Der von dem amerikanischen Soziologen Howard S. Becker geprägte Begriff Moralunternehmer (moral entrepreneur) bezeichnet eine Person, die sich aus altruistischen oder egoistischen Motiven bemüht, einer Norm zu allgemeiner Anerkennung zu verhelfen oder eine in ihrer Geltung bedrohte Norm zu verteidigen. Das Verhalten derjenigen, die sich nach anderen Normen richten, wird bei erfolgreicher Tätigkeit der Moralunternehmer zu "abweichendem Verhalten", bzw. zu einer strafbedrohten Handlung: insofern "produzieren" Moralunternehmer nicht nur Regeln, sondern auch Abweichung und Kriminalität. Nach Becker lassen sich zwei Arten des Moralunternehmers unterscheiden: der Regelsetzer und der Regeldurchsetzer. Regelsetzer können als moralisch angetriebene Kreuzzügler ansehen, deren Hauptsorge darin besteht, andere Menschen zu überzeugen - wobei die Mittel der Überzeugung weniger wichtig sind als der Erfolg. Erfolgreiche Kreuzzüge bedürfen der Macht, des Einflusses, der öffentlichen Unterstützung und müssen eine allgemeine gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die jeweilige Thematik schaffen; wichtig ist auch, eine klare und akzeptable Lösung für das Problem vorschlagen zu können. Beckers Beispiel für Moralunternehmer ist deren Wirken im Zusammenhang mit dem Verbot von Marihuana in den USA (Becker 1973). Weitere Beispiele finden sich aber auch im moralischen Kreuzzug für die Alkoholprohibition in den USA (Sinclair 1963). Aktuelle Beispiele könnten in den Kampagnen gegen die Homosexuellen-Ehe, für das Verbot der Abtreibung ("Pro-Life") und ähnlichen Bewegungen gesehen werden.

Nach einiger Zeit werden Moralunternehmer abhängig von Experten oder den Angehörigen bestimmter Berufsgruppen, um den moralischen Überzeugungen einen wissenschaftlichen oder technischen Begründungs-Unterbau zu verschaffen, sie also in politischen Gremien und vor einer relativ unbeteiligten Öffentlichkeit zu legitimieren. Regeldurchsetzer - wie z.B. Polizeibeamte - werden von zwei Faktoren angetrieben: von der Notwendigkeit, ihre eigene Rolle zu rechtfertigen, und von der Notwendigkeit, in Interaktionen Respekt verlangen zu können. Sie sind in einer gewissen Klemme: wenn sie zu viel Effektivität zeigen, könnte man sie für überflüssig halten; wenn sie zu ineffektiv sind, dann könnte man sagen, dass sie versagen. Regeldurchsetzer wollen Regeln durchsetzen, weil es ihr Job ist und weil sie ihren Job gut machen wollen - sie sind nicht wirklich am Inhalt der Regel interessiert. Wenn Regeln verändert werden, wird etwas strafbar, was bisher tolerabel war. Sie tendieren zu einer negativen Sicht der menschlichen Natur.

Literatur

  • Becker, Howard S. (1973). Außenseiter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Orginal: Outsiders: Studies in the Sociology of Deviance (1963). New York: The Free Press, 147-153.