritt zwar einen in Teilen verblüffend ähnlichen Determinismus (einschließlich der auch von Lombroso schon bekannten Forderung nach der Abschaffung des auf Schuldkonzepten beruhenden Strafrechts und seiner Ersetzung durch ein Sicherungsrecht; vgl. Markowitsch & Siefer 2007), doch haben sich diese Ansätze bislang weder in der Strafrechtswissenschaft (vgl. Hassemer 2009) noch in der Kriminologie durchsetzen können. Es dominieren interdisziplinäre wissenschaftliche Annäherungsversuche, in denen der Stellenwert biologischer Aspekte als sehr gering eingeschätzt wird gegenüber solchen der zum Teil schon früh geformten sozialen Bindungen, der aktuellen Einflüsse (z.B. von Gleichaltigen oder von hierarchischen Gruppen) und der Struktur und Beschaffenheit von formellen und informellen Kontrollen.

Der aktuelle Stand des Wissens hat sich vom "Mörder-Gen" ebenso verabschiedet wie von anderen monokausalen Modellen. Man geht auch nicht mehr davon aus, dass der Mensch grundsätzlich gut und regelkonform sei und man deshalb jede Abweichung durch Besonderheiten zu erklären habe, sondern legt häufiger ein Menschenbild zugrunde, in dem man sich den Menschen zunächst einmal als zu allem fähig und zu allem bereit vorstellt - zu allem fähig und bereit, genauer gesagt, was er aus seiner subjektiven Sicht für nützlich hält.

Der Mensch ist gewissermaßen innerlich frei, alles zu tun - auch jede Norm zu verletzen - um sich einen eigenen Vorteil zu sichern. Den meisten Menschen wird diese "Freiheit zur Abweichung" allerdings im Laufe ihrer Sozialisation auf verschiedenen Wegen gleichsam "weggenommen". Die vier wirksamsten Methoden, mittels derer man schon junge Menschen allmählich ihrer Freiheit zur Abweichung berauben kann - und meist auch beraubt - sind laut Gottfredson und Hirschi (1992):

  • attachment (gemeint sind die Kräfte starker emotionaler Bindung an rechtschaffene Eltern und andere Bezugspersonen)
  • commitment (soziale Verpflichtungen)
  • involvement (Eingebundensein in legale Aktivitäten und Engagements) und
  • belief (als Glaube an konventionelle Werte und Normen in Abgrenzung zur Identifikation mit Subkulturen).


Je stärker diese sozialen Bindungen an die "richtigen" Personen, Werte und Normen ausgeprägt sind, desto geringer das Risiko, dass ein Mensch eine Tat begeht, die von der Gesellschaft, in welcher er lebt, als Inbegriff der Verwerflichkeit angesehen wird. Anders herum ergibt sich aus diesem Zusammenhang ebenfalls, dass der Mensch um so anfälliger für die Motivation und Bereitschaft zu einer Straftat sein wird, desto schwächer und lückenhafter die entsprechenden Bindungen bei ihm ausgeprägt sind. - Je lückenhafter hingegen die erwähnten Bindungen, desto freier ist ein Individuum, bei den allfällig auftretenden Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit - seien diese sachlicher oder affektiver Art - auch illegale Wege der Problemlösung überhaupt wahrzunehmen, zum Gegenstand von Überlegungen zu machen und gegebenenfalls auch auf (evtl. selbst gesuchte) Gelegenheiten zu reagieren, sich darin bestätigen und unterstützen zu lassen. Dabei sind dann allerdings immer noch zwei Hürden zu überwinden, bevor es zur Tat kommen kann. Zum einen die innere Kontrollinstanz des Gewissens. Dessen hemmende Wirkung gilt es - soll es zu einer als verwerflich angesehenen Tötungshandlung kommen - durch eine entsprechende Manipulation der eigenen normativen Bewußtseinsinhalte zu überwinden. Das ist die selblegitimierende Funktion der von Sykes und Matza (1968) beschriebenen Neutralisationstechniken. Sie schaffen im individuellen moralischen Universum des prospektiven Täters eine Wahrnehmung, bzw. Definition der Situation, der zufolge gleichsam "alles in Ordnung" ist und die vorgestellte Tat "erforderlich", "leider unausweichlich" oder sogar "heldenhaft" - jedenfalls mit den eigenen moralischen Standards vereinbar und damit legitim - erscheint. Im Hinblick auf individuelle Morde wurde dieser interne Legitimationsprozess auf überzeugende Art von Jack Katz (1988) beschrieben, im Hinblick auf religiös motivierte Terroristen von Mark Juergensmeyer (2004) und auf Kriegsverbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg von Sönke Neitzel und Harald Welzer (2012).

Ist dieser innere Prozess erst einmal erfolgt, dann ist die Durchführung der Handlung für den Akteur psychisch nicht schwieriger zu bewerkstelligen als die Durchführung irgend einer sozial akzeptierten Form der Tötung (z.B. in Notwehr oder im Rahmen eines Verteidigungskrieges o.ä.), wo die Überwindung erster Hemmungen zwar auch erforderlich, aber sozial unterstützt, ethisch gleichsam geadelt und damit auch für jeden Einzelnen leichter zu bewältigen ist.

Ist die Bereitschaft zur Tat gegeben, dann bedarf es noch der objektiven Möglichkeit und des letzten Entschlusses zur unmittelbaren Durchführung der Tat selbst. Die objektive Möglichkeit kann entweder an den Akteur herangetragen werden (die Gruppe fordert den Novizen auf, einen Gefangenen aus der gegnerischen Gruppe zu liquidieren, um seine Loyalität zur Gruppe unter Beweis zu stellen) - oder er kann sie sich selbst schaffen (langfristige Vorbereitung eines Giftmords). Wo eine Gelegenheit weder vorhanden ist noch geschaffen werden kann, da erfolgt auch kein Mord: insofern ist die Abwesenheit geeigneten (personalen oder technischen) Schutzes eine weitere (wenn auch negative) Voraussetzung für das Zustandekommen von Morden (Cohen & Felson 1979).

Gesellschaftliche Bedingungen

In ruhigeren Zeiten bleibt die Mordrate - wie auch diejenige anderer Verbrechen und Vergehen - ziemlich konstant. Es gibt also so etwas wie ein recht gut prognostizierbares "Verbrechensbudget", das Jahr für Jahr in etwa dieselbe Zahl von Opfern fordert. Darin sah Adolphe Quetelet (1839: 7) den Beweis, "dass es die Gesellschaft ist, die das Verbrechen vorbereitet, und dass der Schuldige nur das Werkzeug ist, das es ausführt." Auch wer als Mörder "seinen Kopf auf den Block legt oder sich anschickt, sein Leben in den Gefängnissen zu beschließen", ist aus dieser Perspektive letztlich gar nicht selber schuld, sondern erfüllt nur, was die gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig hervorbringen müssen: der Mörder ist ein Opfer dieser Verhältnisse: "Sein Verbrechen ist die Frucht der äußeren Umstände, die er vorfindet."

Man muss die Interpretation Quetelets nicht teilen, um gleichwohl anzuerkennen, dass große Veränderungen der Mordrate nicht aus sich selbst heraus erklärbar sind, sondern auf dem Einfluss veränderter Bedingungen zu beruhen pflegen.

Die Veränderung äußerer Lebensumstände beeinflusst sowohl die Motive der Menschen als auch die Gelegenheitsstruktur, die sie vorfinden - und sowohl die inneren Hemmungen als auch die äußeren Kontrollen.

Sozialer, aber auch politischer Wandel kann die relativen Häufigkeiten unterschiedlicher Arten und Erscheinungsformen des Mordes verändern, aber auch generell das Risiko erhöhen oder vermindern, zu einer gegebenen Zeit und an einem bestimmten Ort zum Täter oder zum Opfer eines Mordes zu werden.

Insbesondere ein Zustand der Anomie, in dem vor dem Hintergrund tiefer Gräben zwischen Bevölkerungsgruppen und Lebensweisen sowohl das Zusammengehörigkeitsgefühl als auch das Rechtsbewusstsein nur schwach ausgeprägt sind (Durkheim 1983, Merton 1938, Messner/Rosenfeld 2012), führt in aller Regel zu erhöhter Bereitschaft und zu vermehrten Gelegenheiten der Gewalt, wenn nicht sogar - aufgrund der Schwäche staatlichen Schutzes - dazu, dass die Bevölkerung gleichsam genötigt wird, sich zum Schutz der eigenen Person, Familie und Güter der Gewalt als einer immer verfügbaren und häufig auch effektiven Ressource zu bedienen. Mit einem hohen Gewaltniveau geht eine hohe Mordrate jedenfalls dann einher, wenn in den Strukturen selbst gewisse Anreize für instrumentelle Grausamkeit angelegt sind oder aber eine Tendenz zum Auslegen von sinnlicher Lust am Töten befördern.

Schwache Bindung und starkes Verlangen

Kleine und große Gewaltkollektive werden um so häufiger in einer Gesellschaft auftreten, je häufiger ihre Mitglieder nur über schwache soziale Bindungen verfügen und desto größer ihre ursprüngliche Freiheit zur Abweichung ist.

  • Anomische Gruppen. In Gruppen von (jungen) Menschen mit wenig Selbstkontrolle, oftmals geringem Bildungsgrad und geringer sozialer Integration spielen Langeweile und die Suche nach einem gewissen Erregungsniveau - auch durch körperliche Gewalt - oft eine große Rolle. Ein ebenso bewunderter wie gefürchteter informeller Anführer ist in der Lage, auch an sich unaggressive Trabanten in eine mörderische Gewalteskalation zu involvieren, hinter der wenig anderes als die (oft alkoholisierte) Suche nach diesem besonderen Kick steht (Veiel 2007). Die Milieus, in denen sich solche Gruppen bilden, sind häufig solche der "doppelten Verlierer", die auch in regulären Subkulturen keinen Anschluss finden und sich am Rande des Randes einer Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagen.
  • Sub- und Teilkulturen der Gewalt. Wenn die Beteiligten nach den ersten größeren Gewaltaktionen vor Gericht kommen, hören die jeweiligen Gruppen in der Regel auf zu existieren. Wo aber nennenswerte Teile der Bevölkerung von sozio-ökonomischen Teilhabechancen ausgeschlossen bleiben, wo also eine kritische Masse von Menschen in ähnlich prekären Lebenslagen entsteht, können sich auch überdauernde Milieus herauskristallisieren: Sub- und Teilkulturen der Gewalt, in denen Mutproben und Gewaltorgien in Diskurs und Praxis fetischisiert werden und eine zentrale Rolle beim Statuserwerb und -verlust einnehmen (Wolfgang/Ferracutti 1967).
  • Organisierte Gruppen. Wo es primär um ökonomischen Erfolg auf illegalen Märkten geht, spielen Gewalt im Allgemeinen und Mord im Besonderen eine weniger expressive Rolle. Gewalt ist etwa im illegalen Drogenhandel von einem gewissen Niveau an ein unabdingbares Mittel zum Zweck: Bedrohungen müssen abgewehrt, Spitzel liquidert, Probleme gelöst werden. Gewalt ersetzt in den Fällen, in denen nicht einmal Korruption ihn öffnen kann, den versperrten Zugang zu staatlichen Institutionen.
  • Sub- und Teilkulturen der Ehre. Eine dienende Funktion der Gewalt und des Mordes findet sich auch beim Ehrenmord und beim Mord an sündhaften Mitgliedern strenger Religionsgemeinschaften - sowie last not least auch dort, wo zum Beispiel polizeiliche oder militärische Sondereinheiten mörderische Aktionen gegenüber Unerwünschten aus der eigenen oder einer fremden Bevölkerung durchführen: Häufigkeit und Leichtigkeit des Mordens wird hier durch das Bewusstsein gefördert, eine Pflicht zu erfüllen und die Taten in Befolgung nicht nur von Befehlen, sondern auch von höheren Werten auszuführen.

Gewaltkulturen

  • Gewaltkulturen. In Gesellschaften mit einer langen Tradition (Kontinuität) von Gewalt, die sich über alle Bereiche der Gesellschaft erstreckt (Ubiquität), in denen statt eines staatlichen Gewaltmonopols eine Vielfalt von Gewaltakteuren bestimmt (Pluralität) und in denen illegale Gewalt aller Art als normal angesehen wird (Normalität), da stärkt die Faktizität der Gewalt ihrerseits ihre normative Akzeptanz (Legitimität). In einer Gewaltkultur gräbt sich die Gewalt auf diese Weise tief in die Strukturen von Staat und Gesellschaft ein und wird zu einem Alltagsphänomen wie andere auch. Wo ein demokratischer Rechtsstaat mit einer Gewaltkultur koexisiert, bilden Justiz und Polizei die systemische Schnittstelle. Deren "Dysfunktionalität" im Sinne rechtsstaatlichen Handelns und juridischer Aufarbeitung staatlicher sowie nicht-staatlicher Morde sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen und andere Verbrechen keine spürbaren Folgen für die Täter haben. Die Straflosigkeit garantiert dann der Gewalt über Jahrzehnte hinweg ihre Rolle als effektivstes Konfliktlösungsinstrument und als bevorzugtes Mittel zur Durchsetzung von Partikularinteressen auf allen Ebenen, zumal die Abwesenheit staatlichen Schutzes vor Gewalt die Bevölkerung zur gewaltförmigen Selbstorganisation geradezu nötigt. Wo solche Strukturen die Bildung kleiner und großer Gewaltgruppen erleichtern und wirksame Eindämmungsmöglichkeiten fehlen, sind - wie gegenwärtig in Mittelamerika - die weltweit höchsten Homizidraten zu verzeichnen.
  • Gewaltsysteme. Wo der Staat das Gewaltmonopol nicht rechtsstaatlich kanalisiert, sondern seine eigenen Institutionen nach Gutdünken gewaltförmige Maßnahmen aller Art gegen Feinde, Verdächtige und andere Unerwünschte treffen lässt, kann er aufgrund seiner enormen Übermacht über alle sonstigen Akteure und seiner ideologischen Einflussmöglichkeiten in besonders hohem Ausmaß und mit größter Leichtigkeit unzählige Menschen zu Mördern machen und Massenmorde bis hin zum Völkermord organisieren.

Literatur

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Weblinks

Statistiken

Anderes

Stoffsammlung

Dokumentarfilme

  • Aileen: Life and Death of a Serial Killer. Regie: Nick Broomfield, 2003, von Amnesty International ausgezeichneter Dokumentarfilm.
  • Blind Spot: Murder by Women. Ein Film von Irving Saraf, Allie Light and Julia Hilder, 2000.
  • Urteil: Mord. 15.03.2010 (Gruppenmord in Lüchow, Niedersachsen).

Spielfilme

Frau ohne Gewissen


Zitate

  • »Das ›metaphysische‹, absolutistische Verhältnis zu Werten birgt logischerweise das Risiko einer Rechtfertigung des Mordes in sich« (Vattimo: Jenseits vom Subjekt, S. 25).
  • Schon die „einfachste Überlegung zeigt, daß der private Mord in geschichtlichen Zeiten nie mit dem öffentlichen sich hat messen können." (Enzensberger 1964: 17).
  • „Damit die Mörder verschwinden, muß sich die Scheu vor vergossenem Blut in den sozialen Schichten, aus denen sich die Mörder rekrutieren, vergrößern.“ (Durkheim 1968: 5).

Sonstiges

Bedingungen: wo entstehen Bedürfnisse nach (mörderischer) Tötungsgewalt als Mittel zur (affektiven/instrumentellen) Zielerreichung? Dort, wo

  • sie einen relativen Vorteil gegenüber anderen Mitteln besitzt: das Opfer kann sich nicht beschweren, nicht rächen. Da, wo die Verwandten kommen können, ist die Tötung nicht so attraktiv. (Mittelalter! wikipedia)
  • man als Täter nicht nur den positiven Erfolg der Tötung hat, sondern auch noch zusätzliche Belohnung erwarten kann (kleinräumige Gruppenunterstützung, Statusgewinn, aber auch Großgruppenunterstützung: Orden, Beförderungen ...)
  • also relativ dauerhafte Legitimationen - bis zum Ende des Regimes - dafür sorgen, dass die negative Stigmatisierung "Schurke"/"Mörder" nicht greift und stattdessen die Tötung unter positiv konnotierte Tötungshandlungen subsumiert wird ("Held", "Retter", "Dienst an der Gemeinschaft", "Elitesoldat", "Bewährung in Sondereinheit der Polizei" ....)
  • starke und weitgehend "geltende" Legitimationsdiskurse vorhanden sind: im Volk (Populismus) und/oder seitens der Exekutive oder der Medien - bei Indifferenz der Justiz (= Einstellung des Drohnenverfahrens); Analogien zum Staat, Strafe, Todesstrafe. Caldeiras.
  • durch die mehrfach determinierte Ungleichheit Interessenkonflikte entlang klarer Fronten latent vorhanden sind und durch symbolhafte Auslöser und Beschleunigungsfaktoren zum Tragen kommen (vorgezeichnet sind durch stark segmenthafte Merkmale (Hautfarbe, Ethnie, Ruanda, Liberia)
  • eine Handlung umetikettiert wird und damit die soziale Präventivfunktion der Stigmatisierung einer bestimmten Handlungskategorie unterlaufen wird / Labeling, Makro = Typisierung zwecks sozialer Kontrolle. Fällt weg, wenn umetikettiert wird (He/Sch)
  • Neutralisationstechniken wirken (im höheren Auftrag, für das Volk, das eine schwere Vergangenheit hat und eine Erniedrigung kompensieren möchte)
  • Rechtsauffassung zur Umetikettierung führt (gegenüber Rechtslage, die Mord sagen würde)

Durkheim (1973: 421 f.) zeigte, dass der Mord nicht etwa "eine einzige und unteilbare kriminologische Einheit darstellt, sondern Mehrzahl von Typen umfassen muß, die sehr weit voneinander verschieden sind."

Komposita: Völkermord, Selbst-Mord, Eifersuchtsmord, Ehrenmord, Mafia-Mord, Döner-Mord, Massenmord, Serienmord, Lustmord, Kindsmord, Tyrannenmord.

Politischer Mord: altruistischer Mord?

Völkermord als: einzigartiges Verbrechen, als Verbrechen der ... (engl. crime of crimes) oder als das schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht bezeichnet. .

An einem „ganz normalen Wochentag“, dem 2. April 1992 – es war ein Donnerstag – analysierten Wissenschaftler in Washington (USA) die Blutrünstigkeit des Fernsehens: In den zehn Hauptkanälen der Stadt wurden zwischen sechs Uhr Früh und Mitternacht 1.846 Gewaltakte gezeigt, davon 175 mit tödlichem Ausgang und 751 waren lebensgefährlich für die Beteiligten. Das bedeutete pro Stunde einen Mord und zehn Gewalttaten. [1].