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'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das deviante Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein größerer Straßenkampf in „Clacton“, einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde Clacton Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei. (siehe Cohen S. 29ff.) Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten. Dem [[Spiraleffekt]] folgend wurden jugendliche Gruppen, als ''Mods and Rockers'' bezeichnet und als gefährliche ''Folk Devils'' deklariert.<ref> Thomson, Kenneth: '' The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen ging bei seiner Analyse von einem Stufenmodell aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in Clacton zunächst eine anfänglich, deviante Phase, welche in eine Phase der Beständigkeit überging. Hierbei analysierte Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.  
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das deviante Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein größerer Straßenkampf in „Clacton“, einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde Clacton Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei.<ref Name=''The Inventory''>Cohen Stanley,''The Inventory''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.16-34)</ref> Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten. Dem [[Spiraleffekt]] folgend wurden jugendliche Gruppen, als ''Mods and Rockers'' bezeichnet und als gefährliche ''Folk Devils'' deklariert.<ref> Thomson, Kenneth: '' The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen ging bei seiner Analyse von einem Stufenmodell aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in Clacton zunächst eine anfänglich, deviante Phase, welche in eine Phase der Beständigkeit überging. Hierbei analysierte Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.  
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen konnte in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem wurden fälschliche Aussagen gemacht. Beispielsweise schrieb eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in Clacton aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name= The role of the Media> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen konnte in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem wurden fälschliche Aussagen gemacht. Beispielsweise schrieb eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in Clacton aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name="The role of the Media"> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Friedens aus.<ref Name= The role fo the Media />  
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Friedens aus.<ref Name="The role fo the Media"/>  
# Symbolisierungen: Zudem fand eine Symbolisierung statt. Beispielsweise wurden Schlüsselsymbole wie Haarschnitte oder Kleidungsstile ihrer neutralen Konnotation entnommen und mit negativen Assoziationen belegt. Dies wurde auch daran ersichtlich, dass es vor den Ereignissen in Clacton eine Berichterstattung über [[''Hooligans'']] oder [[''Gang Fights'']] gab. Bisher hatte diese regulär und ohne hohe Besorgniserregung stattgefunden. Neben den Medien spielten bei der Entwicklung einer moralischen Panik über jugendliches gewalttätiges Verhalten das Handeln von Politikern und sozialen Gruppen eine bedeutende Rolle. Lokale Politiker wollten die Vorfälle in Clacton und die damit verbundene Problematik auf nationale politische Ebene bringen. Dazu sendeten sie Berichte in das britische Innenministerium sodass der Vorfall und mögliche Konsequenzen letztendlich im Unterhaus diskutiert wurden. Daneben bildeten sich auch lokale Gruppen, die eine effektives Vorgehen gegen das deviante Verhalten forderten. <ref> Thomson, Kenneth: ''Social Control Agents and Moral Entrepreneurs'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 38 </ref>
# Symbolisierungen: Zudem fand eine Symbolisierung statt. Beispielsweise wurden Schlüsselsymbole wie Haarschnitte oder Kleidungsstile ihrer neutralen Konnotation entnommen und mit negativen Assoziationen belegt. Dies wurde auch daran ersichtlich, dass es vor den Ereignissen in Clacton eine Berichterstattung über [[''Hooligans'']] oder [[''Gang Fights'']] gab. Bisher hatte diese regulär und ohne hohe Besorgniserregung stattgefunden. Neben den Medien spielten bei der Entwicklung einer moralischen Panik über jugendliches gewalttätiges Verhalten das Handeln von Politikern und sozialen Gruppen eine bedeutende Rolle. Lokale Politiker wollten die Vorfälle in Clacton und die damit verbundene Problematik auf nationale politische Ebene bringen. Dazu sendeten sie Berichte in das britische Innenministerium sodass der Vorfall und mögliche Konsequenzen letztendlich im Unterhaus diskutiert wurden. Daneben bildeten sich auch lokale Gruppen, die eine effektives Vorgehen gegen das deviante Verhalten forderten. <ref> Thomson, Kenneth: "Social Control Agents and Moral Entrepreneurs" In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 38 </ref>




'''Bedeutung im Kontext aktueller Forschung'''
'''Bedeutung im Kontext aktueller Forschung'''


Das Konzept der ''Moral Panic'' entstand in den 1960-er aus den Theorieströmungen der [[kritischen Soziologie]], [[Labeling Theorie]] etc. Stanley Cohen benennt in der Einleitung zur ''Folk Devils and Moral Panics'' in der dritten Auflage aus dem Jahr 2003 einen aktualisierten Forschungskontext. Nach wie vor ist das Konzept der moralischen Panik in den [[Media and Cultural Studies]], in der [[Diskursanalyse]] sowie in der [[Soziologie über deviantes Verhalten]] präsent.
Das Konzept der ''Moral Panic'' entstand in den 1960-er aus der Verbindung von Theorieströmungen aus der [[kritischen Soziologie]],der [[Labeling Theorie]] und den [[''cultural politics'']] <ref=Name>Cohen, Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002, Routledge, London, S. vii-xxxv</ref> Stanley Cohen benennt in der Einleitung zu ''Folk Devils and Moral Panics'' in der dritten Auflage aus dem Jahr 2002 einen aktualisierten Forschungskontext. Nach wie vor ist das Konzept der moralischen Panik in den [[Media and Cultural Studies]], in der [[Diskursanalyse]] sowie in der [[Soziologie über deviantes Verhalten]] präsent.
Cohen fasst sieben Cluster sozialer Identitäten zusammen, in dessen Umfeld moralische Panik öfter auftreten.  
Cohen fasst zudem sieben Cluster sozialer Identitäten zusammen, in dessen Umfeld moralische Panik öfter auftreten:
* junge, gewaltbereite Männer aus der [[Arbeiterklasse]]
* schulische Gewalt, Mobbing und Amokläufe
* Drogenmissbrauch
* Missbrauch von Kindern, satanistische Rituale und Auftreten pädophilen Verhaltens
* Sex, Gewalt und gegenseitiges Anlasten der Medien
* wohlfahrtstaatlicher Maßnahmen im Kontext alleinerziehende Mütter
* Flüchtlinge und Asylbewerber, die auf Kosten der Steuerzahler leben <ref Name=''Introduction the the Third Edition'' S.viii-xxi/>


Zudem zeigt Cohen auf, dass die Betrachtung der Medien im Forschungskontext moralischer Panik von hoher Wichtigkeit sei. Medien gelten als erste Quelle der öffentlichen Meinung und des daraus resultierenden Wissens über die Devianz der als sozial problematisch bezeichneten Verhaltensweisen. Dabei erfüllen Medien drei Rollen.  
Zudem weist Cohen daraufhin, dass die Betrachtung der Medien im aktuellen Forschungskontext moralischer Panik von hoher Wichtigkeit sei. Medien gelten als erste Quelle der öffentlichen Meinung und des daraus resultierenden Wissens über die Devianz der als sozial problematisch bezeichneten Verhaltensweisen. Dabei erfüllen sie drei Rollen <ref Name=''Introduction the the Third Edition'' S.xxiii-xxv/>:
# Weichenstellung: Die Repräsentanten der Medien treffen die Auswahl über sozialproblematische Vorfälle.  
# Weichenstellung: Die Repräsentanten der Medien treffen die Auswahl über sozialproblematische Vorfälle.  
# Transmission der Darstellung: Innerhalb der medialen Berichterstattung findet eine Übertragung in eine spezifische Rhetorik statt
# Transmission der Darstellung: Innerhalb der medialen Berichterstattung findet eine Übertragung in eine spezifische Rhetorik statt.
# Durchbrechen der Stille: Medien treten mittlerweile selber als Anspruchssteller auf. Schlagzeilen lauten beispielsweise folgendermaßen: ''Would you like a paedophile as your neighbour?'' (Cohen)
# Durchbrechen der Stille: Medien treten mittlerweile selber als Anspruchssteller auf. Schlagzeilen lauten beispielsweise folgendermaßen: ''Would you like a paedophile as your neighbour?''<ref>aus ''The Sun''</ref)  
Insgesamt konnte eine verstärkte Einmischung der Medien als auch eine Veränderungen der medialen Berichterstattung über abweichendes Verhalten beobachtet werden. [[Kriminalität]] und abweichendes Verhalten gelten zunächst als weit verbreitet in der Gesellschaft. Es findet zudem eine stärkere Fokussierung der Opfer statt. Der Hintergrund des Täters, seine Motive und sein Kontext treten dadurch in den Hintergrund und werden leichter ''dämonisiert''. Insgesamt hat sich die Repräsentantion von Kriminalität in den Medien gewandelt und es gibt Entwicklungen die als Virtuelle Gerichtsvollzug bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang stehen auch die Boulveradblätter sowie Talkshows. (Cohen)
Insgesamt konnte eine verstärkte Einmischung der Medien als auch eine Veränderungen der medialen Berichterstattung über abweichendes Verhalten beobachtet werden. [[Kriminalität]] und abweichendes Verhalten gelten zunächst als weit verbreitet in der Gesellschaft. Es findet zudem eine stärkere Fokussierung der Opfer statt. Der Hintergrund des Täters, seine Motive und sein Kontext treten dadurch in den Hintergrund und werden leichter ''dämonisiert''. Insgesamt hat sich die Repräsentantion von Kriminalität in den Medien gewandelt und es gibt Entwicklungen die als Virtuelle Gerichtsvollzug (''virtual vigilantism'')<ref>Reiner,Robert''The Rise of Virtual Vigilantism: Crime Reporting Since World War II'', Criminal Justice Matters 43 (Spring 2001) aus Cohen,Stanley:Folk Devils and Moral Panics,2002, Routledge, London, S. xxiv< /ref> bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang stehen auch die Boulveradblätter sowie Talkshows. <ref Name=''Introduction the the Third Edition'' S.xxiii-xxv/>
 
*Risk Society
* Veränderungen: qualitativ und quantitativ


'''Merkmale'''
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Die Soziologen [[Erich Goode]] und [[Nachman Ben- Yehuda]] arbeiten in ihrem Buch ''Moral Panics: The social construction of deviance“'' fünf signifikante Merkmale, welche das Phänomen der  moralischen Panik näher charakterisieren, heraus.
Die Soziologen [[Erich Goode]] und [[Nachman Ben- Yehuda]] arbeiten in ihrem Buch ''Moral Panics: The social construction of deviance“'' fünf signifikante Merkmale, welche das Phänomen der  moralischen Panik näher charakterisieren, heraus.<ref>Goode, Erich/ Ben- Yehuda Nachman: ''Indicators of the Moral Panic'' In: ''Moral Panics: the social construction of deviance'', 1994, Blackwell Publishing, Malden S. 33 </ref>
 


== Besorgnis (Concern) ==
== Besorgnis (Concern) ==
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