Moralische Panik: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Inhaltsverzeichnis'''
'''Inhaltsverzeichnis'''
== Geschichte und Bedeutung ==
== '''Geschichte und Bedeutung''' ==
=== Stanley Cohen's ''Folk Devils and Moral Panics'' ===
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Auf das Phänomen ''Moral Panic'' wurde erstmalig von dem britischen Soziologe Jock Young im Jahr 1971 Bezug genommen.<ref Name="Thomson" /> Dieser stellte einen Zusammenhang zwischen der, mit Befürchtungen geführten Diskussion über einen Anstieg der statistischen Daten zum Missbrauch von Drogen und dem verstärkten Aufgebot von Polizeieinsätzen sowie dem Anstieg von gerichtlichen Verurteilungen in diesem Bereich her. <ref>Young,Jock:The role of the Police as Amplifiers of Deviancy, Negotiators of Reality and Translators of Fantasy:Some consequences of our present system of drug control as seen in Notting Hill, In:Cohen,Stanley: Images of Deviance, Penguin Books,Harmondsoworth,1971 S.27-62 </ref> Systematisch führte Stephen Cohen in seinem 1972 veröffentlichten Werk [[''Folk devils and Moral Panics'']] in das Konzept der moralischen Panik ein. Darin fokussiert er hauptsächlich die Reaktion der [[Medien]] und das Verhalten der politischen sowie öffentlichen Akteure von Jugendlichen, sogenannten [[''Moods and Rockers'']], in den 1960-er Jahren in Großbritannien.<ref Name= "Thomson" />
'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das [[deviant]]e Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein aufsehenerregender Straßenkampf in ''Clacton'', einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde ''Clacton'' Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei.<ref name=''The Inventory''>Cohen Stanley,''The Inventory''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.16-34)</ref> Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten bedeutungsvoller Tageszeitungen. Auf den Spiraleffekt zurückgehend folgten Bezeichnungen der jugendlichen Gruppen, als ''Mods and Rockers'' und deren Deklaration als gefährliche ''Folk Devils''.<ref> Thomson, Kenneth: ''The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen geht bei seiner Analyse von einem [[Stufenmodell]] aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in ''Clacton'' zunächst eine anfänglich, als deviant charakterisierte Phase, welche in eine Stufe der Beständigkeit überging. In diesem Zusammenhang analysiert Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen kann in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem schrieben die Zeitungen fälschliche Aussagen. Beispielsweise veröffentlichte eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in ''Clacton'' aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name="The role of the Media"> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Frieden aus.<ref Name="The role fo the Media"/>  
# Symbolisierungen: Zudem fand eine Symbolisierung der vermeintlichen Täter statt. Beispielsweise wurden Schlüsselsymbole wie Haarschnitte oder Kleidungsstile ihrer neutralen Konnotation entnommen und mit negativen Assoziationen belegt. Dies wurde auch daran ersichtlich, dass es vor den Ereignissen in ''Clacton'' eine Berichterstattung über [[''Hooligans'']] oder [[''Gang Fights'']] gab. Bisher hatte diese regulär und ohne hohe Besorgniserregung stattgefunden.
Neben den Medien spielt bei der Entwicklung einer moralischen Panik über jugendliches, gewalttätiges Verhalten das Handeln von Politikern und sozialen Gruppen eine bedeutende Rolle. Lokale Politiker wollten die Vorfälle in ''Clacton'' und die damit verbundene Problematik auf national-politische Ebene bringen. Dazu sendeten sie Berichte in das britische Innenministerium sodass der Vorfall und mögliche Konsequenzen letztendlich im Unterhaus diskutiert wurden. Daneben bildeten sich auch lokale Gruppen, die eine effektives Vorgehen gegen das deviante Verhalten forderten. <ref> Thomson, Kenneth: "Social Control Agents and Moral Entrepreneurs" In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 38 </ref>
 
=== aktuelle wissenschaftliche Bezüge ===
 
 
 
'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das [[deviant]]e Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein aufsehenerregender Straßenkampf in ''Clacton'', einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde ''Clacton'' Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei.<ref name=''The Inventory''>Cohen Stanley,''The Inventory''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.16-34)</ref> Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten bedeutungsvoller Tageszeitungen. Auf den Spiraleffekt zurückgehend folgten Bezeichnungen der jugendlichen Gruppen, als ''Mods and Rockers'' und deren Deklaration als gefährliche ''Folk Devils''.<ref> Thomson, Kenneth: ''The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen geht bei seiner Analyse von einem [[Stufenmodell]] aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in ''Clacton'' zunächst eine anfänglich, als deviant charakterisierte Phase, welche in eine Stufe der Beständigkeit überging. In diesem Zusammenhang analysiert Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen kann in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem schrieben die Zeitungen fälschliche Aussagen. Beispielsweise veröffentlichte eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in ''Clacton'' aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name="The role of the Media"> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Frieden aus.<ref Name="The role fo the Media"/>
# Symbolisierungen: Zudem fand eine Symbolisierung der vermeintlichen Täter statt. Beispielsweise wurden Schlüsselsymbole wie Haarschnitte oder Kleidungsstile ihrer neutralen Konnotation entnommen und mit negativen Assoziationen belegt. Dies wurde auch daran ersichtlich, dass es vor den Ereignissen in ''Clacton'' eine Berichterstattung über [[''Hooligans'']] oder [[''Gang Fights'']] gab. Bisher hatte diese regulär und ohne hohe Besorgniserregung stattgefunden.
Neben den Medien spielt bei der Entwicklung einer moralischen Panik über jugendliches, gewalttätiges Verhalten das Handeln von Politikern und sozialen Gruppen eine bedeutende Rolle. Lokale Politiker wollten die Vorfälle in ''Clacton'' und die damit verbundene Problematik auf national-politische Ebene bringen. Dazu sendeten sie Berichte in das britische Innenministerium sodass der Vorfall und mögliche Konsequenzen letztendlich im Unterhaus diskutiert wurden. Daneben bildeten sich auch lokale Gruppen, die eine effektives Vorgehen gegen das deviante Verhalten forderten. <ref> Thomson, Kenneth: "Social Control Agents and Moral Entrepreneurs" In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 38 </ref>
 
 
'''Bedeutung im Kontext aktueller Forschung'''
 
Das Konzept der ''Moral Panic'' entstand in den 1960-er aus der Verbindung von Theorieströmungen aus der [[kritischen Soziologie]],der [[Labeling Theorie]] und den [[''cultural politics'']] <ref name="Einleitung">Cohen, Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:''Folk Devils and Moral Panics'', 2002, Routledge, London, S. vii-xxiv, S. xxii </ref>  
Stanley Cohen benennt in der Einleitung zu ''Folk Devils and Moral Panics'' in der dritten Auflage aus dem Jahr 2002 einen aktualisierten Forschungskontext. Nach wie vor ist das Konzept der moralischen Panik in den [[Media and Cultural Studies]], in der [[Diskursanalyse]] sowie in der [[Soziologie über deviantes Verhalten]] präsent.
Er fasst zudem sieben Cluster sozialer Identitäten zusammen, in dessen Umfeld moralische Panik häufig auftritt:
* junge, gewaltbereite Männer aus der [[Arbeiterklasse]]
* schulische Gewalt, Mobbing und Amokläufe
* Drogenmissbrauch
* Missbrauch von Kindern, satanistische Rituale und Auftreten pädophilen Verhaltens
* Sex, Gewalt und gegenseitiges Anlasten der Medien
* wohlfahrtstaatlicher Maßnahmen im Kontext alleinerziehende Mütter
* Flüchtlinge und Asylbewerber, die auf Kosten der Steuerzahler leben <ref name="Einleitung" />
 
Zudem weist Cohen daraufhin, dass die Betrachtung der Medien im aktuellen Forschungskontext moralischer Panik von hoher Wichtigkeit sei. Medien gelten als erste Quelle der öffentlichen Meinung und des daraus resultierenden Wissens über die Devianz der als sozial problematisch bezeichneten Verhaltensweisen. Dabei erfüllen sie drei Rollen <ref Name="Einleitung" />:
# Weichenstellung: Die Repräsentanten der Medien treffen die Auswahl über sozialproblematische Vorfälle.
# Transmission der Darstellung: Innerhalb der medialen Berichterstattung findet eine Übertragung in eine spezifische Rhetorik statt.
# Durchbrechen der Stille: Medien treten mittlerweile selber als Anspruchssteller auf. Schlagzeilen lauten beispielsweise folgendermaßen: ''"Would you like a paedophile as your neighbour?"''<ref>''The Sun''</ref>
Insgesamt konnte in den letzten Jahren sowohl eine verstärkte Einmischung der Medien als auch eine Veränderungen der medialen Berichterstattung über [[abweichendes Verhalten]] beobachtet werden. [[Kriminalität]] und abweichendes Verhalten werden als in der Gesellschaft weit verbreites Phänomen dargestellt. Zudem findet eine stärkere Fokussierung der Opfer statt. Der Hintergrund des Täters, seine Motive und sein Kontext, treten dadurch in den Hintergrund und werden leichter ''dämonisiert''. Insgesamt hat sich die Repräsentantion von Kriminalität in den Medien gewandelt und es gibt Entwicklungen die als [[Virtuelle Gerichtsvollzug]] (''virtual vigilantism'')<ref>Reiner,Robert''The Rise of Virtual Vigilantism: Crime Reporting Since World War II'', Criminal Justice Matters 43 (Spring 2001) aus Cohen,Stanley:''Folk Devils and Moral Panics'',2002, Routledge, London, S. xxiv </ref> bezeichnet werden. Diese Entwicklungen können vor allem in den Boulveradblätter sowie Talkshows beobachtet werden. <ref name="Einleitung" />  
*Risk Society
* Veränderungen: qualitativ und quantitativ


== Merkmale ==
== Merkmale ==
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