Makrokriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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== Bezug zu verwandten Konzepten ==
== Bezug zu verwandten Konzepten ==
Der Kriminologe Frank Neubacher betrachtet die Makrokriminalität als eine Differenzierung der [[Staatskriminalität]], welche wiederum den „beunruhigenden Kern“ der Kriminalität der Mächtigen darstellt. In dieser Betrachtung sind neben der Makrokriminalität die state-organized crime und die Regierungskriminalität angesiedelt (vgl. Neubacher 2002, S. 295). Andere Autoren betrachten die Makrokriminalität trotz der vorhandenen Schnittmengen als eigenständiges Konzept (vgl. Reese, S. 130). Die Einordnung ist daher nicht eindeutig.
Der Kriminologe Frank Neubacher betrachtet die Makrokriminalität als eine Differenzierung der [[Staatskriminalität]], welche wiederum den „beunruhigenden Kern“ der [[Kriminalität der Mächtigen]] darstellt. In dieser Betrachtung sind neben der Makrokriminalität die [[state-organized crime]] und die [[Regierungskriminalität]] angesiedelt (vgl. Neubacher 2002, S. 295). Andere Autoren betrachten die Makrokriminalität trotz der vorhandenen Schnittmengen als eigenständiges Konzept (vgl. Reese, S. 130). Die Einordnung ist daher nicht eindeutig.


== Historie ==
== Historie ==
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=== Sanktionierung ===
=== Sanktionierung ===
Verbrechen ist assoziiert mit strafrechtlichen Sanktionsmechanismen, diese kennzeichnen ein Verbrechen. Eine solche Betrachtungsweise lässt sich jedoch nur mühevoll auf kollektive Großkonflikte beziehen. Makrokriminelle Verbrechen lassen sich auf Grund von tatbestandlichen Defintionensschwierigkeiten und Mangel an Verfolgungsmöglichkeiten nur schwer mit der Anwendung des Strafrechts verhindern. Die Chance auf strafrechtliche Erfassung und Verfolgung ist gering (vgl. Walter 1993, S.127). Jäger plädiert, im Sinne der Makrokriminalität, daher für eine weitestgehende Entkopplung von Verbrechensbegriff und praktischer Strafverfolgung und somit von Kriminologie und Strafrecht (1989, S.21f).
Verbrechen ist assoziiert mit strafrechtlichen [[Sanktion]]smechanismen, diese kennzeichnen ein Verbrechen. Eine solche Betrachtungsweise lässt sich jedoch nur mühevoll auf kollektive Großkonflikte beziehen. Makrokriminelle Verbrechen lassen sich auf Grund von tatbestandlichen Defintionensschwierigkeiten und Mangel an Verfolgungsmöglichkeiten nur schwer mit der Anwendung des Strafrechts verhindern. Die Chance auf strafrechtliche Erfassung und Verfolgung ist gering (vgl. Walter 1993, S.127). Jäger plädiert, im Sinne der Makrokriminalität, daher für eine weitestgehende Entkopplung von Verbrechensbegriff und praktischer Strafverfolgung und somit von Kriminologie und Strafrecht (1989, S.21f).


=== Schuld ===
=== Schuld ===
Der Verbrechensbegriff des deutschen Strafrechts setzt Schuld voraus. Im Falle von kollektiven Verbrechen ist die individuelle Verantwortlichkeit schwer zu bewerten, da auf Grund von Befehl, Unrechtsbewusstsein oder gruppenpsychologischen Einflüssen gehandelt wird. Darüber hinaus ist die Tat als Gesamtgeschehen nicht durch die individuelle Schuld eines Individuums erklärbar. Die Forderung steht seitens Jäger dahingehend, auch ungeklärte Unrechtsakte sowie legale Schädigungen als Teil der Kriminologie zu betrachten (1989, S.23f). Die Frage nach der Zurechenbarkeit ist Teil des Forschungsinteresses.
Der Verbrechensbegriff des deutschen Strafrechts setzt [[Schuld]] voraus. Im Falle von kollektiven Verbrechen ist die individuelle Verantwortlichkeit schwer zu bewerten, da auf Grund von Befehl, Unrechtsbewusstsein oder gruppenpsychologischen Einflüssen gehandelt wird. Darüber hinaus ist die Tat als Gesamtgeschehen nicht durch die individuelle Schuld eines Individuums erklärbar. Die Forderung steht seitens Jäger dahingehend, auch ungeklärte Unrechtsakte sowie legale Schädigungen als Teil der Kriminologie zu betrachten (1989, S.23f). Die Frage nach der Zurechenbarkeit ist Teil des Forschungsinteresses.


== Erklärungsansätze ==
== Erklärungsansätze ==
Eine spezielle Ursachentheorie für die Erklärung von kollektiven Großverbrechen gibt es bisher nicht. Zudem ist es schwer, diese Art der Verbrechen ursächlich auf kriminogene Anlagen oder Sozialisationsdefizite zurückzuführen (vgl. Walter 1993, S.124). Zur Erklärung von makrokriminellen Phänomenen erfolgen Rückgriffe auf psychologische Theorien sowie auf allgemeine kriminologische Theorien.  
Eine spezielle Ursachentheorie für die Erklärung von kollektiven Großverbrechen gibt es bisher nicht. Zudem ist es schwer, diese Art der Verbrechen ursächlich auf kriminogene Anlagen oder Sozialisationsdefizite zurückzuführen (vgl. Walter 1993, S.124). Zur Erklärung von makrokriminellen Phänomenen erfolgen Rückgriffe auf psychologische Theorien sowie auf allgemeine kriminologische Theorien.  


Im Sinne eines Erklärungsansatzes hat Jäger die Techniken der Neutralisation von Sykes/Matza auf die Phänomene der Makrokriminologie übertragen. Der einzelne Täter bedient sich Techniken der Rechtfertigung, Neutralisation und Umwertungen, um sich gegen (Selbst-) Vorwürfe zu schützen. Dies erfolgt nicht nur im Sinne einer nachträglichen Selbstentlastung sondern v.a. in vorgeschalteter Weise, um so die Handlung erst zu ermöglichen. Dabei stehen im Falle, der unter Konformität begangenen Makrokriminalität, die Selbstrechtfertigungen im Vordergrund, da ein nur geringer Neutralisationsbedarf gegenüber Dritten besteht (vgl. Reese, S.179). Jäger dehnt die ursprüngliche Fassung aus, indem er alle Fälle einbezieht, in denen es zu einer Schwächung oder völligen Eliminierung des Unrechtsbewusstseins und der Handlungshemmungen kommt (vgl. 1989, S.190). Er unterscheidet 10 Varianten der Neutralisation, die empirisch erkennbar waren (nachzulesen bei Jäger, 1989).  
Im Sinne eines Erklärungsansatzes hat Jäger die [[Techniken der Neutralisation von Sykes/Matza]] auf die Phänomene der Makrokriminologie übertragen. Der einzelne Täter bedient sich Techniken der Rechtfertigung, Neutralisation und Umwertungen, um sich gegen (Selbst-) Vorwürfe zu schützen. Dies erfolgt nicht nur im Sinne einer nachträglichen Selbstentlastung sondern v.a. in vorgeschalteter Weise, um so die Handlung erst zu ermöglichen. Dabei stehen im Falle, der unter Konformität begangenen Makrokriminalität, die Selbstrechtfertigungen im Vordergrund, da ein nur geringer Neutralisationsbedarf gegenüber Dritten besteht (vgl. Reese, S.179). Jäger dehnt die ursprüngliche Fassung aus, indem er alle Fälle einbezieht, in denen es zu einer Schwächung oder völligen Eliminierung des Unrechtsbewusstseins und der Handlungshemmungen kommt (vgl. 1989, S.190). Er unterscheidet 10 Varianten der Neutralisation, die empirisch erkennbar waren (nachzulesen bei Jäger, 1989).  


Neben der Betrachtung makrosozialer und situativer Aspekte muss auf der individuellen Ebene nach Erklärungen für kollektive Verbrechen geschaut werden. Art und Grad der Beteiligung und Verstrickung am Kollektivgeschehen werden durch individuelle Einflüsse mitbestimmt. Neben der kriminogenen Situation sind es daher vor allem Gefühle, Einstellungen und Werteorientierung, welche eine Rolle im Hinblick auf das Geschehen spielen (vgl. Jäger 1980, S.363). Als tatbestimmende Motive können weiter auch Dispositionen und Affinitäten zu gruppenkonformen Verhaltensweisen eine Rolle spielen um das kollektive Verhalten zu erklären (vgl. Jäger 1989, S.152).
Neben der Betrachtung makrosozialer und situativer Aspekte muss auf der individuellen Ebene nach Erklärungen für kollektive Verbrechen geschaut werden. Art und Grad der Beteiligung und Verstrickung am Kollektivgeschehen werden durch individuelle Einflüsse mitbestimmt. Neben der kriminogenen Situation sind es daher vor allem Gefühle, Einstellungen und Werteorientierung, welche eine Rolle im Hinblick auf das Geschehen spielen (vgl. Jäger 1980, S.363). Als tatbestimmende Motive können weiter auch Dispositionen und Affinitäten zu gruppenkonformen Verhaltensweisen eine Rolle spielen um das kollektive Verhalten zu erklären (vgl. Jäger 1989, S.152).
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